E-Book, Deutsch, 306 Seiten
Koch Der Fremde aus Spanien
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7568-4936-9
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Historischer Stendal-Roman
E-Book, Deutsch, 306 Seiten
ISBN: 978-3-7568-4936-9
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Stendal im Jahre 1517 - ein Fremder kommt mit einem geheimen Auftrag in eine der reichsten, bedeutensten Städte der Mark Brandenburg. Mit ihm ziehen unerwartet die dunklen Schatten der Vergangenheit in den Altag der Menschen. Was vor vielen Jahren in Stendal geschah, beginnt für immer mehr Bürger zum Alptraum zu werden.
Der Autor Detlef Koch ist 1960 in Stendal geboren worden und lebt bis heute in der altmärkischen Stadt. Seit über 40 Jahren beschäftigt er sich intensiv mit der Geschichte seiner Heimatstadt. In den letzten Jahren sind einige regionale Bücher von ihm erschienen, darunter z.B. "Stendals Straßen". Mit dem vorliegenden historischen Roman betritt er ein neues Genre. Sicher folgen nun noch weitere spannende Romane von diesem Autor.
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Samstag, den 30. Oktober
Andreas stand, sich seine kalten Hände vor dem verschnörkelten, eindrucksvollen Kamin reibend, im Arbeitszimmer des reichen Tuchhändlers und Ratsherren Techler. Dieses pompöse Gebäude hatte er schon oft besucht. Seine Liebste war die jüngere Tochter dieses reichen und einflussreichen Mannes. Heute jedoch stand Andreas nicht gar so furchtsam hier. Er hatte immerhin etwas vorzuweisen. Das Leben meinte es gut mit ihm. Innerhalb eines halben Jahres war er zunächst zum Stellvertreter des Oberamtmannes aufgestiegen, und seit gestern durfte Andreas sich gar Stendaler Stadtschreiber nennen. Mit 26 Jahren einen so rasanten Aufstieg vorweisen zu können, machte ihn stolz und auch mutig, nun die langersehnte Verlobung mit Betty voranzutreiben. Er trug heute seinen besten Gehrock, den hellblauen mit den blitzenden silbernen Knöpfen, eine neue hellgraue Hose und seine guten Stiefel. Wie würde Bettys Vater ihm gegenüber heute auftreten? Andreas vernahm plötzlich schwere Schritte auf der Treppe. Flink nahm er sein Barett vom neben ihm stehenden Sessel und setzte es auf, sogleich der Etikette entsprechend aber wieder ab. Als sich die Tür öffnete, strich sich Andreas noch schnell seine braunen Haarsträhnen aus dem Gesicht. Ein Bediensteter blieb an der Tür zur Bibliothek stehen, und dann betrat der Hausherr Herrmann Techler bedächtig den prunkvollen Raum. Eindrucksvoll von seiner gesamten Statur her, edel herausgeputzt und sich seines hohen Standes absolut bewusst, verharrte Techler nach drei, vier Schritten. „Mein lieber Mendel, oh bitte entschuldigt...Mein verehrter Herr Scriptor und Unteramtmann, wie konnte ich nicht daran denken...Ich freue mich aufrichtig, Ihnen gratulieren zu können. Ich bin hocherfreut über Ihren neuen Stand. Setzen Sie sich doch.“ Er zeigte auf zwei neben dem Kamin stehende gepolsterte Stühle. Das Gesagte sollte wohl höflich klingen und doch vernahm Andreas sehr wohl diesen ironischen Unterton. Techler setzte sich und bedeutete dem jungen Mann, den Platz neben ihm einzunehmen. Die eben noch so mutige innere Stimme und Zuversicht des Andreas Mendel wich sogleich der gewohnten Skepsis und Unterwürfigkeit angesichts seines Gegenübers. Leise und unbemerkt hatte sich Johann den beiden genähert. Der erste Diener des Hauses Techler brachte zwei große Humpen Bier und servierte sie gekonnt auf dem kleinen Beistelltischchen. „Zum Wohle, mein lieber Mendel, trinken wir auf Ihre neue Stellung bei der Stadt“, sagte Techler süffisant und reichte Andreas das Bier. Sie tranken, und der junge Mann versuchte, im Gesicht seines Gastgebers irgendeine Regung zu lesen. „In der Stadt geschieht kaum etwas nennenswert Verbrecherisches, wie Sie ja selbst wissen. Sie werden wohl kaum größere Probleme bekommen; so ist zu vermuten.“ Der Ratsherr fixierte Andreas. „Im Übrigen treffen sich am heutigen Abend im Stadt-Keller einige hochgestellte Persönlichkeiten Stendals. Ich lade Sie hiermit ganz förmlich dazu ein, dieser illustren Runde beizuwohnen.“ Andreas schaute wohl etwas dümmlich vor Schreck, bedankte sich leise. Techler bemerkte es und klopfte ihm leicht auf die linke Schulter. „Sie müssen härter werden, sich selbst und anderen gegenüber. Sie werden es tatsächlich zu etwas bringen, denke ich, aber Sie sind noch viel zu weich und grüblerisch.“ Die weitere Unterhaltung führte eigentlich der Hausherr selbst. Andreas warf nur hin und wieder eine kurze Bemerkung ein. Als Techler sich schließlich erhob, war das das eindeutige Zeichen, den Besuch zu beenden. Andreas verabschiedete sich höflich und wandte sich bereits zum Gehen. „Betty hat heute Nachmittag Ausgang. Ich glaube, sie will Besorgungen machen“, kam es unvermittelt Andreas zu Ohren. Es war das einzige Mal, dass der junge Mann bei diesem Besuch lächelte. Draußen, vor dem Hause der Techlers, holte Andreas ganz tief Luft. Natürlich hätte er sich gewünscht, forscher aufgetreten zu sein, aber die letzten Worte des Ratsherren waren das Einzige, was Andreas jetzt durch den Kopf ging. „Ja“, schrie er fast und streckte die rechte Faust nach oben. Mehrere Leute, die zu dieser vormittäglichen Stunde hier Auf dem Schadewachten flanierten, schüttelten verständnislos die Köpfe. In dem etwas verspielt wirkenden Zimmer ihrer Schwester mit den vielen bunten Kissen auf dem großen Himmelbett und aufwendigen Wandteppichen, die verträumte Landschaften oder Blumen darstellten, verharrte Resi unbeweglich auf der flauschig, samtigen Überdecke, die etwas zerwühlt auf Bettys Bett lag. Den Kopf auf ihren angewinkelten Arm gestützt, sah sie Betty etwas gelangweilt zu, wie sie nun schon seit fast einer Stunde tänzelnd, ein Lied nach dem anderen trällernd und sich ständig drehend und begutachtend vor dem großen, goldgerahmten Spiegel betrachtete. Inzwischen lagen überall im Zimmer Kleidungsstücke auf dem Boden wild durcheinander. Betty konnte sich nie entscheiden, was sie anziehen sollte. Drei Tage hatte sie ihren geliebten Andreas nicht gesehen. Sie schnellte urplötzlich herum und sah Resi prüfend an. „Glaubst du, der Moment ist nun gekommen? Ich meine jetzt, da Andreas doch so richtig aufgestiegen ist, könnten wir doch endlich Verlobung feiern?“ Resi kam gar nicht dazu, darauf zu antworten. Die aufgedrehte Schwester plapperte weiter. Es war eine sehr typische Szenerie. Betty war 19, immer ausgelassen, spontan, der Mund oft schneller als ihre Gedanken, voller Lebensmut strotzend, liebenswert, aber vielleicht manchmal zu ungestüm. Beide Schwestern waren etwa gleich groß, 5 1/2 Fuß, beide trugen ihr blondes Haar lang, sehr schlank von der Statur her und doch; Resi war das ganze Gegenteil von Betty. Obwohl sie fünf Jahre älter und eigentlich auch viel hübscher als ihre Schwester war, zeigte sie sich fast immer beherrscht, grüblerisch, nachdenklich, in sich gekehrt, zurückhaltend, doch nicht schüchtern. Männer interessierten sie überhaupt nicht, auch wenn das ihre Eltern sehr unglücklich machte. Mit 24 Jahren sollte eine junge Frau längst verheiratet sein. Resi las lieber und zwar so ziemlich alles, was sie ergattern konnte. Fremde Kontinente begeisterten sie, fremde Kulturen, Religionen, Geschichte, Altertum... Immer wieder unternahm Betty Versuche, ihre Schwester zu verkuppeln, denn erst wenn Resi unter der Haube war, konnte auch sie an Heirat denken. Diesen Gedanken hatte sie freilich jetzt gerade vollkommen verdrängt. Die beiden jungen Frauen waren, wenn auch so unterschiedlich in ihrem Wesen, nahezu unzertrennlich. Betty hatte sich nun doch endlich entschieden; es sollte heute das silbergraue Kleid mit den ausgestellten Ärmeln sein, dazu ihre weißen Schnallenschuhe und das schwarze seidige Mieder. Der große, schwarzsamtene Hut mit einer mächtigen Feder wirkte dann auch wirklich etwas kühn. „Etwas zu fein“, dachte sich Resi. „Schließlich war heute lediglich der samstägliche Markt.“ Sobald die Schwester aufbrach, würde Resi zu ihrer besten Freundin Esther gehen. Dort fühlte sie sich eigentlich am Wohlsten. Schon lange verband die beiden eine herzliche Freundschaft, auch wenn Esther nicht von Stand war. Ihr Vater missfiel diese Freundschaft zutiefst, doch unterbinden vermochte er diese Verbindung nicht. „Rufe doch bitte Bruni. Sie soll mir beim Ankleiden zur Hand gehen“, sagte Betty und fing schon wieder an, eine schmalzige Ballade zu trällern. Resi zog an der Klingelschnur für die Bediensteten am Kopfende des Himmelbettes. „Bedränge Andreas nicht, Betty. Es ist an ihm zu entscheiden, wann und wie ihr die Verlobung feiert. Natürlich nur, wenn Vater seinen Segen dazu gibt. Allerdings habe ich heute Morgen, als Dein Zukünftiger seinen Antrittsbesuch machte, kein ungutes Gefühl bei Vater festgestellt.“ „Du hast gelauscht, Resi?“ „Nein, bin nur zufällig mit dem Ohr am Schlüsselloch hängen geblieben“, entgegnete die Schwester, und beide umarmten sich nun freudestrahlend und von ganzem Herzen. Als die Folgemagd Bruni erschien, ging Resi in ihr eigenes, sehr viel schlichter eingerichtetes Zimmer. Sie verspürte keinerlei Neid. Natürlich mochte sie Andreas gern, schon wegen seines ruhigen Wesens und seiner höflichen und charmanten Art, aber mehr gab es da nicht. Sie freute sich auf die Stunden bei Esther. Es würden wieder sehr lustige und angenehme Stunden bei der Freundin werden. Vincz hatte es gut getroffen. Seine Unterkunft war reinlich, mit dem Nötigsten ausgestattet, und sein Zimmer lag recht abseits. Neben einem kleinen Schrank stand ein Tischchen mit Krug und Wasserschale an der einen Wand, an der anderen befand sich ein überraschend bequemes Bett, weich und nach frischem Stroh und Lavendel riechend sowie ein robuster Armstuhl im Zimmer. In der Ecke stand ein dreibeiniges Kohlebecken. Zu dieser Jahreszeit würde Vincz es noch gut brauchen können. Wenn der Fremde aus der Tür trat, konnte er von oben den gesamten Hof überblicken. Die Schobers besaßen nämlich mitten in der Stadt einen geräumigen, großen Hof mit Vorder- und Seitenhaus. Beide waren durch eine umlaufende Galerie im zweiten Stock...