E-Book, Deutsch, 358 Seiten
Kernebeck / Fischer Partizipative Technikentwicklung im Sozial- und Gesundheitswesen
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-456-76266-1
Verlag: Hogrefe AG
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Interdisziplinäre Konzepte und Methoden
E-Book, Deutsch, 358 Seiten
ISBN: 978-3-456-76266-1
Verlag: Hogrefe AG
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Inklusion und soziale Teilhabe durch digitale Technologien
Partizipation hat eine große gesellschaftliche Bedeutung. Sie wird als Instrument gesehen, um soziale, politische oder wirtschaftliche Ungleichheit zu verringern. Der Einbezug von Nutzer:innen in die Entwicklung digitaler Technologien nimmt auch im Kontext von Gesundheit einen zunehmend höheren Stellenwert ein.
Partizipative Technikentwicklung ist jedoch ein diverses Feld – nicht nur aufgrund vielfältiger Methoden und heterogener Zielgruppen, sondern auch bedingt durch unterschiedliche Verständnisse von „Partizipation“. Häufig besteht zudem noch Unsicherheit, wie der Ansatz der partizipativen Technikentwicklung in Forschungs- und Entwicklungsprojekten konkret umgesetzt werden kann.
Das Buch fokussiert die partizipative Technikentwicklung mit Bezug zum Sozial- und Gesundheitswesen. Es adressiert Forscher:innen, Entwickler:innen und Studierende aus verschiedenen Disziplinen und Anwendungsfeldern im Gesundheitswesen, darunter die Bereiche der Gesundheitswissenschaften, Medizin, Pflege- und Therapieberufe, Psychologie und angrenzenden Disziplinen bzw. gesundheitsbezogenen Professionen.
Die Autor:innen der vielfältigen Beiträge nehmen sowohl eine theoretische als auch eine anwendungsbezogene Perspektive auf das Thema ein: Ihre Beiträge orientieren sich an zentralen Prinzipien und Wirkweisen in Verbindung mit partizipativer Technik-ent-wicklung. Sie stellen konkrete Methoden und Ansätze partizipativer Technikentwicklung vor, die sich in Forschungs- und Entwicklungs-projekten anwenden lassen.
Zielgruppe
Gesundheitswissenschaftler*innen, Mediziner*innen,
Pflege- und Therapieberufe,Studierende
und Lehrende der Therapieberufe und
angrenzender Disziplinen
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Medizin | Veterinärmedizin Medizin | Public Health | Pharmazie | Zahnmedizin Medizin, Gesundheitswesen Medizin, Gesundheit: Sachbuch, Ratgeber
- Medizin | Veterinärmedizin Medizin | Public Health | Pharmazie | Zahnmedizin Pflege Krankenpflege
- Medizin | Veterinärmedizin Medizin | Public Health | Pharmazie | Zahnmedizin Medizin, Gesundheitswesen Gesundheitssystem, Gesundheitswesen
- Sozialwissenschaften Soziologie | Soziale Arbeit Soziale Arbeit/Sozialpädagogik
Weitere Infos & Material
|18|1 Einführung in partizipative Technikentwicklung
Florian Fischer, Sven Kernebeck 1.1 Einleitung
Partizipation hat eine große gesellschaftliche Bedeutung: So wird Partizipation als Instrument gesehen, um soziale, politische oder wirtschaftliche Ungleichheit zu verringern (Hedtke, 2019). Durch Partizipation können Bürger:innen ihre Meinungen, Bedürfnisse und Interessen einbringen und an Entscheidungen mitwirken, die sich auf ihre individuelle Lebensweise auswirken. Zudem fördert Partizipation die Demokratie: Sie ermöglicht es den Menschen, ihre Rechte und Freiheiten auszuüben und an der Gestaltung der Gesellschaft teilzuhaben (Bundesministerium für Bildung und Forschung [BMBF], 2023). Darüber hinaus stärkt Partizipation das Gemeinschaftsgefühl und den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Indem Menschen aktiv an der Lösung von Problemen und der Umsetzung von Projekten mitwirken, fühlen sie sich gehört und wertgeschätzt. Und zugleich bedeutet gute und gelingende Partizipation, dass es nicht nur ein Gefühl der Wertschätzung ist, sondern die Beteiligten auch tatsächlich aktiv Mitwirkende und (Mit-)Entscheidende werden. Dadurch fördert Partizipation zugleich die Identifikation mit der Gemeinschaft und das Verantwortungsbewusstsein für das Gemeinwohl (Robert Bosch Stiftung, 2021). Partizipation kann somit zu sozialer Gerechtigkeit beitragen, da sie allen Menschen die Möglichkeit gibt, ihre Stimme zu erheben und ihre Interessen zu vertreten. Sie ermöglicht es insbesondere benachteiligten Gruppen, ihre Anliegen einzubringen und auf ihre spezifischen Bedürfnisse aufmerksam zu machen. Kurzum: Partizipation ist ein wichtiger Bestandteil einer lebendigen und funktionierenden Gesellschaft (Dabrowski et al., 2021). Diese mit Partizipation einhergehenden Potenziale sind auch zentrale Anliegen von Public Health und beschreiben somit vielfältige dort verortete Konzepte, wie etwa Empowerment, Förderung (gesundheitlicher) Chancengleichheit und Schaffung gesundheitsförderlicher Lebenswelten, welche an den Bedürfnissen und Bedarfen der jeweils dort – gemäß der Ottawa-Charta (World Health Organization Europe (WHO Europa), 1986) – spielenden, lernenden, arbeitenden und liebenden Menschen. Daher nimmt Partizipation auch im Kontext von Gesundheit in den vergangenen Jahr(zehnt)en eine immer stärker werdende Bedeutung ein (von Peter et al., 2020; Rosenbrock & Hartung, 2012). So sind Ansätze der partizipativen Gesundheitsforschung mittlerweile international zu einem festen Bestandteil vieler Gesundheitsreformen geworden (International Collaboration for Participatory Health Research (ICPHR), 2013). Auch über den Bereich der Gesundheit hinausgehend lassen sich in Deutschland in den vergangenen Jahren vermehrt Strategien zur Förderung der Partizipation finden, etwa in der ‚Partizipationsstrategie Forschung‘ des |19|Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF, 2023) oder dem vorausgegangenen ,Grünbuch – Partizipation im Bereich Forschung‘ (BMBF, 2021). Die Bedeutung von Partizipation zeigt sich weitergehend auch in Bezug auf die Entwicklung von Technologien für das Sozial- und Gesundheitswesen. So wird der Mehrwert im Rahmen der Technikentwicklung immer mehr erkannt und auch in Förderbekanntmachungen explizit gefordert und gefördert. Partizipative Technikentwicklung ist jedoch ein diverses Feld – nicht nur aufgrund vielfältiger Methoden und heterogener Zielgruppen, sondern auch bedingt durch unterschiedliche Verständnisse von ‚Partizipation‘. Daher soll im Folgenden zunächst ein Überblick über den Ursprung und die Grundgedanken partizipativer Technikentwicklung gegeben werden, um dann Anforderungen und Herausforderungen zu skizzieren. 1.2 Ursprung und Grundgedanke
Der Ursprung der mittlerweile vorhandenen Instrumente partizipativer Technikentwicklung lässt sich auf das partizipative Design zurückführen. Das partizipative Design entstand in den 1970er Jahren als Teil der skandinavischen Bewegung für mehr Arbeitsplatz-Demokratie – also in einer Zeit, als Arbeitsplätze zunehmend von Informations- und Kommunikationstechnologien durchdrungen wurden (Halskov & Hansen, 2015; Mucha et al., 2022). Aus dieser Entwicklung leitete sich im Verlauf der Zeit auch der oftmals zitierte ‚Scandinavian Approach‘ für partizipative Ansätze der Technologieentwicklung ab (Gregory, 2003). Ziel war es hierbei, durch die zunehmende Arbeitsplatz-Demokratie eine ausgewogene Balance in der Machverteilung zwischen Arbeiter:innen und Manager:innen herzustellen. Fasst man die Entwicklungen partizipativer Ansätze der Technologieentwicklung seit den 1970er Jahren zusammen, so ergeben sich hieraus vier Phasen, die durch unterschiedliche Merkmale gekennzeichnet sind (Bødker et al., 2022). In der ersten Phase zwischen 1970 und 1985 erfolgte eine bedeutende Transformation dahingehend, wie neue Technologien entwickelt und beforscht wurden. In dieser Zeit bestand noch in vielen Teilen große Unsicherheit, wie allgemein mit dem zunehmenden Aufkommen von Informations- und Kommunikationstechnologien am Arbeitsplatz umzugehen sei und wie speziell in der Wissenschaft damit umgegangen werden sollte. Hieraus ergab sich, dass Forscher:innen mehr und mehr als Aktivist:innen agierten und in diesem Zusammenhang traditionelle Rollen als reine Fachexpert:innen aufgebrochen wurden. Im Rahmen dieser Entwicklungen vollzog sich auch ein Wandel zur methodischen Auseinandersetzung mit neuen Technologien, welcher sich in einem zunehmenden Einsatz von Workshops und Arbeitsgruppen zeigte (Bødker et al., 2022). In der zweiten Phase zwischen 1985 und 1992 entwickelte sich die Forschung zunehmend dahin, Menschen, die neue Informations- und Kommunikationstechnologien anwenden, nicht mehr nur als reine Nutzer:innen zu betrachten, sondern sie als menschliche Wesen mit Kompetenzen anzuerkennen, die in ihren jeweiligen Anwendungskontexten als soziale Wesen agieren. Dies ging ebenso damit einher, die ‚Human Factors‘ bei der Anwendung von Informations- und Kommunikationstechnologien im arbeitsbezogenen Kontext zu verstehen und mündete schließlich in der Ausprägung des Co-Designs oder Contextual Designs (Bødker et al., 2022). In der dritten Phase zwischen 1993 und 2013 übernahmen Forscher:innen anderer Disziplinen die Methoden und Ansätze des partizipativen Designs und wendeten diese in der eigenen Disziplin an. In diesem Zuge entwickelten sich auch multidisziplinäre Methoden und Techniken, um den Anwendungskontext von Nutzer:innen besser verstehen zu können (Bødker et al., 2022). Zudem wurde die zuvor ausschließliche Perspektive auf den Arbeitsplatz als Ort der Anwendung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien auch |20|auf andere Bereiche des täglichen Lebens erweitert. Die vierte Phase von 2014 bis heute umfasst im Wesentlichen Fragen, wie kleine und regionale Projekte mit partizipativem Charakter mit dem Einfluss großer Technologiekonzerne schritthalten können. Es lässt sich also festhalten, dass sich diese Phase etwas von den vorherigen Phasen abgrenzt und hier übergeordnete Fragen nach Motivation, Werten und einer globalen Ausgestaltung der Partizipation und den damit einhergehenden Werten adressiert wird (Bødker et al., 2022). Anhaltend stellen sich jedoch auch zahlreiche theoretische, methodische und organisatorische Fragestellungen im Kontext der partizipativen Technikentwicklung (Mucha et al., 2022). 1.3 Verortung, Anforderungen und Herausforderungen
Heute stellen Ansätze der partizipativen Technologieentwicklung für viele Disziplinen, so auch in der Versorgungsforschung und den Gesundheitswissenschaften, ein umfangreiches Repertoire an Methoden und Instrumenten zur Verfügung, um neue Technologien gemeinsam mit Nutzer:innen zu entwickeln und an einen definierten Anwendungskontext anzupassen. Partizipative Forschung hat dabei auch Querbezüge zu transformativer und integrierter Forschung. Ebenso wie die zentrale Zielsetzung der partizipativen Forschung darin besteht, die Perspektiven und Bedürfnisse der Zielgruppe besser zu verstehen und sicherzustellen, dass die Forschungsergebnisse für sie relevant und anwendbar sind, zielt auch transformative Forschung darauf ab, nicht nur Wissen zu generieren, sondern auch soziale Veränderungen herbeizuführen....