Lucht / Paulitz | Recodierungen des Wissens | Buch | 978-3-593-38601-0 | sack.de

Buch, Deutsch, Band 38, 234 Seiten, Format (B × H): 141 mm x 214 mm, Gewicht: 300 g

Reihe: Politik der Geschlechterverhältnisse

Lucht / Paulitz

Recodierungen des Wissens

Stand und Perspektiven der Geschlechterforschung in Naturwissenschaft und Technik
1. Auflage 2008
ISBN: 978-3-593-38601-0
Verlag: Campus Verlag GmbH

Stand und Perspektiven der Geschlechterforschung in Naturwissenschaft und Technik

Buch, Deutsch, Band 38, 234 Seiten, Format (B × H): 141 mm x 214 mm, Gewicht: 300 g

Reihe: Politik der Geschlechterverhältnisse

ISBN: 978-3-593-38601-0
Verlag: Campus Verlag GmbH


Naturwissenschaftliches und technisches Wissen sind nicht geschlechtsneutral. Die Autorinnen dieses Bandes untersuchen die Spielarten der geschlechtlichen Codierungen und Recodierungen dieses Wissens und beleuchten diese anhand historischer und aktueller Entwicklungen in den einschlägigen Disziplinen. Zunächst bieten Überblicksbeiträge eine Orientierung in diesem transdisziplinären Forschungsfeld. Exemplarische Studien entwickeln darüber hinaus erweiterte Forschungsperspektiven auf die Konstruktionen von Männlichkeit sowie die Konzepte von Kolonialismus und Globalisierung.
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Weitere Infos & Material


Inhalt

Geleitwort
Karin Hausen

Recodierungen des Wissens. Zu Flexibilität und Stabilität von natur- und technikwissenschaftlichem Wissen - Eine Einleitung
Petra Lucht, Tanja Paulitz

Transdisziplinäre Forschungsansätze und perspektiven

Bühne Natur- und Technikwissenschaften: Neuere Ansätze aus dem Gender-Diskurs
Heike Wiesner

Zwischen Dekonstruktion und Partizipation: Transdisziplinaritäten in und außerhalb der Geschlechterforschung
Sabine Maasen

Technik, Konsum und Geschlecht - Nutzer/innen als Akteur/innen in Technisierungsprozessen
Karin Zachmann

Technology as a Site of Feminist Politics
Judy Wajcman

Populäre Medien als "Technologien des Geschlechts"
Karin Esders

Konstruktionen von Männlichkeit in der Ingenieurkultur

Disparate Konstruktionen von Männlichkeit und Technik -Formen der Vergeschlechtlichung ingenieurwissenschaftlichen Wissens um 1900
Tanja Paulitz

The Gender(s) of "Real" Engineers: Journeys around the Technical/Social Dualism
Wendy Faulkner

Koloniale und globalisierte Verhältnisse von Wissen und Geschlecht

Gender Analysis in Colonial Science
Londa Schiebinger

Internationalisierung der IT-Branche und Gender-Segregation
Esther Ruiz Ben

Verschiebungen in der Konstruktion des "natürlichen" Geschlechts

Das Geschäft der Pflanze ist dem Weib übertragen … die Pflanze selbst hat aber kein Leben - Zur vergeschlechtlichten Stufenordnung des Lebens im ausgehenden 18. Jahrhundert
Kerstin Palm

Ursprung und Geschlecht: Paradoxien in der Konzeption von Geschlecht in Erzählungen der Molekularbiologie
Bärbel Mauss

Autorinnen


Internationalisierung der IT-Branche und Gender-Segregation
Esther Ruiz Ben

Die Internationalisierung der deutschen Informations- und Telekommuni-kationsindustrie (IT-Branche) ermöglichte in der jüngeren Vergangenheit zunehmend Organisationsrestrukturierungen, vor allem in Bezug auf die Fragmentierung von Wertschöpfungsketten und auch auf die Auslagerung von Tätigkeiten und Arbeitsprozessen in neue Regionen und Länder. Im Zuge dieser Entwicklung verloren organisationelle Ressourcen und Regeln mehr und mehr ihre lokale Verbundenheit und mussten durch den Ver-gleich mit den Praktiken an anderen Orten und in anderen Organisationen legitimiert werden.
In meinem Beitrag gehe ich aus verschiedenen Perspektiven der Frage nach, inwieweit mit dieser teilweisen Umstrukturierung von Arbeits- und Tätigkeitsgebieten eine Recodierung von internen sowie ausgelagerten ver-geschlechtlichten Tätigkeiten einhergeht.
Für die als ›technisch‹ angesehenen Bereiche in IT-Organisationen, de-ren Arbeitsaufgaben als standardisierbar gelten und daher einfacher auszu-lagern sind, bedeutet diese Umstrukturierung einen Prestigeverlust. Andere Bereiche, wie etwa das Projekt- oder Qualitätsmanagement, gewinnen hin-gegen an professioneller Relevanz und werden symbolisch und machtstra-tegisch neu besetzt. Gerade in solchen Tätigkeitsbereichen, die derzeit durch Auslagerungsprozesse an Bedeutung zunehmen und als ›sozial‹ gelten, war bisher die Präsenz von Frauen in Deutschland höher als in Bereichen der Softwareentwicklung, die als ›technischer‹ galten (Ruiz Ben 2005). Damit verbunden ist die Frage, wie diese neuen Bereiche aktuell und in Zukunft bewertet und ›ge-gendered‹ werden, d. h. in welcher Weise die Wissensbasis solcher Tätigkeitsbereiche geschlechtlich codiert wird und welche struktu-rellen Segregationsmuster auf diese Weise entstehen.
Ziel meines Beitrags ist zu zeigen, welche Implikationen die Internatio-nalisierung von IT-Organisationen für Segregationsmuster bezogen auf Geschlecht hat. Im ersten Abschnitt werde ich zunächst die deutsche IT-Branche charakterisieren, um dann einen kurzen Überblick über ihre In-ternationalisierung zu geben. Anschließend werde ich im zweiten Abschnitt die Bedeutung zweier Internationalisierungsstrategien thematisieren, um die Transformation von Tätigkeitsprofilen in diesen Organisationen und ihre Vergeschlechtlichungen besser verstehen zu können. Hier stellt sich die Frage, ob die heute so bedeutsamen soft skills, die bislang als ›naturalisierte‹ Eigenschaften von Frauen gedeutet und deshalb geringer bewertet wurden, nun zu ›kulturalisierten‹ Fähigkeiten umgedeutet werden (Sørensen 2002: 25f.) und ob diese Umdeutung dann auch zur Transformation der gegen-wärtigen horizontalen wie vertikalen Formen von Geschlechtersegregation (vgl. auch Charles/Grusky 2004) führt. In diesem Prozess sind Frauen und Männer selbst auch AkteurInnen. Sie entwickeln Handlungsstrategien, die sie abhängig von den Ressourcen, die ihnen auf den Ebenen der Organisa-tionsstruktur und deren Gender-Substruktur zur Verfügung stehen, ein-setzen. Aber auch in der sozialen Konstruktion geschlechtlicher Subjekte und in der Gestaltung der professionellen Interaktionsbeziehungen ›spie-len‹ die AkteurInnen quasi mit und ›inszenieren‹ soziale Wissensbestände über Geschlechterverhältnisse. Das ist das Thema des dritten Abschnitts meines Beitrags, in dem ich darauf bezogene Studien diskutieren werde, um anschließend im vierten Abschnitt die Implikationen der Internationa-lisierung der IT-Branche für die Geschlechtersegregation zu betrachten.
Die deutsche IT-Branche
Die IT-Branche ist durch eine hohe Dynamik und Heterogenität von Ar-beitsbeziehungen und bedingungen gekennzeichnet, aber auch durch eine große Diversität der zugehörigen Segmente wie Hardware, Software, Tele-kommunikation und IT-Dienstleistungen (vgl. Bitkom 2007). In jüngster Zeit gewinnt insbesondere das Dienstleistungssegment immer mehr an Bedeutung, wobei diese Dynamik zeitgleich zum gesamten Trend der Ter-tiarisierung der Wirtschaft in einem globalen Wettbewerbsnetz verläuft.
In meinem Beitrag folge ich der Definition der IT-Branche von Raphael Menez, Irmgard Münder und Karin Töpsch (2001: 6). Als die wesentlichen Bestandteile dieser Branche identifizieren sie die (Tätigkeits )Bereiche der Herstellung von Datenverarbeitungsgeräten und einrichtungen, Rundfunk und Nachrichtentechnik, Fernmeldedienste sowie Datenverarbeitung in-klusive Entwicklung und Beratung.
Besonders in Bezug auf die Internationalisierung der IT-Branche ist diese Differenzierung wichtig, denn die Produkte sowie die Produktionsformen in den verschiedenen Segmenten erlauben unterschiedliche Internationalisie-rungstempi und begrenzen auf unterschiedliche Weise die Auslagerungs-prozesse. Diese haben wiederum Implikationen für die Kategorisierung von Tätigkeiten und für die Geschlechtersegregation in der IT-Branche. In Segmenten, in denen die Wissensbasis sich sehr schnell ändert, müssen Fachkräfte teilweise in ihrer Freizeit für ihre Weiterbildung sorgen, die zu-dem nicht selbstverständlich von den Arbeitgebern finanziert wird. Dar-über hinaus sind Weiterbildungen oft auch zeitlich mit den hohen Leis-tungsansprüchen in manchen Projekten und Tätigkeitsfeldern nur schwer vereinbar. Die enorme zeitliche Belastung in dynamischen Bereichen der IT-Branche gilt daher auch als unvereinbar mit familiären Verantwortlich-keiten (Ruiz Ben 2005), weshalb diese Arbeitsfelder einerseits besonders für Frauen als ungeeignet angesehen werden. Andererseits folgen Arbeits-zeiten in der IT-Branche nicht dem traditionellen Muster und zeigen eher einen hohen Grad an Flexibilität bezogen auf Zeitdisponibilität, Mobilität, Qualifikationsentwicklung etc. (Boes/Trinks 2005) - ein Umstand, der auch Entfaltungschancen vor allem für junge, nicht in versorgende und/oder pflegerische Tätigkeiten eingebundene Frauen eröffnet. Dies traf zumin-dest für die Zeit vor der Krise der IT-Branche zu, die sich in Deutschland vor allem ab 2002 bemerkbar machte. Der Druck, den dieser Industriezweig in den vergangenen Jahren erlebte und der auch als Katalysator für die In-ternationalisierung der Branche fungierte, hat diese Chancen verschlechtert und den Weg für Frauen zu hoch qualifizierten Tätigkeitsbereichen er-schwert (ebd.: 303). Im Zuge des Internationalisierungsprozesses der Bran-che gewinnen vor allem Koordinationstätigkeiten an Prestige. Inwieweit Frauen in diesen Tätigkeitsgebieten ihre gewonnenen Positionen konsoli-dieren können, ist derzeit noch eine offene Frage. Auch ist noch nicht ein-deutig abzusehen, wie sich die Beteiligungschancen für Frauen in den Län-dern, in die IT-Tätigkeiten ausgelagert werden, entwickeln werden.
Im nächsten Abschnitt werde ich erläutern, welche Auslagerungsfor-men von Tätigkeiten und Bereichen im Rahmen der Internationalisierung der IT-Branche praktiziert werden und welche Implikationen diese Auslagerungsprozesse zunächst für die Beschäftigten in Deutschland haben.


Petra Lucht ist wissenschaftliche Assistentin am Zentrum für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung der TU Berlin. Tanja Paulitz ist wissenschaftliche Assistentin im Fachgebiet Geschlechtersoziologie an der Universität Graz.



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