Kohler-Koch / Quittkat | Die Entzauberung partizipativer Demokratie | Buch | 978-3-593-39293-6 | sack.de

Buch, Deutsch, 323 Seiten, Format (B × H): 142 mm x 215 mm, Gewicht: 410 g

Kohler-Koch / Quittkat

Die Entzauberung partizipativer Demokratie

Zur Rolle der Zivilgesellschaft bei der Demokratisierung von EU-Governance
1. Auflage 2010
ISBN: 978-3-593-39293-6
Verlag: Campus

Zur Rolle der Zivilgesellschaft bei der Demokratisierung von EU-Governance

Buch, Deutsch, 323 Seiten, Format (B × H): 142 mm x 215 mm, Gewicht: 410 g

ISBN: 978-3-593-39293-6
Verlag: Campus


Unter Mitarbeit von Christina Altides, Vanessa Buth und Andrea Fischer

Die partizipative Demokratie, also das Regieren gemeinsam mit der Zivilgesellschaft, ist ein Kernpunkt der europäischen Verfassung. Die Autorinnen untersuchen diesen Anspruch auf Bürgernähe empirisch, analysieren, auf welche Weise die zivilgesellschaftliche Einbindung tatsächlich erfolgt, und prüfen, inwieweit die politische Praxis das Qualitätsmerkmal "partizipative Demokratie" verdient.

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Weitere Infos & Material


Inhalt

Vorwort: Zivilgesellschaftliche Partizipation in der EU auf dem Prüfstand
Beate Kohler-Koch

1 Regieren mit der europäischen Zivilgesellschaft
Beate Kohler-Koch

2 Die vielen Gesichter der europäischen Zivilgesellschaft
Beate Kohler-Koch

3 Die Öffnung der europäischen Politik für die Zivilgesellschaft - das Konsultationsregime der Europäischen Kommission
Christine Quittkat und Beate Kohler-Koch

4 Die Konsultationspolitik der Kommission in der Praxis: eine Tiefenanalyse
Christine Quittkat

5 Neue Medien im Dienste der Demokratie? Der zivilgesellschaftliche Gewinn von Online-Konsultationen
Christine Quittkat

6 Der Spagat der europäischen Zivilgesellschaft - zwischen Professionalität und Bürgernähe
Beate Kohler-Koch und Vanessa Buth

7 Der Beitrag der organisierten Zivilgesellschaft zur Veröffentlichung europäischer Politik
Christina Altides
8 Zivilgesellschaftliche Partizipation: Zugewinn an Demokratie oder Pluralisierung der europäischen Lobby?
Beate Kohler-Koch

Anhang

Literatur

Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen

Abkürzungen

Autorinnen


Mit dem europäischen Verfassungsvertrag hat die partizipative Demokratie offiziell Eingang in die europäische Politik gefunden und im Governance-Konzept der Europäischen Kommission wurde die Zivilgesellschaft gar zum Schlüsselakteur der Demokratisierung der EU erhoben. Zivilgesellschaftliche Partizipation soll die mangelnde Responsivität der politischen Repräsentanten ausgleichen und die Problemlösungskapazität der Exekutiven stärken. Die These ist, dass Wahlen und Parteienwettbewerb die Entscheidungsträger nur in sehr allgemeiner Form und nicht effektiv genug an den Willen der Bürger zurückbinden, weil Entscheidungsmacht nicht an die Erfüllung spezifischer Aufgaben gebunden sei, sondern eine Allzuständigkeit schaffe. Da dementsprechend auch keine substantiellen Vorgaben für bestimmte Entscheidungen gemacht werden, so das Argument, bedarf es zusätzlicher Mechanismen, um ein Regieren im Interesse der Bürger sicherzustellen. Partizipation geht davon aus, dass die von einer Politik Betroffenen die Möglichkeit haben, sich unmittelbar und themenspezifisch in den Politikprozess einzubringen.

Partizipation wird für das EU-System als dringlich erachtet, weil das in den europäischen Mitgliedstaaten gültige Modell demokratischer Repräsentation auf die EU nur bedingt anwendbar ist. Die Union regiert ohne Regierung und so fehlt ein zentraler Baustein in der politischen Verantwortungskette. Das Europäische Parlament ist direkt dem europäischen Bürger verantwortlich und die Regierungen im Rat sind über die nationalen Parlamente ihren heimischen Bürgern verantwortlich. Die Kommission nimmt eine Schlüsselstellung im gemeinschaftlichen Entscheidungsprozess ein, aber sie ist keine Regierung und somit auch nicht nach den Regeln der repräsentativen Demokratie verantwortlich. Bei ihr greifen auch nicht die Verfahren administrativer Verantwortung, denn die Verantwortungskette Wähler - Parlament - Regierung - Ministerialadministration gilt nicht für die Kommission: Sie ist dem Rat gegenüber nicht weisungsgebunden und dem Europäischen Parlament gegenüber nur mit Einschränkungen rechenschaftspflichtig.

Die Kommission ist nach wie vor Motor der europäischen Gesetzgebung und greift auch über die Rechtsetzung hinaus regelnd und gestaltend in die europäische Politik ein. Infolgedessen ist sie ein bevorzugter Adressat für Interessengruppen aller Art. Die Zusammenarbeit mit gesellschaftlichen Akteuren und der Ausbau der Expertenberatung hat die einflussreiche Stellung der Kommission verstärkt und die Sorge um das demokratische Defizit der Union erhöht.

Die Vorstellung, dass die Kommission einer eigenen demokratischen Legitimation bedarf, ist nicht einzigartig, sondern findet ihre Parallelen in der Diskussion um die Reform der public administration in den OECD-Ländern. Es wurde nach einem neuen Verhältnis von Politik, Administration und Gesellschaft gesucht, das seit den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in Konzepten wie New Public Management, Public-Private Partnership und Civil Participation umgesetzt wurde (Ansell/Gingrich 2003). Ihnen ist gemeinsam, dass sie die öffentliche Verwaltung aus ihrer Staatsgebundenheit herauslösen und dem Marktmechanismus beziehungsweise dem kontrollierenden Eingriff der Zivilgesellschaft überantworten (Olsen 2008: 19-21). Es geht bei diesen Konzepten nicht so sehr um die Bändigung der Macht der Bürokratie als um ihre Effizienzsteigerung. Die in Kreisen der OECD verbreitete Kernthese ist, dass Regieren mit der Entwicklung der Gesellschaft Schritt halten müsse und dies nur über eine Ausweitung der Zusammenarbeit mit gesellschaftlichen Kräften möglich sei (OECD 2001). In dem Maße, in dem die öffentliche Verwaltung der politischen hierarchischen Kontrolle entzogen ist, wird nun gefordert, dass sie sich eine eigene, demokratische Legitimität verschaffen müsse (Wamsley/Wolf 1996: 5). Die entspränge der Interaktion mit dem aktiven Bürger, die der Verselbständigung der Bürokratie entgegenwirke und dazu beitrage, dass die Definition von öffentlichem Interesse sich an den Belangen der Betroffenen orientiere (Stivers 1996: 273-274). Aus dieser Perspektive wird die Partizipation der von der Politik Betroffenen als "Rückeroberung politischer Macht" interpretiert (Andersen/Burns 1996: 228).

Es fehlt nicht an Beschreibungen dieser Wende hin zur zivilgesellschaftlichen Partizipation und es fehlt auch nicht an luziden theoretischen Überlegungen zur demokratiefördernden Rolle der Zivilgesellschaft. Aber es ist weder geklärt, warum diese Wende ausgerechnet zu dieser Zeit erfolgen konnte, noch ist der empirische Nachweis erbracht, dass die Einbindung der Zivilgesellschaft tatsächlich einen Beitrag zur demokratischen Legitimität der EU leistet. Diese Lücke schließt das vorliegende Buch. Es analysiert, wie und warum partizipative Demokratie und Zivilgesellschaft zur Leitidee avancierten und wie dabei die politische Praxis dem schillernden Begriff von Zivilgesellschaft ein sehr spezifisches Profil gab. Auf der Grundlage demokratietheoretischer Reflexionen und der empirischen Ergebnisse unserer Forschung zeigt es die Realität der zivilgesellschaftlichen Partizipation in der EU auf und gibt eine empirisch begründete Antwort auf die Frage, ob dieses Regieren mit der Zivilgesellschaft den demokratischen Standards genügt. Auf der Grundlage unserer Ergebnisse glauben wir eine Aussage über den Wert zivilgesellschaftlicher Partizipation in der EU machen zu können, die über unsere konkret untersuchten Forschungsfelder hinausreicht.


Beate Kohler-Koch ist emeritierte Professorin der Universität Mannheim. Christine Quittkat, Dr. rer. soc., ist Mitarbeiterin am Mannheimer Zentrum für europäische Sozialforschung.



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