E-Book, Deutsch, 658 Seiten
Lohse / Reydon Grundriss Wissenschaftsphilosophie
unverändertes eBook der 1. Auflage von 2016
ISBN: 978-3-7873-3165-9
Verlag: Felix Meiner
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Philosophien der Einzelwissenschaften
E-Book, Deutsch, 658 Seiten
ISBN: 978-3-7873-3165-9
Verlag: Felix Meiner
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Band bietet eine breite Einführung in die Wissenschaftsphilosophie, die sich (anders als die meisten verfügbaren Einführungen) nicht auf bestimmte Themen oder Diskussionslinien der allgemeinen Wissenschaftstheorie beschränkt, sondern die Philosophien der Einzelwissenschaften separat in den Blick nimmt.
Insbesondere in den letzten zwei Jahrzehnten sind die Philosophien der Einzelwissenschaften unter dem Dach der Wissenschaftsphilosophie zunehmend zusammengewachsen als gleichberechtigte, analog strukturierte und oft aufeinander bezogene Arbeitsfelder, die eigenständig, aber in wechselseitigem Bezug auf die allgemeine Wissenschaftsphilosophie diskutiert werden. Eine Folge dieser Entwicklung ist, dass sich die wichtigsten wissenschaftstheoretischen Debatten immer stärker in den Philosophien der Einzelwissenschaften abspielen.
An diesen Stand der internationalen Diskussion schließt der Band an, der in mehrfacher Hinsicht eine Lücke füllt: Herkömmliche Überblickswerke behandeln oft theoretische Fragestellungen, die sich nur auf bestimmte Wissenschaftsgebiete beziehen lassen, wobei die wissenschaftliche Praxis oft nur als Beispielreservoir für die Theorie dient.
Demgegenüber liegt diesem Band ein breites Wissenschaftsverständnis zugrunde, das alle akademischen Arbeitsbereiche umfasst: neben den Natur- und Lebenswissenschaften etwa auch die Sozial- und Geisteswissenschaften, Rechts- und Ingenieurswissenschaften, Literaturwissenschaften, Geo- und Umweltwissenschaften, Psychologie und Ökonomie. Ausgangspunkt ist die philosophische Untersuchung der einzelnen Wissenschaften mit ihren je eigenen Methoden, Standards und Zielen.
Mit Beiträgen von Richard Bradley, Chris J.J. Buskes, Uljana Feest, Eugen Fischer, Roman Frigg, Jens Greve, Sven Ove Hansson, Catherine Herfeld, Wolfram Hinzen, Dietmar Hübner, Lara Huber, Lara Keuck, Tobias Klauk, Maarten G. Kleinhans, Tilmann Köppe, Meinard Kuhlmann, Simon Lohse, Holger Lyre, Henk de Regt, Julian Reiss, Thomas Reydon, Joachim Schummer, Katie Steele, Erica Thompson, Sven Walter, Charlotte Werndl, Torsten Wilholt, Christian Wüthrich, Benno Zabel und einem ausführlichen Index.
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1. Einleitung: Zur Ausdifferenzierung der Wissenschaftsphilosophie
Simon Lohse und Thomas Reydon Hintergrund und Zielsetzung des Bandes
Der vorliegende Band bietet eine fortgeschrittene Einführung in die Wissenschaftsphilosophie. Diese ist nicht auf spezifische Themen oder (historische) Diskussionslinien fokussiert, sondern nimmt die Philosophien der verschiedenen Einzelwissenschaften in den Blick. Dem Band liegt dabei ein Verständnis des Begriffs ›Wissenschaft‹ im deutschen Sinne des Wortes zu Grunde, nach dem Wissenschaft nicht nur die Natur- und Lebenswissenschaften umfasst (im Sinne des englischen ›science‹), sondern alle akademischen Arbeitsbereiche wie die Sozialwissenschaften, die Ingenieurwissenschaften und die Geisteswissenschaften. Dementsprechend werden in diesem Buch nicht nur gut etablierte Teilgebiete der traditionellen Wissenschaftsphilosophie berücksichtigt, die – entsprechend der angloamerikanischen philosophy of science – vor allem auf wenige Grundlagenwissenschaften wie die Physik und die Biologie zielte. Vielmehr werden auch weniger prominente bzw. bislang kaum etablierte Gebiete vorgestellt wie die Philosophie der biomedizinischen Wissenschaften, die Philosophie der Literaturwissenschaft, die Philosophie der Rechtswissenschaft oder die Philosophie der Geo- und Umweltwissenschaften. Mit diesem Buch soll eine Lücke in der deutschsprachigen Wissenschaftsphilosophie geschlossen werden. Verfügbare deutschsprachige Lehrbücher und Überblickswerke präsentieren die Wissenschaftsphilosophie typischerweise anhand von Betrachtungen klassischer Fragen und Diskussionen aus der allgemeinen Wissenschaftstheorie.1 Zu denken wäre hier etwa an die Frage nach der Natur wissenschaftlicher Erklärungen, die Diskussionen um die Reduzierbarkeit der Einzelwissenschaften auf die fundamentale Physik oder um die Rationalität des Theoriewandels in den Wissenschaften, die Frage nach der Bestätigung von Theorien oder die Diskussionen um die Rolle von Naturgesetzen in den verschiedenen Wissenschaften sowie darüber, was Naturgesetze eigentlich sind. In der einschlägigen Literatur werden zwar mitunter auch besonders prominente Themen der Philosophien der Einzelwissenschaften vorgestellt wie das Interpretationsproblem der Quantentheorie oder die Frage nach der Struktur sowie dem Anwendungsbereich der Evolutionstheorie.2 Dabei liegt der Fokus allerdings fast ausschließlich auf den physikalischen Grundlagenwissenschaften und der Biologie. Die meisten anderen wissenschaftlichen Disziplinen werden kaum berücksichtigt.3 Der vorliegende Band versucht dagegen eine möglichst breit gefächerte Auswahl des State-of-the-Art der Philosophien der Einzelwissenschaften systematisch vorzustellen. Diese Grundidee des Bandes ist vor allem durch die zunehmende Ausdifferenzierung der Wissenschaftsphilosophie seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts motiviert. Zogen neben der Physik (und der Mathematik) zunächst vor allem die Biologie, die Psychologie und später Teile der Sozialwissenschaften die Aufmerksamkeit von Wissenschaftsphilosophinnen und Wissenschaftsphilosophen auf sich, so lässt sich mit der Jahrtausendwende feststellen, dass sich eine Vielzahl weiterer Wissenschaftsphilosophien in allen Bereichen der Wissenschaft ausgebildet haben bzw. gerade damit beginnen, sich auszubilden und zu professionalisieren (z. B. durch die Gründung von Forschungsnetzwerken und eigenen Fachzeitschriften). Zum Teil ist diese Entwicklung zweifellos schlicht dadurch begründet, dass sich immer mehr Forschungszweige als eigenständige Wissenschaftsbereiche mit eigenen Fachjournalen, Konferenzen usw. etablieren und somit erst als mögliche Bezugsdisziplinen in den Blick der Wissenschaftsphilosophie geraten können. Zeitgenössische Beispiele für diese Entwicklung sind die Klimawissenschaften oder auch die Kognitionswissenschaft. Als Ergebnis dieses Ausdifferenzierungsprozesses spielen sich wissenschaftsphilosophische Debatten zunehmend in den Philosophien der verschiedenen Einzelwissenschaften bzw. diese übergreifend ab. Diese Einwicklung wird in Einführungen und Überblickswerken der Wissenschaftsphilosophie u. E. bislang zu wenig in den Fokus gerückt. Der vorliegende Band soll die wissenschaftsphilosophische Buchlandschaft daher in diesem Punkt ergänzen und eine Orientierungs- und Konsolidierungsfunktion hinsichtlich der Wissenschaftsphilosophien der Einzelwissenschaften erfüllen. Dabei soll einerseits die Heterogenität der verschiedenen Wissenschaftsphilosophien gezeigt werden, etwa was spezifische Fragestellungen oder das Verhältnis zur jeweiligen Bezugswissenschaft angeht (Wissenschaftsphilosophie als begleitende Meta-Disziplin zu einer bestimmten Einzelwissenschaft vs. integrierte Wissenschaftsphilosophie). Andererseits sollen auch disziplinübergreifende Zusammenhänge sichtbar(er) gemacht werden; zu denken wäre hier etwa an die Rolle, die Fiktionalität in der Philosophie der Mathematik und der Philosophie der Literaturwissenschaft spielt, an den Stellenwert von narrativen Erklärungen in den Geowissenschaften und der Geschichtswissenschaft oder auch an Ähnlichkeiten zwischen mechanistischen Erklärungen in den Bio- und den Sozialwissenschaften. Der Band soll insofern (nicht zuletzt durch das Sachregister am Schluss) auch eine zweckmäßige Ressource für das Beitreiben von komparativer Wissenschaftsphilosophie sein, die sich u. a. als nützlich für die Gretchenfrage der allgemeinen Wissenschaftsphilosophie erweisen könnte: Was eigentlich ist Wissenschaft? Das Buch zielt zudem auf eine Horizonterweiterung wissenschaftsphilosophischer Diskussionen. Auch weniger prominente Disziplinen, Fragen und Diskussionen sollen in den Vordergrund gerückt und dadurch sowohl für die allgemeine Wissenschaftsphilosophie als auch für die verschiedenen Philosophien der Einzelwissenschaften einsehbar gemacht werden (vgl. dazu den Eröffnungsbeitrag zur allgemeinen Wissenschaftsphilosophie und ihrem Verhältnis zu den Philosophien der Einzelwissenschaften von Meinard Kuhlmann). Generell hoffen wir durch das vorliegende Buch einen Beitrag zur Stärkung und Ausweitung der Wissenschaftsphilosophie im deutschsprachigen Raum zu leisten. Das Buch soll einen Überblick zum gegenwärtigen Forschungsstand der verschiedenen Philosophien der Einzelwissenschaften bieten, der sowohl für avancierte Studierende und Doktorandinnen sowie Doktoranden der Philosophie als auch für praktizierende Fachwissenschaftlerinnen und Fachwissenschaftler mit einem Interesse an Grundlagenfragen des eigenen Faches zugänglich ist. Die einzelnen Kapitel zielen dementsprechend nicht nur auf ein Publikum, das bereits über vertiefte Vorkenntnisse der Wissenschaftsphilosophie verfügt, sondern auch auf Leserinnen und Leser, die sich zum ersten Mal intensiver mit metatheoretischen und wissenschaftsphilosophischen Themen befassen. Insofern handelt es sich hierbei um ein einführendes Überblickswerk auf fortgeschrittenem Niveau. Dadurch dass sich die einzelnen Kapitel nicht mit spezifischen Themen oder Fragen, sondern mit der Philosophie einzelner Disziplinen befassen, soll wie oben ausgeführt ein alternativer Zugang zur Wissenschaftsphilosophie geboten werden. Die Kapitel eigenen sich hierbei natürlich auch zur Ergänzung von klassischen Themensegmenten aus der allgemeinen Wissenschaftsphilosophie. Darüber hinaus wird Forscherinnen und Forschern aus spezifischen Fachgebieten die Möglichkeit geboten, schnell einen Zugang zu den zentralen philosophischen Themen und Problemen ihres eigenen Faches zu bekommen und diesen über die Literaturverweise ggf. zu vertiefen. Auswahl der Disziplinen und Struktur des Bandes
Bei der Auswahl der Einzelwissenschaften, die in den verschiedenen Kapiteln behandelt werden, haben wir uns grundsätzlich von zwei Überlegungen leiten lassen. Erstens haben wir versucht, ein möglichst breites Feld von Disziplinen abzudecken, das sich von den Formal- und Geisteswissenschaften und den Naturwissenschaften bis zu den Lebens- und Ingenieurwissenschaften erstreckt, um der Diversität des Feldes zumindest annährend gerecht zu werden. Da wir aufgrund von pragmatischen und (zeit-)ökonomischen Restriktionen nicht jede einzelne Subdisziplin hier aufnehmen konnten (s.u.), haben wir zweitens eine Mischung aus gut etablierten Wissenschaftsphilosophien (z. B. Philosophie der Physik, Philosophie der Biologie), neueren Subdisziplinen (z. B. Philosophie der Klimawissenschaften, Philosophie der biomedizinischen Wissenschaften) und auch gerade erst in Erscheinung tretenden Wissenschaftsphilosophien (z. B. Philosophie der Rechtswissenschaft, Philosophie der Politikwissenschaft) anvisiert. Diese beiden Zielrichtungen des Bandes haben zum einen die Konsequenz, dass einige Kapitel wie etwa dasjenige zur Philosophie der Politikwissenschaft einen stärker programmatischen Charakter haben als andere Kapitel, die eher einen einführenden Überblick über den State-of-the-Art geben. Zum anderen sind dadurch nicht alle etablierten Philosophien der Einzelwissenschaften im Buch enthalten. Wir glauben allerdings, dass einige Diskussionen innerhalb der Wissenschaftsphilosophien der letztgenannten Gruppe durchaus von Beiträgen verwandter Disziplinen in diesem Band erhellt oder bereichert werden können. Zu denken wäre hier etwa an die Debatten um Individualismus vs. Holismus, die nicht nur innerhalb der im Band vertretenen Philosophie der Soziologie eine wichtige Rolle spielen, sondern auch in der Philosophie der Kulturanthropologie; oder auch an Krankheitstheorien, die ähnlich wie im Beitrag zur...