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E-Book

E-Book, Deutsch, 261 Seiten

Lesen, was kommt

E-Book, Deutsch, 261 Seiten

ISBN: 978-3-446-27313-9
Verlag: Carl Hanser
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Unsere Bücher im Herbst 2021 haben sich ganz dem Leben verschrieben. Dem Überleben, dem Versuch, aufzusteigen, und den Ereignissen, die unser Leben beeinflussen. Lassen Sie sich überraschen und lesen Sie, was kommt!
Elf Leseproben, elf Bücher und noch mehr Geschichten! Das beginnt mit Michael Köhlmeiers Kater „Matou“, der in sieben Leben versucht, den Menschen zu verstehen, verweilt bei „Daddy“, der sinnbildlich für die Widersprüche zwischenmenschlicher Beziehungen steht, und endet mit der „Auszeit“, in der man einmal grundsätzlich über alles nachdenken kann. Dazwischen will ein junger Mann einfach nur „Den Hund überleben“, während es Ruth gut geht, bis „Die Nachricht“ ihre Souveränität ins Wanken bringt. „Shuggie Bain“ hingegen schafft es, im Glasgow der 80er Jahre trotz Armut seinen liebevollen Blick zu bewahren, und die Babysitterin Sam lernt als „Fremde Freundin“ ganz neue Welten kennen. Andere versuchen im Harlem der 60er Jahre aufzusteigen, inmitten von Gangstern, Zuhältern und Hochstaplern, einem „Harlem Shuffle“ par excellence. Und wer die Ruhe sucht, macht es wie „Der Kolibri“ – der seine ganze Energie darauf verwendet, auf der Stelle zu bleiben, oder wie der japanische Soldat, der nicht weiß, dass der Krieg zu Ende ist, und „Das Dämmern der Welt“ heraufziehen sieht. Ungleich ereignisreicher geht es im Leben von Thomas Mann zu. Von wem? Ja, von dem großen deutschen Schriftsteller. Wir nennen ihn: „Der Zauberer“.
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Leseprobe
Papagei In einem Secondhandshop im Marais probierte ich ein Jeanshemd nach dem anderen an, die meisten waren mir zu groß. Su fotografierte mich mit ihrem Handy, vor dem einzigen Spiegel im Laden hatte sich ein Touristenpaar aufgebaut. Ich weiß nicht, ob es die Hemden waren, die mir nicht gefielen, oder meine Posen auf den Fotos. Lass uns gehen, sagte ich, doch Su kletterte ins Schaufenster und zog einer Puppe das Jeanshemd aus. Es passte perfekt. Ich betrachtete mich im Spiegel, der endlich frei geworden war. Na los, sagte Su, nimm es mit. Dann warf sie mir noch ein in Gelb, Rot und Türkis gebatiktes T-Shirt über die Schulter, das ich hässlich fand, aber trotzdem kaufte. Das Jeanshemd behielt ich gleich an. Später, als wir in einem Park am Louvre lagen, holte Su das Batik-Shirt aus meinem Jutebeutel und entdeckte unter dem Muster ein Herz-Symbol, auf der Rückseite prangte in roter Schrift: Jesus loves you. Sie knüllte es zusammen und benutzte es als Kopfkissen. Ich riss mir ein Stück Baguette ab, schmierte geschmolzenen Camembert darauf und dachte laut darüber nach, ob die Redewendung leben wie Gott in Frankreich von jemandem erfunden worden sein könnte, der an einem sonnigen Tag im April in einem Park am Louvre gelegen und Baguette mit Camembert in sich hineingestopft hatte. Wow, raunte Su, jetzt komm ich mir wieder vor wie eine Touristin. Bald bist du mich ja wieder los, sagte ich. Quatsch, sagte sie schnell, bleib bitte einfach für immer, okay? Sie versicherte mir mehrfach, ich könne ganz im Ernst … auf jeden Fall … ohne Probleme … solange ich wolle … bei ihr bleiben. Sie müsse mir schließlich auch noch alle Leute vorstellen, die sie in nicht einmal einem Semester so gut kennengelernt hatte, dass sie bereits von Freunden sprach. Von den beiden Jungs, die, wie Su so beiläufig wie möglich erwähnte, in einer offenen Beziehung lebten, zeigte sie mir Fotos auf ihrem Handy, damit ich begriff, dass ich sie wirklich dringend kennenlernen musste. Sie sahen genau gleich aus, gleich schön, und unterschieden sich nur durch den schmalen Oberlippenbart, den einer von beiden trug. Sie sahen glücklich aus. Glaubst du, mir würde so ein Schnauzer stehen? Meinst du den Hund oder das im Gesicht? Beides. Bastian, ich finde, du kannst einfach alles tragen. Su warf mir das Batik-Shirt über den Kopf und legte ihren an meine Schulter. Die Sonne schien durch den Stoff vor meinem Gesicht, es leuchtete rot und türkis. Am späten Nachmittag machten wir Fotos mit dem Eiffelturm im Hintergrund. Su mit dem Handy, ich mit der alten Olympus-Kamera, die ich in meinem Reiserucksack wiedergefunden hatte. Auf dem Display von Sus Blackberry konnte man ihn leicht übersehen, den Turm zwischen unseren Köpfen. Ich ließ mir nicht anmerken, dass ich ihn gerne aus nächster Nähe bestaunt hätte. Auch Notre-Dame sah ich nur aus einiger Entfernung. Am liebsten wäre ich gleich noch ins Disneyland gefahren, für ein Foto mit Goofy vorm Dornröschenschloss. Auf Leihrädern rasten wir in halsbrecherischem Tempo durch die halbe Stadt, Su immer vorneweg, mitten durch den Feierabendverkehr, in riskanten Manövern wichen wir Autos aus. Su fuhr über eine rote Ampel, ich bremste kurz ab, trat dann aber doch noch in die Pedale, als gäbe es das gelbe Trikot zu gewinnen. Im letzten Augenblick kam ein Taxi zum Stehen, der Fahrer schrie mir durchs offene Fenster nach, hupte, doch ich war schon weitergefahren, mit vom Fahrtwind tränenden Augen und einem Kribbeln im ganzen Körper, als hätte ich genauso gut davonfliegen können. Oder eben draufgehen. Sonntags wachte ich gegen Mittag in Sus Bett auf, das sich aus einer Neunzigerjahre-Schrankwand klappen ließ. Die Wohnung war winzig und die Wände so dünn, dass es sich anhörte, als blubberte der Kaffee in der Espressokanne nicht auf dem Herd, sondern neben mir auf dem Nachtschränkchen. Su saß mit Brille am Küchentisch vor ihrem Laptop, mit einem dicken Buch, Medizin, das sie aber sofort zuschlug, als ich in Jogginghose und Batik-Shirt die Küche betrat. Guten Morgen, Jesus Freak!, rief sie. Ich rieb mir den Schlaf aus den Augen und nahm die Kanne vom Herd. Su fing gleich von den beiden Jungs an, die ihr geschrieben hatten, dass sie am Nachmittag auf einen Hausboot-Rave gehen würden. Das Boot lag nur einen Sonntagsspaziergang zum nördlichen Ufer der Seine entfernt. Sie hatte sogar schon eine Tasche gepackt. Zum vielleicht ersten Mal trank ich meinen Kaffee schwarz, mit viel Zucker, so wie Su, und nahm die Zahnbürste mit unter die Dusche. Als es an der Badezimmertür klopfte und Su von draußen fragte, ob sie kurz reinkommen dürfe, blieb mir fast das Herz stehen. Klar!, rief ich, trat mit einem Fuß aus der Dusche, entriegelte die Tür, sprang schnell wieder zurück, zog gleichzeitig den Vorhang zu und drehte mich zur Wand. Sofort stellte ich das Wasser wieder an, es wurde abwechselnd extrem heiß oder so kalt, dass es schmerzte. So schnell ich konnte, brauste ich mich ab. Drehte das Wasser aus, um zu hören, ob Su noch am Waschbecken stand. Alles klar?, fragte sie in die Stille. Klar!, rief ich erneut, stellte das Wasser wieder an und ließ es über meine Füße laufen, bis Su ihre Kontaktlinsen eingesetzt und das Badezimmer verlassen hatte. Noch in der Dusche trocknete ich mich ab und versuchte, das Handtuch so um meine Hüfte zu binden, dass es hielt. Im Schlafzimmer durchwühlte ich meinen Rucksack nach einer Unterhose, aber da war keine mehr. Du kannst auch gern meine Sachen anziehen, bot Su an, die hinter mir stand, ich hatte sie nicht kommen hören. Ich weiß nicht, ob mir deine Unterwäsche passt, sagte ich. Su zog eine Schublade auf, holte eine karierte Boxershorts hervor, warf sie mir zu und blieb noch einen Augenblick im Türrahmen stehen. Ach so, sorry, sagte sie und ging nach draußen. Die Tür ließ sie offen. Es war der letzte Tag vor meiner Abreise. Auf der Straße blinzelte ich gegen die Helligkeit an. In der Sonne war es schon fast zu warm, doch sobald sich eine Wolke vor sie schob, wurde es auf der Stelle zu kühl. Wir waren schon eine Weile an der Seine entlangspaziert, in einiger Entfernung konnten wir das Hausboot ausmachen. Die Schlange, die sich bereits davor gebildet hatte, bemerkten wir erst, als wir an ihrem Ende angekommen waren. Wir beschlossen, uns gar nicht erst einzureihen, die Musik schallte ohnehin zu uns herüber. Su setzte sich an die Kaimauer und ließ ihre Beine über dem Wasser baumeln. Es ging nur ein paar Meter hinunter, doch im ersten Moment konnte ich mich kaum dazu überwinden, mich zu ihr zu setzen. Sie tippte auf dem Handy herum, während ich vorsichtig in die Hocke ging, mich auf beiden Händen abstützte, nach vorn rutschte und schließlich langsam ein Bein nach dem anderen über die Mauer streckte. Su schrieb den Boys, wie sie die beiden nannte, wobei ich zuerst Beaus verstanden hatte, was aber auch gut passte. In der Schlange hatte sie die zwei nicht entdeckt, und das Boot war voller junger, schöner, tanzender Boys und Beaus, manche in Tanktops, andere mit freiem Oberkörper, als wäre der Sommer ausgebrochen. Aus ihrer Tasche holte Su einen Plastikeimer voll Couscous-Salat, dann eine Ein-Liter-Flasche, die sie, wie ich beim ersten Schluck bemerkte, mit sehr viel Gin und etwas Tonic gefüllt hatte. Es gab nur eine Gabel, weshalb wir in der folgenden halben Stunde wie einstudiert Eimer und Gabel gegen die Flasche tauschten, bis wir so satt waren, dass nur noch die Flasche zwischen uns kursierte. Eine gute Stunde später war sie komplett und der Eimer immerhin zur Hälfte geleert. Su beobachtete einen großen, hageren Mann mit tätowierten Armen und blondierten Haaren, der allein gegenüber an der Reling stand und die zweite Zigarette in Folge rauchte. Schaut er dich an oder mich?, fragte Su. Hat er geschaut?, fragte ich. Was meinst du, wollen wir uns auch blondieren? Oder wir lassen uns tätowieren, schlug ich vor, vielleicht den Eiffelturm? Oh ja, rief Su, oder ein Baguette! Es ist Sonntag, fiel mir ein. Zum Glück, dachte ich, wahrscheinlich hätte ich alles mitgemacht. Sus Handy vibrierte auf der Steinplatte neben ihr. Die Boys schrieben, dass sie gar nicht erst losgegangen seien, weil sie ganz unerwartet gestritten hätten und sich nun dringend wieder versöhnen müssten. Wie auch immer, sagte Su und stand auf. Ich muss pinkeln. Leicht schwankend lief sie in Richtung Gebüsch. ...


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