Laferrière | Tagebuch eines Schriftstellers im Pyjama | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 330 Seiten

Laferrière Tagebuch eines Schriftstellers im Pyjama


1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-88423-490-7
Verlag: Das Wunderhorn
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 330 Seiten

ISBN: 978-3-88423-490-7
Verlag: Das Wunderhorn
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



In 182 nachdenklichen und humorvollen Notaten und Beobachtungen komponiert Laferrière einen Roman der Lektüren. Ein Bad in der Literatur und eine Reise um die Welt. Eigenwillig blickt er auf die Klassiker der Weltliteratur, auf die Eitelkeiten des Schreibens und die Leidenschaft des Lesens. »Ich reise pfeifend durch die Welt und lasse meine abdriftige Insel hinter mir. Ohne sie je zu vergessen, wusste ich von Anfang an, dass ich auf Abstand gehen muss, damit sie mich nicht in ihre Abwärtsspirale zieht. Hier bin ich und habe in meiner Tasche als einzigen Besitz sechsundzwanzig Buchstaben des Alphabets.«

Dany Laferrière, geboren 1953 in Port-au-Prince, Haiti, arbeitete zunächst als Journalist bis er sich unter dem Druck des politisch repressiven Klimas 1976 gezwungen sah, nach Montréal auszuwandern. Dort verdiente er sein Geld u.a. als Fabrikarbeiter. 1985 veröffentlichte er seinen ersten Roman unter dem provokativen Titel Comment faire l'amour avec un nègre sans se fatiguer (Übersetzung: Die Kunst, mit einem Neger zu schlafen, ohne mu?de zu werden), der ihn als Autor unmittelbar bekannt machte. In der Folge veröffentlichte er zehn weitere Romane. Er wurde mit dem Prix Carbet de la Caraïbe und dem Buchpreis des französischen Auslandsrundfunks ausgezeichnet. Fu?r seinen Roman L'énigme du retour (Das Rätsel der Ru?ckkehr) erhielt er 2009 den prestigeträchtigen Prix Médicis. Das Rätsel der Ru?ckkehr ist seine erste Veröffentlichung im deutschen Sprachraum. Der Autor lebt in Montréal und Miami. Seit 2014 ist er Mitglied der Académie française. 2014 bekam er außerdem den renommierten, vom Haus der Kulturen der Welt in Berlin vergebenen Internationalen Literaturpreis.

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Mit der lockeren und charmanten Art, in der er seine Texte präsentiert und kommentiert, ist der Autor in Frankreich ein Liebling der Medien, seine Bücher erreichen hohe Auflagen und die Besucher strömen massenhaft in seine Lesungen. 2014 wurde das erste auf Deutsch erschienene Werk von Laferrière Das Rätsel der Rückkehr mit dem Internationalen Literaturpreis des Hauses der Kulturen der Welt in Berlin ausgezeichnet - es war sein dreiundzwanzigster Roman. Das Tagebuch im Pyjama ist der Roman der Lektüren, ein Buch für jeden, der gerne liest, oder vielleich auch selbst schreiben möchte. Mit seinem typischen unkomplizierten und humorvollen Ton komponiert der Autor eine Geschichte aus Anekdoten und theoretischen Ausführung. Die Ratschläge an einen »jungen Autor« sind selbst kleine Erzählungen, von Freud und Leid des Schreibens (»Die Knute von Truman Capote«), über die Schreibhemmung und das Korrigieren eines Textes. Kioskszenen werden zur Bühne des Ärgernisses, das sich mit Fragen des Publikums an den Autor entzünden kann. Kurze Kapitel verweben Szenen, Reflexionen und Biografisches miteinander. Was wir hier über die Theorie des Romans erfahren, steht in Nachbarschaft zum Wunsch des jungen Exilanten, prekären Lebensumständen zu entkommen. Laferriére spürt der These nach, literarischer Geschmack bilde sich beim Lesen der Großen, hier lernten wir, wie ein gelungener Satz klingen muss. Tolstoi, García Marquez, Kafka und andere stehen ihm dabei Pate. Dafür muss man sich aber in ein Gespräch mit ihnen begeben: »Sprechen Sie laut mit dem Klassiker. Er kann Sie hören.«
Der Roman ist ein Bad in der Literatur und eine Reise um die Welt, daneben vermittelt er auch das Bild von einem Autor aus Haiti, der mit seinem Erfolg, aber auch konkret in seinen Texten, Stereotypen und kulturelle Vorurteile durchbricht. Die veränderte Perspektive auf die großen Werke der europäischen Literatur kann vielleicht auch uns Berührungsängste vor ihrer vermeintlichen Erhabenheit nehmen.


DAS VERSPRECHEN DES ERSTEN
ROMANS
I Der erste Anlauf
Damals wohnte ich in Montreal in einer überhitzten möblierten Wohnung und versuchte einen Roman zu schreiben, um dem Teufelskreis kleiner Jobs in abgelegenen Vorortfabriken zu entkommen. Meine Nachbarn waren junge Penner, die Bier soffen, weil sie sich Kokain nicht leisten konnten. Die Armenviertel der Stadt waren damals noch nicht so vom Crack überschwemmt. Samstagabends traf ich meine Kumpel aus der Fabrik in Diskotheken, wo Frauen verkehrten, die unsere Mütter hätten sein können. Das ist das Versprechen, das Amerika Leuten gibt, die noch vor Tagesanbruch zur Arbeit gehen und am Abend zurückkehren, um vor einem schlechten Film in der Glotze ihre Spaghetti zu essen. Doch ich wollte für mich das Versprechen, das Amerika den wohlbehüteten Kindern aus den piekfeinen Vierteln gibt. In der Fabrik gab man auf mich keinen Pfifferling, da ich mit meinen Händen nicht besonders geschickt bin. Außer zum Schreiben. Man vergisst, Schreiben ist Handarbeit. Doch kann jemand ein Buch schreiben, der keiner Autorengruppe angehört, nicht einmal einem Lesezirkel? Ich las alles, was mir in die Hände fiel. Aber Schreiben ist etwas anderes als Lesen. Der Schriftsteller ist am einen, der Leser am anderen Ende der Kette. II Die Maschine
Ich habe mir dann an der nächsten Straßenecke eine alte Schreibmaschine gekauft, die ich schon länger im Fenster eines Trödlers gesehen hatte. Ich wollte meinen Roman nicht von Hand schreiben. Ich lebte jetzt in dem Teil der Welt, der mit Hilfe von Maschinen reich geworden ist. Ich wollte ein moderner Autor sein und nicht einer dieser Tölpel aus der Dritten Welt, die bei der Erfindung des Rads stehengeblieben sind. Es war eine alte, gut erhaltene Remington 22. Ich stellte sie auf den Küchentisch neben einen Korb mit Früchten. Diese Vorliebe habe ich, weil ich aus der Karibik komme. Ich liebe es, wenn mich der aufdringliche Geruch reifer Bananen und gelber Mangos überfällt, sobald ich die Tür öffne. Ein paar Tage später setzte ich mich vor die Maschine, um meinen ersten Satz zu schreiben. Ich wartete den ganzen Nachmittag darauf, wie es weitergeht. Ich wusste noch nicht, dass es nichts Anstrengenderes gibt als den ersten Satz. Wenn er gut ist, läuft der Rest des Buches wie von selbst. Den ganzen Sommer über tippte ich mit einem einzigen Finger und ernährte mich von Obst und Gemüse. Ich wurde ein richtiger Schreibathlet. Nach einem Monat wusste ich, dass ich eher ein Sprinter war als ein Marathonläufer. III Die Schmerzen
Ich hatte beschlossen, nicht allzu viel zu leiden, während ich diesen Roman schrieb. Da ich Arbeiter war, sah ich das Schreiben als Zeitvertreib. Um mich herum war vom Leiden des Schriftstellers die Rede, aber das sagte mir nichts. In einer Literatursendung im Radio behauptete ein berühmter Autor, man könne nur schreiben, wenn man gelitten habe. Ein anderer ergänzte, Schreiben bedeute auch Leiden. Sie sprachen an diesem Tag nur über das Leiden. Das vermittelte mir den Eindruck, dass sie das Wort besser kannten als die Realität, die sich dahinter verbarg. Ich hingegen hatte auf diesem Gebiet bereits einen Adelstitel erworben. Ich hatte eine irrwitzige Diktatur hinter mir gelassen und war nach Nordamerika geraten, wo ein Schwarzer immer noch ein Bürger zweiter Klasse ist. Weiter oben ist es erträglich, aber nicht im Bodensatz der Arbeiterklasse, wo der Tag immer grau anfängt und der Himmel niedrig hängt. Um aus diesem tristen Alltag herauszukommen, beschloss ich, mir ein Leben zu schaffen, so prickelnd wie ein Glas Champagner. Zu jener Zeit faszinierte mich die Eleganz, die ein Autor wie Francis Scott Fitzgerald ausstrahlte – er blieb auch in den unerträglichsten Lebenslagen immer er selbst. Als hätte er eines Tages entschieden, eine Romanfigur zu sein. Genau so wollte auch ich werden. IV Die schlafende Stadt
Ich las in der Badewanne und schrieb auf dem kleinen Tisch in der Küche. Trotz der beengten Umgebung fühlte ich mich wie ein Gott, man hörte nur die Musik der Fliegen, in der Gluthitze angelockt vom durchdringenden Geruch der Früchte. Es war so heiß, dass die Luft nach Schwefel roch. Von Zeit zu Zeit rannte ich unter die Dusche, aber sobald ich rauskam, war ich schon wieder schweißgebadet. Ich ging im Zimmer im Kreis, wie hypnotisiert von der Schreibmaschine, die mir alle Versprechen dieser Welt zu verheißen schien. Ich wusste, sie hatte alle Sätze meines Romans im Bauch. Ich musste sie einen nach dem anderen aus ihr herausziehen. Es war nicht immer leicht, aber ich hatte viel Zeit, das war auch alles, was ich besaß. Ich verbrachte den ganzen Tag mit dem schönsten Spielzeug der Welt. Ich änderte ein Wort in einem farblosen Satz, und schon sprühte er Konfetti. Wenn mir ein Satz gelungen war, wenn mir Rhythmus und Musik gefielen, ging ich raus, um Luft zu schnappen und wanderte wie ein Schlafwandler durch die Stadt. Nach einer guten Stunde, manchmal im Regen, kehrte ich zurück und setzte mich wieder an meinen Arbeitstisch. Das ging so weiter, bis tief in die Nacht. Es kam vor, dass ich aufwachte, um eine Idee oder ein Stück Dialog aufzuschreiben. Ich blieb lange Zeit im Dunkeln liegen, ganz gefangen in meinen Träumereien. Dann begab ich mich wieder an die Arbeit, wobei ich die Tasten sehr vorsichtig anschlug, dass man es kaum hörte. Kurz darauf vergaß ich mich und tippte wie ein Irrer, bis ein Nachbar brüllte, ich solle endlich aufhören mit diesem Krach. Es war eine große Lust, in der schlafenden Stadt zu schreiben. Ich hatte nur eines im Kopf. Schreiben. Es war für mich ein unendliches Fest. V Die materielle Seite
Ich weiß nicht, warum ich so sicher war, dass dieses Buch mich aus diesem Loch herausholen würde. Um schreiben zu können, hatte ich meinen Job gekündigt. Meine geringen Ersparnisse schmolzen dahin. Ich musste es in kurzer Zeit schaffen. Ich verfügte nicht über die finanziellen Mittel wie die jungen amerikanischen Autoren, die es beim ersten Roman auf sechshundert Seiten bringen. Ich lebte allein in einer unbekannten Stadt. Ich beschränkte meine Ausgaben daher auf das Allernotwendigste und beschloss, die Tochter des Besitzers dieses Mietshauses zu verführen, in dem ich meine Bude hatte. Der Hausbesitzer, ein Italiener, konnte mich nicht leiden. Ich richtete es so ein, dass ich seiner Tochter mehrmals am Tag im Treppenhaus begegnete. Bis wir eines Abends in meinem Zimmer landeten. Danach musste ich keine Miete mehr bezahlen. Von dieser Sorge befreit, war noch das Problem mit dem Essen zu lösen. Mir war aufgefallen, dass eine ältere Kassiererin mich nicht aus den Augen ließ, wenn ich im Supermarkt bei Pellat’s mein Obst und Gemüse kaufte. Irgendwann erzählte sie mir, dass sie eigentlich aus Afrika stammte, trotz ihres Aussehens. Sie war nämlich blond. Als Kind hatte sie ein Buch über Afrika gelesen und seither träumte sie davon, dort zu leben. In meinem Roman ist von ihr eine Spur, wo es heißt, einer Weißen, die mit einem Schwarzen schläft, könne es passieren, dass sie im Senegal aufwacht. Zwischen uns war aber nie mehr als ihr Wunsch, mich zu beschützen. Sie tippte nur ein Zehntel meiner Einkäufe in die Kasse, während die Tochter des Vermieters, die ihrem Vater die Buchhaltung führte, meine Schulden strich. Doudou Boicel, der Besitzer des Jazzclubs Soleil levant hatte mir gleich bei meiner Ankunft geraten: »Stell dich gut mit den Frauen, die haben Herz.« Auf diese Weise konnte ich in Ruhe meinen ersten Roman schreiben. VI Ein Bild
Es gibt Bilder, die packen den Leser im Nacken, er steckt dann den Kopf so tief ins Buch, dass er meint, er läse den Schriftsteller und nicht das Buch. Wenn man an Proust denkt, sieht man einen Mann, der den ganzen Tag in seinen Pelz gewickelt im Bett liegt. Hemingway mit einem Jagdgewehr oder auf seinem Fischerboot, eine dicke Havanna rauchend. Der alte Miller, der Tischtennis mit Striptease-Tänzerinnen spielt. Gertrude Stein (aggressives Gebiss und weit gespreizte Beine) blickt dem Gesprächspartner direkt ins Auge, während sie ihm eröffnet, sein Roman habe ihr überhaupt nicht gefallen. Mishima lässt sich von seinem Liebhaber mit einem Säbel den Kopf abhauen. Günter Grass, dessen Schnauzer so tief hängt, dass er wie ein Knallkopf aussieht. James Baldwin lachend in den Armen von Marlon Brando. Virginia Woolf mit ihrem unendlich müden Blick. Borges allein in der Hotelhalle, seinen Blindenstock eingeklemmt zwischen den Beinen. Tolstoi in seiner Muschik-Weste. Der unbekannte Schriftsteller, wie man vom unbekannten Soldaten spricht, im Pyjama. VII Das Versprechen
Mein erstes Buch erschien im November 1985, das veränderte mein Leben. Ich wurde nicht reich, ganz und gar nicht, aber seither lebe ich so, wie ich es mir immer erträumt habe. Es war richtig, das ganze Geld und alle Energie auf diese eine Karte zu setzen. Ich hatte an die Märchen geglaubt, die meine Kindheit erfüllten, vor allem an das eine, wo der arme Schlucker wie durch Zauberhand zu einem Prinzen wird. Man braucht nur eine gute Fee, in meinem Fall war sie das Schreiben. Es wundert mich noch heute, dass ich seit einem Vierteljahrhundert bei meinen...


Dany Laferrière, geboren 1953 in Port-au-Prince, Haiti, arbeitete zunächst als Journalist bis er sich unter dem Druck des politisch repressiven Klimas 1976 gezwungen sah, nach Montréal auszuwandern. Dort verdiente er sein Geld u.a. als Fabrikarbeiter. 1985 veröffentlichte er seinen ersten Roman unter dem provokativen Titel Comment faire l'amour avec un nègre sans se fatiguer (Übersetzung: Die Kunst, mit einem Neger zu schlafen, ohne mu¨de zu werden), der ihn als Autor unmittelbar bekannt machte. In der Folge veröffentlichte er zehn weitere Romane. Er wurde mit dem Prix Carbet de la Caraïbe und dem Buchpreis des französischen Auslandsrundfunks ausgezeichnet. Fu¨r seinen Roman L'énigme du retour (Das Rätsel der Ru¨ckkehr) erhielt er 2009 den prestigeträchtigen Prix Médicis. Das Rätsel der Ru¨ckkehr ist seine erste Veröffentlichung im deutschen Sprachraum. Der Autor lebt in Montréal und Miami. Seit 2014 ist er Mitglied der Académie française. 2014 bekam er außerdem den renommierten, vom Haus der Kulturen der Welt in Berlin vergebenen Internationalen Literaturpreis.



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