Kerski / Dudek / Domagala-Pereira | Solidarnosc | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Kerski / Dudek / Domagala-Pereira Solidarnosc

Die unvollendete Geschichte der europäischen Freiheit
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-451-82843-0
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Die unvollendete Geschichte der europäischen Freiheit

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

ISBN: 978-3-451-82843-0
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die Solidarnosc ist ein beeindruckendes Beispiel für die Kraft von solidarischem Widerstand und friedlichem Protest. Seit ihrer Gründung 1980 bildete die Gewerkschaft unter der Führung von Lech Walesa das Zentrum einer Demokratisierungsbewegung, die nicht nur Polen, sondern ganz Europa entscheidend veränderte. Ein polnisch-deutsches Gemeinschaftsprojekt unter der Federführung des Europäischen Solidarnosc-Zentrums in Gdansk und der Deutschen Welle und unter Beteiligung von Newsweek Polska erzählt die Geschichte der Solidarnosc und ihrer Wirkung neu: mit Interviews prominenter Zeitzeugen, Reportagen, historischen Darstellungen und zahlreichen Fotografien. Aber auch die heutige Bedeutung von Solidarnosc in- und außerhalb Polens wird besprochen. So entstehen die Umrisse eines Umwälzungsprozesses, der 1990 nicht abgeschlossen wurde, sondern in dem sich Europa bis heute befindet.

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Einleitung: Solidarnosc – eine (unvollendete) europäische Revolution
Von Basil Kerski Die Solidarnosc war eine gewaltfreie Revolution von europäischen Träumern. Ihre Protagonisten wollten Mauern stürzen, die sie im Sowjetimperium einsperrten. Diese Träumer waren nicht nur Gegner eines autoritären, von Moskau aus gesteuerten Regimes, sondern Europas (unterschätzte) Visionäre. Ihre Vision bestand darin, den Eisernen Vorhang einzureißen und das europäische Konzert der Großmächte zu überwinden, das Denken in Einflusssphären. Die Politik der Einflusssphären profitierte nicht nur von imperialen Traditionen, sondern auch von den über Jahrhunderte in ökonomischen und politischen Machtzentren entstandenen Stereotypen von Kulturen, Nationen, innereuropäischen Räumen. Die Träumer der Solidarnosc wollten den Nationen an den Peripherien der traditionellen Machträume eine gleichberechtigte Stimme geben. Und sie träumten nach den beiden Weltkriegen und totalitären Erfahrungen davon, dass nicht die Sprache des Hasses, sondern der Menschenwürde das Verhältnis zwischen den Nationen bestimmt. Die Frauen und Männer der demokratischen Opposition hinter dem Eisernen Vorhang und ihre Verbündeten in der demokratischen Welt waren keine passiven Utopisten, sondern mutige, ihre Gesundheit und ihr Leben riskierende Menschen, die die europäische Landkarte grundlegend veränderten. Der polnische Traum von Europa
Einer der europäischen Träumer hinter dem Eisernen Vorhang war der Solidarnosc-Mitbegründer Bronislaw Geremek. Er fasste seine Erfahrungen 1998 mit den folgenden Sätzen zusammen: »Polen, das der Gewalt von Jalta ausgesetzt war, konnte bis 1989 nicht an der Wiedergeburt der europäischen Einheit teilnehmen. Europa blieb jedoch immer das Ziel des polnischen Traums von Freiheit. Die Wiedervereinigung Europas, die wir an der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert erleben, wäre ohne diesen polnischen Traum nicht möglich gewesen, denn er war der Ausgangspunkt für den Fall der Berliner Mauer, das Ende des Kalten Krieges und den Zusammenbruch des Kommunismus. Ich habe immer von Europa geträumt. Vielleicht ist auch das von Bedeutung: Große politische Projekte müssen von Träumen begleitet sein, die den Willen zum Handeln wecken.« Ich erinnere an diese Worte Geremeks, des Historikers, Holocaustüberlebenden und polnischen Außenministers, weil vor allem im westlichen Europa das europäische Erbe der Solidarnosc unterschätzt wird, die geistigen und politischen Dimensionen dieser gewaltfreien Revolution heute nicht präsent sind. Solidarnosc wird oft auf massenhafte Arbeiterproteste, polnischen Nationalismus und eine tiefe Abneigung gegenüber Moskau reduziert. In der Solidarnosc konnte man zwar die traditionellen Motive des polnischen Widerstands erkennen, doch im Grunde war sie eine neue Bewegung, eine Revolution, die nicht nur von politischen Interessen sprach, sondern auch von universellen Menschenrechten, wie der französische Soziologe Alain Touraine sie treffend charakterisierte. Touraine reiste im Sommer 1981 nach Polen, um die gesellschaftliche Massenorganisation der Solidarnosc wissenschaftlich zu erfassen. Den französischen Soziologen faszinierte das Bündnis von Arbeitern und Intellektuellen, die Dimension der gesellschaftlichen Selbstverwaltung in einem von Moskau kontrollierten autoritären Staat. Als sich Touraine in Polen aufhielt, zählte die Solidarnosc zehn Millionen registrierte Mitglieder. Es war die größte demokratische politische Organisation im Sowjetblock. Als Gewerkschaft stellte die Solidarnosc das Vertretungsmonopol für die Arbeiterschaft der Kommunisten infrage. Doch Touraine erkannte, dass die Solidarnosc viel mehr war als eine Interessenvertretung. Sie schuf Freiräume für das Entstehen einer breiten, pluralistischen Zivilgesellschaft. In diesem Raum, legitimiert und geschützt von zehn Millionen Menschen, konnten sich Politik, Kultur und Medien unabhängig von den kommunistischen Dogmen entfalten. In diesem Pluralismus blühte die Vielfalt des politischen Diskurses. Damit meine ich nicht nur die Ausprägung von diversen politischen Identitäten durch offenen politischen Streit, etwa christlich-demokratisch, liberal oder sozialdemokratisch. Ich denke hierbei auch an Leitthemen der politischen Debatten. Zwar standen in Zeiten des Realsozialismus innerpolnische Reformfragen nach der Gesundung des wirtschaftlichen und politischen Systems im Mittelpunkt, doch das Verhältnis zu den Nachbarn, die Überwindung der Teilung Europas sowie der Weg aus dem Einflussgebiet der Sowjetmacht waren ebenso wichtige Themen. Revolutionär war innerhalb der Solidarnosc die neue Sicht auf die Nachbarschaften. Sie legte das Dogma der deutschen Teilung als Garantie für Polens Staatlichkeit ad acta. Die Solidarnosc unterstützte die Idee der Einigung Deutschlands, und das zu einem Zeitpunkt, als selbst viele Deutsche nicht an die Einheit glaubten und ihr auch nicht vertrauten. Aus polnischer Sicht durfte aber kein neutraler deutscher Staat entstehen. Deutschland musste in das westliche Bündnis integriert sein. In der Einigung Deutschlands sahen polnische Demokraten die Chance zum Rückzug der Sowjetarmee aus Mitteleuropa und der Veränderung der geopolitischen Lage Polens. Revolutionär war auch die Neudefinition des Verhältnisses zu den östlichen Nachbarn. Die Solidarnosc trat für die Unabhängigkeit Litauens, der Ukraine und Belarus ein. Der Traum von unabhängigen osteuropäischen Nachbarn sollte Moskaus Einfluss auf die Mitte Europas reduzieren. Was dabei aber besonders war, ist, dass die von Stalin diktierten Ostgrenzen Polens nicht infrage gestellt wurden. Polen akzeptierten den Verlust von Vilnius und Lemberg. Gleichzeitig setzte in der Solidarnosc-Bewegung eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen historischen Politik gegenüber Nachbarn und nationalen Minderheiten ein. Diese Kultur des selbstkritischen Patriotismus schuf Vertrauen bei den Nachbarn. Nicht nur die Größe und politische Macht der Solidarnosc faszinierte die Europäer hinter dem Eisernen Vorhang, sondern auch die Offenheit der Polen zum Dialog. Dieser Dialog war natürlich schwierig, denn hinter der Berliner Mauer versteckten sich andere hohe Mauern und Zäune. Moskau hatte Angst, dass das Freiheitsvirus der Solidarnosc die staatlichen Grenzen innerhalb des Sowjetblocks überschreiten würde. Zusätzlich versuchte der Sowjetstaat, polnische Freiheitskämpfer als Brandstifter, Gefahr für den Weltfrieden und gar als Faschisten zu diskreditieren. Diese antipolnische Propaganda steigerte aber nur das Interesse und die Faszination für die Solidarnosc-Revolution. Polens Freiheitsträumer waren auf die Solidarität mit der Solidarnosc angewiesen. Ich meine dabei nicht nur die politische und materielle Hilfe aus der demokratischen Welt, sondern auch die Solidarität der Menschen innerhalb des Sowjetblocks. Den Protagonisten der Solidarnosc-Revolution war es bewusst, dass ihr polnischer Kampf für die Freiheit nur Erfolg haben würde, wenn die Revolution der Demokraten auch die Nachbarnationen erfassen würde. Aus dieser Erkenntnis heraus war die Solidarnosc, soweit sie es unter den Einschränkungen der Diktatur unmittelbar tun konnte, an Zusammenarbeit mit anderen europäischen Demokraten, an der Solidarität mit anderen Bürgerrechtlern interessiert. Nur die Vision eines europäischen Kampfes »für unsere und eure Freiheit« konnte Polen Demokratie und Unabhängigkeit bringen. Symbol des Freiheitskampfes
Als im August 1980 auf der Danziger Lenin-Werft die Forderung nach einer von den Kommunisten unabhängigen Gewerkschaft Solidarnosc ausgerufen wurde, war die Überwindung der Teilung Europas eine Utopie, die gesamteuropäische, über die politischen Blöcke hinausreichende Solidarität ein Traum. Es gelang jedoch, diesen Traum zu verwirklichen, gewaltfrei, für wenige Monate. Am 31. August 1980 erlaubte das kommunistische Regime im Danziger Abkommen das Entstehen einer freien Gewerkschaft. Diese wurde schließlich im Herbst 1980 gerichtlich registriert, ohne dass im Statut der Solidarnosc das Machtmonopol der Kommunisten festgeschrieben war. So entstand eine tatsächlich freie, demokratisch organisierte und pluralistische Massenorganisation, die alle arbeitenden Menschen versammelte. Zehn Millionen Polinnen und Polen traten ihr bei, unter ihnen auch Hunderttausende Mitglieder der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PVAP). Innerhalb weniger Monate entstanden landesweit Strukturen der Solidarnosc, in jedem Betrieb, an den Hochschulen, in Dörfern, Kleinstädten, Metropolen – Räume der Freiheit, die der Ostblock in dieser Dimension nicht gekannt hatte. Im Herbst 1981 versammelten sich fast tausend demokratisch gewählte Delegierte aus ganz Polen zu einem über Tage dauernden Kongress in Danzig. Dieser erste Kongress der Solidarnosc wirkte wie ein demokratisches Parlament. Die Weltpresse war anwesend. Zentrale politische Herausforderungen wurden offen diskutiert. Der erste Vorsitzende wurde gewählt. Der charismatische Elektriker Lech Walesa, Streikführer auf der Lenin-Werft in Danzig, wurde Chef der Solidarnosc. Er war somit 1981 die einzige politische Führungspersönlichkeit mit einem demokratischen Mandat im gesamtem Ostblock. Lech Walesa wurde zum Symbol des Freiheitskampfes in Europa. Der Danziger Werftarbeiter sprach offen aus, dass er sich von den Kommunisten nicht vertreten fühlte. Die Millionen Solidarnosc-Mitglieder um Walesa entzogen der selbsternannten Partei der Arbeiter und Bauern ihre Legitimität, stellten ihr Machtmonopol infrage. Es war ein politisches Erdbeben mit...


Kerski, Basil
Basil Kerski, geb. 1969, leitet seit 2011 als Direktor das Europäische Solidarnosc-Zentrums in Danzig. Er ist auch Chefredakteur das zweisprachigen Deutsch-Polnische Magazins DIALOG. Für sein europäisches Engagement wurde er vielfach ausgezeichnet, zuletzt verlieh ihm 2022 Frankreichs Staatspräsident den Nationalen Orden der Ehrenlegion. Er lebt in Berlin und Danzig.

Domagala-Pereira, Katarzyna
Katarzyna Domagala-Pereira ist Redakteurin, Reporterin, Chefin vom Dienst, Koordinatorin für Sonderprojekte und seit 2021 stellvertretende Leiterin von DW Polnisch. Sie ist Mitautorin des Buchs Zbrodnia bez Kary (Schuld ohne Sühne) (2022) und koordinierte das Medienprojekt von DW und Newsweek Polska Zeit der Solidarnosc, das im Jahre 2020 an die Entstehung der polnischen Gewerkschaft und die historische Bedeutung der Bürgerbewegung erinnerte.

Dudek, Bartosz
Bartosz Dudek, geb. 1967 in Polen, ist ein deutsch-polnischer Journalist und Publizist. Er ist Leiter der Polnisch-Redaktion der Deutschen Welle sowie Moderator und Autor zahlreicher TV-, Radiosendungen und Artikeln zu deutsch-polnischen Beziehungen u. a. für Deutschlandfunk, Polnisches Fernsehen (TVP) und DW. Dudek ist Mitherausgeber der Bücher Polenhilfe. Als Schmuggler für Polen unterwegs (2012) und Zbrodnia bez Kary (Schuld ohne Sühne) (2022).

Domagala-Pereira, Katarzyna
Katarzyna Domagala-Pereira ist Redakteurin, Reporterin, Chefin vom Dienst, Koordinatorin für Sonderprojekte und seit 2021 stellvertretende Leiterin von DW Polnisch. Sie ist Mitautorin des Buches „Zbrodnia bez Kary“ („Schuld ohne Sühne“) (2022) und koordinierte das Medienprojekt von DW und Newsweek Polska „Zeit der Solidarnosc“, das im Jahre 2020 an die Entstehung der polnischen Gewerkschaft und die historische Bedeutung der Bürgerbewegung erinnerte.

Basil Kerski, geb. 1969, leitet seit 2011 als Direktor das Europäische Solidarnosc-Zentrums in Danzig. Er ist auch Chefredakteur das zweisprachigen Deutsch-Polnische Magazins DIALOG. Für sein europäisches Engagement wurde er vielfach ausgezeichnet, zuletzt verlieh ihm 2022 Frankreichs Staatspräsident den Nationalen Orden der Ehrenlegion. Er lebt in Berlin und Danzig.
Bartosz Dudek, geb. 1967 in Polen, ist ein deutsch-polnischer Journalist und Publizist. Er ist Leiter der Polnisch-Redaktion der Deutschen Welle sowie Moderator und Autor zahlreicher TV-, Radiosendungen und Artikeln zu deutsch-polnischen Beziehungen u. a. für Deutschlandfunk, Polnisches Fernsehen (TVP) und DW. Dudek ist Mitherausgeber der Bücher Polenhilfe. Als Schmuggler für Polen unterwegs (2012) und Zbrodnia bez Kary (Schuld ohne Sühne) (2022).
Katarzyna Domagala-Pereira ist Redakteurin, Reporterin, Chefin vom Dienst, Koordinatorin für Sonderprojekte und seit 2021 stellvertretende Leiterin von DW Polnisch. Sie ist Mitautorin des Buchs Zbrodnia bez Kary (Schuld ohne Sühne) (2022) und koordinierte das Medienprojekt von DW und Newsweek Polska Zeit der Solidarnosc, das im Jahre 2020 an die Entstehung der polnischen Gewerkschaft und die historische Bedeutung der Bürgerbewegung erinnerte.



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