E-Book, Deutsch, 382 Seiten
Jordan Herbst in Heidelberg
1. Auflage 2015
ISBN: 978-87-11-44901-1
Verlag: SAGA Egmont
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 382 Seiten
ISBN: 978-87-11-44901-1
Verlag: SAGA Egmont
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
1804 folgt Sophie Mereau (1770-1806) ihrem jungen Ehemann Clemens Brentano nach Heidelberg. Sie ist acht Jahre älter als er und schreibt mit großem Erfolg Gedichte und Romane. Ihre erste Ehe ist geschieden. Brentano träumt davon, gemeinsam mit ihr eine poetische Existenz als Vater vieler Kinder zu leben. Obwohl Sophie in dichter Folge drei Kinder zur Welt bringt, wächst die kleine Familie nicht. Nur der Freundeskreis um Sophie und Clemens vergrößert sich stetig. Sophie versucht, den Ansprüchen ihres ziellos umtriebigen Mannes gerecht zu werden. Der Heidelberger Freundeskreis wird Zeuge mancher Krise in dieser Ehe. Schließlich kommt es zur Katastrophe.-
Anna-Luise Jordan wurde in Hannover geboren und studierte in Heidelberg Germanistik, Geographie und Soziologie. Sie promovierte über Sprachmentalität im 19.Jahrhundert und spezialisierte sich danach auf die Jahrzehnte zwischen Rokoko, Revolution und Restauration. Sie arbeitet als freie Lektorin und in der Erwachsenenbildung. 'Herbst in Heidelberg' ist ihr erster Roman.
Autoren/Hrsg.
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Camburg
Im Haus ihrer Schwester bezog Sophie mit Gisela ein geräumiges Zimmer, in dem sogar ein kleines Klavier stand, wie zu Hause in Jena. Die Bäume im Garten färbten sich herbstlich. Überall im Haus roch es nach den Äpfeln, die in der Küche und im Keller lagerten. Im Garten blühten Astern und Dahlien, die letzten Rosen trotzten dem kälter werdenden Wind. Wie schon im vergangenen Winter kamen immer wieder Freunde aus Weimar und Jena zu Besuch. Manchmal kam auch Karl, der nicht müde wurde zu beteuern, dass er Sophie jede Freiheit lassen werde, wenn sie nur wieder zurückkäme. Sie dürfe schreiben und veröffentlichen, so viel sie wolle. Im Haus müsse sie gar nichts tun, er werde ein weiteres Hausmädchen anstellen. Aber Sophie wollte, zumindest vorerst, bei ihrer Schwester bleiben. Sie erklärte Karl, Gisela habe hier mehr Spielkameraden als in Jena, und da sie nun drei Jahre alt sei, brauche sie andere Kinder um sich. Außerdem sei das ländliche Leben in Camburg für Gisela auch viel passender. Von den Freunden, die zu Besuch kamen, suchte vor allem Fritz jede Gelegenheit, mit Sophie allein zu sein. Bei den Mahlzeiten, wenn die ganze Familie am Tisch saß, sprach er von der Liebe. Sophies Schwester, der Schwager und eine Verwandte, die bei ihnen lebte und noch ganz im Stil der alten Zeit gekleidet war, wechselten besorgte Blicke. Fritz meinte es philosophisch. Die Liebe stelle prinzipiell den Zusammenhang alles Seienden her. Bei seinen Ausführungen versuchte er Sophie mit Blicken zu fesseln, denen zu entwischen ihr nicht recht gelang. Er überredete sie zu langen Spaziergängen, was ihn keinerlei Mühe kostete, weil Sophie die Natur liebte. »Wir sollten uns Pferde nehmen«, schlug er bei einem dieser Spaziergänge vor, »da sieht man noch viel mehr vom Land.« Vor ihrer Heirat war Sophie viel ausgeritten. Sie sehnte sich danach, wieder über die Wiesen zu galoppieren. Beim nächsten Besuch führte Fritz als Handpferd einen schönen Fuchs mit. »Für dich«, sagte er. Sophie bewunderte das Pferd, saß schließlich auf und ritt los, als hätte sie erst gestern im Sattel gesessen. Zusammen durchstreiften sie die Gegend und galoppierten bei Wind und Sonnenschein über die abgeernteten Felder. Fritz steckte Sophie mit seinem Übermut an. Bei einer Rast saßen sie nah beieinander unter einem Baum, an dessen Stamm sie die Pferde gebunden hatten. Fritz überraschte Sophie mit der Frage, warum sie sich nicht scheiden lasse. »Alle Welt scheint nichts anderes von mir zu wollen, als dass ich meinen Mann verlasse.« »Alle wollen nur dein Bestes.« Die fast kahlen Äste, zu denen Sophie hinaufsah, ragten in den blauen Himmel. Einzelne Wolken zogen vorbei und veränderten dabei ständig ihre Form. Eine sah aus wie ein Pferdekopf, wurde länger und verwandelte sich langsam in ein Krokodil. »Dein Mann ist es doch nicht wert, dass du bei ihm bleibst. Das weißt du selbst«, flüsterte Fritz. Er rückte näher, umarmte sie und küsste ihr Kinn. Sophie hielt sich an seiner Schulter fest, als sie zusammen nach hinten sanken. Das Laub um sie herum raschelte. Sie suchten sich. »Du bist wundervoll, viel zu schade für deinen Mann. Mach es wie Thea.« Sophies Schwester wunderte sich, wie oft Sophie neuerdings Besuch von Fritz bekam und warum sich der junge, hübsche Mann mit den dunklen Locken nicht mehr blicken ließ. Die Familie saß beim Essen, Sophie, ihre Schwester mit Mann und Kindern, die Verwandte, deren altmodisches Spitzenhäubchen fortwährend zitterte, weil sie den Kopf nicht mehr ruhig halten konnte, ein befreundetes Ehepaar und Fritz. »Du meinst wahrscheinlich Clemens. Der ist in Göttingen«, erklärte Sophie ihrer Schwester. Fritz beschäftigte sich intensiv mit dem Stück Fleisch auf seinem Teller. Sophies Schwester fragte weiter, wunderte sich, dass Clemens kein Examen machen wollte, fragte, wie es ihm in Göttingen gefalle. »Das weiß ich leider nicht«, sagte Sophie. »Ja, hat er denn noch nicht geschrieben? Wie sonderbar«, meinte der Schwager. Fritz sah noch immer unverwandt auf seinen Teller. Schließlich hob er den Kopf: »Mir fällt gerade ein, er hat mir einen Brief an dich gegeben, Sophie, damals bei seiner Abreise aus Jena. Ich hatte es völlig vergessen. Natürlich habe ich ihn jetzt nicht bei mir. Das nächste Mal, wenn ich komme, gebe ich ihn dir ganz bestimmt. Es wird sicher nichts Wichtiges drinstehen.« Die Sache schien ihm peinlich, und damit sie sofort wieder in den Hintergrund geriet, begann er über Poetologie zu reden. »Der Geist der Liebe muss in der Poesie überall schweben.« »Wie? Das verstehe ich nicht«, krächzte die alte Verwandte. »So geht es mir auch«, befand der Schwager, und Sophies Schwester schloss sich an. Am nächsten Tag reiste Fritz ab. Zwei Wochen später kam Jette, begleitet von Stefan. Er hatte sein Examen bestanden. Sophie freute sich über Jettes Besuch und gratulierte Stefan. Beim Begrüßungstee im Wohnzimmer erzählte Jette den neuesten Tratsch aus Jena, und dass der Geheimrat aus Weimar nach Göttingen gereist sei. Stefan wusste mehr darüber. »Die Studenten haben ihn mit einem Fackelzug gefeiert. Das hatte man ihnen vorher eigentlich verboten, aber sie haben sich nicht dran gehalten.« »Woher weißt du das«, fragte Sophie. »Clemens hat mir geschrieben. Er hat bei diesem Fest jemanden kennengelernt.« »Ach, ja«, meinte Sophie, »wen denn?« »Arnim, heißt er, von sogar, Carl Joachim Friedrich Ludwig von Arnim. Clemens hält ihn für einen großen Dichter, obwohl er eigentlich Physik studiert. Er hat ein paar wissenschaftliche Aufsätze veröffentlicht.« »Wieso hält Clemens ihn dann für einen Dichter?« »Ich weiß es nicht. Clemens schwärmt jedenfalls von ihm. Trotzdem bittet er nicht seinen neuen Freund, sondern mich, seinen verwilderten Roman fertigzuschreiben. Ich hätte ja jetzt Zeit. Er hat einfach keine Geduld. Das Abschreiben ist ihm zu viel, die ganze wilde Geschichte interessiert ihn nicht mehr. Für den Schluss fehlt ihm noch immer eine Idee, ich soll mir was einfallen lassen. Einen Verlag hat er anscheinend, aber keine Zeit.« Stefan und Jette blieben zwei Tage. Als sie wieder abreisten, gestand Stefan, Sophies Gegenwart habe ihn so angeregt und inspiriert, dass es ihm ein Leichtes sein werde, das Romankapitel für Clemens zu schreiben. »Du verwandelst jeden, der zu dir kommt, in einen Dichter.« Trotz all der Besuche blieb Sophie viel Zeit zum Arbeiten. In dem kinderreichen Haus fand sich für Gisela immer ein Spielgefährte. Es fehlte nicht an Hausmädchen, die nach den Kindern sahen, und Sophies Schwester war eine tüchtige Hausfrau, die nicht zuließ, dass Sophie ihr half. Ab und zu kam Karl zu kurzen Besuchen. Sophie freute sich eher, wenn er Camburg wieder verließ, als über seine Ankunft. Im Dezember waren Stefan und Fritz gemeinsam da. Je dunkler und länger die Abende wurden, umso mehr spürte Sophie, wie sehr ihr die Gesellschaftsabende, die Konzerte und das Theater fehlten. Sollte sie doch nach Jena zurückkehren? Stefan drückte Sophie herzlich die Hand zur Begrüßung. Fritz führte ihre Hand an seine Lippen. Sophie amüsierte sich über dieses Kavaliersgehabe, das so gar nicht zu ihm passte. Die beiden Freunde stiegen die Treppe hinauf, um sich oben in dem Zimmer, in das der Hausknecht die Reisetaschen brachte, frisch zu machen. Das Zimmer lag unterm Dach, direkt über dem von Sophie, die unten im Wohnzimmer auf die Freunde zu warten beschloss. Sie setzte sich auf einen der Lehnstühle am Fenster und wechselte ein paar Worte mit der alten Verwandten, die auf dem Sofa unter einem Landschaftsbild saß und strickte. Das Bild über ihrer Spitzenhaube zeigte eine griechische Tempelruine mit vielen Säulen. Stefan kam als Erster wieder herunter. Als er das Zimmer betrat, begrüßte er die alte Dame mit einer Verbeugung und erzählte, dieser Besuch sei ein Abschied. Er werde mit Beginn des Jahres Arzt in Göttingen. Fritz kam und meinte, Stefan werde bestimmt ein guter Arzt. »Wir können froh sein, dass nicht jeder dieses Ziel ernstlich anstrebt.« Sophie fragte, wie er das meine. »Nun, unser Clemens hat glücklicherweise rechtzeitig aufgegeben. So bleiben wir doch wenigstens vor einem unsteten Träumer bewahrt, wenn wir mal krank sind. In seine Hände würde ich mich nicht begeben. Bei Stefan ist das ganz was anderes, nicht wahr, mein Lieber.« Er klopfte Stefan vertraulich auf die Schulter und schien gereizt. Später beim Essen produzierte er ständig spitze Bemerkungen von manchmal unangenehmer Schärfe. Man lachte zwar, aber jeder war froh, wenn die Spitzen einen anderen trafen, nicht einen selbst. Stefan bekam viel ab, blieb aber freundlich, so als könnte ihn nichts verletzen. Er schien vollkommen damit zufrieden, Sophie anzusehen und mit ihr an einem Tisch zu sitzen. Beim Frühstück am nächsten Morgen redete Fritz von Ausflügen zu Pferd und Bäumen, unter denen das Laub wie ein dicker Teppich liege. Am Abend, als alle im Wohnzimmer zusammensaßen und Glühwein tranken, auch der Kachelofen war gut geheizt, begann Fritz wieder einmal über die Liebe zu philosophieren. Ohne sie gebe es kein Theater, keine Literatur. »Was erregt in uns so viel Leidenschaft wie die Liebe«, fragte er in die Runde. »Diese Parteinahme für die Leidenschaft wundert mich«, sagte Sophie, »bei Schillers Dramen stört sie dich doch.« Da jeder etwas über Leidenschaft und Vernunft sagen wollte, blieb es Fritz erspart, den Widerspruch zu erklären. Der Schwager meinte, er hege eine große Leidenschaft fürs Rationale. »Aber die Liebe ...«, sagte die alte Verwandte. Weiter kam sie nicht. »Die Liebe ist eine Passion«, unterbrach sie der Schwager. »Ein Lebenselixier«, meinte Stefan. »Das Leben selber«, sagte Sophie, »nur die Liebe bringt...