E-Book, Deutsch, 208 Seiten
Langen Rechtsverhältnisse und Aufsichtspflichten in Kindertagesstätten
2. Auflage 2020
ISBN: 978-3-8293-1635-4
Verlag: Kommunal- und Schul-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 208 Seiten
ISBN: 978-3-8293-1635-4
Verlag: Kommunal- und Schul-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Praxis der Frühpädagogik steht derzeit wieder einmal vor großen Herausforderungen. Immer mehr und immer jüngere Kinder werden immer länger betreut. Viele von ihnen haben Migrations- oder Inklusionshintergrund. Erzieher*innen müssen in Zukunft mehr denn je in der Lage sein, die organisatorischen und institutionellen Zusammenhänge ihres professionellen Handelns mitzubedenken und prozessorientiert umzusetzen.
Hier setzt der Ratgeber an: Er vermittelt praxisnah und leicht verständlich die vielfältigen Rechtskenntnisse, ohne die Erzieher*innen heute in ihrer facettenreichen Arbeit vor Ort nicht mehr handeln sollten; so knapp wie möglich, jedoch stets so detailliert und anwenderorientiert wie nötig.
Der Titel stützt die steigenden Anforderungen an die Qualität professionellen Könnens von Erzieher*innen und nicht zuletzt die bewusste Herausbildung und Optimierung institutioneller Handlungsqualität.
Fachkräfte müssen in Zukunft mehr denn je darin bewandert sein, die organisatorischen und institutionellen Zusammenhänge ihres professionellen Handelns differenziert mitzubedenken und prozessorientiert umzusetzen. Das Buch hilft, dieser Herausforderung gerecht zu werden und gibt das Wissen der maßgeblichen rechtlichen und organisatorischen Abläufe. Es trägt zum Finden des eigenen – stets ganz individuellen und authentischen – Wegs bei, mit Organisationen, Institutionen und Gremien und deren jeweiligen Eigengesetzlichkeiten selbstbestimmt umzugehen.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
Weitere Infos & Material
Teil 1: Rechtsverhältnisse
Einführung
Niemand ist eine Insel. Eine Kita erst recht nicht. Hält der Träger die notwendige Betriebserlaubnis für die „Einrichtung, in der sich Kinder für einen Teil des Tages oder ganztägig aufhalten und in Gruppen gefördert werden“ (Definition des § 22 Abs. 1 SGB VIII) in Händen, hat er in aller Regel bereits eine mehrmonatige Odyssee durch die Gänge der bundesdeutschen Sozialverwaltung hinter sich: Dem Antrag auf Erteilung der Betriebserlaubnis waren Stellungnahmen des Gesundheitsamtes, des Bauamtes, des Brandund Katastrophenschutzes, der Lebensmittelüberwachung und des Veterinäramtes sowie ein TÜV-Gutachten zur Stand- und Nutzungssicherheit der Außenspielgeräte beizufügen. Es musste belegt werden, dass Leitung und pädagogisches Fachpersonal über alle geforderten Ausbildungs- und Qualifikationsnachweise verfügen. Einrichtungen, die außerhalb des Bedarfsplanes der jeweiligen Kommune – beispielsweise durch eine Elterninitiative – betrieben werden sollen, müssen darüber hinaus auch durch Steuer- oder Unternehmensberatertestat nachweisen, dass der Betrieb rentabel geführt werden kann. Die Einrichtung muss über ausreichenden Haft- und Unfallversicherungsschutz verfügen und wird durch das Gewerbeaufsichtsamt im Hinblick auf die Einhaltung der Arbeitsschutzvorschriften begangen. Das Landesjugendamt als überörtlicher Träger der Jugendhilfe prüft im Rahmen einer weiteren Begehung nach § 46 SGB VIII die Räume der Kita auf kindgerechte Ausstattung sowie die pädagogische Konzeption der Einrichtung. Diese musste schriftlich vorgelegt werden. Bevor auch nur eine einzige Betreuungsstunde geleistet wurde, ist die Kita eine Fülle von Rechtsbeziehungen eingegangen: zu Fach- und Rechtsaufsichtsbehörde, Jugendamt, Träger, Eltern, Nachbarn. Und sie wird weitere eingehen, sobald sie ihren Betrieb aufnimmt: zu Elternbeirat, Förderverein, anderen Kindertagespflegeeinrichtungen im Sozialraum, Polizei, Feuerwehr, ASD, Sucht- und Schuldnerberatungsstellen, Ehe- und Erziehungsberatungsstellen etc. All diese Rechtsbeziehungen dienen demselben Zweck: Eine Gefährdung des Kindeswohles auszuschließen. Denn dies ist der Maßstab, an dem sich sowohl Erteilung als auch Aufrechterhaltung der Betriebserlaubnis stets messen lassen müssen. Ist Sicherheit und/oder Wohl der Kinder nicht gewährleistet, wird die Betriebserlaubnis versagt. Aber auch, wenn die Kita den Betrieb aufgenommen hat, wird die Aufrechterhaltung der Betriebserlaubnis im Rahmen von Revisionen laufend überprüft. Ergibt eine solche Überprüfung konkrete Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Kindeswohles, kann – wie im Fall des Kaloku-Kindergartens in Rotenburg jüngst geschehen – die erteilte Betriebserlaubnis jederzeit zurückgenommen bzw. widerrufen werden. Der Kindergarten war überprüft worden, weil mit den Kindern esoterische Rituale praktiziert worden sein sollen. Offenbar sollten sie im Sinne des keltischen Druidentums und der Huna-Lehre beeinflusst werden (www.hna.de/nachrichten/kreis-hersfeld-rotenburg/rotenburg vom 10. 2. 2011). Das Hessische Familienministerium hat nach Abschluss der Prüfung die Betriebserlaubnis für den Kindergarten mit sofortiger Wirkung widerrufen. Zur Begründung führte es aus, zwar könne man nicht von einem Sektenverdacht sprechen, sehe jedoch das Kindeswohl als gefährdet an. Der rechtliche Handlungsrahmen von Kinderbetreuungseinrichtungen für die Betätigung im „Rechtsraum Kita“ ist für alle Bundesländer einheitlich geregelt im SGB VIII. 1. Die bundesgesetzlichen Vorgaben des SGB VIII
Im allgemeinen Sprachgebrauch auch von Juristen hat es sich eingebürgert, SGB VIII und das KJHG synonym zu verwenden. Tatsächlich sind es jedoch zwei verschiedene Gesetze: Das KJHG ist ein Artikelgesetz mit 24 Artikeln, dessen Art. 1 das gesamte SGB VIII mit derzeit 105 Paragrafen beinhaltet. Die Art. 2–24 des KJHG ändern andere Gesetze mit dem Ziel der Neuregelung der Kinder – und Jugendhilfe und beinhalten Regelungen zum Inkrafttreten. Art. 1 des KJHG bildet also das Sozialgesetzbuch (SGB) – Achtes Buch (VIII) – Kinder und Jugendhilfe – und ist in zehn Kapitel – diese wiederum in Abschnitte – gegliedert. Im Ersten Kapitel „Allgemeine Vorschriften“ werden in den §§ 1–10 SGB VIII grundlegende Bestimmungen des Gesetzes aufgeführt, die für die folgenden Kapitel ebenfalls – eben allgemein – gelten. Das Zweite Kapitel führt die Leistungen der Jugendhilfe auf und bildet damit den inhaltlichen Schwerpunkt des Gesetzes. Im dort zu findenden dritten Abschnitt „Förderung von Kindern in Kindertageseinrichtungen“ schreibt das SGB VIII mit den §§ 22–26 SGB VIII ausführlich die Rahmenbedingungen für die Kindertagesbetreuung fest. Eine weitere Norm mit Kindergartenrelevanz kommt mit § 45 SGB VIII hinzu, der Vorschrift über die Erteilung (oder Versagung) der Betriebserlaubnis. Und schließlich regeln die §§ 61–68 SGB VIII den Schutz von Sozialdaten. Die für eine Kita bedeutsamen Vorschriften des SGB VIII sind demnach: 1.§§ 1–10 SGB VIII Allgemeine Vorschriften 2.§§ 22–26 SGB VIII Kindertageseinrichtungen 3.§ 45, 46 SGB VIII Betriebserlaubnis 4.§§ 61–68 SGB VIII Datenschutz Nahezu alle für die Praxis einer Kita wesentlichen Rechtsverhältnisse haben in diesen Paragrafen ihren Ursprung. Die einzelnen Handlungsfelder werden im Folgenden erläutert. 1.1Der Schutzauftrag nach § 8a SGB VIII „Jugendhilfe kann sich nicht darauf beschränken, Leistungen nur auf Antrag bzw. Nachfrage zu gewähren, sondern muss – jedenfalls bei Anhaltspunkten für eine Gefährdung des Kindeswohls – von Amts wegen tätig werden, um sodann eine eigenverantwortliche Entscheidung darüber treffen zu können, ob einer (drohenden) Gefährdung des Kindeswohls besser durch Hilfen mit der und für die Familie oder aber durch eine Anrufung des Familiengerichtes begegnet werden kann. Durch diesen Schutzauftrag unterscheidet sich das SGB VIII von allen anderen Büchern des Sozialgesetzbuches, indem er einem Dienstleistungsverständnis strukturelle Grenzen setzt“. (BT-Drs.15/3676 S. 25/26) Aufgrund der Einordnung der Kinder- und Jugendhilfe in das Sozialgesetzbuch war überdies der Zwangscharakter, der mit Maßnahmen in diesem Rechtsgebiet u. U. verbunden sein kann, sehr in den Hintergrund getreten. Das Konzept der Freiwilligkeit, das das SGB VIII wie alle Sozialgesetze verfolgte, führte nicht immer zu den gewünschten Ergebnissen (Mrozynski, § 8a Rz. 1). Es bestand daher Anlass, den Schutzauftrag der Jugendämter wieder stärker zu betonen. Dies ist im Rahmen des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe, kurz KICK genannt, geschehen. KICK hat dem SGB VIII den § 8a SGB VIII hinzugefügt. Das Gesetzespaket trat am 1. 10. 2005 in Kraft. In § 8a Abs. 1 SGB VIII heißt es: „Werden dem Jugendamt gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen bekannt, so hat es das Gefährdungsrisiko im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte einzuschätzen. Soweit der wirksame Schutz dieses Kindes oder dieses Jugendlichen nicht in Frage gestellt wird, hat das Jugendamt die Erziehungsberechtigten sowie das Kind oder den Jugendlichen in die Gefährdungseinschätzung einzubeziehen und, sofern dies nach fachlicher Einschätzung erforderlich ist, sich dabei einen unmittelbaren Eindruck von dem Kind und von seiner persönlichen Umgebung zu verschaffen. Hält das Jugendamt zur Abwendung der Gefährdung die Gewährung von Hilfen für geeignet und notwendig, so hat es diese den Erziehungsberechtigten anzubieten.“ § 8a Abs. 2 SGB VIII regelt die Voraussetzungen, unter denen das Jugendamt das Familiengericht anzurufen hat: „Hält das Jugendamt das Tätigwerden des Familiengerichtes für erforderlich, so hat es das Gericht anzurufen, dies gilt auch, wenn die Personensorgeberechtigten oder Erziehungsberechtigten nicht bereit oder in der Lage sind, bei der Abschätzung des Gefährdungsrisikos mitzuwirken. Besteht eine dringende Gefahr und kann die Entscheidung des Gerichtes nicht abgewartet werden, so ist das Jugendamt verpflichtet, das Kind oder den Jugendlichen in seine Obhut zu nehmen.“ § 8a Abs. 3 SGB VIII regelt die Einbeziehung anderer Stellen: „Soweit zur Abwendung der Gefährdung das Tätigwerden anderer Leistungsträger, der Einrichtungen der Gesundheitshilfe oder der Polizei notwendig ist, hat das Jugendamt auf die Inanspruchnahme durch die Erziehungsberechtigten...