E-Book, Deutsch, 346 Seiten
Lang Neues vom Amtsgericht Waldeck
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7583-3293-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 346 Seiten
ISBN: 978-3-7583-3293-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Gerd ist von Beruf Richter, sowohl im Privatleben als auch im Dienst klebt ihm das Pech an den Füßen. Hiervon frustriert lässt er sich schließlich aus der Großstadt an ein kleines Amtsgericht versetzen. Anstatt gemächlich in den Ruhestand zu gleiten, trifft er in der Provinz auf die Liebe seines Lebens. Zudem wird er mit ungewöhnlichen zivilrechtlichen Streitigkeiten konfrontiert. Diese kurios anmutenden Gerichtsverfahren beruhen auf wahren Begebenheiten.
Klaus Lang war über 30 Jahre lang Richter an verschiedenen hessischen Gerichten. Die letzten 20 Jahre seiner beruflichen Tätigkeit war er Vorsitzender einer Zivilkammer. Seit seiner vor drei Jahren erfolgten Pensionierung arbeitet er gelegentlich als Rechtsanwalt. Sein juristisches Metier war und sind in erster Linie sog. Zivilsachen, also privatrechtliche Streitigkeiten zwischen Personen.
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4. Kapitel
Der Amtsrichter Der 1.Mai war ein Samstag. Dr. Gerd Bein war am Vortag nach Frankenberg an der Eder gereist, um vor seinem beruflichen Neustart ein langes Wochenende im Hotel ›Die Sonne‹ zu verbringen, einem feinen Wellnesshotel mit Sternerestaurant und Spa. Gestern hatte er sich seit längerer Zeit wieder mal ein dreigängiges Menü gegönnt. Nach dem Frühstück und einem Morgenspaziergang mit seinem Dackel Justus kam der Hund zum Ruhen in das mitgeführte Körbchen, während Gerd zum gleichen Zweck den Hamam bevorzugte. Gerd war ein Mann im Alter von nunmehr knapp über Fünfzig und vom Typ her eher ein introvertierter Mensch. Sein hellbraunes glattes Haar, das er streng zurückgekämmt trug, war noch weitgehend voll, inzwischen aber von diversen Grautönen durchsetzt. Zudem hatten sich im Stirnbereich deutlich sichtbare Geheimratsecken gebildet. Sein eher rundes Gesicht zierte eine dicke Hornbrille, durch die seine blauen Augen blitzten. Über die Brillenränder ragten sehr buschige Augenbrauen hinaus. Seit einiger Zeit trug Gerd einen Vollbart, der etwas grauer als sein Kopfhaar war und seinem Aussehen wenig schmeichelte. Bezogen auf seine Körpergröße von lediglich 1,70 m war Gerd immer noch zu korpulent. Seine Körpermitte zierte ein Vollbauch, im Volksmund verächtlich auch als Wampe bezeichnet. Wären ihm durch sein Übergewicht nicht bereits einige gesundheitliche Probleme entstanden, hätte er seinem Aussehen wohl keine Bedeutung beigemessen. Seine Blutwerte waren aber alles andere als zufriedenstellend. Auf dringenden ärztlichen Rat und mit Hilfe von Justus war es ihm inzwischen gelungen, wenigstens einen leichten Bewegungsdrang zu entwickeln. Als er den Spa-Bereich betrat, war er für sich alleine. Am heutigen Vormittag herrschte gähnende Leere. Wahrscheinlich lagen die meisten Hotelgäste noch in den Federn, gab es doch gestern in der Sonne eine Sonderveranstaltung bestehend aus einem Sechs-Gänge-Menü-Surprise verbunden mit anschließendem geselligem Beisammensein in der Bar unter dem Motto ›Tanz in den Mai‹. So etwas war gar nichts für Dr. Bein. Er schien vom Typ her wohl eher der geborene Junggeselle zu sein. Entgegen seiner beim Einchecken aufgekommenen Befürchtung wurde er indessen nicht von dem Geräuschpegel der Tanzveranstaltung gestört, hatte er doch, weil er seinen Hund mitgebracht hatte, ein Zimmer nach hinten raus zugeteilt bekommen. Auch jetzt schätzte er die Ruhe, die ihn umgab. Er hätte es grauenvoll empfunden, wenn er von einer Damengruppe umlagert worden wäre, welche die allerorts aufgestellten Schilder, ›Wir bitten Sie im Spa-Bereich unbedingt Ruhe einzuhalten‹, geflissentlich ignoriert hätte. Gerd verspürte langsam eine gewisse Vorfreude auf den übernächsten Tag, an dem er sein neues Amt antreten würde. Er dachte daran, wie oft ihn bislang das Glück des Tüchtigen verschmäht hatte. Seine bisherige berufliche Laufbahn verlief in toto nicht so erfreulich, wie er und andere es erwartet hatten. * Gerd wuchs auf dem Land auf. Er stammte aus recht einfachen Verhältnissen, hatte es aber zum ersten Akademiker in der Familie Bein gebracht. Zu verdanken war dies nicht nur seinem Intellekt, sondern auch dem Ehrgeiz seiner Mutter Gerlinde. Sie war Sekretärin im Vorzimmer des Bürgermeisters von Alsfeld, einer Stadt am Rand des Vogelsberges. Ihr Chef hatte Karriere gemacht, obwohl ihm ein derartiger Aufstieg nicht in die Wiege gelegt worden war. Er wuchs in einem landwirtschaftlichen Kleinstbetrieb auf und konnte erst auf dem zweiten Bildungsweg sein Abitur machen. Als studierter Jurist – und nicht zu vergessen auch wegen seiner Mitgliedschaft in der ›richtigen‹ Partei – gelangte er schließlich in das Bürgermeisteramt. Dieser Werdegang imponierte Gerds Mutter. Während sein Vater, der in der gleichen Gemeinde als Arbeiter im Bauhof tätig war, nicht sonderlich daran interessiert war, dass sein Sohn eines Tages eine Universität besuchen würde. Ihm erschien das Budget der Familie Bein für ein solches Unterfangen viel zu knapp. Schließlich war noch das Haus abzuzahlen. Finanziell war ein Auslandsurlaub sowieso nicht drin, nur alle paar Jahre Campingferien am Edersee. Mutter Bein, die in der Familie das eigentliche Sagen hatte, hatte jedoch beschlossen, dass ihr einziges Kind es einmal besser haben müsse als seine Eltern. Sie hatte durchschaut, dass eine gute Ausbildung das A und O einer Karriere ist. Die von ihr gewählten Erziehungsmethoden waren indessen fragwürdig. Völlig unnötig wurde Gerd schon in der Grundschule im Übermaß zum ständigen Lernen und Repetieren gezwungen. Für Sport, Spiel und Spaß ließ sie ihm zu wenig Raum. Ihre Ambitionen führten schließlich soweit, dass Gerd, weil seine Mutter die örtliche Gesamtschule als weiterführende Bildungsanstalt für unzureichend erachtete, nach Abschluss des vierten Schuljahrs als einziges Kind seiner Klasse ein traditionelles, aber verkehrstechnisch ungünstig gelegenes städtisches Gymnasium zu besuchen hatte. Damit wurde er zu früh von seinem heimatlichen Umfeld, insbesondere seinen dörflichen Spielkameraden, isoliert. Plötzlich war Gerd in einer neuen Umgebung unvorbereitet ganz auf sich alleine gestellt. Er war zwar geistig, nicht aber körperlich dem ungewohnten Umfeld gewachsen. Der viel kleiner als seine gleichaltrigen Klassenkameraden gediehene Gerd strotzte zudem nicht gerade mit Kontaktfreude. Da Süßigkeiten aller Art zeitlebens sein Verderben waren, war er überdies für sein Alter zu fettleibig. Dass er schnell zum Klassenbesten aufstieg, freute zwar seine Mutter, aber die genannten Umstände hatten, im Gegensatz dazu bei seinen Mitschülern zur Folge, dass er rasch unbeliebt wurde. An sportlichen Aktivitäten, durch die sein Dilemma vermutlich besser in den Griff zu bekommen gewesen wäre, hatte Gerd keinerlei Interesse. Er konnte mit Ach und Krach Radfahren und Schwimmen. Im Übrigen besorgte er sich – mit Hilfe seiner Mutter – ärztliche Atteste, um, soviel wie möglich, vom Sportunterricht befreit zu werden. Den als Folge seiner Unsportlichkeit zu befürchtenden unmittelbaren Spötteleien konnte er sich damit zwar entziehen, er war aber nach wir vor gut dazu geeignet, seinen Mitschülern als Mobbingopfer zu dienen. Kinder können eben auch grausam sein. Gerd blieb bis zum Abitur als plumper Streber unpopulär. Nach der Pubertät startete er zwar gelegentlich Versuche, zum weiblichen Geschlecht Kontakte zu knüpfen, die indessen nie auf Gegenliebe stießen. Selbst als er im Alter von 18 Jahren das Studium der Rechtswissenschaften aufgenommen hatte, war es ihm bis dahin nicht gelungen, eine Frau zu küssen oder gar mit ihr intim zu werden. Daran änderte sich auch während seiner Studienzeit in Frankfurt am Main anfangs wenig. Seine Mutter hätte es ohnehin lieber gesehen, wenn er zu Hause in Mücke wohnen geblieben wäre und in Marburg oder Gießen Jura studiert hätte. Sie wollte nämlich nicht die Kontrolle über ihren Sohn verlieren. Gerd hatte jedoch nach dem Abitur den Entschluss gefasst, sich endlich abzunabeln. Er trug sich deshalb zum Studiengang Rechtswissenschaften an der Goethe Universität ein. Die finanziellen Bedenken seines Vaters konnte er zerstreuen, nachdem ihm BAföG zum Höchstsatz bewilligt worden war. Gerd hatte große Freude am Studium, war aber bei seinen Kommilitonen sehr rasch, aber völlig zu Unrecht, als Arschkriecher verschrien, nur weil er in den Hörsälen – in alter Gewohnheit – stets in der ersten Reihe Platz nahm, sich von Anfang an um den Erwerb profunder juristischer Kenntnisse bemühte und sich ferner traute, alsbald fachliche Diskussionen mit seinen Professoren zu führen. Von den Studentenkneipen und dem Universitätssport hielt er sich fern. All das kam bei den übrigen Erstsemestern nicht gut an und führte erneut zu einer Ausgrenzung, die darin gipfelte, dass ihm der Spitzname ›Sartorius‹ verpasst wurde. Beim Sartorius handelt es sich tatsächlich um eine Gesetzessammlung in der die wichtigsten öffentlich-rechtlichen Normen in einem charakteristischen roten Einband aus Plastik eingeheftet worden sind. Der Name geht auf den Begründer dieses Werkes, Carl Sartorius, zurück. Die Gesetzessammlung wird aufgrund von Farbe und Form sowie eines Gewichtes von nahezu 2,5 kg von den Studenten oft auch als Ziegelstein bezeichnet. Da Gerd Bein ebenfalls sehr unförmig war, fanden seine Kommilitonen diesen Necknamen für ihn mehr als passend. Dass die Studiengenossen ihn als Sartorius bezeichneten, kam Gerd erst zu einem späteren Zeitpunkt zu Ohren. Er ärgerte sich, war aber froh, bisher nicht auf diese Weise persönlich angesprochen worden zu sein. Da sein Schwerpunkt bekannterweise im Zivilrecht lag, war der Name ohnehin deplatziert. Wenn sie ihn unbedingt ärgern wollten, wäre eher ›Schönfelder‹ richtig gewesen. Denn dieses Werk enthält die wichtigsten zivil- und strafrechtlichen Normen nebst dem jeweiligen Verfahrensrecht. Der Name geht auf den Begründer dieses Werkes, Heinrich Schönfelder,...