E-Book, Deutsch, 816 Seiten
MacGregor Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten
5. Auflage 2013
ISBN: 978-3-406-62148-2
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 816 Seiten
ISBN: 978-3-406-62148-2
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Was uns eine steinerne Säule über einen großen indischen Herrscher erzählen kann, der seinem Volk Toleranz predigt, was spanische Dukaten uns über die Anfänge der globalen Währung verraten, oder was ein viktorianisches Teeservice uns über die Macht des Britischen Empires offenbart - Neil MacGregor beschreibt all diese Objekte nicht einfach nur, sondern erschließt uns durch ihre Betrachtung immer auch ein Stück Weltgeschichte. Wer den hier versammelten Dingen - vom afrikanischen Faustkeil bis zur Solarlampe Made in China - auf diese Weise begegnet, sieht die Geschichte als ein großes Kaleidoskop - kreisend, vielfältig verbunden, unentwegt voller Überraschungen. Ein intellektuelles und ästhetisches Vergnügen von der ersten bis zur letzten Seite und eines der außergewöhnlichsten historischen Bücher der letzten Jahre.
Fachgebiete
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Geschichtliche Themen Kultur- und Ideengeschichte
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Geschichtswissenschaft Allgemein Geschichte: Sachbuch
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Weltgeschichte & Geschichte einzelner Länder und Gebietsräume Weltgeschichte
Weitere Infos & Material
Einleitung
Signale aus der Vergangenheit
In diesem Buch machen wir uns auf zu einer Reise zurück in die Vergangenheit und quer über den Globus, um zu erfahren, wie die Menschen in den letzten zwei Millionen Jahren unsere Welt geprägt haben und ihrerseits von ihr geprägt wurden. Das Buch will eine Weltgeschichte erzählen, wie sie bislang noch niemand versucht hat: Es möchte die Botschaften entziffern, die Objekte durch die Zeiten senden – Botschaften über Völker und Orte, über Umwelten und wechselseitige Beeinflussungen, über verschiedene historische Augenblicke und über unsere eigene Zeit, die sich darin widerspiegelt. Diese Signale aus der Vergangenheit – manche davon sind verlässlich, manche spekulativ, viele müssen überhaupt erst noch aufgefangen werden – haben wenig mit den anderen Indizien zu tun, auf die wir sonst zumeist stoßen. Sie berichten von ganzen Gesellschaften und komplexen Prozessen, weniger von einzelnen Ereignissen, und sie erzählen von der Welt, für die sie angefertigt wurden, ebenso wie von späteren Zeiten, in denen sie verändert oder an andere Orte gebracht wurden und mitunter Bedeutungen entwickelten, die ihre ursprünglichen Produzenten keineswegs im Sinn hatten. Es sind die Dinge, welche die Menschheit hervorgebracht hat, diese mit größter Sorgfalt gefertigten historischen Quellen und ihre oftmals kuriosen Reisen durch Jahrhunderte und Jahrtausende, die diese Geschichte der Welt in 100 Objekten zum Leben zu erwecken sucht. In diesem Buch finden sich alle möglichen Arten von Objekten, die mit großer Sorgfalt hergestellt und dann entweder bewundert und bewahrt oder benutzt, beschädigt und weggeworfen wurden. Die Bandbreite reicht vom Kochtopf bis zur goldenen Galeone, vom steinzeitlichen Werkzeug bis zur Kreditkarte, und sie alle stammen aus den Beständen des Britischen Museums. Die Geschichte, die sich aus diesen Objekten ergibt, wird vielen Lesern wenig vertraut vorkommen. Von bekannten Daten, berühmten Schlachten oder historischen Geschehnissen ist darin kaum die Rede. Kanonische Ereignisse der Weltgeschichte – die Entstehung des Römischen Reiches, die Zerstörung Bagdads durch die Mongolen, die europäische Renaissance, die Napoleonischen Kriege, der Atombombenabwurf auf Hiroshima – stehen nicht im Mittelpunkt. Aber natürlich sind sie präsent, sichtbar in der Brechung durch einzelne Objekte. So bestimmte beispielsweise die Politik des Jahres 1939, dass Sutton Hoo ausgegraben und wie es bewertet wurde (Kapitel 47). Der Stein von Rosette ist (neben vielem anderen) ein Dokument der Auseinandersetzung zwischen Großbritannien und dem napoleonischen Frankreich (Kapitel 33). Und der Amerikanische Bürgerkrieg wird hier aus der ungewöhnlichen Perspektive einer auf Hirschhaut gezeichneten indianischen Landkarte betrachtet (Kapitel 88). Stets habe ich Objekte ausgesucht, die viele Geschichten erzählen und nicht nur von einem einzigen Ereignis künden. Die notwendige Poesie der Dinge
Will man die Geschichte der ganzen Welt erzählen, also eine Geschichte, die nicht einen bestimmten Teil der Menschheit über Gebühr privilegiert, so schafft man das nicht allein durch schriftliche Quellen, denn nur ein Teil der Welt kannte Texte, während der Großteil der Welt die meiste Zeit über «schriftlos» war. Die Schrift ist eine der späteren Errungenschaften der Menschheit, und bis vor gar nicht allzu langer Zeit brachten selbst viele schreibkundige Gesellschaften ihre Nöte und Sehnsüchte nicht nur schriftlich, sondern auch in Gegenständen zum Ausdruck. Idealerweise sollte eine Geschichte Texte und Objekte vereinen, und in einigen Kapiteln dieses Buches gelingt das auch, doch in vielen Fällen ist es schlicht nicht möglich. Das deutlichste Beispiel für diese Asymmetrie zwischen schriftlicher und schriftloser Geschichte ist vielleicht die erste Begegnung zwischen Captain Cooks Expedition und den australischen Aborigines in der Botany Bay (Kapitel 89). Auf englischer Seite verfügen wir über wissenschaftliche Berichte und den Tagebucheintrag des Kapitäns von diesem schicksalsträchtigen Tag. Auf australischer Seite hingegen zeugt von diesem Ereignis lediglich ein Borkenschild, den ein Mann auf der Flucht verloren hat, nachdem er zum ersten Mal in seinem Leben den Schuss eines Gewehrs vernommen hatte. Wollen wir rekonstruieren, was an diesem Tag wirklich geschehen ist, muss der Schild ebenso intensiv und ernsthaft befragt und interpretiert werden wie die schriftlichen Berichte. Neben dem Problem des gegenseitigen Missverstehens gibt es noch ein weiteres: die zufälligen oder bewussten Verzerrungen des Sieges. Wie wir alle wissen, sind es die Sieger, welche die Geschichte schreiben, vor allem dann, wenn nur die Sieger schreiben können. Die auf der Verliererseite, diejenigen, deren Gesellschaften erobert oder zerstört werden, haben oft nur ihre Gegenstände, um ihre Geschichten zu erzählen. Die Taíno in der Karibik, die australischen Aborigines, die afrikanische Bevölkerung des Königreichs Benin und die Inka, die allesamt in diesem Buch vorkommen, können uns Heutigen von ihren vergangenen Errungenschaften am eindrucksvollsten mittels der Objekte berichten, die sie hergestellt haben: Eine Geschichte, die anhand von Dingen erzählt wird, gibt ihnen ihre Stimme zurück. Betrachten wir den Kontakt zwischen schreibkundigen und analphabetischen Gesellschaften wie diesen, so liefern all unsere Berichte aus erster Hand zwangsläufig ein verzerrtes Bild, stellen nur die eine Hälfte eines Dialogs dar. Wollen wir auch die andere Seite dieses Austauschs ausfindig machen, müssen wir nicht nur die Texte, sondern auch die Objekte lesen. Doch das alles ist natürlich leichter gesagt als getan. Aufgrund des Studiums von Texten Geschichte zu schreiben ist ein vertrautes Vorgehen, und wir verfügen über einen über Jahrhunderte gewachsenen kritischen Apparat, der uns bei der Beurteilung schriftlicher Aufzeichnungen behilflich ist. Wir haben gelernt, ihre Offenheit, ihre Verzerrungen, ihre Täuschungen einzuschätzen. Auch im Hinblick auf Objekte verfügen wir natürlich über Expertisestrukturen – archäologischer, naturwissenschaftlicher, anthropologischer Natur –, die es uns ermöglichen, die Objekte kritisch zu hinterfragen. Zusätzlich jedoch brauchen wir ein gehöriges Maß an Vorstellungskraft, wenn wir dem Artefakt sein früheres Leben ablauschen, wenn wir uns mit ihm so großzügig, so poetisch wie nur möglich befassen, in der Hoffnung, es möge uns die Erkenntnisse vermitteln, die es in sich trägt. Bei vielen Kulturen ist das ohnehin die einzige Möglichkeit, um überhaupt etwas über sie zu erfahren. Die Moche-Kultur Perus beispielsweise lebt heute allein über das archäologische Material fort. Ein Gefäß in Form eines Kriegers (Kapitel 48) ist einer der wenigen Ausgangspunkte, um herauszufinden, wer diese Menschen waren, und zu verstehen, wie sie lebten, wie sie sich und ihre Welt sahen. Wir haben es hier mit einem komplizierten Prozess mit unsicherem Ausgang zu tun, denn wir müssen Objekte, die heute nur über verschiedene Schichten kultureller Übertragung greifbar sind, eingehend untersuchen und anschließend «re-imaginieren», also sie uns in ihrem ursprünglichen Kontext vorstellen. So hat etwa die spanische Conquista der Azteken für uns den aztekischen Kriegszug gegen die Huaxteken überlagert. Aufgrund dieser geschichtlichen Umwälzungen ist die Stimme der Huaxteken heute nur über einen zweifachen «Umweg» vernehmbar, nämlich über eine spanische Version dessen, was ihnen die Azteken über dieses Volk berichtet haben. Was aber dachten die Huaxteken selbst? Sie hinterließen keine schriftlichen Aufzeichnungen, doch die materielle Kultur der Huaxteken ist in Figuren wie einer eineinhalb Meter großen Göttin aus Stein erhalten geblieben (Kapitel 69), die man zunächst mit der aztekischen Muttergöttin Tlazolteotl und später mit der Jungfrau Maria assoziierte. Diese Skulpturen sind die wichtigsten Dokumente für das religiöse Denken der Huaxteken; ihre genaue Bedeutung bleibt zwar rätselhaft, doch ihre numinose Präsenz sorgt dafür, dass wir die aztekischen und spanischen Berichte aus zweiter Hand noch einmal neu lesen, mit veränderter Perspektive und schärferen Fragen – letztlich aber vertrauen wir noch immer unseren eigenen Intuitionen im Hinblick darauf, was in diesem Dialog mit den Göttern geschieht. Solche Akte imaginärer Interpretation und Aneignung sind für jede «Geschichte in Dingen» von essenzieller Bedeutung. Diese Methoden des Verstehens waren schon den Begründern des Britischen Museums vertraut, für sie war die Rückgewinnung vergangener Kulturen eine wesentliche Grundlage, um unser gemeinsames Menschsein zu begreifen. Die Sammler und Gelehrten der Aufklärung gingen diese Aufgabe auf zweifache Weise an, nämlich mit einer wissenschaftlichen Ordnung der Fakten einerseits und einer seltenen Fähigkeit zur poetischen Rekonstruktion andererseits. Gleiches wurde zur gleichen Zeit auf der anderen Seite der Welt versucht. Qianlong, Kaiser von China und Zeitgenosse des britischen Königs Georg III., war Mitte des 18. Jahrhunderts ebenfalls darum bemüht, zusammenzutragen, zu...