E-Book, Deutsch, 126 Seiten
Reihe: Carl-Auer Compact
Kannicht / Schmid Einführung in systemische Konzepte der Selbststeuerung
2. Auflage 2022
ISBN: 978-3-8497-8361-7
Verlag: Carl Auer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 126 Seiten
Reihe: Carl-Auer Compact
ISBN: 978-3-8497-8361-7
Verlag: Carl Auer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Erfolg einer Beratung hängt ganz wesentlich davon ab, wie gut es dem Beratenden gelingt, seine Arbeit zu ordnen und – gemeinsam mit dem Klienten – durch den Beratungsprozess zu navigieren: Welche Herangehensweise wähle ich, welches Setting? Was nehme ich in den Fokus, was verfolge ich wie weit? Welche Technik setze ich wann ein?
Eine bewusste Selbststeuerung ist – neben der besonderen Haltung und der Sensibilität gegenüber Kontexten – ein wesentliches Merkmal von systemischer Beratung. Sie hilft dabei, unterschiedliche Ansätze und Schulen zu integrieren und das eigene Repertoire an Methoden besser auszuschöpfen.
Bernd Schmid und Andreas Kannicht stellen in dieser Einführung Konzepte zur Verfügung, die Beratern, Therapeuten, Coachs und Supervisoren helfen, ihre Selbststeuerung zu organisieren. Sie verbinden in besonderer Weise rationale Metakonzepte mit fundierter Intuition – getreu ihrer Überzeugung: Beratung bleibt ein kreativer Akt.
Zielgruppe
Organisationsberater, Coachs, Supervisoren
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Pädagogik Berufliche Bildung Coaching, Training, Supervision
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychotherapie / Klinische Psychologie Beratungspsychologie
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychologische Disziplinen Coaching, Training, Supervision
- Wirtschaftswissenschaften Betriebswirtschaft Coaching, Training, Supervision
Weitere Infos & Material
2 Systemische Grundtechniken und Vorgehensweisen
In diesem Kapitel werden grundlegende und eher praktische Steuerungsperspektiven eingenommen. Aus ihnen werden Haltungen und Grundtechniken für Beratung abgeleitet. Sie gehen davon aus, dass der Berater ein qualifizierter Nichtwissender ist, ja sein sollte. Dies ist ein klarer Kontrapunkt gegenüber der Meinung, dass Berater aufgrund ihrer Wirklichkeiten die Wirklichkeit von Klienten beurteilen könnten. Auch erfahrene Pfadfinder müssen sich in neuem Gelände kundig machen, wissen aber besser als Greenhorns, wie. Doch auch Erfahrene wissen eben nicht von vornherein, was Wirklichkeiten der Klienten bedeuten und was die Klienten falsch oder richtig machen. Sie müssen wirklich fragen, auch dann, wenn sie ganz plausible Annahmen auf Lager haben. Fragenstellen hilft besonders dem Lösungsfreudigen, davon wegzukommen, den Klienten zu sagen, was gut für sie ist. Fragenstellen hilft auch zu vermeiden, dass Klienten die Ideen des Beraters als nicht hilfreich abwerten und gleichzeitig dem Berater die Verantwortung für die eigene Veränderung zuschieben. Der Berater hat ein Recht, sich nicht auszukennen und so lange zu fragen, bis er ein plausibles Verständnis gewonnen hat. Gelingt ihm dies nicht, kann er nichts tun, außer vielleicht auch aus einem größeren Repertoire von Perspektiven weiterzufragen oder eine andere Technik zu versuchen, bis sich der Nebel lichtet. Gerne darf ein Berater mal von sich aus Wirklichkeitsbilder und Meinungen einbringen. Dann aber ist wieder Fragenstellen danach angesagt, ob diese Wirklichkeitsbilder und Meinungen in der Beratung fruchtbar werden können. Blindflugkompetenz braucht ein Berater nicht für sich in Anspruch zu nehmen. Insofern tun wir gut daran, als Systemiker die fragende Haltung und ein großes Repertoire an Fragen und anderen Techniken zu kultivieren. 2.1 Fokussieren, Zuhören, Positionieren
2.1.1 Fokussieren
Markenzeichen des systemischen Arbeitens ist und war die Fragetechnik. Aus gutem Grund: Wenn wir fragen, bringen wir die Klienten in eine selbstreflexive Haltung, in Suchprozesse und regen sie an, eigene Lösungen zu finden und Verantwortung für die Veränderung zu übernehmen. Kommt beispielsweise ein Klient mit einem Problem, zu dem er keine Lösungsidee hat, so können wir fragen, ob er ähnliche Probleme schon einmal hatte und wie er sie damals gelöst hat. Oder wir fragen nach Ausnahmen und danach, wie es ihm gelungen ist, diese Ausnahmen aktiv herzustellen. Findet der Klient solche Lösungsansätze, so können wir fragen, wie er seine Kompetenzen auf die aktuelle Situation übertragen kann. Mit diesen und ähnlichen Fragen gelingt es dem Berater, bei seinem Klienten neue Sichtweisen hervorzurufen bzw. vorhandene Sichtweisen, die ihm aus dem Blick geraten waren, wiederzuentdecken. Durch Fragen können neue Zugangsweisen und Wege entstehen, mit deren Hilfe der Klient Verworrenheit und Sackgassen meiden kann. Aufgrund der fragenden Haltung des Beraters bleibt der Klient in einer selbstverantwortlichen, kompetenten Position und wird zum Akteur seiner Veränderung. Allerdings kann die Faszination der Fragetechniken dazu verführen, andere Formen der Impulsgebung zu übersehen. Die folgenden Abschnitte sollen Anregungen geben, die Fragetechnik einerseits zu verfeinern und sie andererseits um zwei nützliche Perspektiven zu ergänzen: das Zuhören und das Positionieren (s. a. Klein u. Kannicht 2011). 2.1.2 Zuhören
Nicht immer sind Fragen die beste Form, Klienten zu helfen. Es gibt Situationen, in denen Fragen, insbesondere als Technik eingesetzt, wenig respektvoll erscheinen können. Erzählt beispielsweise eine Klientin unter Qual von einem schlimmen Ereignis, beispielsweise einer schweren, unerwarteten Erkrankung, so mag es sinnvoll sein, ihr Raum für ihre Gedanken und Gefühle zu geben, ohne sie durch Fragen zu unterbrechen oder durch Fragen neue Denkprozesse anregen zu wollen. Einfühlsames Zuhören ist dann oft die bessere Alternative. Im technischen Sinne einwandfreie zirkuläre Fragen wie etwa: »Wenn ich Ihren Mann fragen würde, wie würde er Ihre Situation schildern?«, die zu einer Außenperspektive führen, ergeben in diesem Stadium der Beratung wenig Sinn und können sogar zynisch wirken. Präsenz und Offenheit des Beraters sind gefragt; Aushalten der Betroffenheit, statt Kontrolle über das vielleicht Tragische durch Fragen gewinnen zu wollen. Die Fragen würden eher dem Selbstschutz des Beraters dienen als eine Hilfe für die Klientin darstellen. Zuhören kann in unserem Verständnis von systemischem Arbeiten eine bedeutende Dienstleistung darstellen. Nicht selten kommen Menschen in Beratung, weil sie hier einen geschützten Raum suchen, in dem Dinge formuliert werden können, die in keinem der realen Bezüge kommunizierbar erscheinen. Die Selbsterzählung kann dann wie ein Suchprozess der Klienten verstanden werden, Erlebtes überhaupt in Erzählform zu bringen oder im Erzählvorgang mit einem neuen Selbstverständnis zu experimentieren. Manchmal ist das Aussprechen eines Gedankens oder Gefühls, das ein Klient mit sich herumträgt, der erste und bedeutendste Schritt, einen Unterschied zu dem bisherigen Verhalten zu machen. Der Mut zur Erzählung ist möglicherweise das bahnbrechende Ereignis, und es ist gut, als Berater ein Gefühl dafür zu entwickeln, wann dies die zentrale Herausforderung ist. Zu viele Fragen können diesen Prozess empfindlich stören. In der Gesprächspsychotherapie nach Rogers wurde das Zuhören als eine Form der Dienstleistung methodisch verfeinert und theoretisch begründet. Wenn wir hier von der Bedeutung des Zuhörens sprechen, versteht sich systemisches Arbeiten als Metamodell, das Elemente aus anderen Verfahren aufgreift und, wenn passend, aufgrund von Steuerungsüberlegungen in den Beratungsprozess einbezieht. 2.1.3 Positionieren
Zuhören ist die eine Ergänzung zur Fragetechnik. Es gibt auf der anderen Seite auch Situationen, in denen der Berater dem Klienten gute Ideen vorenthalten kann, wenn er ihm nur Fragen stellt und aus übertriebener Vorsicht, den Klienten in eigenen Suchprozessen zu belassen, wichtige eigene Impulse vorenthält. In die Praxis kommt ein Klient in Leitungsfunktion, dem es schwerfällt, mit einem Mitarbeiter, der sich nicht angemessen verhält, ein Kritikgespräch zu führen. Für diese Problemstellung können ganz unterschiedliche Themen relevant sein (Hinweise auf die möglichen Themen und darauf, wie man sie fokussiert, finden sich in den nächsten Abschnitten). Nehmen wir aber an, ein Problem besteht darin, dass die Führungskraft aufgrund ihrer Fachkompetenz in diese Leitungsrolle kam und wenig Qualifizierung in Führungsfragen erhalten hat. In dieser Situation helfen gute Fragen wie beispielsweise »Angenommen, Sie hätten das Gespräch so geführt, dass der Mitarbeiter sich wieder an die Regeln hält, wie hätten Sie das gemacht?« wenig, oder sie führen nur auf sehr umständliche Weise weiter. Häufig ergibt es mehr Sinn (und führt zu mehr Zufriedenheit auf Kundenseite), wenn der Berater Modelle möglicher Gesprächsverläufe anbietet und mit dem Klienten abstimmt, welche für ihn passend sein könnten. Der Berater stellt somit seine Expertise aktiv zur Verfügung und verlässt – zumindest für eine Teilsequenz des Beratungsverlaufes – die fragende Haltung. Dass Berater im systemischen Gespräch sich auch positionieren, war schon von Beginn an Teil der systemischen Vorgehensweise. Allerdings war dies der klassischen Abschlussintervention vorbehalten. Während des Gespräches wurde es als Königsweg betrachtet, den Kunden durch Fragen zu eigenen Impulsen anzuregen. Diese stimulierenden Fragen wurden deshalb als Mikrointerventionen im Gegensatz zur Makrointervention im Rahmen des Abschlusskommentars bezeichnet. Wenn wir hier von Positionieren sprechen, ist gemeint, dass wir als Berater bereits im Gespräch durch eigene Stellungnahmen Impulse setzen. Wir unterscheiden somit drei grundlegende Perspektiven: Fokussieren, Zuhören und Positionieren. Zuhören – und das wurde in obigem Beispiel bereits deutlich – empfiehlt sich, wenn Klienten eine Geschichte präsentieren, die sie so bislang noch nicht erzählt haben. Fokussieren ist das Mittel der Wahl, wenn sich die Klienten in eingeschränkten Denk-, Erklärungs- und Lösungsmustern bewegen und sie angesichts der Problemlage ihre vorhandenen Lösungskompetenzen ausgeblendet haben. Erweiterndes Fokussieren kann vom Tunnelblick befreien und das Repertoire an Betrachtungen aktivieren bzw. erneuern. Positionieren ist sinnvoll, wenn es dem Klienten an inneren Bildern fehlt, die ihm neue Sichtweisen ermöglichen, oder wenn er von einschränkenden Bildern schlecht loskommt. Zuhören ist mehr als Abwesenheit von Aktivitäten. Zuhören ist eine eigene Kunst und zumindest innerlich durchaus aktiv. In Abschnitt 2.2 sollen als Beispiele drei Formen des...