Kramer Schwuchteln
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-86787-407-6
Verlag: Bruno Books, Salzgeber Buchverlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
E-Book, Deutsch, Band 6, 416 Seiten
Reihe: Die Besten
ISBN: 978-3-86787-407-6
Verlag: Bruno Books, Salzgeber Buchverlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Fred Lemish wird in wenigen Tagen vierzig, und inmitten einer Community, für die es nur Sex, Drogen und Ekstase gibt, sehnt er sich nach der großen Liebe. Aber Kramer denkt gar nicht daran, seinen Helden an die Hand zu nehmen, um ihn durch alle Stürme sicher in den Hafen der Geborgenheit segeln zu lassen. Rasant und radikal, zynisch und zärtlich, wütend und unglaublich witzig führt er uns durch diese fantastische und unglaublich temporeiche Geschichte. Es gibt nur wenige Bücher in der modernen schwulen Literatur, die zu lesen ein absolutes Muss ist. 'Schwuchteln' ist ohne Zweifel eines davon.
Larry Kramer, 1935 in Bridgeport, Connecticut, geboren, zählt zu den bedeutendsten schwulen Literaten des 20. Jahrhunderts. Sein Theaterstück 'The Normal Heart' wurde vom Royal Theatre of Great Britain zu einem der 100 besten Stücke des 20. Jahrhunderts gewählt. Sein 'Drama The Destiny of me' wurde 1993 für den Pulitzer-Preis nominiert. Kramers Drehbuch-Adaption für den Film 'Women in Love' erhielt eine Nominierung für den Academy Award. 1978 erschien sein bisher einziger Roman 'Faggots', der in den USA auch heute noch kontrovers diskutiert wird. Mit der Übersetzung - Schwuchteln - ist das Werk nun erstmalig auch im deutschen Sprachraum verfügbar.
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Der undankbare jüngere Sohn und Erbe war nun wieder in seinem Loft in Soho und ganz vertieft in Körperlichkeiten. Boo Boo Bronstein absolvierte, wie die meisten unserer Schwuchteln, die notwendige, ritualisierte Vorbereitung, auch bekannt als pump up, die für die allwochenendliche ›Spritztour‹ unverzichtbar war: seine täglichen zweihundert Push-ups und fünfhundert Sit-ups und vier Runden á fünfundzwanzig Einheiten Bankdrücken sowie Klimmzüge und ein umfassendes Hantel-Training mit dem umfangreichen Hantel-Set, das er sich gekauft hatte, auch wenn der Tag, an dem er seinen Plan in die Tat umsetzen würde, näherrückte. Er würde sich selber kidnappen, aber er würde sicherlich nicht seinen Trainingsplan unterbrechen. Es würde schon schlimm genug sein, nicht in der Lage zu sein, draußen auf den Village Streets zu promenieren, wo jeder seinen ansprechend proportionierten Körper bewundern konnte, einen Meter und achtzig groß, schlanke Taille, runde Bizepse, wohldefinierte Brustmuskeln, eine Rückenmuskulatur wie ein griechischer Gott. All diese Vorzüge, so hoffte er zumindest, würden von seinem düsteren, dunklen, unglücklich dreinschauenden und reichlich jüdischen Gesicht ablenken. Ich werde eine Schwuchtel! Ich werde eine Schwuchtel! Boo Boo hatte es vor zwei Jahren mit Schrecken erkannt, während seines ersten Jahres in Yale, als der distinguierte, stattliche, grauhaarige und nichtjüdische Professor der Kunstgeschichte vorgeschlagen hatte, dass sie sich zu einem Vieraugengespräch in seinem mit Büchern zugestellten Haus auf der Chapel Street treffen könnten, »um über die Thesen zu sprechen, die Sie in ihrer Arbeit zu den Marmorfriesen der griechischen Antike aufgestellt haben«. Nach sechseinhalb Gläsern eines aparten alten Weins wurde Boo, der nie leicht zu kriegen gewesen war, auf die Chaiselongue gepackt, was er irgendwie bereits geahnt hatte, und ließ sich, zitternd vor Befürchtung und Erwartung, wie nur die Schuldigen, Verfluchten und Verdammten zittern konnten, zum ersten Mal den bereits steifen Schwanz lutschen. Wie war das möglich? Wie war das Ding zu einem straffen, harten Mast geworden, ohne dass er es überhaupt mitbekommen hatte? Boo rang mit sich selbst, versuchte sein Bestes, die Sache nicht zu genießen, nicht die Hände und Handflächen und Finger des Professors zu genießen, reibend und massierend, wie sie vermutlich schon zahllose andere kostbare Eroberungen bearbeitet hatten, auf seinem sich ansehnlich entwickelnden Oberkörper, den Boo mit freundlicher Unterstützung von 1. einem Foto von Arnold Schwarzenegger in einem Buch namens Pumping Iron, heimlich betrachtet im hintersten Winkel des Yale-Gemeinschaftsraums; 2. dem einsetzenden Verlust von fünfundzwanzig Kilo äußerst hartnäckigen Babyspecks; sowie 3. zwei Stunden täglichen Trainings errungen hatte. Ja, auf und ab und hin und her wedelten die Flossen des Professors, und auf und ab und hin und her glitten Mund und Zunge des Professors, und raus aus seinem Mast schoss die sämige, wohltuende Erleichterung. Gefolgt von der Schuld. »Nicht eben groß«, sagte der Professor anschließend, was auch nicht hilfreich war. Das war die erste artikulierte Bestätigung von Richies Verdacht. Er war nicht nur eine Schwuchtel, sondern sein Mast war auch nicht eben das Standardkaliber, mit dem ein Bronstein-Junge sein Schlachtschiff in See stechen zu lassen hatte. »Aber«, fuhr der Professor vor, während er sich vorbeugte, um das Schiff noch einmal seetauglich zu machen, »er schmeckt zweifellos köstlich und deine Brustmuskulatur ist perfekt. Dein Körper ist das klassisch-griechische Ideal. Ich schätze mal, du bist eine gute Startnummer.« Ich will eine gute Startnummer sein! Ich will eine gute Startnummer sein!, das wurde Boo Boo in den darauffolgenden Wochen klar, als er trübsinnig über den Campus schlich, noch immer verloren, den Blick auf den Gehweg oder das sauber getrimmte Gras an den Seiten gerichtet, niemanden anschauend, oder als er allein in seinem Zimmer saß (Wer sollte schon mit ihm das Zimmer teilen wollen?, ein Gefühl, dass zweifellos aus der Zeit rührte, als er sich mit seinem älteren Bruder Stephen ein Bad geteilt hatte, der ihm den Spitznamen Boo Boo verpasst hatte, weil er so launenhaft und oft weinerlich und unsicher war: »Entweder ›Boo Boo‹ oder ›Lemon‹, du hast die Wahl. Ich empfehle Ersteres, das klingt wenigstens nach was.«), wo er auf die erbsengrüne Farbe starrte, in der die Yale-Wände gestrichen waren, und an den Mund seines Lehrers dachte, was er mit aller Kraft versuchte zu unterdrücken. Ich darf das nicht wieder tun! Ich darf das nicht wieder tun! Es ist falsch! So dachte er, auch wenn ihn während der drei Sekunden vor der Ejakulation und den zwei Sekunden danach, die er bei den vielen noch folgenden Begegnungen erlebte (er schloss das Semester mit Bestnote ab) eine vage Ahnung dessen überfiel, was er in all den Jahren verpasst hatte. Doch die Schuld, ja, die Schuld, sie trieb ihn schließlich dazu sich mit dem mutigen Bekenntnis an seinen alten Herrn zu wenden, dass er Schreckliches durchlitt, »Paps, ich habe da dieses Frauenproblem«, sodass Abe, der sich diesbezüglich selbst schuldig gemacht hatte, wie der Vater, so der Sohn, finanzierte, was schließlich eine zweijährige Psychoanalyse bei Dr. Rivtov an Yales berühmtem Child Study Center werden sollte (Richard würde nie erfahren, dass sein Fall international publiziert wurde als »Ein prominenter Sohn: Die Übersiedlung psychoneurotischer Meschuggees von der Alten in die Neue Welt«). Vier Stunden die Woche lag Richie auf der Couch, den Blick auf den kreisenden Klumpfuß des Doktors gerichtet, und gemeinsam entdeckten sie, wie sehr er sich vor a) seinem Paps, b) seiner Mutti, c) vor sich selbst fürchtete. Bewaffnet mit diesem nützlichen Wissen machte er seinen Abschluss. Und entwaffnet von der zusätzlichen Erkenntnis, dass sein Schwanz nach wie vor nur für andere Männer stramm stand, ein natürlicher Reflex, nicht unähnlich dem Schienbein, das hochschnellt, wenn man mit dem Hämmerchen auf das Knie schlug – was in den Augen von Dr. Rivtov natürlich Unfug war, auch wenn ihm selbst keine Möglichkeit einfiel, die Tassen, die sein junger Patient nicht mehr im Schrank hatte, zu ersetzen – beschloss Boo, das Beste daraus zu machen. Und keine Angst mehr davor zu haben, dass sein Paps es rausfinden könnte. Und keine Angst mehr davor zu haben, dass sein Paps es rausfinden könnte. Und keine Angst mehr … Das hatte ihn so weit gebracht, dass er die Matrosen seinen Mast salutieren ließ, aber nicht weiter. Aber er wusste, dass da mehr war. Er sah es mit seinen Augen und er träumte nachts davon und er dachte tags daran und er wusste, dass er in Schwierigkeiten steckte. Denn er wusste, dass es da draußen eine Schlangengrube der Sexualität gab und dass er das dringende Bedürfnis hatte, sich in sie hineinzuwerfen. Ich muss es tun! Ich muss es tun!, so quälte er sich selbst stundenlang, bevor er in seinem Loft zur Ruhe kam. Ich muss es tun, denn es gehört zum Leben einer Schwuchtel dazu, Hingabe und Freiheit durch Ekstase zu finden – ficken und gefickt werden und diese kleinen SM-Spiele und Scheiße und Pisse und, oh!, ich will mich unterwerfen, und wo ist verdammt noch mal dieses Magazin … und wenn er es gefunden hatte, blätterte er darin, las wieder und wieder diese Anzeigen, die Männer aufgegeben hatten, die »willige Opfer« suchten, »geile Bückstücke, die alles mit sich anstellen lassen«. Schließlich streckten sich seine qualvollen Gedanken bis nach Fire Island aus. Dieses Wochenende werde ich hinfahren, das ist ein Versprechen! Er war noch nie dagewesen, und es war nicht die Physis, die ihn daran hinderte, sondern die angstvolle Psyche. Wie sollte er da halbnackt an diesen sagenumwobenen Stränden entlangstolzieren, vor all diesen starrenden Augen? Konnte er das tun? Und dann zwischen die Bäume, in das berüchtigte Meat Rack! Die waldgewordene Verkörperung der sexuellen Lastergrube! Konnte er das auch tun? Sich selbst in diese Grube werfen? Und würde er es mit Klasse tun können, sodass sie ihn anschauen würden, neidisch auf ihn zeigen und sagen würden: »Da geht er, dieser stattliche Bursche, dieser Rich Bronstein! Wer kennt ihn nicht?« Ja, wie sollte er sich selbst in diese Grube werfen? Wie?! Ein Taschengeld von einer Million. Würde ihm das nicht weiterhelfen? Und dann dürfte Paps es erfahren. Dann dürfte Paps es erfahren. Aber bis dahin wäre ich frei! Und reich! Ja. Ein kleines Taschengeld. Eine Million. Das würde ihm weiterhelfen. Und wenn er sich nicht beeilte, würden sie ihn diese Spaghetti-Erbin heiraten lassen, diese Marci Tisch. • Während Fred durch die Stadt Richtung Y lief, jetzt an seine Mutter denkend, und Abe Ephra für ein frühes Abendessen mit Randy Dildough verlassen hatte, verließ Anthony Montano sein Penthaus am Beekman Place und ging Richtung Süden. Freds bester Freund – groß, dunkelhaarig, elegant, Omar Sharif als italienischer Diplomat – ging an diesem wunderschönen, sonnenbeschienenen Spätnachmittag im Mai in Richtung Village Streets. Dort würde er sich den Schwanz lutschen lassen, seinen Schwanz, der schon seit dreiundzwanzig Tagen nicht mehr abgespritzt hatte, sein wunderbarer, unbeschnittener, anbetungswürdiger Schwanz, der Besseres verdient hatte, so wie sein Besitzer. Sich von Irving Slough versklaven zu lassen war kein Vergnügen, Winston war nicht eben ein einfacher Kunde, der Winston-Mann war zwar ein fescher Kerl, aber da draußen starben Leute, und ich sterbe auch, und mein Schwanz stirbt, wir fühlen...