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E-Book, Deutsch, 144 Seiten
Köhler / Wuntke / Blumenthal Familienklasse
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-17-043644-2
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Inklusionskonzept bei Schwierigkeiten im Lernen und Verhalten
E-Book, Deutsch, 144 Seiten
ISBN: 978-3-17-043644-2
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Joachim Köhler, Dr. Lena Varuna Wuntke und Dr. Yvonne Blumenthal sind wissenschaftliche Mitarbeitende an den Universitäten Greifswald und Rostock. Dr. Kathrin Mahlau ist Professorin für Sonderpädagogik und Inklusion an der Universität Greifswald.
Autoren/Hrsg.
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1 Einleitung
Wertschätzung und Anerkennung von Diversität nimmt in der Pädagogik einen immer höheren Stellenwert ein – und man darf sagen: zum Glück! Mit dem Gedanken der Inklusion rückt im Bereich der Schule der Bedarf nach Konzepten in den Vordergrund, die den verschiedenen Voraussetzungen und der Vielfalt von Schüler*innen gerecht werden. Da individuelle Förderung und ganzheitliche Bildung zunehmend an Relevanz gewinnen, präsentiert sich die Familienklasse hierbei als ein herausragendes Modell zu deren Umsetzung. Es gestaltet nicht nur die Lernreise der teilnehmenden Schüler*innen, sondern beeinflusst auch nachhaltig das soziale Gefüge ihrer Familien. Das Konzept, geprägt von einem präventiven Ansatz zur Förderung sozialer und emotionaler Kompetenzen, eröffnet eine Brücke zu inklusiver Bildung, die über bloße schulische Leistungen hinausgeht.
Im Mittelpunkt steht die Überzeugung, dass Bildung und Erziehung nicht nur in den Klassenzimmern entstehen, sondern auch durch die partnerschaftliche Zusammenarbeit von Lehrer*innen, Schüler*innen und ihren Familien gestaltet wird. Die Familienklasse repräsentiert nicht nur eine Veränderung im Bildungswesen, sondern eine neue Haltung, die die Grundlagen der Inklusion stärkt und einen neuen Maßstab für eine ganzheitliche und integrative Bildung setzt.
Ausgangspunkt der Familienklasse ist es, »besonderen« Schüler*innen (? Kap. 2.1) Unterstützung und Förderung zukommen zu lassen. Dies geschieht durch den Einbezug der Familien in den Prozess, wodurch der Fokus nicht mehr nur klassisch auf den Schüler*innen liegt, sondern das Umfeld in den Mittelpunkt rückt. Dies meint letztendlich nicht nur die Familie, sondern auch die Lehrkräfte und die Schule als Ganzes. In Deutschland wird das Konzept mittlerweile seit über zehn Jahren in verschiedenen Bundesländern angewendet und erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Dieser große Erfolg zeigt, dass Pädagog*innen bundesweit nicht nur große Hoffnung in die Familienklasse setzen, sondern darüber hinaus eine Ergänzung und Veränderung im Schulwesen im Sinne der bereits ein- und durchgeführten Inklusion als notwendig erachten und bereit sind, mit viel Energie, Kreativität und vor allem viel Einsatzbereitschaft diese Änderung anzugehen.
Hierbei ist der systemische Gedanke zentral: Es sind nicht nur Lehrer*innen und Schüler*innen, die miteinander interagieren, sondern es muss das jeweilige Umfeld mitgedacht werden. Die Schüler*innen sind als Kinder grundlegend eingebunden in ihren familiären Kontext und gerade in jungen Jahren sind die Eltern ihre vorrangigen Bezugspersonen. Häufig tritt herausforderndes Verhalten nicht nur in der Schule, sondern auch im Elternhaus auf und stellt alle Beteiligten vor die schwierige Aufgabe, damit umzugehen. Mit dem Konzept der Familienklasse wird es ermöglicht, dass Kinder, Eltern und Lehrer*innen gemeinsam eine Lösung für diese Aufgabe finden. Damit dies gelingt, werden Kinder zusammen mit jeweils einem Familienmitglied mit anderen Kindern und deren Familien, die ähnliche Problemlagen aufweisen, in Kontakt gebracht. Häufig können Familien, die Schwierigkeiten in der Erziehung ihrer Kinder erleben, andere Familien beratend unterstützen. Die damit einhergehende Erfahrung der Selbstwirksamkeit, aber auch der Solidarität untereinander schafft ein neues Selbstbewusstsein sowohl auf der Seite der Kinder als auch der der Eltern. Für die Coach*innen innerhalb der Familienklassen, die selbst Pädagog*innen sind, bedeutet dies, die klassischen, oft hierarchisch geprägten Rollen aufzugeben und sich auf Augenhöhe mit allen Beteiligten zu begeben. Für die Erziehung und das Wohlbefinden des Kindes sind nicht sie die Expert*innen, sondern die Eltern. Eine Haltung, die den wechselseitigen Respekt auf Seiten aller Beteiligten fördert.
Im vorliegenden Buch wird ein Überblick über die Umsetzung der Familienklasse in Deutschland gegeben. Die Familienklasse ist ein Konzept, dass nicht nur unter verschiedenen Namen umgesetzt wird, sondern auch unterschiedliche Ausrichtungen erfahren hat. Daher wird der Versuch unternommen, einen umfassenden Überblick über die Konzepte in Deutschland und ihre jeweiligen Realisierungen, aber auch über Stolpersteine und Hürden zu geben, die eine Implementierung an den Schulen mit sich bringen kann. Um eine realistische und lebendige Perspektive zu gewährleisten, kommen maßgeblich Praktiker*innen zu Wort, die die vielen Konzepte, die unter dem großen Namen »Familienklasse« zusammengefasst werden können, umsetzen. Das Buch richtet sich somit an alle Interessierten sowie aktiven Akteur*innen, die sich derzeit schon mit dem Konzept der Familienklasse befassen. Es soll als Inspirationsquelle und Nachschlagewerk dienen und Lust darauf machen, Neues in der Familienklasse auszuprobieren oder das Konzept selbst zur Anwendung zu bringen.
Im Eröffnungskapitel erfolgt eine umfassende Einführung in das Konzept der Familienklasse (? Kap. 2). Dabei werden zunächst Schüler*innen betrachtet, für die die Familienklasse in besonderem Maße konzipiert wurde. Anschließend wird ein Überblick über die Entwicklungsphasen dieses Konzepts gegeben. Zum Abschluss werden die zentralen Prinzipien, Strukturen und Methoden beleuchtet, nach denen das Konzept in der Praxis umgesetzt wird.
Das folgende Kapitel führt umfänglich in die einzelnen Konzepte und deren Umsetzung in Deutschland ein (? Kap. 3). Nico Ernst, Leiter der Geschäftsstelle der Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für behinderte Menschen und berufliche Teilhabe in Mecklenburg-Vorpommern e.?V., befasst sich mit einer Übersicht zur Familienklasse und ihren jeweiligen Konzeptionen in ganz Deutschland. Für den In Via Hamburg e.?V. beschreibt Kristina Gauding, wie die Familienklasse in Hamburg Anwendung findet. Maud Rix, Antje Gehrke, Friederike Martin, Lars Junghahn und Lisa Schürmann berichten von der Kinder- und Jugendhilfe Dresden drefugio und dem dort praktizierten Modell des Familienklassenzimmers. Christian Scharfe, Leiter des familienorientierten Bereichs des Albert-Schweitzer-Kinderdorfes in Wetzlar, beschreibt die Umsetzung der Familienklasse in Hessen. Das Konzept »Familie in Schule – FiSch« wird vorgestellt von Thomas Pletsch und Ulrike Behme-Matthiessen, systemische Ausbilder*innen und Leiter*innen des Instituts für Weiterbildung und Entwicklung in Schleswig (IWES). Selma-Maria Behrndt und Bärbel Brandenburg, die maßgeblich am Aufbau und der Koordination in Mecklenburg-Vorpommern beteiligt waren und sind, stellen das dortige Familienklassenzimmer vor. Die Familienschule, eine besondere Form der Familienklasse, da sie auch in Zwangskontexten angewandt wird, besprechen Nicole Schui und Sylvia Beuth, beide langjährige Coach*innen in diesem Format.
Erfahrungen und Einschätzungen aus der Praxis kommen im vierten Kapitel zur Geltung (? Kap. 4). Hier berichten Praktiker*innen von ihren Erlebnissen innerhalb des Formats, von Herausforderungen und Möglichkeiten zu deren Überwindung sowie von den schönen und erfolgreichen Momenten der Arbeit in der Familienklasse an der Schule. Die zu diesem Zweck geführten Interviews geben die zentralen Eindrücke der Interviewpartner*innen wieder. Zu Beginn berichten Selma-Maria Behrndt und Bärbel Brandenburg über die Entstehung und Implementierung des Familienklassenzimmers in Mecklenburg-Vorpommern. Im Anschluss führt Carina Bründlinger, die Leiterin des Berliner Zentrums für Präsenz und Kompetenz in Beziehungen, ihre Erfahrungen mit »Familie in Schule« im Raum Berlin aus. Ulrike Behme-Matthiessen und Thomas Pletsch vom IWES stellen die Besonderheiten der Ausbildung von FiSch-Coach*innen und der Anwendung des Konzepts in Schleswig-Holstein dar. Miriam Staak, langjährige Lehrerin in Mecklenburg-Vorpommern und Coach für das Familienklassenzimmer, erzählt uns von ihren Erfahrungen mit dem System Schule und wie das Familienklassenzimmer sich darauf auswirkt. Die Multifamilientrainer*innen Manuela Wallenstein und Christian Hahlgans vom Albert-Schweitzer-Kinderdorf Wetzlar berichten abschließend von der Familienklasse in Hessen und den dort zur Anwendung kommenden Methoden und den Zielen, die ihrer Arbeit zugrunde liegen.
Über den aktuellen Forschungsstand wird im fünften Kapitel berichtet (? Kap. 5). Es wird darin, nach einem kurzen Abstecher in den klinischen Bereich, eine Auswahl der bisher relevanten Studien zur Familienklasse sowohl in Deutschland als auch international dargeboten. Ein Ausblick auf derzeit geplante Forschungsprojekte beschließt den aktuellen Forschungsstand.
Das abschließende Kapitel bietet ein Resümee (? Kap. 6). Hier wird zusammengefasst, welche Hilfestellungen es für die Arbeit mit dem Konzept der Familienklasse gibt und wie diese sinnvoll in der schulischen Praxis umgesetzt werden können.
Die einzelnen Kapitel können...