E-Book, Deutsch, 73 Seiten
März Planet der Alten
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7546-9488-6
Verlag: tolino media
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
E-Book, Deutsch, 73 Seiten
ISBN: 978-3-7546-9488-6
Verlag: tolino media
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
WAS, WENN DER MENSCH NICHT DIE KRONE DER SCHÖPFUNG IST? Neunundsiebzig Menschen haben unter dem Bahnhofsgebäude in Stuttgart die zweite Pandemie und später das atomare Inferno überlebt. Im Bunker S21. Wissenschaftler, Ingenieure, Ärzte, Künstler - die geistige und kreative Elite der einstigen Bundesrepublik Deutschland sowie deren Nachkommen. Unter ihnen Colja und Nora, die sich viele Jahre nach der globalen Katastrophe an die Oberfläche und auf den Weg nach Berlin begeben. Was sie finden, ist nicht der Planet, den sie zu kennen glauben. Die herrschende Zivilisation wurde längst von einer neuen Spezies übernommen, die den letzten Menschen nach dem Leben trachtet ... Inspiriert von: »Der Planet der Affen« (Original: La Planète des singes) von Pierre Boulle »Mit PLANET DER ALTEN entführt Mari März den Leser in eine postapokalyptische Welt, die auf den ersten Blick fern erscheint, sich jedoch als viel näher herausstellt, als man glaubt. Eine gelungene Hommage und Neuinterpretation eines Klassikers.« (Dominik A. Meier)
Mari März schreibt authentisch, bizarr, schnörkelfrei, vielfältig. Diese Autorin passt in keine Schublade. Sie schreibt Bücher fürs Regal. 1972 in Berlin geboren, lebt und arbeitet sie als Lektorin und Schriftstellerin am grünen Stadtrand der Metropole. Es ist der spannende Mix aus Hass, Gier, Verzweiflung, Liebe und Freundschaft, der ihre Geschichten so lesenswert macht. Das Recht auf Freiheit und Selbstbestimmung ist für sie das höchste Gut.
Autoren/Hrsg.
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PLANET DER ALTEN Anno 2125 Judith und Phill absolvierten ihren Dienst im Historischen Museum. Sie waren gern dort zwischen all den Exponaten, die Aufschluss über ihre Geschichte gaben, über all jene Gattungen, die nacheinander den Planeten Erde besiedelt hatten. Wie jedes Mal, wenn Judith hier in den heiligen Hallen zum Putzen eingeteilt war, schritt sie ehrfürchtig an den ausgestopften Primaten entlang. Gorilla, Orang-Utan, Schimpanse, Homo. Die Familie der Hominiden. Judith war ein großer Fan der Menschenaffen – von ihrer Entstehung bis zu ihrem Untergang. Nur eine Spezies hatte sich im Laufe von sechs Millionen Jahren weiterentwickelt: der Homo sapiens. Die riesige Schautafel, auf der die Evolution des mächtigsten Menschenaffen dargestellt war, hatte Judith schon oft studiert. Fasziniert flüsterte sie die überlieferten Fachbegriffe in der längst toten Sprache: »Sahelanthropus tchadensis, Orrorin tugenensis, Ardipithecus ramidus kadabba …« »Judith, du kennst deine Pflichten! Dein romantisches Interesse an diesen Affen gehört definitiv nicht dazu.« »Nenn sie nicht so! Es sind die Alten.« Mit finsterer Miene schaute sie zu Phill. Schon mehrfach hatte er sie gerügt, ihr Arbeitspensum nicht zu schaffen, weil sie sich sinnentfremdet verhalten würde. Aber diese behaarten Wesen faszinierten sie nun mal. Natürlich waren es Affen gewesen, aber hübscher klang die Alten. »Australopithecus anamensis«, flüsterte sie weiter. »Homo habilis. Homo erectus. Homo neanderthaliensis …« Sie alle gehörten zur Familie der Primaten, der Hominidae oder auch Hominiden. Eine Spezies hatte quasi die andere ausgelöscht. Wie archaisch!, dachte sie. »Judith!« Ihr Kollege Phill schaute sie auffordernd an. Ja, sie musste endlich mit dem Putzen weitermachen. Also schaltete sie ihr Ultraschallgerät ein und verrichtete routiniert ihre Arbeit. Beim ausgestopften Homo sapiens ließ sie sich besonders viel Zeit. Er war ihr Liebling, bildete er doch die Spitze der humanen Evolution. Wie ein Parasit hatte er die Erde besetzt und seine Artgenossen verdrängt. Bis zur globalen Katastrophe vor knapp hundert Jahren. »Judith! Wie weit bist du?« Nur widerwillig folgte sie Phill in die Halle der Ahnen und damit einem klar strukturierten Plan, der vorsah, binnen weniger Stunden das gesamte Historische Museum vom Staub der Zeit zu befreien. Einmal im Jahr durften sie diesen atmosphärischen Ort betreten. Judith erledigte diese Aufgabe mit Stolz und jeder Menge Neugier. Das Zeitfenster war knapp und doch war es ihr möglich, jedes Jahr etwas Neues zu entdecken, das sie begeisterte. Phill war gerade dabei, die Statuen der Drei Weisen zu säubern. Sein Ultraschallgerät surrte leise vor sich hin, während die hohen Frequenzen Staubkorn für Staubkorn eliminierten. »Judith!«, wurde sie ein weiteres Mal von Phill ermahnt. Er war sehr schlicht in seiner Natur, auf das Wesentliche konzentriert, trotzdem mochte ihn Judith. Sie waren Studienkollegen an der Universität Fratis, bis sie eines Tages in der Lage sein würden, ihren festen Platz in der Gesellschaft einzunehmen. Dieses Privileg bezahlten sie mit eifrigem Lernen und dem alljährlichen Arbeitseinsatz im Historischen Museum. Für Phill war es einfach nur ein Job, für Judith ein Abenteuer. Deshalb waren Phills Ermahnungen auch alles andere als zielführend. Judith wollte lernen, nicht putzen. Aus diesem Grund schlich sie nun zu einem prächtigen Schrank aus Eichenholz, den sie bei ihrem Besuch im letzten Jahr schon faszinierend gefunden hatte, damals jedoch nicht dazu gekommen war, ihn genauer zu inspizieren. Bevor sie sich jedoch ihrem Fundstück widmen konnte, hörte sie erneut die strenge Stimme ihres Kommilitonen: »Was machst du da?« »Phill, ich mache meine Arbeit. Was glaubst du denn? So ein Schrank muss auch mal von innen entstaubt werden. Das ist doch logisch, oder?« Freudig erregt vernahm Judith ein Knarren, als sie eine der verzierten Holztüren öffnete. Ein unbekannter Geruch strömte ihr entgegen. Es roch nach … »Puh! Was riecht denn hier so streng?«, zerstörte Phill ihren magischen Moment. Dieser pragmatische Kleingeist!, dachte sie schmollend. »Nimm die Finger weg, du Homo!«, schimpfte sie, als Phill sich an ihr vorbeidrängte und ein rechteckiges Ding aus dem Schrankfach nahm. Es war blau, etwa zwanzig Zentimeter lang, halb so breit und nicht sehr hoch. Auf der nach oben gewandten Fläche stand das Wort Notizbuch. Phill und Judith studierten neben binären Systemen auch die Sprachen der Alten, weshalb sie lesen konnten, was dort geschrieben stand. Aber noch nie in ihrem Dasein hatten sie ein Buch in den Händen gehalten. Sie kannten den Begriff aus dem historischen Seminar, auch Abbildungen davon, aber das hier war Geschichte zum Anfassen. Judith war begeistert und auch Phill entdeckte allmählich seine Neugier. Hektisch überflog er die handgeschriebenen Seiten, roch daran und verzog angewidert das Gesicht. »Lass mich mal!«, quengelte Judith und nahm Phill das Buch aus der Hand. »Das ist der Duft der Vergangenheit.« Mit großen Augen las sie den Text auf der Innenseite. Nachtrag am 25. Dezember 2065: Wie es scheint, sind wir die letzten Menschen. Ich vertraue dieses Buch der Zeit an – nicht in der Hoffnung auf Hilfe, sondern als Nachlass für jene, die da kommen werden. Wir haben unseren Planeten zerstört, doch für den Untergang der humanen Spezies sind letztlich drei Irre und ihre Humanoiden verantwortlich, die uns jetzt nach dem Leben trachten. »Die letzten Menschen?«, fragte Phill erstaunt. »Ja, so steht es hier«, erwiderte Judith und blätterte vorsichtig die Seite um. »Humanoiden sollen das getan haben? Das kann doch nicht sein!«, fügte sie verwirrt hinzu und begann zu lesen … Es ist Heiligabend und wir haben nicht mal mehr Kerzen. Seit vierzig Jahren leben wir nun schon in diesem Bunker. Wir fühlen uns gefangen in dem letzten bisschen Welt, das der Menschheit geblieben ist. Vor der Katastrophe hat man unsere Eltern hierher evakuiert. Keine vierundzwanzig Stunden, bevor das atomare Inferno begann. Insgesamt neunundsiebzig Menschen haben hier unter dem Bahnhofsgebäude in Stuttgart überlebt. Im Bunker S21. Wissenschaftler, Ingenieure, Ärzte, Künstler – die geistige und kreative Elite der einstigen Bundesrepublik Deutschland sowie ihre Nachkommen. Niemand von uns weiß, was nach dem globalen GAU draußen geschah. Am ersten Tag hatten unsere Eltern noch Kontakt nach Berlin, Paris, London und zu anderen europäischen Hauptstädten gehabt, am zweiten war nur noch Gebrabbel zu hören gewesen, am dritten brach die Verbindung komplett ab. Die Technik funktionierte, nur war da draußen scheinbar niemand mehr, der sie bedienen konnte. Jetzt werden die Ressourcen knapp. Natürlich haben wir im Laufe der Zeit Technologien entwickelt, die unser Überleben sichern. Wir gewinnen Wasser aus dem meterdicken Beton und der Luft, erzeugen Strom über Erdwärme, bauen Getreide, Obst und Gemüse an, mit dem wir uns und die Nutztiere ernähren. Essen und Trinken gibt es genug – was knapp wird, sind Medikamente, Zahncreme, Tampons, Kerzen und vor allem Zerstreuung. Die Bücher in der riesigen Bibliothek wurden von jedem Überlebenden bereits mehrfach gelesen. Worüber wir hier unten in diesem Kokon aus Stahl und Beton reichlich verfügen, ist Zeit. Alkohol und Zigaretten sind hingegen schon vor Jahren ausgegangen. Das Klima eignet sich nicht für den Anbau von Tabak und Wein, das Schnapsbrennen kommt aus Gründen der Explosionsgefahr nicht infrage. Die Bunkeranlage der Stuttgarter Innenstadt wurde von klugen Köpfen konzipiert. Sie sollte das Überleben sichern. Woran auf lange Sicht aber nicht gedacht wurde, war die Tatsache, dass auch der intelligenteste und kreativste Geist bisweilen Zerstreuung braucht. Deshalb wächst der Unmut unter den Überlebenden von Jahr zu Jahr. Niemand will sich eingestehen, dass eine Gemeinschaft an so banalen Dingen wie Alkohol und Zahncreme scheitern kann, doch insgeheim sehnt sich so mancher von uns nach einem guten Schluck Wein oder Whisky. »Whisky?«, fragte Phill neugierig und schaute fragend zu Judith. Diese zuckte ratlos mit den Schultern. »Wusstest du etwas von diesem Bunker?« Phill schüttelte den Kopf. »Ich wusste nicht mal, dass die Menschen damals fähig waren, Energie aus Erdwärme zu produzieren.« Judith nickte und las weiter … Nora ist mein einziger Lichtblick in diesem Leben, das von Tristesse und festen Strukturen geprägt ist. Ich stamme aus einer Künstlerfamilie, meine Passion ist die Architektur. Seit ich lesen kann, habe ich all jene kreativen Schöpfungen studiert, welche die Menschheit so einzigartig machte. Nora ist Wissenschaftlerin – genau wie ihr Vater und ihre Mutter, die sich vor fünf Jahren das Leben nahm. Es ist nicht leicht hier unten. Das, was unsere Existenz sichern soll, bremst uns aus, tilgt den Sinn zum Überleben Tag für Tag mehr. Aber jetzt gibt es Hoffnung. Die Strahlungswerte sinken stetig. Unsere kleine Gemeinschaft hat Nora und mich gebeten, den Bunker zu verlassen. Es wird Zeit, dass wir neue Erkenntnisse gewinnen, ob ein Überleben außerhalb der schützenden Betonmauern möglich ist. Wir sind vorbereitet, vor allem Nora hält es kaum noch aus, endlich den Aufstieg an die Oberfläche zu wagen. Sie hat die Ungeduld und das Temperament ihrer Mutter geerbt, einer angesehenen Wissenschaftlerin mit spanischen Wurzeln. Mir macht der Gedanke an draußen Angst. Zum einen würde ich...