E-Book, Deutsch, 284 Seiten
Koch Im Rampenlicht
2. Auflage 2023
ISBN: 978-3-7583-8892-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Historischer Stendal-Roman
E-Book, Deutsch, 284 Seiten
ISBN: 978-3-7583-8892-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
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Erster Teil Stendal im Mai 1925 1.Kapitel: Angekommen
Geschafft. Dem überfüllten Zug war sie entkommen. Den Lärm und das Gedränge in der Bahnhofshalle hatte sie nun auch hinter sich gelassen. Es war Freitagvormittag. Als Eva oben auf der großen Freitreppe des Empfangsgebäudes stand, ließ sie die große Reisetasche und den klobigen Koffer mit einem Stöhnen neben sich einfach fallen. So Hals über Kopf, wie sie nach Stendal aufgebrochen war, so hatte sie sich auch damals auf den Weg von hier nach Berlin gemacht. Etwas missmutig schaute sie nach oben. Der Himmel über der Stadt hing voller grauer, dunkler Regenwolken. Was für ein passender Empfang? Gleich würde auch noch der Himmel anfangen, zu weinen. Aber ich heule jetzt nicht. „Hallo, Stendal“, hauchte die junge Frau stattdessen wehmütig. "Das Abenteuer ist vorbei. Ich bin wieder da." Etwas zerknirscht nahm Eva den Bahnhofsvorplatz in Augenschein. Geradezu grüßte das Hotel Reichshof und hinten rechts befand sich das Hotel am Bahnhof. Dort hatte sie damals ein letztes Glas Wein mit Minna getrunken, bevor sie abenteuerlustig und tatendurstig in den nächsten Zug nach Berlin gestiegen war. Den Entschluss dazu hatte sie aus dem Bauch heraus gefasst. "Verdammt, ist jetzt über drei Jahre her." Nein, es war alles richtig so. Ich bereue nichts. "Darf ich Ihnen behilflich sein?" Eva zuckte zusammen und schaute nach links. Sie sah in ein markantes Männergesicht. Der Fremde lüftete gutgelaunt seinen Hut und schmunzelte. "Habe ich Sie etwa erschreckt, Fräulein?" Sie musterte den Mann in Sekundenschnelle. Er war großgewachsen, denn obwohl sie ihre dunkelroten, hochhackigen Salamanderschuhe trug, musste sie aufschauen. Das passierte ihr äußerst selten. Einen hellbraunen Mantel, elegante, weinrote Krawatte, cremefarbenen Seidenschal, dunkelbraunen, teuren Anzug und einen frechen, schmalen Schnurrbart registrierte Eva. "Ich war eben in Gedanken. Nett von Ihnen. Ja, tatsächlich ist das Gepäck recht schwer, vielen Dank", antwortete sie etwas verlegen. "Es gibt also doch noch Kavaliere." Der Mann wirkte sympathisch. "Sie möchten wohl zu einem dieser grünen Vehikel drüben?" Er deutete auf die unten, etwas weiter hinten wartenden Pferdebahnen, vor die jeweils nur ein einziges Pferd gespannt war. Der Mann hatte eine sehr angenehme Stimme. "Hatte nicht erwartet, dass es diese alten Pferdeomnibusse noch gibt", meinte Eva und zwang sich ein Lächeln ab. Der Fremde klemmte sich seine eigene Tasche unter den Arm, bückte sich und schnappte sich Koffer und Reisetasche. "Hui, ist ja tatsächlich ordentlich Gewicht", meinte er lachend. "Tatsächlich sind diese Ungetüme ein wenig aus der Zeit gefallen, und doch haben sie schon wieder Charme." Eva setzte ein kokettes Lächeln auf. "Meinen Sie jetzt die Pferdebahnen oder mein Gepäck?", tat Eva etwas entrüstet. "Sie sind schlagfertig, Fräulein. Wunderbar." Sie schritten gemeinsam die große Treppe hinunter und der Fremde plauderte ganz unbefangen von seiner wohl reichlich chaotischen Reise. Eva sagte ihm, dass sie die Bahn in Richtung Wüste Worth nehmen wollte. Daraufhin bugsierte er das Gepäck in den vorderen Wagen, zog seinen Hut und nahm ganz hinten in der Pferdebahn Platz. Eva hatte sich höflich bei ihm bedankt und sich dann eine Fahrmarke gezogen. Sie nahm gleich vorn im Wagen Platz. Eva schloss die Augen. Ihre Gedanken flogen gleich wieder zurück nach Berlin zu ihrem überstürzten Abgang aus dem Wintergarten. Sie sah noch einmal die verdutzten Gesichter ihrer Kolleginnen, das genervte Gesicht von Hans, den tobenden Christian und wie ihr die Tränen dann plötzlich auf dem Garderobengang ins Gesicht schossen. Sie hatte alles hingeschmissen. Dann war ihr gestern die Idee mit Minna gekommen. Ihre Schwester war doch Schauspielerin hier in Stendal. Als endlich ein Telefongespräch zustande kam und Minna sie hellauf begeistert nach Stendal einlud, war die Entscheidung gefallen. Die Glocke bimmelte aufdringlich und riss Eva aus ihren Gedanken. Der grüne Wagen ruckte an und dann begann ganz gemächlich die Omnibusfahrt. Der Kutscher vorn ließ seine Peitsche tanzen. Es rumpelte einmal heftig, als die erste Weiche und danach eine kleine Kurve kam, dann jedoch bummelte die Pferdebahn gemütlich los. Stendal ist mir sehr vertraut. In dieser Stadt werde ich wieder zu mir selbst kommen, und Minna ist schließlich hier. Langweilig wird es ganz sicher nicht werden. Ich brauche nur ein wenig Abstand und Ruhe. Alles links und rechts kam ihr wieder bekannt vor. Dort hinten würde die Bahn dann in die Frommhagenstraße abbiegen und danach kam dieser quadratische Platz, dessen Name Eva entfallen war. Sie nickte dann urplötzlich ein. Schließlich war Eva heute Morgen schon sehr früh aufgewacht nach einer furchtbaren Nacht. Wieder reihten sich Bilder ungeordnet aneinander: der tränenreiche Abschied von Betty, ein triumphierendes, hämisches Gesicht von Claire, ein ungläubiger Hans und immer wieder das Gesicht von Harald. Harald. Bilder des Glücks mit ihm, Bilder der vermeintlich großen Liebe. Erst das erneute Bimmeln des Kutschers ließ sie plötzlich aufschrecken. Noch ganz benommen, versuchte sich Eva draußen zu orientieren. Wo war sie jetzt? >Konzerthaus Liebezeit< registrierte sie eben noch, bevor die Bahn die Hallstraße weiter entlangzuckelte. Hinten schob sich schon das imposante Hauptpostamt in den Blick. Bin ja gleich am Marktplatz, dann ist es ja nicht mehr weit. Bald verengte sich die Hallstraße, und die Bahn passierte erst das Speisehaus Krüger und danach die Grüne Laterne. Dann aber öffnete sich dem Blick der große Marktplatz mit seinem hübschen Rathaus und der sich dahinter majestätisch erhebenden Kirche Sankt Marien. Ganz rechts sah sie nun auch den edlen Roland, diese sehr imposante Sandsteinfigur, die dort schon seit Jahrhunderten wachte. Nach einem Halt mitten auf dem Marktplatz bog die Bahn endlich quietschend in die Große Jüdenstraße ein. Ja, da stellten sich wieder Bilder aus ihrer Zeit mit Minna ein. Vorbei ging es an der Bäckerei Grasshoff und der Landschänke rechts sowie der Vereinsbank auf der linken Seite. Gleich würde die Bahn die Wüste Worth erreichen. Kurzes Bimmeln, und dann bog der Pferdeomnibus in eine scharfe Rechtskurve ein. Kurz darauf ertönte das vertraute Quietschen, und mit einem anschließendem kurzen Ruck hielt die Bahn genau am Stadttheater an. Ein aufmerksamer, freundlicher Fahrgast brachte Evas Gepäck nach draußen und dann rumpelte die Pferdebahn davon. Die junge Frau streckte ihre Glieder und betrachtete aufmerksam das Stendaler Theater von der gegenüberliegenden Seite. Es war kein einzelnes Haus, sondern ein großer Komplex mehrerer Fachwerkbauten. Schön sah es nicht gerade aus. In über einem Jahr, das sie hier mit Minna in Stendal verbracht hatte, waren sie nicht einmal im Theater gewesen. "Ich wusste doch gleich, das wir beide das gleiche Ziel haben." Sie hatte nicht bemerkt, dass der freundliche Mann vom Bahnhof mit ihr zusammen ausgestiegen war. Er stand nicht weit von ihr entfernt. Natürlich war er hinten aus der Bahn ausgestiegen und hatte nun Eva beobachtet. Langsam kam er ihr entgegen. "Ich denke, ich sollte mich Ihnen vorstellen. Mein Name ist Peter von Angern. Ich bin Autor und Regisseur." Er reichte Eva die Hand. "Angenehm, Eva Maria Ruger". "Fräulein Ruger, möchten Sie vielleicht drüben vorsprechen?" Sie schüttelte vehement den Kopf. "Nein, ganz bestimmt nicht. Ich möchte nur zu meiner Schwester. Sie ist hier Schauspielerin", antwortete Eva wahrheitsgemäß, und jetzt war sie eigentlich ganz froh, dass sie beide das gleiche Ziel hatten. "Na, dann wollen wir mal", sagte von Angern, spuckte sich demonstrativ in die Hände und schnappte sich erneut Evas Gepäck. Ein unfreundlich dreinschauender Mann in der Pförtnerloge protestierte laut, als von Angern und Eva vorbei wollten. "Moment, so geht das aber nicht. Wo wollen Sie denn hin?" "Schon gut, Herr Wenzel. Die junge Dame begleite ich zur Kantine. Würden Sie bitte Fräulein Ruger ausrufen lassen? Das ist die Schwester dieser jungen Dame. Ach, und das Gepäck des Fräuleins können wir doch sicher bei Ihnen abstellen?" Von Angern wartete die Antwort gar nicht ab, stellte Koffer und Tasche ab und öffnete gleich links die nächste Tür für Eva. Das Haus schien recht verwinkelt zu sein. Es roch etwas muffig weiter vorn im Garderobengang. Schweres, süßliches Parfüm hing in der Luft. Die Wände hatten einen freundlichen, hellen Anstrich. Allerlei Plakate und auch mehrere alte Aufnahmen von Theaterstücken hingen an den Wänden. Das Theater war wohl schon recht alt, doch alles wirkte irgendwie gediegen und machte auf Eva einen angenehmen Eindruck. Es sah schon völlig anders aus als im Wintergarten. In einigen Garderoben ging es laut zu. In der letzten war ein feiner Sopran zu vernehmen. Von Angern blickte sich mehrmals um, ob Eva wohl Schritt hielt mit ihm. Hier also arbeitet mein Schwesterchen, dachte sich Eva amüsiert. Es...