E-Book, Deutsch, 150 Seiten
Reihe: Referendariat
Möller / Kuhl-Dominik Die mündliche Assessorprüfung im Öffentlichen Recht
2., neu bearbeitete und erweiterte Auflage 2024
ISBN: 978-3-8114-8951-6
Verlag: C.F. Müller
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
15 Prüfungsgespräche - Wiederholungstipps
E-Book, Deutsch, 150 Seiten
Reihe: Referendariat
ISBN: 978-3-8114-8951-6
Verlag: C.F. Müller
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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Fall 2 Motorrad ohne Helm – auch rechtlich riskant?
Allgemeines Verwaltungsrecht: Ermessensreduzierung auf Null Verwaltungsprozessrecht: Verpflichtungsklage Verfahrensbeendigung, unstreitige Besonderes Verwaltungsrecht: Straßenverkehrsrecht Verfassungsrecht: Religionsfreiheit, Art. 4 Abs. 1 GG Sie sind Anwalt. Der Mandant A kommt in ihre Kanzlei und schildert folgenden Fall: Ich bin Anhänger der Sikh und trage in der Öffentlichkeit stets einen Turban. Außerdem fahre ich leidenschaftlich gerne Motorrad und bin öfter auf meiner Maschine unterwegs. Das Tragen meines Turbans verträgt sich aber nicht mit der Helmpflicht beim Motorradfahren. Deswegen habe ich bei der zuständigen Behörde eine Ausnahmegenehmigung beantragt, dass ich den Helm nicht tragen muss. Leider war dies erfolglos. Auch mein Widerspruch wurde negativ beschieden. Ich weiß nicht, was ich tun kann. Um meine religiösen Gebote zu erfüllen, muss ich dauerhaft den Turban tragen. Ich dachte, die freie Religionsausübung geht den Straßenverkehrsregeln vor. Können Sie mir bitte helfen? Die Behörde hat darauf verwiesen, dass eine entsprechende Ausnahmegenehmigung nur aus gesundheitlichen Gründen erteilt werden könne, die Religionsfreiheit aber eine solche Ausnahme nicht rechtfertige. Prüfer: Wie gehen Sie an einen solchen Fall heran? Kandidatin: Zunächst muss ich das Mandantenbegehren abstecken und ermitteln, worauf es dem Mandanten überhaupt ankommt. Außerdem muss die prozessuale Situation des Mandanten geklärt werden; in welchem Stadium des Verwaltungsverfahrens er sich gerade befindet. Prüfer: Richtig. Wie ist es hier? Kandidatin: Der Mandant begehrt die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung, dass er beim Motorradfahren keinen Helm tragen muss. Der diesbezüglich gestellte Antrag wurde seitens der Behörde abgelehnt. Auch der Widerspruch blieb ohne Erfolg. Nunmehr kommt ein gerichtliches Vorgehen in Betracht. Prüfer: Genau. Die Zulässigkeit einer entsprechenden Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Var. 2 VwGO bereitet keine Schwierigkeiten. Prüfen Sie bitte die Begründetheit. Kandidatin: Gerne. Die Verpflichtungsklage hat Erfolg, soweit die Ablehnung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist und den Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt, vgl. § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO. Dies ist der Fall, wenn der A einen Anspruch auf die begehrte Ausnahmegenehmigung hat. Prüfer: Ja. Wo könnte denn eine mögliche Anspruchsgrundlage zu finden sein? Kandidatin: Es geht vorliegend um Straßenverkehr und die dort herrschenden Sicherheitsanforderungen bzw. Möglichkeiten der Befreiung von diesen. Deswegen würde ich in der StVO nachschauen. Prüfer: Eine gute Überlegung. Da Sie dies nicht wissen müssen, gebe ich die beiden relevanten Normen vor. Schauen Sie bitte einmal in die §§ 21a und 46 StVO. Kandidatin: In § 21a Abs. 2 StVO ist normiert, dass wer Krafträder oder offene drei- oder mehrrädrige Kraftfahrzeuge mit einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von über 20 km/h führt sowie auf oder in ihnen mitfährt, während der Fahrt einen geeigneten Schutzhelm tragen muss. Dies gilt nach Satz 2 hingegen nicht, wenn vorgeschriebene Sicherheitsgurte angelegt sind. § 46 StVO normiert davon nunmehr die Möglichkeit der Ausnahmegenehmigung. Dort findet sich in Abs. 1 S. 1 Nr. 5b die Regelung, dass die Straßenverkehrsbehörden in bestimmten Einzelfällen oder allgemein für bestimmte Antragsteller Ausnahmen von den Vorschriften über das Anlegen von Sicherheitsgurten und das Tragen von Schutzhelmen genehmigen kann. Damit gilt grundsätzlich eine Helmpflicht beim Motorradfahren, allerdings kann die Behörde entsprechende Ausnahmen zulassen. Prüfer: Sehr richtig erfasst. Wann könnte eine entsprechende Situation gegeben sein, dass eine Ausnahme in Betracht kommt? Kandidatin: Zunächst stellt die Behörde klar, dass eine solche Ausnahme in Betracht kommt, wenn der Betroffene aus gesundheitlichen Gründen daran gehindert ist, die Pflicht zum Tragen des Helmes einzuhalten. Das leuchtet ein, da es bestimmte Situationen geben kann, in denen es schlicht nicht möglich ist, einen Helm zu tragen. Prüfer: Richtig. Dies ist von der Rechtsprechung auch anerkannt und sogar in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO) vorgesehen. Sehen Sie weitere Gründe für eine Ausnahme? Kandidatin: Nun ja, darüber hinaus könnte die freie Religionsausübung nach Art. 4 Abs. 1 GG einen Grund dafür darstellen von der Helmpflicht befreit zu werden. Wenn es für den Religionsausübenden keine andere Möglichkeit gibt, um seine religiösen Regeln zu befolgen, als den Helm wegzulassen, erscheint mir eine Befreiung aus religiösen Gründen durchaus möglich. Das wäre doch ein Normkonflikt, der zugunsten des Grundrechts aufgelöst werden müsste. Prüfer: So ist es. Grundsätzlich kann eine entsprechend erforderliche Ausnahmesituation auch bestehen, wenn der Betroffene aus religiösen Gründen gehindert ist, einen Helm zu tragen. Es kommt aber stets auf den Einzelfall an. Wie ist unser Fall zu beurteilen? Kandidatin: Der A ist Sikh und trägt dauerhaft einen Turban, um die für ihn als verbindlich empfundenen religiösen Gebote zu befolgen. Dies verträgt sich nicht mit der Pflicht zum Tragen des Helmes beim Motorradfahren. Prüfer: Und? Kandidatin: Damit steht zunächst erstmal fest, dass eine Situation besteht, für die eine Ausnahmegenehmigung in Betracht kommt. § 46 Abs. 1 S. 1 Nr. 5b StVO eröffnet jedoch Ermessen und stellt gerade keinen gebundenen Anspruch dar, der bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen ohne Weiteres gegeben wäre. Prüfer: Was bedeutet das konkret? Kandidatin: Es besteht grundsätzlich nur ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Allerdings kann sich das Ermessen zu einem Anspruch verdichten. Dies ist dann der Fall, wenn trotz eines gesetzlich eingeräumten Ermessens es sich im Einzelfall um eine gebundene Entscheidung handelt, da nur die Entscheidung zugunsten des Antragstellers rechtmäßig ist. Prüfer: Wie lässt sich das aber rechtlich begründen, wenn das Gesetz doch Ermessen und damit einen Spielraum der Verwaltung einräumt? Kandidatin: Es geht in diesen Fällen um höherrangiges Recht, also Verfassungsrecht. Wenn Grundrechte bzw. das Verhältnismäßigkeitsprinzip oder der Gleichheitssatz zu einer bestimmten Entscheidung zwingen, kann das Ermessen auf Null reduziert sein. Prüfer: Ok. Wann wäre dies bei der Befreiung von der Helmpflicht der Fall? Kandidatin: Wenn die allgemeine Verwaltungsvorschrift zur StVO eine Befreiung bei Krankheitsgründen vorsieht, könnte der Gleichheitssatz in Verbindung mit der Verwaltungspraxis der Behörde – die ja regelmäßig gemäß ihrer Verwaltungsvorschrift entscheidet – in allen Krankheitsfällen zur Befreiung zwingen. Prüfer: Und wann greift das Verhältnismäßigkeitsprinzip? Kandidatin: Auf jeden Fall dann, wenn besondere Gründe bestehen, weshalb dem Betroffenen nicht zugemutet werden kann, einen Helm zu tragen. Prüfer: Ja. Und sehen Sie das hier gegeben? Kandidatin: Die Regelung des § 46 Abs. 1 S. 1 Nr. 5b StVO stellt eine Ausnahmeregelung von der generellen Gurt- und Helmpflicht dar. Damit soll gewährleistet werden, dass auch wenn kein Helm oder Gurt getragen werden kann, dem Betroffenen trotzdem eine hinreichende Mobilität gewährleistet wird. Prüfer: Besteht dann stets ein Anspruch auf Befreiung? Kandidatin: Also wenn der Betroffene unter Umständen andere Möglichkeiten hat sich fortzubewegen und damit auf die konkrete Nutzung des Motorrads nicht angewiesen ist, sehe ich keinen notwendigen Grund für eine Befreiung. Prüfer: Sehr richtig. In einem solchen Fall wäre das individuelle Interesse des Einzelnen nicht derart höher zu bewerten als das öffentliche Interesse an der Einhaltung der Helmtragepflicht. Kandidatin: In...