Kundnani | German Power | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 208 Seiten

Kundnani German Power

Das Paradox der deutschen Stärke
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-406-68864-5
Verlag: C.H.Beck
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Das Paradox der deutschen Stärke

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

ISBN: 978-3-406-68864-5
Verlag: C.H.Beck
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ist ein „deutsches Europa“ die bittere Frucht der europäischen Krise? In vielen europäischen Ländern wird es so wahrgenommen. Angela Merkel wird mit Hitler verglichen, die Rede ist von deutscher „Hegemonie“ und einem neuen deutschen „Reich“. Doch Deutschland ist heute ein anderes Land als im 19. Oder 20. Jahrhundert. Nur – welches? Einmal mehr könnte es zu einer Quelle der Instabilität im Herzen Europas werden. In German Power geht Hans Kundnani der Transformation Deutschlands seit der Vereinigung 1990 nach und stellt sie in den Kontext der deutschen Geschichte vor 1945. Dabei zeigt er Ähnlichkeiten auf und benennt einige Grundkonflikte – zwischen Kontinuität und Wandel, Ökonomie und Politik, Europa und der Welt. Kundnani kommt in seinem provozierenden Essay zu dem unbequemen Schluss, dass die „deutsche Frage“ wieder zurückgekehrt ist – in geoökonomischer Gestalt.

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Weitere Infos & Material


1;Cover;1
2;Titel;3
3;Impressum;4
4;Inhalt;5
5;Einleitung: Wiederkehr der Geschichte?;7
6;1. Die Deutsche Frage;16
7;2. Idealismus und Realismus;40
8;3. Kontinuität und Wandel;63
9;4. Täter und Opfer;86
10;5. Wirtschaft und Politik;108
11;6. Europa und die Welt;133
12;Schluss: Geoökonomische Halbhegemonie;159
13;Nachwort zur deutschen Ausgabe;171
14;Dank;183
15;Anmerkungen;185
16;Personenregister;205
17;Zum Buch;208
18;Über den Autor;208


Einleitung Wiederkehr der Geschichte?
In den letzten beiden Jahrzehnten haben deutsche Historiker die Bundesrepublik der Nachkriegszeit vor allem als Erfolgsgeschichte beschrieben. Sie haben gezeigt, wie aus der Katastrophe von 1945 eine erfolgreiche Demokratie erwuchs, wie das Land Wiedergutmachung für die NS-Vergangenheit leistete und eine liberale politische Kultur entwickelte und wie es Teil eines geeinten und ineinander verflochtenen Europas wurde. Ihren Höhepunkt und ihre Bestätigung erreichte diese Geschichte mit der Wiedervereinigung 1990 – die auf die erste friedliche und erfolgreiche Revolution in der deutschen Geschichte folgte. Das wiedervereinte Deutschland war, wie Heinrich August Winkler es formulierte, «ein postklassischer demokratischer Nationalstaat unter anderen, fest in die atlantische Allianz und die Europäische Gemeinschaft, die werdende Europäische Union, eingebunden».[1] Deutschland hatte damit endgültig seinen Sonderweg verlassen und, so Winkler, den «langen Weg nach Westen» vollendet. Das war sozusagen die deutsche Entsprechung von Francis Fukuyamas Vorstellung vom «Ende der Geschichte». Deutschlands Verhältnis zum Westen war stets kompliziert und ambivalent gewesen. Viele der zentralen Ideen dessen, was Winkler das «normative Projekt des Westens» genannt hat, stammten von deutschen Aufklärungsdenkern wie etwa Immanuel Kant. Und doch wies die deutsche Geistesgeschichte auch eine eher düstere nationalistische Strömung auf, die im 19. Jahrhundert entstand, immer stärker anti-westlich wurde und schließlich im Nationalsozialismus und im Holocaust kulminierte – Winkler spricht vom «Gipfelpunkt der deutschen Auflehnung gegen die politischen Ideen des Westens».[2] Erst nach der Katastrophe des Jahres 1945 wurde Deutschland – oder zumindest seine westliche Hälfte – voll in den Westen integriert und erlangte «westliche Normalität» (Winkler). Deutschland war somit ein Paradox: Es spielte für die Entwicklung des normativen Projekts des Westens eine zentrale Rolle, entwickelte zugleich jedoch auch die radikalste europäische Infragestellung dieses Projekts.[3] Was die Wiedervereinigung zur Vollendung dieses «langen Wegs nach Westen» machte, war die Tatsache, dass es sich um eine westliche Lösung der Deutschen Frage handelte. Während des Wiedervereinigungsprozesses hatten manche befürchtet, die sogenannte Berliner Republik werde weniger westlich orientiert sein als die Bonner Republik. Doch zumindest im ersten Jahrzehnt der Einheit bewahrheiteten sich diese Befürchtungen nicht, denn Deutschland bekräftigte seine Bindung an den Westen. Dabei bestand offenbar vor allem zwischen Deutschland und Europa eine symbiotische Beziehung: Die deutsche Wiedervereinigung war nur im Kontext der europäischen Integration möglich und schien den Beweis dafür zu erbringen, dass sich «das deutsche Problem nur unter einem europäischen Dach» lösen lasse, wie Konrad Adenauers berühmte Formulierung lautete. Umgekehrt war die Wiedervereinigung auch ein Katalysator für die weitere europäische Integration und insbesondere für die Einführung des Euro. Im Jahr 2000 konnte Heinrich August Winkler davon sprechen, die Ängste im Hinblick auf Deutschland seien in den zehn Jahren seit der Wiedervereinigung geringer geworden.[4] Doch mit Beginn der Euro-Krise im Jahr 2010 bedurfte es eines Epilogs zum triumphalistischen Narrativ der deutschen Nachkriegsgeschichte. Die Krise beförderte Deutschland in eine außergewöhnliche – und in der Geschichte der EU beispiellose – Position. Die gesamte Eurozone blickte auf Deutschland – den größten Gläubiger in einer Krise der Gemeinschaftswährung souveräner Staaten – und erwartete Führungsstärke. Doch aus Angst vor einer «Transferunion» – in der haushaltspolitisch verantwortungsvolle Mitgliedstaaten fiskalisch verantwortungslose Mitgliedstaaten subventionieren – widersetzte sich Deutschland einer Vergemeinschaftung der Schulden und verordnete anderen Staaten in der Eurozone eine harte Austeritätspolitik, um Europa «wettbewerbsfähiger» zu machen. Dieser Ansatz hat die Kluft zwischen Überschuss- und Schuldenstaaten in mancherlei Hinsicht vertieft statt verringert: Während die Arbeitslosigkeit in Deutschland auf den tiefsten Stand seit der Wiedervereinigung gesunken ist, hat sie in den Ländern der sogenannten Peripherie außergewöhnliche Dimensionen erreicht. Die Anpassungskosten der Einheitswährung, so Andrew Moravcsik, hätten in übergroßem Maße die «Armen und Machtlosen» zu tragen.[5] Vor dem Hintergrund dieses Aufeinanderprallens von Gläubiger- und Schuldnerstaaten in der Eurozone haben die kollektiven Erinnerungen an Europas Vergangenheit vor 1945 den Diskurs geprägt, sie wurden zugleich aber auch von diesem Diskurs instrumentalisiert. Das drastischste – aber beileibe nicht das einzige – Beispiel dafür sind die gegenseitigen Animositäten zwischen Deutschland und Griechenland.[6] In Griechenland sind die Erinnerungen an die Besatzungszeit während des Zweiten Weltkriegs, in der das Land, so der Historiker Richard Clogg, «eine der schlimmsten Hungersnöte in der modernen Geschichte Europas» erlebte, noch immer sehr präsent.[7] Seit Beginn der Krise haben griechische Zeitungen Angela Merkel immer wieder mit Adolf Hitler verglichen. Als Merkel im Oktober 2012 Griechenland besuchte, verbrannten Demonstranten Hakenkreuzfahnen, trugen Naziuniformen und zeigten Transparente mit Parolen wie «Hitler, Merkel – die gleiche Scheiße». 7000 Polizisten waren aufgeboten, um die Bundeskanzlerin zu schützen.[8] Manche Griechen verlangen wieder Reparationsleistungen – die sich laut einem Regierungsbericht aus dem Jahr 2012 auf 162 Milliarden Euro belaufen. Angesichts dieser Woge kollektiver Erinnerungen stellt sich die Frage, ob die Geschichte nach Europa zurückgekehrt ist. Oder anders formuliert: Sind einige Grundzüge der internationalen Beziehungen vor 1945 in Europa wieder da? Oder hat die Eurokrise möglicherweise gezeigt, dass sich die internationalen Beziehungen in Europa gar nicht so sehr verändert haben, wie man bisher angenommen hat? Dass es so schwer ist, sich überhaupt nur an die Beantwortung solcher Fragen zu machen, hat auch mit der Schwierigkeit zu tun, gegenwärtige Entwicklungen in Europa auch nur zu artikulieren. Zwar scheint das Gemisch aus visionärer und bürokratischer Sprache, das die EU bestimmt, der Wirklichkeit nicht mehr gerecht zu werden, doch die Sprache der internationalen Beziehungen vor 1945 erscheint vollkommen unangemessen. Gleichwohl bleibt das Gefühl, dass Europas Vergangenheit in gewisser Weise wieder aufgetaucht ist. Der frühere luxemburgische Premierminister und jetzige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat das 2013 so formuliert: «Die Dämonen sind nicht weg, sie schlafen nur.»[9] Im Mittelpunkt der Geschichte, die offenbar irgendwie nach Europa zurückgekehrt ist, steht die Deutsche Frage. Siebzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs ist deutsche Macht – das Thema dieses Buches – wieder Gegenstand intensiver Debatten. 1953 forderte Thomas Mann in einer berühmt gewordenen Formulierung ein «europäisches Deutschland» anstelle eines «deutschen Europas», doch seit Beginn der Krise ist es fast zu einem Gemeinplatz geworden, von einem deutschen Europa zu sprechen, das nunmehr entstehe. Es ist viel über eine tatsächliche oder potenzielle deutsche «Hegemonie» diskutiert worden, und einige wollen sogar die Entstehung einer Art von deutschem «Reich» innerhalb Europas wahrgenommen haben. Während die Demonstranten auf den Straßen Athens Angela Merkel mit Hitler verglichen, sahen andere in ihrer harten Reaktion auf die Eurokrise eine Neuauflage Bismarck’scher Realpolitik. Eine solche Begrifflichkeit und solche Vergleiche implizieren, dass es Parallelen zum Problem deutscher Macht vor 1945 gibt, doch sie verdecken die Unterschiede zwischen der damaligen und der heutigen Situation. Die dahinter stehende Annahme lautet schlicht, wie der französische Präsident Nicolas Sarkozy 2010 angeblich gegenüber einem Freund äußerte, dass sich die Deutschen «nicht geändert» hätten.[10] Die Deutschen dagegen fühlen sich durch diese Vorstellungen von einer Wiederkehr der Geschichte beleidigt und irritiert. In den Augen der meisten Deutschen ist die Geschichte des Landes vor 1945 für die gegenwärtige Krise in Europa schlicht irrelevant, und manche betrachten die Versuche, Parallelen herzustellen, lediglich als Vorwand für Erpressungsmanöver. Deutsche Politiker, Diplomaten und Beobachter weisen darauf hin, dass Deutschland Lehren aus seiner Geschichte gezogen habe – das sei Teil der...


Hans Kundnani ist Senior Transatlantic Fellow des German Marshall Fund und war zuvor Forschungsdirektor am European Council on Foreign Relations in London.



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