Buch, Deutsch, Band 954, 237 Seiten, Format (B × H): 143 mm x 215 mm, Gewicht: 306 g
Reihe: Campus Forschung
Eine Kritik des liberalen Egalitarismus
Buch, Deutsch, Band 954, 237 Seiten, Format (B × H): 143 mm x 215 mm, Gewicht: 306 g
Reihe: Campus Forschung
ISBN: 978-3-593-39512-8
Verlag: Campus
Ist es tatsächlich die Ungleichheit, die uns beim Anblick von Armut, Elend, Hunger, Unterdrückung und Ausbeutung stört? Sind es nicht eher die Umstände der menschenunwürdigen Existenzbedingungen, die unser Gerechtigkeitsempfinden provozieren? Heiner Michel stellt das Argument der 'Gleichheit', das die philosophischen Gerechtigkeitsdebatten des 20. Jahrhunderts dominiert hat, systematisch infrage. Denn der Gleichheitsfetischismus verliert das Wesentliche der Gerechtigkeit aus dem Blick: Brot für die Hungrigen, Autonomie für die Unterdrückten, gerechter Lohn für die Ausgebeuteten und ein gutes, menschliches Leben für alle.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
Weitere Infos & Material
Inhalt
Einleitung 11
1. Die Unterscheidung von Allgemeinheit und Gleichheit 18
1.1. Allgemeinheit 18
1.2. Gleichheit 23
1.2.1. Egalitarismus und Glücksegalitarismus 26
1.2.2. Gleichheit bei Aristoteles 36
2. Die Argumente pro Gleichheit 40
2.1. Die Eingemeindungsstrategie 40
2.2. Die Präsumtion für Gleichheit 45
2.2.1. Gleichheit als fundamentaler Rationalitätsstandard 48
2.2.2. Gleiches gleich und Ungleiches ungleich 50
2.2.3. Moralische Rechtfertigung 52
2.2.4. Totalität der Rechtfertigung 53
2.2.5. Politische Vereinbarung 55
2.2.6. Einfachheit 57
2.2.7. Ökonomische Kooperation 58
2.2.8. Unsicherheit 59
2.3. Drei generelle Einwände gegen die Präsumtion 62
2.3.1. Leere 62
2.3.2. Wer trägt die Beweislast? 64
2.3.3. Tabula rasa 69
2.4. Berlins Kuchenteilungsbeispiel 71
3. Die Argumente contra Gleichheit 74
3.1. Levelling Down 75
3.2. Verwechslung 80
3.3. Genug ist genug 87
3.4. Verkürzungseinwände 95
3.4.1. Vier Inhumanitätseinwände 102
3.4.2. Ökonomismus 121
3.4.3. Ratschläge der Weisheit 148
3.4.4. Besondere Gerechtigkeit 151
3.5. Impraktikabilitätseinwände 157
3.5.1. Verkennung des Ausmaßes an Kontingenz 158
3.5.2. Verteilungsfiligran 160
3.6. Falsche Einwände gegen Gleichheit 162
3.6.1. Gleichmacherei 163
3.6.2. Verschiebebahnhof 164
3.6.3. Moralische Naturkritik 165
3.6.4. Neid 166
3.6.5. Selbstentfremdung 168
4. Warum Gleichheit? 170
4.1. Rhetorische Gleichheit 170
4.2. Instrumentelle Gleichheit 175
4.2.1. Gefährdung politischer Autonomie 175
4.2.2. Gefährdung individueller Autonomie 177
4.2.3. Gefährdung der Besonderung 177
4.2.4. Sozialer Ausschluss 178
4.2.5. Entsolidarisierung 178
4.3. Gleichheit als Nebenprodukt 180
4.4. Gleichheit als Eigenwert 180
4.5. Symbolische Gleichheit 182
4.6. Gleichheit als politische Option 183
5. Was ist gerecht? 184
6. Ausblick 194
6.1. Verdienst 196
6.1.1. John Rawls: Verdienst ohne Verdiente 196
6.1.2. Das Surfer-Dilemma 198
6.1.3. Verdienst im Glücksegalitarismus 201
6.1.4. Das puristische Verdienstverständnis 203
6.1.5. Der Verdienstbegriff 205
6.2. Lohn 207
6.2.1. Ökonomische Reziprozität 209
6.2.2. Gesellschaftliche Anerkennung 212
6.2.3. Bedarf 214
6.2.4. Jedem nach seiner Mühe 217
6.2.5. Jedem nach seinem Verdienst 221
6.2.6. Produktivität und positionale Renten 223
Literatur 229
Das Ideal der Gleichheit erfreut sich einer fast ungebrochenen Beliebtheit. Im öffentlichen Diskurs ebenso wie in vielen akademischen Debatten scheint bei allen sonstigen Differenzen doch eines unstrittig: Gleichheit ist ein zentraler Wert der Gerechtigkeit. Wer immer in der Lage ist, seine Forderungen und Ansprüche in das sprachliche Gewand der Gleichheit zu kleiden, hat den Applaus auf seiner Seite. Der Appell an Gleichheit übernimmt die Rolle eines scheinbar evidenten Gerechtigkeitsarguments. Exemplarisch seien einige Passagen aus dem Bericht über die menschliche Entwicklung zitiert, der die riesigen Ungleichheiten anprangert, die zwischen Armen und Reichen, zwischen Männern und Frauen, auf nationaler und internationaler Ebene herrschen:
"Die reichsten 500 Einzelpersonen der Welt verfügen gemeinsam über ein größeres Einkommen als die ärmsten 416 Millionen. Einmal abgesehen von solchen Extremen haben die 2,5 Milliarden Menschen, die mit weniger als zwei US-Dollar am Tag auskommen müssen - 40 Prozent der Weltbevölkerung - nur einen Anteil von fünf Prozent am weltweiten Einkommen. Der Anteil der reichsten zehn Prozent, von denen fast alle in Ländern mit hohem Einkommen leben, beträgt hingegen 54 Prozent."
"Die Kluft in der Lebenserwartung zählt zu den grundlegendsten aller Ungleichheiten. Heutzutage hat jemand, der in Sambia lebt, eine geringere Chance, 30 Jahre alt zu werden, als jemand, der 1840 in England geboren wurde - und die Kluft wird immer größer."
"In Indien liegt die Sterberate im Alter von ein bis fünf Jahren bei Mädchen um 50 Prozent höher als bei Jungen. […] In Pakistan würde eine Gleichstellung der Geschlechter beim Schulbesuch weiteren zwei Millionen Mädchen die Chance geben, eine Schulbildung zu erhalten."
"Im Durchschnitt kann ein in Mosambik geborenes Kind heute vier Jahre formaler Bildung erwarten. Ein in Frankreich geborenes Kind wird 15 Jahre auf weit höherem Niveau Bildung erhalten."
Diese Ungleichheiten sind moralisch empörend und legen eine egalitaristische Reaktion nahe: Wie könnte es kein Unrecht sein, dass manche so viel schlechtere Lebensaussichten haben als andere? Wäre es nicht besser, die extremen Ungleichheiten zu beseitigen und endlich Gleichheit zwischen den Menschen zu schaffen? Ungleichheit, so scheint es, ist ein verdammenswertes Übel und Gleichheit ein erstrebenswertes Gut.
Kein Wunder also, dass auch in der gegenwärtigen Politischen Philosophie egalitaristische Konzeptionen einen führenden Platz einnehmen. Seit vier Jahrzehnten bestimmen Egalitaristen wie Richard Arneson, Jerry Cohen, Ronald Dworkin, Stefan Gosepath, Wilfried Hinsch, John Rawls und Philippe Van Parijs - um nur einige der wichtigsten zu nennen - maßgeblich die Arena der Politischen Philosophie. Sie streiten nicht darüber, welche Rolle Gleichheit innerhalb der Gerechtigkeit einnimmt, denn ihren zentralen Stellenwert unterstellen sie ohnehin als klar und evident, stattdessen streiten sie darüber, wie die Hinsicht, in der alle gleich sein sollten, wohl am besten auszubuchstabieren sei; kurz, sie streiten um die Frage Equality of What - Gleichheit in was?