Kessler / König | Scheitern in Praxis und Wissenschaft der Sozialen Arbeit | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 351 Seiten

Kessler / König Scheitern in Praxis und Wissenschaft der Sozialen Arbeit

Reflexions- und Bewältigungspraktiken von Fehlern und Krisen

E-Book, Deutsch, 351 Seiten

ISBN: 978-3-7799-8050-6
Verlag: Beltz Juventa
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



Die Praxis der Sozialen Arbeit ist besonders aufmerksam für das Scheitern: Entweder präventiv oder als direkte Intervention ist sozialarbeiterisches Handeln auf die Bewältigung von Krisen und Problemlagen ausgerichtet. In der Forschung fällt die Soziale Arbeit im Vergleich zu anderen Fächern durch geringe Promotionsintensität und Einwerbung von Forschungsmitteln auf. Im Rahmen dieses Buches wird daher der Frage nachgegangen, wie die Kompetenzen im Umgang mit Krisen und Scheitern in der Praxis der Sozialen Arbeit auch für die Wissenschaft der Sozialen Arbeit nutzbar gemacht werden können.

Stefanie Kessler, M.A., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Organisationspädagogik am Institut für Pädagogik der Christian-Albrecht-Universität zu Kiel. Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind Professionalität von Lehrern/innen und anderen pädagogischen Fachkräften, das Verhältnis von Organisation und Professionalisierung sowie politisch-demokratische Bildung in Schule und außerschulischen Bildungskontexten.
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Was heißt Bewältigung von Scheitern und Krisen in der Sozialen Arbeit?
Vulnerabilitätstheoretische Perspektiven auf einen zentralen Gegenstand der Sozialen Arbeit Juliane Noack Napoles Mit der Formulierung Bewältigung von Scheitern und Krisen – zumal in der Sozialen Arbeit – lässt sich vermutlich konsensfähig das Kerngeschäft sozialarbeiterischer Handlungspraxis bezeichnen. In dem vorliegenden Text soll der titelgebenden Frage nachgegangen werden, was Bewältigung von Scheitern und Krisen in der Sozialen Arbeit heißt. Dazu wird in vier Schritten vorgegangen: 1. Ausgehend von der Annahme, dass sowohl das Verständnis der Elemente dieser Frage sowie deren Beantwortung abhängig sind von dem zugrundeliegenden handlungsleitenden Paradigma, werden zwei die Soziale Arbeit leitende Paradigmen vorgestellt. 2. Ausgehend von der Annahme, dass Scheitern eine temporäre oder dauerhafte Handlungsunfähigkeit meint, werden Scheitern und Krise konzeptionell aufeinander bezogen. 3. Ausgehend von der Annahme, dass das der Sozialen Arbeit zugrundeliegende Menschenbild, das des Homo vulnerabilis ist, werden die Annahmen über Scheitern und Krise vulnerabilitätstheoretisch verortet. 4. Und schließlich werden, ausgehend von den skizzierten Perspektiven auf Sozialer Arbeit zugrundeliegenden Handlungsorientierungen Überlegungen darüber angestellt, was es heißen kann, Scheitern und Krisen in der Sozialen Arbeit zu bewältigen. 1.Paradigmen Sozialer Arbeit
Sozialarbeiterische Konzepte lassen sich, analog zu der von Aaron Antonovsky (1997) für die Medizin formulierten Unterscheidung von Pathogenese und Salutogenese, nach soziopathogenetischen und eudaimogenetischen Ansätzen unterscheiden. Bei der Pathogenese geht es um die Erklärung der Hervorbringung und der Vermeidung von Krankheiten, wohingegen bei der Salutogenese die Frage zentral ist, warum Menschen gesund bleiben. Dass es sich hierbei um grundverschiedene Herangehensweisen handelt, die sich sinngemäß für die Soziale Arbeit formulieren lassen, wird mit der von Antonovsky verwendeten Flussmetapher deutlich (vgl. Noack Napoles 2019a). Ein Fluss mit vielen Biegungen weist flussabwärts starke Turbulenzen auf, wo Menschen verzweifelt darum kämpfen, ihren Kopf über Wasser zu halten und nicht unterzugehen. Unter Aufwendung diverser Techniken und Instrumente und gar der eigenen Gesundheit bemühen sich die Krankheitsversorgungsspezialisten, die Menschen vor dem Ertrinken zu retten, ohne jedoch zu untersuchen, was flussaufwärts geschieht. Weder wird die Frage thematisiert, warum die Menschen ins Wasser fallen, noch wer oder was sie dort hineinwirft (Antonovsky 1993). Das Anliegen der Salutogenese geht jedoch über die Frage danach hinaus, wie sich das Ins-Wasser-Fallen vermeiden lässt, denn sonst würde sie sich nicht grundlegend von der Pathogenese unterscheiden. Der wesentliche Unterschied beider Perspektiven besteht für Antonovsky darin anzunehmen, dass sich der Mensch immer im Fluss befindet: „Äthiopier, Israelis und Schweden, gehobene und niedrigere Sozialschichten, Männer und Frauen sind alle in verschiedenen Flüssen, deren Strömungen und Strudel oder andere Gefahrenquellen variieren, aber niemand befindet sich jemals am sicheren Ufer. Kein Fluss ist sehr friedlich“ (ebd., S. 7). Und: „Selbstverständlich gehen unsere Ansichten darüber auseinander, wie nahe wir dem Ertrinken sind“ (Antonovsky 1991, S. 122). Die zentrale Frage der Salutogenese im Rahmen dieser Metapher lautet demzufolge: „Wie wird man, wo immer man sich in dem Fluss befindet, dessen Natur von historischen, soziokulturellen und physikalischen Umweltbedingungen bestimmt ist, ein guter Schwimmer?“ (Antonovsky 1997, S. 92).3 Als konstitutives Element für den Anlass sozialarbeiterischer Bemühungen gilt grosso modo die Konflikthaftigkeit des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft. In diesem Sinne lässt sich die Flussmetapher insofern auf Soziale Arbeit übertragen, als dass wir uns immer im Fluss – das heißt in einer Gesellschaft – befinden, aber die Ansichten darüber auseinandergehen, wie nahe wir dem Ertrinken – bzw. sozialer Exklusion oder gar dem sozialen Tod – sind. Dies ist von der Natur des Flusses abhängig; im übertragenen Sinne von den historischen, soziokulturellen, politischen und materiellen Gesellschaftsbedingungen; aber auch von dem zugrundeliegenden Menschenbild. Damit verbundene Fragen wären dann: Wie kann der Mensch über sich selbst und seine Lebensverhältnisse Klarheit gewinnen? Wie erlangt er die Freiheit zu entscheiden, ob und wie er schwimmen möchte und diese Freiheit so zu gestalten, dass er in Freiheit schwimmen kann? Und schlussendlich stellen sich Fragen danach, wie sich der Fluss gestalten lässt, in welcher Art von Fluss wir schwimmen wollen und wie wir dies der nachwachsenden Generation vorleben, ohne Gestaltungs- und Entscheidungsspielräume vorwegzunehmen, einzuengen und zu begrenzen (Noack Napoles 2019b). Ist der sozialarbeiterische Blick also auf soziale Probleme und Konflikte, ihre Ursachen und Gefahren gerichtet, die es zu vermeiden oder zu bekämpfen und zu bewältigen gilt, ist dieser durch eine soziopathogenetische Sichtweise charakterisiert. Die hier analog zur Salutogenese postulierte paradigmatische Handlungsorientierung nenne ich die Eudaimogenese. Bei dem Wort Eudaimogenese handelt es sich um ein zusammengesetztes Kunstwort bestehend aus dem altgriechischen eudaimoni´a, das mit Glu¨ck(seligkeit), objektivem Wohlergehen oder gutem Gelingen u¨bersetzbar ist, und dem griechischem genesis, welches Ursprung oder Entstehung bedeutet. Aus eudaimonistischer Perspektive „wird Glu¨ck weniger als subjektive Bewertung eines affektiven Zustands, sondern im Sinne einer ‚objektiv‘ wu¨nschenswerten Realisierung menschlicher Erfahrungspotenziale verstanden […]. Eudaimonistisches menschliches Glu¨ck ist ein Element praktischer Lebensfu¨hrung, das auf komplexe Zusta¨nde und Handlungsweisen (und -ziele) verweist, die ein erfu¨lltes Leben und menschliche Entfaltung konstituieren“ (Ziegler 2018, S. 1309). Bei eudaimogenetischen sozialarbeiterischen Herangehensweisen ist die Fokussierung auf die Hervorbringung gelingenden Lebens im Sinne eines Sozialarbeitsideals analog zum Bildungsideal zentral. Sie basieren zum einen auf der anthropologischen Grundannahme des Menschen als verletzliches und verletzungsma¨chtiges Wesen (Straub 2013; Noack Napoles 2019b), das heißt dem Menschenbild des Homo vulnerabilis. Demzufolge bildet Vulnerabilität ein unhintergehbares Faktum menschlicher Existenz, was Sorgebeziehungen einerseits notwendig macht und sie andererseits legitimiert und das ebenso in soziohistorischen Kontexten, in denen Sorgeleistungen staatlich als sozialprofessionelle Dienstleistungen organisiert sind. Darüber hinaus liegt eudaimogenetischen Ansätzen das sogenannte eudaimonistische Axiom zugrunde, nach dem alle Menschen glu¨cklich sein wollen (Zirfas 2014), was wiederum eng mit der Idee menschlicher Bildsamkeit und Unbestimmtheit verbunden ist. Programmatisch la¨sst sich eine eudaimogenetische Sichtweise (in) der Sozialen Arbeit in Abgrenzung zu einer soziopathogenetischen wie folgt zuspitzen: Weg von der Verwaltung, Verhinderung und Lo¨sung sozialer Probleme und Konflikte hin zur Hervorbringung gelingenden Lebens und den dafür notwendigen gesellschaftlichen und individuellen Bedingungen (Noack Napoles 2019b; Noack Napoles 2019c). 2.Begriffliche Verortung von Scheitern und Krise
Im Digitalen Wörterbuch der Deutschen Sprache (2023) wird Scheitern beschrieben als das Nicht-Erreichen einer erwünschten oder angestrebten Sache, eines Zustands oder eines Ziels aufgrund eines Widerstandes oder ungünstigen Ereignisses. Scheitern setzt ein Handeln...


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