Buch, Deutsch, 796 Seiten, Format (B × H): 155 mm x 229 mm, Gewicht: 1246 g
Eine sozialwissenschaftliche Bilanz der deutschen Einheit 1990-2010
Buch, Deutsch, 796 Seiten, Format (B × H): 155 mm x 229 mm, Gewicht: 1246 g
ISBN: 978-3-593-39333-9
Verlag: Campus
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Inhalt
1 Einleitung: Was zusammengehört …
Eine sozialwissenschaftliche Bilanzierung des Vereinigungsprozesses
Peter Krause und Ilona Ostner 11
I Einleitung und Bilanzierung
2 Lebensverläufe im deutsch-deutschen Vereinigungsprozess
Karl Ulrich Mayer und Heike Solga 39
3 "Nahblick" und "Weitblick"
Erste Schritte zur Erforschung des sozialen und politischen Wandels
in den neuen Bundesländern und frühe Prognosen
Richard Hauser 57
4 Gerechtigkeitsvorstellungen in Ost- und Westdeutschland
im Wandel: Sozialisation, Interessen, Lebenslauf
Bernd Wegener und Stefan Liebig 83
5 Psychologie der Wiedervereinigung
Bilanz der Lebensbedingungen in Ost und West
Frieder R. Lang und Jenny Wagner 103
II Stadien im Lebensverlauf
Lebensbeginn, Kindheit und Jugend
6 Familienformen und Lebensbedingungen in Ost und West
Zur sozioökonomischen Lage von Müttern in Deutschland,
Frankreich und Russland
Dirk Konietzka und Michaela Kreyenfeld 123
7 Lebensbedingungen von Kindern in Ost- und Westdeutschland
Norbert Schreiber 145
8 (Wieder-)Vereinigung der Jugend?
Lebensbedingungen und Zukunftserwartungen ost- und westdeutscher Jugendlicher nach der Wende
Sabine Keller und Carina Marten 161
Erwachsenwerden - Partnerschaft und Mating
9 Gelegenheiten des Kennenlernens
Der Partnermarkt in Ost- und Westdeutschland
Thomas Klein, Johannes Stauder und Armando Häring 187
10 Die ost-westdeutsche Partnerwahl
Wanderungen, Vorurteile, Wohlstandsunterschiede
Wiebke Rösler 211
11 Die Bedeutung von Geschlechterarrangements für Partnerschaftsdauer und Ehestabilität in Ost- und
Westdeutschland
Christian Schmitt und Heike Trappe 227
Lebensmitte - Arbeitsmarkt und berufliche Integration
12 Erwerbschancen und Arbeitsmarktintegration im wiedervereinigten Deutschland
Johannes Giesecke und Roland Verwiebe 247
13 Die Abwanderung Arbeitsloser von Ost- nach Westdeutschland
Zur "institutionellen Bindewirkung" des Wohlfahrtsstaates
Michael Windzio 277
14 Armut von Erwerbstätigen in Ost- und Westdeutschland
Die Bedeutung von niedrigen Löhnen und unterschiedlichen
Erwerbsmustern
Henning Lohmann und Marco Gießelmann 299
15 Wochenarbeitszeiten: Wunsch und Wirklichkeit nach der deutschen Vereinigung bis 2008
Elke Holst 313
Übergänge in den Ruhestand
16 Berufliche Übergangssequenzen in den Ruhestand
Tanja Zähle und Katja Möhring 331
17 Angleichung oder zunehmende Ungleichheit?
Alterseinkünfte in den alten und neuen Bundesländern
Dina Frommert und Ralf K. Himmelreicher 347
18 Das Altersarmutsrisiko von Beziehern des Arbeitslosengelds II im Ost-West-Vergleich
Christina Wübbeke 369
Altern und Lebensende
19 Altern und Alter in Ost und West
Zur Entwicklung der Lebensqualität alternder und alter Menschen
seit der Vereinigung
Andreas Motel-Klingebiel, Julia Simonson und Clemens Tesch-Römer 387
20 Binnenwanderung und individuelles Alternserleben in Ost und West
Jenny Wagner, Margund K. Rohr und Frieder R. Lang 411
21 Lebenszufriedenheit am Ende des Lebens in Ost- und Westdeutschland: Die DDR wirft noch einen langen Schatten
Denis Gerstorf und Gert G. Wagner 429
III Lebensbedingungen im Lebensverlauf
Lebensstandard und Soziale Inklusion
22 Lebensqualität im sozialen Bundesstaat
Subjektive Indikatoren für Ost- und Westdeutschland 1990-2008
Wolfgang Glatzer und Ruth Hasberg 445
23 Ost-West-Angleichung von Einkommen und Zufriedenheit im Lebenszyklus
Jan Goebel, Roland Habich und Peter Krause 463
24 Die personelle Vermögensverteilung in Ost- und Westdeutschland nach dem Mauerfall
Joachim R. Frick und Markus M. Grabka 493
25 Lebensstandard und Deprivation in Ost- und Westdeutschland
Hans-Jürgen Andreß, Bernhard Christoph und Torsten Lietzmann 513
Soziale Integration und politische Beteiligung
26 Politisches Engagement
Martin Kroh und Harald Schoen 543
27 Ethnische Grenzziehungen in Ost- und Westdeutschland:
Konvergenz und Kulturalisierung
Claudia Diehl und Ingrid Tucci 557
28 Erwartungen an den Wohlfahrtsstaat
Besteht eine "innere Mauer" zwischen Ost- und Westdeutschen?
Ursula Dallinger 573
29 Einstellungen zur Demokratie im vereinigten Deutschland
Gibt es Anzeichen für eine abnehmende Differenz?
Edeltraud Roller 597
Gesundheit, Wohnen und regionale Differenzierung
30 Häusliche Hilfe- und Pflegebedürftigkeit in Ost- und Westdeutschland.
Die Bedeutung des Einkommens bei der Erklärung von Strukturunterschieden
Rainer Unger und Heinz Rothgang 617
31 Gesundheitszustand und Gesundheitsverhalten in Ost- und Westdeutschland
Entwicklungen und Trends seit der Wiedervereinigung
Thomas Lampert, Thomas Ziese und Bärbel-Maria Kurth 633
32 Wohnen in Deutschland nach dem Mauerfall
Eine Analyse für die Jahre 1990 bis 2008 auf Basis der Daten des
Sozio-oekonomischen Panels (SOEP)
Joachim R. Frick und Steffi Grimm 653
33 Räumliche Unterschiede im Armutsrisiko in Ost- und Westdeutschland
Jan Goebel und Michael Wurm 673
Lebensqualität, Zufriedenheit und Sorgen
34 Ost-Glück versus West-Glück?
Die Bewertung individueller und gesellschaftlicher Lebensumstände
und ihr Einfluss auf die allgemeine Lebenszufriedenheit
Petra Böhnke 695
35 Lebenszufriedenheit im Zeitverlauf in Ost- und Westdeutschland
Eine A-P-K-Analyse der Entwicklungstendenzen zwischen
1990 und 2008
Andreas Hadjar und Joël Berger 709
36 Subjektives Wohlbefinden in Ost- und Westdeutschland: Empirische Befunde und politische Implikationen
Heinz-Herbert Noll und Stefan Weick 727
37 Entwicklung der Sorgen um die wirtschaftliche Situation in
Ost- und Westdeutschland seit der Wiedervereinigung
Maike Luhmann, Claudia Crayen und Michael Eid 751
IV Datenquellen - Lektoren - Autoren
38 Datenquellen zur Analyse der Lebensverläufe und Lebensbedingungen in Ost- und Westdeutschland
Roland Habich, Ralf K. Himmelreicher und Denis Huschka 769
Lektorinnen und Lektoren 789
Autorinnen und Autoren 791
Einleitung: Was zusammengehört …
Eine sozialwissenschaftliche Bilanzierung des Vereinigungsprozesses
Peter Krause und Ilona Ostner
1. Ausgangspunkt und Anliegen des Bandes
Willy Brandt war sich im November 1989 sicher, dass zusammenwachsen würde, was seiner Ansicht nach nun zusammengehörte. Völlig fremd waren sich die beiden Deutschlands nicht geworden, teilten sie doch immer noch Geschichte, Sprache und Kultur. Sechzehn Jahre später stellt Klaus Schroeder (als einer von vielen) fest, "dass das Zusammenwachsen keineswegs reibungslos geglückt ist". Ost- und Westdeutsche seien sich häufig fremd geblieben, auch mangele es an einem gemeinsamen Selbstverständnis, wer "wir sind und was wir wollen" (vgl. Schroeder 2006: 617).
Die deutsche Einheit, der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik vor 20 Jahren, stellte einen "schlagartigen Systemwechsel" dar, der durch die Übernahme aller grundlegenden politisch-institutionellen, rechtlichen und wirtschaftsordnungspolitischen Regelungen, einschließlich der Währung und der Arbeitsmarktordnung, sowie der westdeutschen Sozialstaatlichkeit gekennzeichnet war (Lutz 1994; Hauser 1995). Mit dem Systemwechsel, stellte Richard Hauser bald nach der Wende fest, wurde "notwendigerweise ein langanhaltender Transformationsprozeß in Gang gesetzt", in dessen Verlauf sich nicht nur die Wirtschafts- und Sozialordnung, sondern "jeder einzelne an die neuen Rahmenbedingungen anpassen muß[te]" (Hauser 1995: 463). Trotz aller Hilfen würden, so die naheliegende Vermutung Hausers, nicht alle Bürger diese Anpassungsleistung in gleicher Weise erbringen können (ebd.). Soziale und wirtschaftliche Auf- und Abstiege, neue, ganz anders gelagerte soziale Ungleichheiten waren erwartbar, auch weil in der DDR Lebensbedingungen und Lebenschancen deutlich weniger ungleich waren als in der Bundesrepublik. Detlef Pollack (1991: 454) sprach von der "individuellen Tragödie" als einem sich abzeichnenden ostdeutschen "Massenphänomen". Sie sollte darin bestehen, dass viele Ostdeutsche, DDR-"enkulturiert" und -sozialisiert, nicht ausreichend auf die conditio humana der westlichen Risikogesellschaften, auf Risikoübernahme und Scheiternkönnen, vorbereitet waren. In der "Organisationsgesellschaft" der DDR hatten sie kaum gelernt, sich auf ein Scheitern einzustellen und Risiken einzugehen, ohne sich dann im Falle des Scheiterns aufzugeben (ebd.). Daher erwartete auch Pollack langwierige Anpassungsprozesse und zwar vor allem mentaler Art. Die Langwierigkeit dieses Prozesses mentaler Anpassung sollte sich, so Pollack schon 1991, in einer mangelnden Akzeptanz der neuen Rechts-, Wirtschafts- und Sozialordnung äußern. Zu dieser mangelnden Akzeptanz habe die Rücksichtslosigkeit beigetragen, mit der die westlichen Institutionen übertragen und einseitige Anpassung erwartet wurden (vgl. dazu Lutz 1994; ferner Ritter 2006). Dabei fand die "institutionelle Inkorporation" selbst in den Bereichen statt, in denen die DDR modern erschien (Pollack 1991: 452) und "durchaus ›modernere‹ Institutionen anzubieten hatte als die alte Bundesrepublik" (Mayer 1994: 308) - zum Beispiel bei den ambulanten medizinischen Diensten, bei der Integration allgemeiner und beruflicher Bildung, bei der Frauenerwerbstätigkeit und der institutionellen Kinderbetreuung, um nur einige zu nennen.
Wie haben sich nun nach der Vereinigung die Lebensbedingungen in Ost- und Westdeutschland verändert? In welchen Lebensbereichen ist bereits eine Angleichung erfolgt und wo bestehen unterschiedliche Lebensbedingungen weiter fort? Wie unterscheiden sich Haushaltsformen und Familienstrukturen? Ist bei den objektiven Bereichen Arbeit und Lebensstandard eine Angleichung der Lebenschancen erfolgt und inwieweit divergieren noch Einstellungen und Werte, die auch die Bewertungen in Form von Zufriedenheiten und Sorgen der Lebensumstände bestimmen? Welche Bedingungen zeichnen sich für die nachfolgenden Kohorten ab, die nach der Vereinigung geboren und aufgewachsen sind? Schließlich: Inwieweit ergeben Ost-West-Betrachtungen überhaupt noch Sinn? Sollten wir nicht besser bei den sozialwissenschaftlichen Analysen von regionalen Disparitäten ausgehen und auf eine Darstellung der Ost-West-Unterschiede ganz verzichten?
Der vorliegende Band soll die Entwicklung der Lebensbedingungen in beiden Landesteilen seit der Vereinigung zum Thema haben und in wesentlichen Teilen komparativ empirisch (mit SOEP-Daten und andere) angelegt sein. Die Längsschnitterhebung des Sozio-oekonomischen Panels, die seit 1984 (zunächst nur in Westdeutschland) unter dem Titel "Leben in Deutschland" jährlich bei denselben Personen und Haushalten durchgeführt wird (Wagner u.a. 2008), konnte bereits im Juni 1990 - noch vor Einführung der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion (am 1. Juli 1990) und noch vor der Vereinigung selbst (am 3. Oktober 1990) - auf das Gebiet der ehemaligen DDR ausgedehnt werden. Folglich lassen sich mit dieser national und international vielfach ausgewerteten Datenquelle individuelle Anpassungsprozesse und Lebensverläufe seit der Einheit detailliert abbilden. Neben dem SOEP existieren auch andere Datenquellen, die im vorliegenden Band herangezogen werden, um den Vereinigungsprozess mit sozialwissenschaftlichen Daten und Methoden zu bilanzieren.
Wir haben den Aufbau des Bandes in erster Linie an den Stationen im Lebensverlauf ausgerichtet. Der Band ist in vier Kapitel gegliedert: Kapitel I leitet nach der Einleitung durch vier inhaltlich unterschiedlich gelagerte Überblicksartikel in das Leitthema der sozialwissenschaftlichen Bilanzierung des Vereinigungsprozesses ein. Das Kapitel II folgt in fünf Schritten dem Lebensverlauf, mit jeweils vergleichenden Betrachtungen zu jeder Lebensphase. An dieses große inhaltliche Kapitel schließt ein weiteres inhaltliches an (Kapitel III), das lebenslaufübergreifende Querschnittsthemen zu vier Bereichen enthält. Den Abschluss des Bandes bildet ein forschungspraktischer Teil (Kapitel IV) zum Stand der sozialwissenschaftlichen Datenquellen, die für die komparative Ost-West-Lebensverlaufsforschung zur Verfügung stehen. Die Struktur des Buches soll also die inhaltlich gut begründbare lebenszyklisch-vergleichende Betrachtung der Lebensbedingungen in Ost und West betonen und durch entsprechende Beiträge einlösen.