E-Book, Deutsch, 250 Seiten
Konrad / Schöb / Thum Die Zukunft der Wohlfahrtsgesellschaft
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-593-41947-3
Verlag: Campus
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Festschrift für Hans-Werner Sinn
E-Book, Deutsch, 250 Seiten
ISBN: 978-3-593-41947-3
Verlag: Campus
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Finanzmarktkrise und wachsende Staatsschulden, Überalterung der Gesellschaft und Bevölkerungsschwund, die Krise des Euro, Lohnkonkurrenz aus Asien: Hat unter diesen Bedingungen die Wohlfahrtsgesellschaft noch eine Chance? Die Autoren, alle prominente Ökonomen, beleuchten die Krisenszenarien und fragen über die wirtschaftliche Entwicklung hinaus nach den gesellschaftspolitischen Perspektiven. So diskutieren sie in diesem Buch, wie die Investition in Bildung und Arbeit neben sozialem Zusammenhalt und nationaler Identität Quellen für Wohlstand und Wachstum werden können.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Inhalt
Vorwort der Herausgeber 7
Einleitung
Kai A. Konrad/Ronnie Schöb/Marcel Thum/Alfons Weichenrieder 9
I. Die Finanzkrise und die Zukunft des Wohlfahrtsstaates
Setzt die aktuelle Finanzkrise auch positive Wachstumsimpulse?
Frank Westermann 17
Finanzkrisen, Finanzsektor und die Einkommensverteilung
Alfons Weichenrieder 39
II.Tragödien der öffentlichen Haushalte
Die Logik der Währungsunion
Helge Berger 57
Kommunale Finanzen in Deutschland: Reformdiskussion ohne Reform
Marko Köthenbürger 77
III. Der demografische Kollaps und soziale Sicherung
2041: Nach dem demografischen Übergang
Martin Werding 97
Denn eins ist sicher: Die nächste Rentenreform
Robert Fenge 121
IV. Gut bezahlte Arbeit - eine Frage der Ausbildung?
Zurück zu den Wurzeln - Deutschland als "Weltmarktführer"
in Sachen Bildung?
Sascha O. Becker/Ludger Wößmann 143
Wider den Fachkräftemangel: Bildung und Migration
Silke Übelmesser 169
Ein Mindestlohn für Deutschland?
Ronnie Schöb/Marcel Thum 193
V. Soziales Kapital
Die Rolle von nationaler Identität für die öffentliche Wirtschaft
Kai A. Konrad 217
Verhaltensanreize in einer Gesellschaft mit sich auflösender
Privatsphäre
Mikael Priks 232
Die Autoren 249
Einleitung
Deutschland kann auf sechs Jahrzehnte wachsenden Wohlstands zurückblicken. Auch die Jahre seit 2007, Jahre der schwersten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg, hat Deutschland verhältnismäßig gut verkraftet, jedenfalls weitaus besser als viele Partnerländer in Europa. Dennoch ist die deutsche Bevölkerung zunehmend besorgt. Und die Liste von bedrohlichen Entwicklungen ist lang: eine schwelende Bankenkrise, eine latente Finanzmarktkrise, ausufernde Staatsverschuldung, wachsende Haftungsrisiken Deutschlands für die Eurozone, mögliche Inflationsrisiken wegen der riesigen Geldmengen, die die Europäische Zentralbank in den Markt pumpt, zunehmende politische Spannungen in Europa, eine tickende Demografiebombe, die Herausforderungen einer radikalen Energiewende, der Kampf mit internationalen Steueroasen um die Steuerhoheit, ein Rentenversicherungssystem, das das Rentenniveau abgesenkt hat, um halbwegs finanzierbar zu bleiben.
Hat in dieser Gemengelage das von Bismarck geschaffene System der Sozialversicherung eine Zukunft? Kann der Staat weiterhin die wirtschaftlich Gescheiterten auffangen, wirtschaftliche Existenzrisiken absichern und gleichzeitig noch Anreize schaffen für unternehmerische Risikobereitschaft? Oder wird in Zukunft das Prinzip Dieter Bohlens vorherrschen, der seinen Karriereratgeber mit "Planieren statt Sanieren" überschrieben hat und dessen Shows zum Sinnbild dafür geworden sind, dass nur der Platz an der Spitze wirklich zählt?
Lebenschancen für den größtmöglichen Teil der Gesellschaft zu schaffen, das verstanden liberale Vordenker wie Lord Dahrendorf unter Freiheit, und sie sahen die Notwendigkeit der Verbindung dieser Freiheit mit Solidarität. Hans-Werner Sinn (1981; 1995) hat in seiner Theorie des Wohlfahrtsstaates die Verbindung zwischen unternehmerischer Initiative und den Institutionen sozialer Sicherung über einen versicherungstheoretischen Gedanken hergestellt: Unternehmer sind eher bereit, chancenreiche aber riskante Projekte anzugehen, wenn der Staat nicht nur im Falle des Gewinns über Steuern partizipiert, sondern den Unternehmer im Falle des Misserfolgs wie bei einer Versicherung auffängt. So kann ein ausbalanciertes Steuer- und Sozialversicherungssystem zum Katalysator für eine fruchtbare Wirtschaftsdynamik werden. Doch wo Unternehmer Aktivitäten entfalten können, bei denen sie den Großteil der Gewinne privat genießen, aber die Verlustrisiken beim Steuerzahler abladen dürfen, führt dies aus sozialer Sicht zu eklatanten unternehmerischen Fehlentscheidungen. Solche standen wohl am Anfang der Finanzkrise, die sich 2007 entlud, und gefährden letztendlich den Sozialstaat.
Dieser Band beleuchtet diese für den Sozialstaat so gefährliche Gemengelage aus verschiedenen Blickwinkeln. Kapitel I behandelt in zwei Beiträ-gen die Rolle der Finanzkrise für die Zukunftschancen des Wohlfahrtsstaates. Frank Westermann nimmt mehrere Finanzkrisen der jünge-ren Zeit unter die Lupe: Wie haben sich die Krisen aufgebaut? Wie wurden sie überwunden? Wie teuer waren diese Krisen? Liegt in Krisen tatsächlich auch eine Chance? Finanzkrisen gehen zumindest kurzfristig mit hohen Wachstumseinbrüchen einher. Die breite Öffentlichkeit wirft dann sofort die Frage auf, wer die dadurch entstehenden Kosten zu tragen hat. Dieser Verteilungsfrage der Finanzkrise geht Alfons Weichenrieder in seinem Beitrag nach. Die Erfahrung zeigt, dass trotz steigender Arbeitslosigkeit und erhöhter Armutsrisiken auch höhere Einkommensschichten an den Kosten von Finanzkrisen beteiligt sind und daher vielfach die Einkommensungleichheit stagniert oder sogar zurückgeht. In der Tat gab es in der aktuellen Krise in einigen Krisenländern eine überraschende Entwicklung hin zu mehr Einkommensgleichheit.
Die Finanzkrise begann als Hypothekenkrise in den USA, hat sich dann zu einer weltweiten Finanzmarktkrise entwickelt, die letztendlich auch die reale Wirtschaft infiziert und deutlich in Mitleidenschaft gezogen hat. Erst im Anschluss daran trat zur Finanzkrise eine Krise der Finanzierung von Staatsschulden, an der seit 2010 die Eurozone zu kollabieren droht. Mit dieser Tragödie der öffentlichen Haushalte befassen sich zwei Beiträge in Kapitel II. Helge Berger, der beim Internationalen Währungsfonds die Europäische Staatsschuldenkrise miterlebt und die Lösungsstrategien mitgestaltet, macht transparent, welche Rolle dabei Konstruktionsfehler in der Architektur der öffentlichen Finanzen in Europa spielen. Diese Architektur vereinigt Prinzipien nationaler Entscheidungsgewalt mit Elementen kollektiver Verantwortung. Sie verletzt damit das fundamentale Prinzip, wonach Entscheidungsgewalt und Verantwortlichkeit für die Konsequenzen unteilbar in einer Hand sein müssen. Will man diesem Prinzip gerecht werden und die Eurozone trotzdem retten, gibt es zwei Alternativen. Man kann entweder versuchen, die Autonomie und die nationalstaatliche Verantwortung zu stärken. Das kann durch eine Härtung der gegenseitigen Nichteinstandsklausel erfolgen, wofür sich in Deutschland nicht zuletzt der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen ausgesprochen hat. Helge Berger beleuchtet die andere Alternative, die gerade in Deutschland für erheblichen Zündstoff sorgen könnte: eine weitgehende Vergemeinschaftung der Staatsfinanzen der Länder Europas mit ausgeprägter gemeinsamer Kontrolle auf europäischer Ebene. Probleme mit den öffentlichen Finanzen gibt es indes nicht nur auf nationaler Ebene. Ein Großteil der Fehlentwicklungen in öffentlichen Haushalten hat seine Ursa-che in der innerstaatlichen Architektur öffentlicher Finanzen. Spannungen zwischen Bund und Ländern, Schuldenkrisen und extreme Haushaltsnotlagen einzelner Bundesländer in Deutschland sind Symptome für einen Reformstau in Deutschland. Marko Köthenbürger geht in seiner Analyse noch eine Regierungsebene tiefer und untersucht das Finanzgebaren von Städten und Kommunen. Er zeigt, wie das Wechselspiel zwischen ökono-mischen Zwängen und politischen Abwägungen zu einer anhaltenden Reformdiskussion ohne echte Reformen führte und skizziert neue Wege, den Reformstau aufzulösen.