E-Book, Deutsch, 276 Seiten
Kraft Die Geige im Rapsfeld
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7534-2821-5
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Geschichten aus Schleswig-Holstein
E-Book, Deutsch, 276 Seiten
ISBN: 978-3-7534-2821-5
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wie kommt eine Geige in ein Rapsfeld? Wie kann ein ungültiger Lottoschein Glück und Frieden bringen? Wieso ist es entscheidend, ob ein Kuss nach Himbeeren schmeckt? Dies ist ein Buch voller Überraschungen - spannend, humorvoll und hintersinnig. Mit viel Liebe und Feingefühl erzählt die Autorin von Menschen aus ihrer Heimat Schleswig-Holstein, von ihren Freuden, Hoffnungen und Träumen oder lässt ihrer Fantasie freien Lauf. Die Geschichten regen zum Nachdenken an, zaubern ein Lächeln ins Gesicht, vermitteln Wohlgefühl und Entspannung.
Autoren/Hrsg.
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Der Kuss Selig löst sie sich wieder von ihm und schaut ihn mit strahlenden Augen an. So wie er hat sie zuvor noch niemand geküsst – so intensiv, ausgiebig, nachhaltig und verführerisch – einfach ganz und gar vollkommen. »Hm, du schmeckst nach Himbeere,« sagt er. Thekla ist glücklich, unbeschreiblich glücklich. Dass ein so gut aussehender Mann wie Rainer ausgerechnet sie liebt, erscheint ihr immer noch wie ein Wunder. Nicht dass sie hässlich wäre, aber um an der Seite eines so begehrenswerten Mannes glänzen zu können, wäre sie schon gern etwas attraktiver und vor allem ein paar Jahre jünger gewesen. Doch Rainer liebt sie nicht nur, er hat sie auch geheiratet, und die Flitterwochen mit ihm sind das Wunderbarste gewesen, das sie jemals erlebt hat. Eigentlich hat sie gar nicht mehr damit gerechnet, dem Mann ihres Lebens noch zu begegnen. Nach dem viel zu frühen Tod ihrer Mutter hat sie bereits mit zwölf Jahren den kleinen Zweipersonenhaushalt geführt, ohne die Schule allzu sehr zu vernachlässigen. Ihr Vater hat sich zunehmend von anderen Menschen ferngehalten, und sie hat es ihm gleichgetan. Thekla ist für ihn dagewesen, wann immer er sie gebraucht hat. Nach ihrem Abitur hat sie das Studium der Betriebswirtschaft in kürzester Zeit absolviert, um danach ihrem Vater in seinem Unternehmen helfen zu können. Er ist ein begnadeter Architekt gewesen, der sich durch Schwimmbadkonstruktionen, Modernisierungen historischer Gebäude und Neubauten von Firmenniederlassungen einen Namen gemacht hat. Thekla hat nicht nur seinen Kieler Betrieb mit über zwanzig Mitarbeitern geleitet, sondern darüber hinaus zwei weitere Niederlassungen in Lübeck und Pinneberg verwaltet, für die ihr Vater mehrere vielversprechende junge Architekten eingestellt hatte. Theklas Vater hat sich nie wieder verliebt und dafür immer mehr in seine Arbeit gestürzt, auch an den Wochenenden. Er hat ihr schönes Zuhause am Düsternbrooker Gehölz zu einem wahren Traumhaus umgestaltet, danach eine prachtvolle Villa auf Sylt gebaut, zudem ein herrliches Anwesen am Plöner See mit Blick auf das Schloss und zuletzt noch ein modernes Feriendomizil an der Costa del Sol. Thekla hat ihn in jedem dieser Projekte unterstützt und sich mit ihm zusammen um stilgerechte Inneneinrichtungen gekümmert. Dann ist er an einem Hirntumor erkrankt und viel zu früh daran gestorben. Auf einmal ganz auf sich allein gestellt hat Thekla länger gearbeitet als je zuvor und sich noch mehr von anderen Menschen abgekapselt. Lediglich mit ihrer Schulfreundin Maren hat sie sich hin und wieder getroffen. Maren hat sie sogar dazu gebracht, einmal in der Woche mit ihr zusammen zum Sport zu gehen. Im Urlaub hat sich Maren dann ausgerechnet in einen Italiener verliebt. Sie ist ihm nach Mailand gefolgt, zwei Jahre später haben sie geheiratet, und nun sehen sich die beiden Freundinnen nur ein- bis zweimal im Jahr, abwechselnd in Kiel und Mailand. Thekla selbst hat bei der Suche nach einem Freund zunächst kein Glück gehabt. Die wenigen Männer, die sie in den vergangenen Jahren kennengelernt hat, hatten es eindeutig mehr auf ihr Vermögen abgesehen als auf sie. Eines schönen Tages, kurz nach ihrem fünfunddreißigsten Geburtstag, ist ihr Rainer über den Weg gelaufen – jungenhaft, unbekümmert und voller Schwung, mit dem er sie in der Eingangstür eines Kaufhauses beinahe umgerannt hätte. Vom ersten Moment an hat sie sich in ihn verliebt – und er sich in sie. Ganz bewusst hat sie ihm damals nicht erzählt, dass sie vermögend ist, und ihn in dem Glauben gelassen, sie wäre lediglich eine kleine Angestellte. Rainer hat das überhaupt nicht gestört – ganz im Gegenteil! Er ist Verkäufer in einem Autohaus gewesen und hat nur gesagt: »Wir kleinen Leute müssen zusammenhalten.« Dabei hat er sie liebevoll angesehen, sie in seine Arme genommen und so fest an sich gedrückt, dass sie fast keine Luft mehr bekommen hat. Mit ihm zusammen hat sie sich wieder jung gefühlt und angefangen, all die versäumten Jahre nachzuholen. Schon bald ist ihr klar gewesen, dass Rainer der Mann für ihr Leben ist. Sie haben geheiratet, und als Hochzeitsgeschenk hat sie ihm seinen eigenen Autosalon gekauft. »Woran denkt meine Prinzessin?«, holt Rainer sie zurück in die Wirklichkeit. »Daran, wie glücklich du mich machst und wie froh ich darüber bin, dich gefunden zu haben,« antwortet sie mit Inbrunst. »Dann haben wir gerade das gleiche gedacht. Wie könnte ich nur jemals wieder ohne dich leben? Du bist die Erfüllung aller Träume, die ein Mann nur haben kann, der sich nach Liebe sehnt. Wie schaffst du es nur, neben deiner vielen Arbeit immer für mich da zu sein?« Voller Zärtlichkeit schaut er sie an, mit einem Lächeln, das ihn einfach unwiderstehlich macht. »Und darüber hinaus hast du in letzter Zeit sogar an deinen Kochkünsten gearbeitet.« Theklas Gesicht überzieht sich mit einer leichten Röte. Sie weiß, dass ihre Fähigkeiten als Köchin für ihren Vater und sie selbst ausgereicht haben, ansonsten aber doch beschränkt sind. Sie und Rainer essen meistens in einem der vielen guten Restaurants ihrer Umgebung. Doch da sie ihn so unendlich liebt, wagt sie sich hin und wieder ans Kochen, um eine besondere Leckerei für ihn zu zaubern. Sie hat schon verschiedene raffinierte Rezepte ausprobiert – natürlich nicht ohne an seine Nussallergie, seine Abneigung gegen Klöße und Mehlspeisen überhaupt oder an seine Vorliebe für Krabben, Hummer und zartes Rinderfilet zu denken. Es gibt kaum etwas Schöneres für sie, als ihm eine Freude zu bereiten und dabei in seine strahlenden Augen zu sehen. »Rainer, ich liebe dich so sehr,« sagt sie aus vollem Herzen. Er nimmt sie in seine Arme und gibt ihr noch einen Kuss. »Schade, dass du heute Abend fort musst,« meint er bedauernd. Fragend sieht sie ihn an. »Soll ich lieber hier bleiben? Ich kann meinen Sport ruhig einmal ausfallen lassen.« »Nein, geh nur, ich finde es wunderbar, dass du dich fit hältst. Ach so, das hätte ich fast vergessen: wann kommt deine Freundin Maren aus Mailand? Ich möchte sie endlich kennenlernen.« »Ja, zu schade, dass sie nicht zur Hochzeit kommen konnte! Sie weiß noch nicht genau, ob es klappt, aber sie möchte uns gern über Pfingsten besuchen und sich dann ein paar Tage frei nehmen.« »Das ist ja schon bald,« freut sich Rainer, »also dann bis nachher, und viel Spaß beim Sport!« Thekla nimmt ihre Sporttasche und macht sich widerstrebend auf den Weg. Sie wäre heute lieber bei Rainer geblieben. Andererseits fühlt sie sich nach einer Sportstunde und der anschließenden Dusche immer besonders wohl, und wenn es ihm ähnlich geht wie ihr, kann es doch noch ein wunderschöner Abend werden. Schon vor der Sporthalle kommen ihr zwei junge Frauen aus der Aerobic-Gruppe entgegen. »Heute ist kein Sport, Steffi ist krank,« sagt die eine zu Thekla. Tatsächlich, an der Eingangstür zur Sporthalle hängt ein Zettel: ‚Aerobic und Stepptanz fallen am Mittwoch und Donnerstag wegen Krankheit aus.‘ Thekla lächelt. Sie wird Rainer überraschen und einen wunderbaren Abend mit ihm verbringen. Doch dann ermahnt sie sich selbst: Wie kann ich nur so egoistisch sein und nicht an Steffi denken! Sie nimmt sich vor, ihr gleich morgen früh einen Blumengruß zu schicken. Mit sich und der Welt zufrieden geht sie fröhlich vor sich hin summend nach Hause. Nahezu lautlos öffnet sie die Haustür, damit ihre Überraschung auch gelingen kann. Sie schleicht die Treppe hinauf und ins Badezimmer, um sich frisch zu machen. Nebenan telefoniert Rainer im Schlafzimmer. Thekla will gerade ganz leise die Tür zum Bad schließen, als sie plötzlich ihren Namen hört. »Thekla? Sei nicht so ungeduldig! Ich leide viel mehr als du, vor allem, wenn sie glaubt, wieder einmal für mich kochen zu müssen. … Ja doch, jeder im Büro glaubt, dass wir uns abgöttisch lieben, aber wir müssen trotzdem noch warten. Immerhin habe ich sie erst vor drei Monaten geheiratet. …Nein, nicht mehr lange, bestimmt! Über Pfingsten kommt ihre Freundin Maren aus Italien zu Besuch. …Ja! Stell dir vor, sie hat nur diese eine! …Na du kennst mich doch! Da werde ich noch einmal mein ganzes schauspielerisches Talent entfalten. … Natürlich wird niemand etwas ahnen, ein bedauerlicher Unfall, einfach tragisch! … Doch, das kriege ich schon alleine hin. Du kannst dir überlegen, ob du lieber in Kiel, am Plöner See oder auf Sylt wohnen möchtest, den Winter über können wir es uns in Spanien gut gehen lassen. …Nein wie denn! Selbst mit Sportschuhen trampelt sie so laut die Treppe hinauf, das würde ich mitkriegen …« Kreidebleich sackt Thekla in sich zusammen. Das kann nicht wahr sein – sie muss sich verhört haben. Sie wird jetzt sofort zu Rainer ins Schlafzimmer gehen und das Missverständnis aufklären. Aber die Beine versagen ihr den Dienst; reglos bleibt sie neben der Badewanne hocken. Ununterbrochen kreisen seine...