E-Book, Deutsch, 268 Seiten
Karsten / Voßschmidt / Becker Resilienz und Schockereignisse
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-17-043723-4
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 268 Seiten
ISBN: 978-3-17-043723-4
Verlag: Kohlhammer
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[12]2Rechtliche Grundlagen und Aufgaben der Behörden
2.1Rechtliche Betrachtung
Stefan Voßschmidt Recht der Gefahrenabwehr
Aus rechtlicher Sicht gehört der Schutz vor Großkatastrophen wie die Ahrtal-Katastrophe zu den zentralen und besonders wichtigen Aufgaben des Staates. Bereits der Philosoph Thomas Hobbes erklärte, dass die Gewährleistung der Sicherheit die Daseinsberechtigung des Staates sei. Katastrophenschutz ist eine staatliche Aufgabe, die der Gefahrenabwehr zugeordnet ist, sich jedoch durch ihre besondere Schadensschwere und -ausdehnung (ihr Schadensausmaß) vom Bereich der einfachen Gefahrenabwehr unterscheidet. In allen deutschen Flächenländern ist die konventionelle Gefahrenabwehr der Ordnungsbehörde bzw. Feuerwehr zugeordnet. Die Gefahrenabwehr ist eine zentrale Aufgabe der Kommunen. Das bedeutet: Zu Beginn der Ahrtalkatastrophe, als der Wasserstand in den Ahr-Orten anstieg, könnten die Kommunen (in Rheinland-Pfalz die Verbandsgemeinden) und damit die Ortsbürgermeister verantwortlich und zuständig gewesen sein. Aber auch bei Ausrufung eines Katastrophenfalles und/oder Übernahme der Einsatzleitung durch eine übergeordnete Behörde, bleibt die (Rest-)Zuständigkeit zur Gefahrenabwehr bei der Gemeinde. Diese prinzipielle Ordnung stößt bei Schockereignissen an ihre Grenzen. Gerade weil es sich um ein Schockereignis handelt, werden Einzelfallregelungen nicht greifen und eventuell vorgedachte Pläne nicht 1:1 anwendbar sein. Daher ist eine Rückbesinnung auf zentrale Prinzipien notwendig. Der Staat muss den Einzelnen vor Gefahren schützen, den Daseinsvorsorgeanspruch gewährleisten und dabei die Grundrechte beachten. In diese Grundrechte darf nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden. Grundrechte dürfen nicht in ihrem Wesensgehalt eingeschränkt werden. In jedem Fall ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Aus dem Dargestellten ergibt sich, dass Handlungsnotwendigkeiten zur Gefahrenabwehr bestehen, aber gleichzeitig die Grundrechte zu achten sind. Das Recht hat vielfältige Aufgaben. Recht meint hier, gesetzlich fixiertes, geschriebenes Recht: Die Gesamtheit der Rechtsvorschriften. Jede Maßnahme muss diese Gesamtheit des Rechtes beachten und vom Verfassungsrecht bis zum Sachgesetz alle Rechtsrege[13]lungen beachten. Recht zerfällt in die Bereiche Öffentliches Recht, Privatrecht und Strafrecht, wobei der Erstere hier von besonderer Relevanz ist. Das Öffentliche Recht regelt das Verhältnis des Einzelnen zum Staat und den übrigen Trägern öffentlicher Gewalt und ist geprägt durch das Prinzip der Über- und Unterordnung. Demgegenüber regelt das Privatrecht die Rechtsbeziehungen der Einzelnen zueinander (ohne ein Über- oder Unterordnungsverhältnis). Zentrale Elemente des Privatrechtes sind das bürgerliche Recht (Zivilrecht, BGB) und das Handels- und Wirtschaftsrecht. Das öffentliche Recht hat für unsere Thematik vor allen Dingen in folgenden vier Bereichen Bedeutung: Völkerrecht Staatsrecht (Verfassungsrecht, Grundgesetz) Prozessrecht Verwaltungsrecht Das Verwaltungsrecht wiederum gliedert sich in allgemeines und besonderes Verwaltungsrecht. Wichtig im Bereich des allgemeinen Verwaltungsrechtes ist das Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG): Jedes Bundesland hat ein eigenes Verwaltungsverfahrensgesetz, ebenso der Bund. In Rheinland-Pfalz nennt es sich VwVfG R-P (dazu analog die VwVfGe der jeweiligen Bundesländer). Die Verwaltungsverfahrensgesetze sind aber wortgleich, so dass in diesem zentralen Bereich eine Einheitlichkeit der Normgebung und des Verwaltungshandelns besteht. Im besonderen Verwaltungsrecht sind vielfältige Materien geregelt, u.a. das Recht der Gefahrenabwehr. Wesentliche Teilbereiche sind Polizeirecht, Ordnungsrecht, Katastrophenschutzrecht, Recht der Feuerwehr, Rettungsdienst. Entscheidungen in diesen Bereichen können weitgehende Konsequenzen haben, große Schäden verursachen, nicht nur den Schaden einer eingetretenen Tür. Daher privilegiert hier der Gesetzgeber die für den Staat Handelnden. Grundprinzip der Haftung
Im Bereich des Zivilrechtes muss jeder für den Schaden einstehen, den er verursacht, § 823 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Zerstöre ich den Kugelschreiber meines Nachbarn, muss ich ihn bezahlen. Gleichgültig ist dabei, ob ich vorsätzlich oder fahrlässig handelte. Beamte oder Beschäftigte des öffentlichen Rechtes können durch ihre amtlich verfügten Maßnahmen ebenfalls Schäden herbeiführen. Hier hat der Gesetzgeber entschieden, dass es ungerecht ist, wenn der einzelne Beschäftigte (der Standardbegriff lautet Beamter im haftungsrechtlichen Sinne) bei einfacher [14]Fahrlässigkeit auch selbst haften würde. Es gilt das sogenannte Amtshaftungsprivileg (Art. 34 GG, § 839 BGB). Der Staat haftet für den Schaden und kann von dem Handelnden nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit eine Beteiligung verlangen (ihn in Regress nehmen). Dieses Amtshaftungsprivileg ist weit auszulegen. Es gilt für alle im staatlichen Auftrag Handelnde, auch für sogenannte Verwaltungshelfer oder Ersthelfer bei einem Unfall. Bekanntestes Beispiel für einen Verwaltungshelfer ist der Schülerlotse, aber auch Spontanhelfende können Verwaltungshelfende sein, wenn sie, wie im Ahrtal geschehen, mit Einverständnis der zuständigen Behörden Schlamm aus Häusern entfernen oder Putz von den Wänden schlagen, Müll entsorgen etc. Derartige Haftungsprivilegierungen sind wichtig für das Recht der Gefahrenabwehr, den Kernbereich der Eingriffsverwaltung. D.h. im Ergebnis: Entsteht durch das Handeln eines Beamten im haftungsrechtlichen Sinne ein zu ersetzender Schaden, ersetzt die Behörde, für die er handelt (in der Regel auf Antrag) den entstandenen Schaden. Die Behörde kann aber nur in Fällen des Vorsatzes und der groben Fahrlässigkeit Regressansprüche geltend machen, das heißt eine Übernahme des Betrages oder eine Beteiligung verlangen. Daher ist eine Angst vor den Folgen einer Entscheidung und damit einhergehende Entscheidungsscheu, aus Sorge haften zu müssen, unbegründet. Eher kommt eine Haftung bei Nicht-Entscheidung in Betracht. Diese Haftungsprivilegierung gilt auch für Spontanhelfende, wenn sie als Verwaltungshelfer tätig werden, wie das z.B. in der Ahrtalkatastrophe im großen Stil der Fall war. In Fällen wie dem Brand von Munitionsflächen in Lübtheen können und wollen Verwaltungshelfer nicht tätig werden. Dies entspricht der Feststellung einer unveröffentlichten Masterarbeit von Angela Rödler »Koordinierung von Spontanhelfern in Schadenslagen« an der Universität Bonn. Die Spontanhelfenden erkennen recht gut, in welchen Fällen ihr Einsatz sinnvoll ist und in welchen nicht. Eine Beeinträchtigung liegt vor, wenn eine Gefahr für ein Schutzgut des Art. 2, 20a GG vorliegt. Ihr Einsatz wird aufgrund sich vermehrender Großschadenslagen immer häufiger und immer kalkulierbarer. In jeder geeigneten Großschadenslage seit 20 Jahren waren Spontanhelfende eine wertvolle Ressource. Die Bedeutung dieser Ressource wird tendenziell steigen, weil immer mehr Risikoszenarien erkennbar sind. Dies wird aber in den meisten Überlegungen nicht betrachtet. Das Recht der Gefahrenabwehr ist nämlich eher vergangenheitsbezogen aufgebaut und wird anhand von in vergangenen Lagen erkannten Problemstellungen angepasst. Eine Zukunftsorientierung fehlt. Auch dass der Klimawandel im aktuellen Klimaschutzgesetz (in der Form der vom Bundesverfassungsgericht unter Berufung auf das Verfassungsprinzip des Art. 2, 20a erzwungenen Änderungen) ausdrücklich thematisiert wird, hat nicht dazu geführt, dass ins Klimaschutzgesetz konkrete bevölkerungsschützende Regelungen aufgenommen wurden (v. Lewinski/Freudenberg 2024). Von [15]Lewinski schlägt vor die Zukunftsorientierung durch Grundlagenforschung und Orientierung an Schutzgütern zu erreichen. Aus der Sicht des Verfassers ist dies um eine Rückbesinnung auf allgemeine Prinzipien zu ergänzen. Eine Zukunftsorientierung des Bevölkerungsschutzrechtes ist umso notwendiger, als neue und kombinierte Gefahren Deutschland und die Welt tatsächlich zur Weltrisikogesellschaft (Ulrich Beck 2008) machen. Ein zentrales und in seiner Bedeutung nicht zu unterschätzendes Szenario sind hybride Bedrohungen. Hybride Bedrohungen und Recht
Was bedeuten hybride Bedrohungen? Grundsätzlich wird unter hybriden Bedrohungen eine Kombination aus klassischen Militäreinsätzen, wirtschaftlichem Druck, Computerangriffen bis hin zu Propaganda in den Medien und sozialen Netzwerken verstanden. Ziel ist es, nicht nur Schaden anzurichten, sondern insbesondere Gesellschaften zu destabilisieren und die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Offene pluralistische und demokratische Gesellschaften bieten hierfür viele Interventionsmöglichkeiten und sind somit eher leicht verwundbar. Die Täter operieren entweder anonym oder bestreiten Beteiligungen an Vorfällen und Konflikten (Verschleierungstaktik). Sie gehen dabei äußerst kreativ und koordiniert vor, ohne die Schwelle zu einem Krieg zu überschreiten. Teilweise werden aber auch nur Einfallstore für eventuelle spätere Angriffe ausgetestet, von denen nicht sicher ist, ob sie je benutzt werden (BMVg 2023). Sind derartige hybride Bedrohungen wirklich neu?
Viele sehen hybride Bedrohungen als eine Revolution i.B. in der Sicherheitspolitik, die die nähere Zukunft bestimmen wird. Die Gegner einer Auseinandersetzung mit dem Begriff der hybriden Bedrohung dagegen zweifeln daran, ob die hybriden Bedrohungen als solche überhaupt klassifizierbar sind. Grundsätzlich ist die Kombination...