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E-Book, Deutsch, 267 Seiten

Jesi Spartakus

Symbologie der Revolte
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7518-2055-4
Verlag: Matthes & Seitz Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Symbologie der Revolte

E-Book, Deutsch, 267 Seiten

ISBN: 978-3-7518-2055-4
Verlag: Matthes & Seitz Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Schon 1969 hat Furio Jesi Spartakus. Symbologie der Revolte verfasst, doch erst 2000 wurde seine Rekonstruktion des Spartakusaufstandes in Berlin im Winter 1918-19 posthum veröffentlicht. Hier liegt sie erstmalig in deutscher Übersetzung vor. Am Beispiel des Spartakusaufstandes entwickelt Jesi den grundlegenden politischen Unterschied von Revolution und Revolte. Ausgehend von literarischen Quellen wie Brecht, Eliade, Nietzsche, Mann und Bakunin skizziert Jesi eine Phänomenologie der Revolte, die zwei Zeitlichkeiten gegeneinander stellt: die zielgerichtete Linearität der Revolution und die »Aussetzung der historischen Zeit« in der Revolte. Jesi behauptet einen grundlegenden Unterschied zwischen dem unmittelbaren Erscheinen (Epiphanie) der Idee und ihrer Erstarrung im ideologischen Kanon, zwischen der Zeit der Subversion oder des Mythos und der Zeit der Erinnerung. Damit verbindet er Mythos und Revolte und versteht die Wirklichkeit des Mythos als etwas radikal Neues, gerade weil sie sich nicht in die Zeit der Erinnerung einschreiben lässt und wieder zu einem Synonym von Wahrheit wird. Jesi, der eine ganze Generation italienischer Denker:innen von Pasolini über Eco bis Agamben beeinflusste, zeigt das spartakistische Berlin als eine aktualisierte Version der Pariser Kommune, die dann wiederkehrt in den Revolten des Pariser Mai 1968 und den politischen Kämpfen im Italien der 70er Jahre und so politisch anschlussfähig bleibt für gegenwärtige Bewegungen, die den Status quo eines 'There is no alternative' angreifen.

Furio Jesi (1941-1980), war Germanist, Mythologieforscher und Übersetzer. Er war Professor für deutsche Literatur an den Universitäten von Palermo und Genua. Zu seinen Werken zählen: Germania segreta.?Mythen in der deutschen Kultur des 20. Jahrhunderts (1967; 2018); Literatur und Mythos (1968; 2002); Kultur von rechts (1979; 2011).

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Einführung
Subversion und Gedächtnis71
Dieses Buch ist keine Geschichte der Spartakusbewegung und des Spartakusaufstandes. Bereits der Titel der Reihe, in er es veröffentlicht wird (»Mythos und Symbol des modernen Deutschland«), gibt einen Hinweis auf den Inhalt des Buches: Es ist eine Studie über Mythen und Symbole, und der Untertitel (»Symbologie der Revolte«) verweist auf die Absicht, zu Überlegungen, wenn nicht gar zu Schlussfolgerungen allgemeiner Art zu gelangen, die über die deutschen Situationen hinausgehen. Das bedeutet jedoch nicht, dass die damaligen Ereignisse und die Geschichte Deutschlands in der Moderne im Allgemeinen nur eine Art Gelegenheit oder Vorwand wären. Der Ausgangspunkt und die meisten Beispiele sind »deutsch«, weil uns die deutsche Situation die aufschlussreichste, die schematischste und zugleich die an Komponenten reichste Situation zu sein scheint, um eben jene Schlussfolgerungen allgemeiner Art ziehen zu können. Im Versuch, eine dialektische Alternative zu einer historisierenden Interpretation der Ereignisse anzubieten, setzt dieses Buch den Diskurs unseres Vorgängers Germania segreta fort (dem ersten Teil der Reihe), und es wird voraussichtlich wiederum Hinführung zu einer dritten Schrift sein, in Anlehnung an ein Schema von Carl Justi,72 der über die Monumente Michelangelos in San Lorenzo sagte, der Mensch soll oder sollte leben zuerst mit den Toten, dann mit den Lebenden, und schließlich mit sich selbst. I. Idee und Ideologie. Die bürgerliche Konditionierung In der bürgerlichen Welt ist es legitim, sich zu fragen, ob es eine Ideologie geben kann, die nicht subversiv ist. Ist nicht selbst noch eine Ideologie, die sich als die konservativste versteht oder ausgegeben wird, subversiv, gerade weil sie eine Ideologie ist? Aus dem Kontext des Klassenkampfes herausgelöst, sind die Epiphanie einer Idee und ihre Art und Weise, sich ins Zentrum einer Erfahrung des Seins und des Verhaltens zu setzen, die so vordem nicht da waren (auch wenn es in der Vergangenheit Vorbilder für sie gegeben haben mag), nicht einfach nur neue Tatsachen. Diese Tatsachen selbst sind Träger des Neuen, sie sind subversive Tatsachen, Symptome oder Determinanten des – je nach Geschichtsverständnis – beständigen Werdens oder der ewigen Wiederkehr. Die marxistische wie die faschistische Ideologie sind in diesem Sinne beide neuartig und subversiv, und beide sind gleichermaßen dazu bestimmt, »an den Felsen der Existenz zu zerschellen«,73 wenn einst auch diese Ideen das wiederkehrende Schicksal ereilen wird, zur starren Ideologie geworden zu sein. Denn vielleicht ist es in der Tat so, wie Schiller schrieb: »Spricht die Seele, so spricht ach! schon die Seele nicht mehr.«74 Sobald die Ideologie zu existieren beginnt, hat sich die Idee zu einem Kristall ausgeformt: Aus der subversiven Kraft, die sie im Anfang war, wurde ein Paradigma, aus beweglicher, alltäglich gelebter Realität wurde ein Spiegel, und zwar der einzige Spiegel, nach dem die Bourgeoisie gewohnheitsmäßig Bedeutung und Wert des Verhaltens derjenigen beurteilte, die diese Idee zu ihrem Mittelpunkt machten. Doch dadurch – so könnte der »aufgeklärte« bürgerliche Intellektuelle einwenden – verliert man den genuin75 subversiven Charakter einer jeden Ideologie aus den Augen, und man sieht nur mehr Formeln, die an sich keineswegs neu, ja die meist althergebracht sind; und nun führt ausgerechnet ihre mehr oder weniger große Altertümlichkeit dazu, dass diese ideologischen Formeln als subversiv oder konservativ bestimmt werden. In der bürgerlichen Gesellschaft bestimmt das Gesetz der ewigen Wiederkehr, auf welche Weise diese ideologischen Formeln sich kristallisieren, zumindest in den Augen ihres Betrachters. Lukács hatte ganz richtig festgestellt: »Bürgerlicher Beruf als Lebensform bedeutet in erster Linie das Primat der Ethik im Leben; daß das Leben durch das beherrscht wird, was sich systematisch, regelmäßig wiederholt, durch das, was pflichtgemäß wiederkehrt.«76 Gedächtnis und Kontinuität werden so gegen Epiphanie und Subversion ausgespielt; und es ist eine Konstante der bürgerlichen Gesellschaft, den subversiven Gehalt der Idee defensiv abzuwehren, sie auf eine ideologische Formel zu reduzieren und sie mithin den Gesetzen der ewigen Wiederkehr zu unterwerfen, die im Zuge ihrer zyklischen Phasen eine jede Subversion relativ werden lassen. Hierin wurzelt übrigens auch die tristitia humanistarum oder der Skeptizismus des »aufgeklärten« bürgerlichen Intellektuellen. Indem das Subversive der Ideologie nivelliert und dazu bestimmt wird, sich zu kristallisieren, werden in der Theorie Marxismus und Faschismus in dem Moment gleichgesetzt, in dem sie aus dem Kontext des Klassenkampfes herausgelöst werden. Der nicht-intellektuelle Bourgeois, der nicht-»aufgeklärte« bürgerliche Intellektuelle werden dann vielleicht diejenige Ideologie unterstützen, die ihren Interessen förderlich ist. Der »aufgeklärte« bürgerliche Intellektuelle mag der einen Ideologie seine Gunst gewähren oder der anderen, je nachdem, ob er – in seinem »intimen dunklen Raum«77 – zu Schwert-Ehre-Kreuz oder Liberté-Egalité-Fraternité neigt (oder auch nur zu »roten Fahnen im Wind«). Da es sich um eine Wahl handelt, die verborgen ist im »intimen dunklen Raum«, wird es nicht an zweideutigen Zwischenlösungen mangeln. II. Phänomenologie der bürgerlichen Problematik »Literatur – Ideologie« Rudolf Kassner hätte, um seine Auffassung von der intrinsischen Autonomie der Dichter zu bekräftigen, zu dieser Problematik behauptet, dass das Gesetz der ewigen Wiederkehr die »falschen Ideen« der Dichter bestimmt. Von »falschen Ideen« sprach er vor allem dann, wenn er aus Rilkes Werk bestimmte philosophische Inhalte herleiten wollte; er stellte geradezu der inneren Größe der Dichtung Rilkes die fremden – ideologischen – Elemente gegenüber, die in den poetischen Stoff eingegangen waren und eingebunden wurden von dem Menschen Rilke, in dem der Dichter Rilke gegenwärtig war. Kassner hat sich dem Problem der subversiven oder der konservativen Natur der ideologischen Formeln, die er in Rilkes Werk erkannte, nicht konsequent gestellt, weder in kulturgeschichtlichen und erst recht nicht in politischen Begriffen. Für ihn war wichtig, ob diese Formeln »wahre« oder »falsche« sind: ob sie der Substanz der Dichtung (die per Definition »wahr« ist) assimilierbar oder ihr fremd sind. Aus seiner Sicht ist der Dichter dem »Bourgeois« unzweifelhaft überlegen, unendlich überlegen, ungeachtet der »falschen Ideen«, die das Humane des Dichters befallen könnten. Doch gerade wegen einer solchen Transzendenz konnte der Dichter gar nicht erst in Betracht kommen als ein Subversiver, als ein Unterwanderer der bürgerlichen Gesellschaft, die er in seiner Erhabenheit eben zu übertreffen und nicht zu unterlaufen schien. So konnten die ideologischen Formeln des Dichters nicht nur »falsche« sein, auch die Ideen, die diesen Formeln zugrunde lagen, wurden vom Fluss der Poesie isoliert und als Eigenheit allein des Menschen, nicht des Dichters verstanden. Doch das Wort »Ideologie« ist untrennbar mit dem Begriff einer globalen Realität verknüpft, bezeichnet sie doch den Mittelpunkt einer Erfahrung des Seins, insbesondere einer Erfahrung, die neu ist. Analog dazu ist die poetische Erfahrung vor allem eine Epiphanie, das heißt eine neue und subversive Erfahrung, und sie wird eine solche Erfahrung in Konfrontation mit einer Gesellschaft, die sich darauf gründet, dass das Leben »beherrscht wird von allem, was […] zurückkehrt«.78 Die poetische Erfahrung ist, auch wenn es mitunter den Anschein hat, als ob sie vom Gedächtnis abhänge, eine intrinsische Neuheit: Sie ist Epiphanie, nicht Wiederholung. Es ist gesagt worden (und wir haben es an anderer Stelle selbst gesagt), dass sich in der poetischen Erfahrung genuine mythische Epiphanien ereignen, die als wiederkehrende Verweise auf ein vorhergehendes Mythisches verstanden wurden. Aber das verweist nur auf die paradoxe genuine Realität des Mythos selbst, der immer schon existiert hat und zugleich immer wieder, in jeder seiner erneuten Epiphanien, zum ersten Mal existiert. Mythische Epiphanien sind keine Wiederholungen aus einer Erinnerung, sie folgen auch nicht, aus einer antiken Herkunft kommend, den Gesetzen einer zyklischen Geschichte. Sie sind vielmehr Eingriffe der außerzeitlichen Wahrheit in die Existenz derjenigen, die in die Geschichte sich eingebunden glauben. Der Augenblick der Wahrheit ist einmalig: Ihre Epiphanie ist immer erstmalig und einmalig, denn dieser Augenblick kontrahiert die historische Zeit auf die Realität des Uranfangs. Die Vorstellung einer rhythmischen Kontraktion der historischen Zeit geht an der Realität des Phänomens völlig vorbei: Es ergibt sich für diejenigen Beobachter, die nicht mehr an Mythen glauben und mythische Epiphanien nicht mehr als genuin betrachten. Wenn der Satz »Spricht die Seele, so spricht […] schon die Seele nicht mehr« richtig ist, dann ist entweder im Problem der Kristallisation der Idee das der Kristallisation in der Poesie, im »Sprechen der Seele«, eingeschlossen; oder in der Poesie (was Schiller bestritten hätte) spricht nicht die »Seele«, sondern in der Poesie manifestiert sich eine Wahrheit, die der Seele, dem...


Jesi, Furio
Furio Jesi (1941-1980), war Germanist, Mythologieforscher und Übersetzer. Er war Professor für deutsche Literatur an den Universitäten von Palermo und Genua. Zu seinen Werken zählen: Germania segreta.?Mythen in der deutschen Kultur des 20. Jahrhunderts (1967; 2018); Literatur und Mythos (1968; 2002); Kultur von rechts (1979; 2011).

Engster, Frank
Frank Engster, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hellen Panke e.V. – Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin. Er hat über den Zusammenhang von Maß, Geld und Zeit und um die Verschränkung von Erkenntnis- und Gesellschaftskritik veröffentlicht.

Rivieri, Cinzia
Cinzia Rivieri, Dott.ssa, ist freie Übersetzerin, Drehbuchautorin und Regisseurin.

Furio Jesi (1941-1980), war Germanist, Mythologieforscher und Übersetzer. Er war Professor für deutsche Literatur an den Universitäten von Palermo und Genua. Zu seinen Werken zählen:  Germania segreta.?Mythen in der deutschen Kultur des 20. Jahrhunderts (1967; 2018); Literatur und Mythos (1968; 2002); Kultur von rechts (1979; 2011). Frank Engster, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hellen Panke e.V. – Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin. Er hat über den Zusammenhang von Maß, Geld und Zeit und um die Verschränkung von Erkenntnis- und Gesellschaftskritik veröffentlicht. Cinzia Rivieri, Dott.ssa, ist freie Übersetzerin, Drehbuchautorin und Regisseurin.



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