Möllers | Die drei Gewalten | Buch | 978-3-938808-42-9 | sack.de

Buch, Deutsch, 240 Seiten, GB, Format (B × H): 140 mm x 222 mm, Gewicht: 439 g

Reihe: Velbrück Wissenschaft

Möllers

Die drei Gewalten

Legitimation der Gewaltengliederung in Verfassungsstaat, Europäischer Integration und Internationalisierung
1. Auflage 2008
ISBN: 978-3-938808-42-9
Verlag: Velbrück

Legitimation der Gewaltengliederung in Verfassungsstaat, Europäischer Integration und Internationalisierung

Buch, Deutsch, 240 Seiten, GB, Format (B × H): 140 mm x 222 mm, Gewicht: 439 g

Reihe: Velbrück Wissenschaft

ISBN: 978-3-938808-42-9
Verlag: Velbrück


Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wirkt das Prinzip der Gewaltenteilung wie eine schöne, doch auf dem Rückzug begriffene Idee aus dem Arsenal der alt gewordenen politischen Moderne. Öffentliche Gewalt hat sich, so ein weit verbreiteter Eindruck, zum einen in exekutiven Organisationen zentralisiert, zum anderem hat die Internationalisierung der Rechtsordnung das klassische Gewaltenteilungsschema überholt. Diesen Vorstellungen, die eine bestimmte Idee von Staatlichkeit verabsolutieren, wird in diesem Buch ein legitimationstheoretisches Modell entgegengesetzt, das Gewaltengliederung von der Form des demokratischen Verfassungsstaats zumindest teilweise löst.

Das bedeutet nicht, dass die kleiner werdenden einseitigen Entscheidungmöglichkeiten von Nationalstaaten, nicht auch Verluste an demokratischer Selbstbestimmung mit sich brächten. Trotzdem können bestimmte Legitimationsprobleme so reformuliert und auch relativiert werden.

Die alte Unterscheidung zwischen den drei Herrschaftsgewalten, zwischen Gesetzgebung, Gesetzesvollzug und Rechtsprechung, entfaltet auch für die neuesten Entwicklungen des Rechts einen Wert, wenn man sie konsequent auf eine legitimationstheoretische Grundlage stellt: Verstanden als organisatorische Explikation des unauflösbaren Widerspruchs zwischen individueller Freiheit und demokratischer Selbstbestimmung lassen sich für die Bestimmung der drei Gewalten und für ihr institutionelles Arrangement Verwirklichungskriterien herleiten und auf verschiedenste Probleme des nationalen und internationalen Verfassungsrechts anwenden.

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Einleitung: Verfassungstheorie und politische Philosophie
Kapitel 1: Gewaltenteilung: Traditionen und Bedeutungen
I. Traditionen der Gewaltenteilung: eine vergleichende Skizze
1. Demokratische Vorbehalte gegen Gerichte: Frankreich
2. Parlamentarische Regierung: England
3. Gewaltenteilung als gemischte Demokratie: USA
4 Gewaltentrennung im monarchischen Rechtsstaat: Deutschland
5. Föderale Ergänzungen
II. Gewaltenteilung: Funktionen und Bedeutungen
1. Zur Funktion: Herrschaftsermöglichung und Herrschaftsbegrenzung
2. Zur Bedeutung: Trennung, Balance oder Anmaßungsverbot
III. Zwischenbilanz

Kapitel 2: Gewaltengliederung in Selbstbestimmung
I. Selbstbestimmung als Legitimationskonzept
1. Zur Idee der Selbstbestimmung
2. Zwischen Wille und Rechtfertigung
3. Selbstbestimmung durch Herrschaft
II. Individuelle und demokratische Selbstbestimmung durch Recht
1. Das Verhältnis zwischen individueller und kollektiver Selbstbestimmung
2. Individuelle und demokratische Legitimation
3. Recht und Politik
III. Die drei Gewalten: eine legitimationstheoretische Herleitung
1. Rechtserzeugung als Bezugspunkt der Gewaltengliederung
2. Legislative
3. Judikative
4. Exekutive
5. Ämterbesetzung
6. Überschießende Legitimation: Parteien und objektive Grundrechte
7. Hierarchie und Konkretisierung zwischen den Gewalten
IV. Zwischenbilanz

Kapitel 3: Gewaltengliederung im Verfassungsstaat
I. Parlament und Regierung
1. Regierung und Parlament
2. Delegationen: Die Ermächtigung der Exekutive durch die Legislative
3.Parlamentarische Kontrolle
4. Agenturen: Verselbständigte Verwaltungseinheiten
II. Verfassungsgerichtsbarkeit
1. Verfassungsgerichte im Vorrang der Verfassung
2. Verfassungsgerichte als Hüter des demokratischen Prozesses
3. Verfassungsgerichte als Hüter föderaler Kompetenzordnungen
4. Verfassungsgerichte als Hüter der Grundrecht
5. Fazit
III. Grenzen gerichtlicher Kontrolle der Verwaltung
IV. Zwischenbilanz

Kapitel 4: Gewaltengliederung in der Internationalisierung des Rechts

Vorüberlegungen
1. Rechtsinternationalisierung: eine legitimationstheoretische Analyse
2. Demokratische Legitimation durch Intergouvernementalität
3. Individuelle Legitimation durch Vergerichtlichung
4. Ungleichzeitigkeiten der Legitimationsentwicklung
I. Der internationalisierte Verfassungsstaat
1. Auswärtige Gewaltengliederung
2. Drei Lösungsmöglichkeiten
3. Fazit: Vereinheitlichung von Innen- und Außenverfassungsrecht
II. Europäische Integration
1. Gewaltengliederung in der Europäischen Union
2. Judikative Rechtserzeugung
3. Legislative Rechtserzeugung
4. Die Kommission: Regierung oder Agentur
5. Die Legitimation verkoppelter Exekutiven
6. Fazit
III. Internationales Recht
1. Bauelemente internationaler Organisationen
2. Vereinte Nationen
3. Welthandelorganisation
4. Institutionen des Menschenrechtsschutzes
IV. Hybride Organisationsformen
1. Soft Law durch internationale Organisationen
2. Transnationale Verwaltungsnetzwerke
3. Private Rechtsetzung
Ausblick: Governance – Konstitutionalisierung – Vierte Gewalten?


Einleitung

Das Problem

Eine Kammer des amerikanischen Kongresses behält sich ihr Veto gegen die Einbürgerung einzelner Personen vor, auch wenn die Betroffenen alle Anforderungen zum Erwerb der amerikanischen Staatsangehörigkeit erfüllen. Das Bundesverfassungsgericht verpflichtet den Bundestag, ein strengeres Gesetz zur Regelung des Schwangerschaftsabbruchs zu beschließen. Völkerrechtliche Verträge werden von der Bundesregierung ausgehandelt; sie können vom Bundestag nur noch abgelehnt oder umgesetzt, nicht mehr verändert werden. Die Europäische Kommission erlässt gesetzesähnliche Regelungen zur Liberalisierung eines Marktes durch die Mitgliedstaaten. Streitbeilegungstribunale der Welthandelsorganisation (WTO) entscheiden, ob das Parlament eines demokratischen Mitgliedstaats bestimmte Handelsbeschränkungen erlassen darf.

Sind solche institutionellen Mechanismen zulässig, wirken sie überzeugend? Nach welchen Kriterien könnten wir das beurteilen? Im Regelfall wird die Rechtswissenschaft Auskunft darüber geben können, ob solche Arrangements der einschlägigen Rechtsordnung entsprechen. Diese Antwort ist praktisch wichtig, aber allein dürfte sie nicht befriedigen. Denn wenn die Organisation staatlicher und überstaatlicher Entscheidungen durch Änderung des Rechts gestaltet und zwischen unterschiedlichen Rechtsordnungen verglichen werden kann, so bedürfen wir zu ihrer Ausgestaltung Kriterien jenseits des positiven Rechts.

Die vorliegende Untersuchung versucht solche Kriterien zu entwickeln. Konkret wird sie danach fragen, wie sich die Entscheidungskompetenzen von Gerichten, Verwaltungen und Parlamenten zueinander verhalten sollen, wollen sie Anspruch auf Legitimation erheben. Zu diesem Zweck ist die überlieferte Idee der Gewaltenteilung legitimationstheoretisch zu rekonstruieren und auf Probleme nationaler, europäischer und internationaler Rechtsordnungen vergleichend anzuwenden. Dieses Vorhaben bedarf einer Vorüberlegung zum disziplinären Kontext des vorliegenden Buchs.

Institutionenblindheit politischer Theorie - Theoriearmut des Verfassungsrechts

Seit dem Erscheinen von John Rawls’ A Theory of Justice im Jahr 1971 wächst in der westlichen Welt das Interesse an normativer politischer Theorie, an einer systematischen Beantwortung der Frage nach einer richtigen politischen Ordnung. Die maßgeblichen Beiträge zu dieser Diskussion kamen aus der Philosophie und den Sozialwissenschaften, seltener den Wirtschaftswissenschaften, kaum aus der Rechtswissenschaft. Die Diskussion bemühte sich entweder um die Erarbeitung von Gründen für bestimmte politische Entscheidungen, etwa um den Umgang mit wirtschaftlicher Ungleichheit, die Einbeziehung von Minderheiten, die Legitimation von Steuern oder aber um die Entwicklung von Legitimationsmodellen. Geringer war das Interesse an konkreten Problemen der legitimen Organisation politischer Entscheidungen, an der Frage, welchen Einfluss Organisations- und Verfahrensarrangements für die Rechtfertigung politischer Entscheidungen haben sollten. Zwar hatte die Organisationssoziologie bereits seit den dreißiger Jahren auf die Bedeutung von Organisationsarrangements für Firmen, aber auch für öffentliche Verwaltungen hingewiesen. Diese Fragestellungen gingen zudem eine ergiebige Zusammenarbeit mit ökonomischen Methoden beispielsweise der Spieltheorie ein. In der Entwicklung der Vetospieler-Theorie fand sich sogar ein Modell, das sich für klassische Themen der Gewaltenteilung interessierte. Anschluss an die normative politische Philosophie fanden diese Entwürfe allerdings kaum.
Eher im Abseits solcher Diskussionen stand die Rechtswissenschaft. Mit der Auslegung und Systematisierung eines sich schnell vergrößernden und verfeinernden Corpus an verfassungsgerichtlichen Entscheidungen beschäftigt, fand das Verfassungsrecht der Bundesrepublik – anders als noch in der Weimarer Republik – nur selten Anschluss an die politische Theorie der Gegenwart. Aber auch die Rechtswissenschaften anderer Länder differenzierten sich weiter aus. Noch am ehesten kann für die Vereinigten Staaten von einem ernsthaften Dialog zwischen politischer Theorie und Rechtswissenschaften gesprochen werden.

Manches spricht dafür, dass diese wechselseitige Enthaltsamkeit zwischen politischer Theorie und Rechtswissenschaft einen Verlust darstellt. Denn was der Rechtswissenschaft an theoretischer Durchdringung fehlt, hat sie anderen Disziplinen an Nähe zu institutioneller Praxis voraus. Die Verfassungsrechtslehre interessiert sich zwar selten für Demokratietheorie oder Begriffsgeschichte; dafür hat sie sehr konkrete Vorstellungen davon, wie Demokratie organisiert werden kann. Die Praxis der Demokratie ist eben zu einem großen Teil eine Praxis des Rechts. Politische Philosophie bedenkt dagegen die Rechtfertigung politischer Herrschaft. Wenn politische Herrschaft sich aber in Formen des Rechts abspielt, dann liegt es nahe, politische Theorie und Rechtswissenschaft in einen engeren methodischen Zusammenhang zu bringen. Oftmals erscheinen Fragen des positiven Rechts der politischen Theorie zu technisch und Probleme der politischen Theorie der Rechtswissenschaft zu abgehoben. Die schwachen diskursiven Bindungen zwischen normativer politischer Theorie und Rechtswissenschaft schaffen die starken institutionellen Bindungen zwischen politischer Herrschaft und Recht zwar nicht aus der Welt; doch erzeugen sie eine Verarmung der Diskurse, die in eigenen Fragestellungen befangen bleiben.

Die folgende Untersuchung will einen Beitrag zur intellektuellen Vermittlung von Verfassungsrecht und politischer Theorie anhand eines Begriffs leisten, der entstand, als beide Disziplinen noch nicht streng unterschieden wurden, der Gewaltenteilung. Der Blick auf die Gewaltenteilung gestattet es, von Fragen materieller Richtigkeit abzusehen. Damit ist dieses Prinzip nicht allein moderner als Zweckbegriffe, die Herrschaft über Ziele wie Frieden oder Wohlfahrt rechtfertigen wollen, sondern auch konkreter als gesellschaftsvertragliche Konstruktionen. Diese enden von Hobbes bis Rawls geltungstheoretisch mit dem Akt der Herrschaftsbegründung, kümmern sich aber in der Regel wenig um die anschließenden Fragen der konkreten institutionellen Ausgestaltung einer legitim begründeten Herrschaft. Ebenso leiden rechtsphilosophische Entwürfe, die den Begriff der Freiheit als Kriterium materieller Richtigkeit diskutieren und dabei jeden Verfahrenszusammenhang ausblenden, unter diesem Problem. Für den Zusammenhang zwischen Freiheit und ihrer institutionellen Verwirklichung ist das etwa der amerikanischen Verfassungsväter in den Federalist Papers für die politische Theorie erst einmal wieder einzuholen.
Wie dringend die Intervention einer theoretisch angeleiteten und methodisch offenen Rechtswissenschaft notwendig ist, zeigt sich vielleicht am deutlichsten in der Debatte um die Globalisierung. Diese spielt sich wesentlich in Formen des Rechts ab, ja man mag die Formalisierungsleistung des Rechts als eine zentrale Bedingung der Globalisierung verstehen. Aber die globalisierte Rechtsordnung spitzt sich selten auf die Grundsatzprobleme zu, die in der politischen Theorie diskutiert werden, etwa den Konflikt zwischen Handel und Umweltschutz. Vielmehr arbeiten Rechtsmechanismen solche Konflikte zu Einzelfragen klein, gerade um eine Politisierung der Entscheidungen zu verhindern. Will man den Umgang des Rechts mit derartigen Widersprüchen verstehen und bewerten, hat man sich mit solchen Verfahrensstrukturen zu beschäftigen. Allerdings entspricht der Tugend differenzierter rechtlicher Prozeduren eben auch die Not rechtswissenschaftlicher Theoriearmut. Denn auch hinter differenzierten Lösungen verstecken sich nicht selten grundsätzliche Vorstellungen, deren Rechtfertigung sich nicht allein aus dem Hinweis auf das positive Recht ergeben kann. Dies gilt umso mehr, wenn das positive Recht, wie etwa im Fall des Demokratieprinzips, auf Begriffe der politischen Theorie verweist.

Gewaltengliederung durch Selbstbestimmung

Im Folgenden soll deshalb eine normative politische Theorie mit der institutionellen Perspektive des Verfassungsrechts verknüpft werden und aus dieser Verknüpfung eine legitimationstheoretisch fundierte Fortführung der überlieferten Gewaltenteilungsidee entwickeln werden. Diese soll in Abgrenzung zur Tradition als Gewaltengliederung bezeichnet werden. Die Verknüpfung zwischen Legitimationstheorie und Gewaltenteilung ist nicht neu. Schon die Theorien Kants und Rousseaus rekonstruierten die Gewaltenteilung aus ihren legitimationstheoretischen Ansätzen. Ihr gemeinsamer Ausgangspunkt, die Idee der Selbstbestimmung, wird auch die folgende Untersuchung anleiten.
Eine legitimationstheoretisch argumentierende Konzeption kann über den Geltungsgrund verschiedener nationaler Rechtsordnungen hinaus Anerkennung beanspruchen. Auch an der Europäischen Union und an internationalen Organisationen wird sie sich zu bewähren haben. Während die politische Philosophie kaum institutionell ausreichend konkret argumentiert, beschränkt sich die Rechtswissenschaft zumeist darauf, für eine bestimmte Rechtsordnung Regeln der Gewaltenteilung aus dem positiven Recht zu entwickeln. Der juristische Vergleich verschiedener Rechtsordnungen beschreibt dann nur noch Ähnlichkeiten und Unterschiede, ohne diese theoretisch aufzuarbeiten. Dies ist zu wenig. Denn es steht zu vermuten, dass das gemeinsame Bekenntnis aller demokratischen Verfassungsstaaten zu einer gewaltengeteilten dreigegliederten Verfassungsordnung mit der ihnen gemeinsamen Legitimationsgrundlage zusammenhängt. Der Zusammenhang zwischen der politischen Philosophie des demokratischen Verfassungsstaats und der Geltung des Rechtsprinzips der Gewaltenteilung bedarf der systematischen Explikation.
Um eine solche allgemeine Konzeption der Gewaltenteilung zu entwickeln, wird das politisch-rechtliche Konzept der Gewaltenteilung im Folgenden unter der Bezeichnung Gewaltengliederung legitimationstheoretisch begründet und auf verschiedene Rechtsordnungen, namentlich das Grundgesetz, die Verfassung der Vereinigten Staaten und das Recht der Europäischen Union, vergleichend angewendet. Die legitimationstheoretische Perspektive der politischen Philosophie ist dazu von vornherein auf die Verfahrens- und Organisationsstrukturen demokratischer Hoheitsträger hin zu entwickeln. Legitimation wird dabei als ein Verfahrenskonzept verstanden, in dem Akte der Zustimmung und Ablehnung von Rechtssubjekten in die Rechtsordnung einbezogen werden, damit diese gerechtfertigt werden können: etwa indem Bürger zur Wahl gehen, demonstrieren oder eine Klage erheben.

Die Legitimation politischer Herrschaft entsteht, dies wird im Weiteren zu begründen sein, in Verfahren individueller und kollektiver Selbstbestimmung der Herrschaftsunterworfenen. Die grundlegende Vermutung der Untersuchung verknüpft den demokratischen Verfassungsstaaten charakterisierenden gleichberechtigten Schutz von individueller Freiheit und demokratischer Selbstbestimmung mit dem übergreifenden Organisationsprinzip einer Dreigliederung hoheitlicher Herrschaft, die mit vielen Begriffen als Gewaltenteilung, Gewaltengliederung oder Checks and Balances bezeichnet wird.
Insoweit argumentiert das Buch dezidiert mit einem monistischen normativen Ansatz und wendet sich gegen Konzeptionen, die verschiedene Formen von Herrschaftslegitimation etwa durch wirtschaftlichen Erfolg, Friedenssicherung oder Verteilungsgerechtigkeit der Idee der Selbstbestimmung ergänzend zur Seite stellen. Die ausschließliche Konzentration auf Selbstbestimmung überzeugt nicht deshalb, weil die genannten anderen Maßstäbe für die Anerkennung einer Ordnung unbeachtlich wären – sie sind es offensichtlich nicht. Vielmehr sprechen drei Gründe dafür, die Fragestellung dieser Arbeit mit einem einheitlichen normativen Konzept zu untersuchen.

Zum Ersten sind Verfahren der Selbstbestimmung notwendig, damit sich weitergehende Ziele wie Frieden oder Wohlfahrt überhaupt legitim definieren und konkretisieren lassen. So sehen es auch alle demokratischen Verfassungen, die die öffentliche Gewalt nicht nur auf bestimmte Ziele verpflichten, sondern für die Verwirklichung dieser Entscheidungen immer demokratische Verfahren vorsehen.

Zum Zweiten liegt die Bestimmung ergebnisorientierter Konzepte der Legitimation außerhalb der methodischen Reichweite einer rechtswissenschaftlich argumentierenden Untersuchung. Über faktische Voraussetzungen und Ergebnisse von Recht können die Rechtswissenschaften nicht mit gleicher Berechtigung sprechen wie über Gehalte des Rechts. Diese Beschränkung teilen sie mit Ansätzen normativer politischer Philosophie, wie dem von Rawls, diese Beschränkung unterscheidet beide von den empirischen Strängen der politischen Wissenschaften. Das Recht weiß wenig über seine tatsächlichen Erfolge und Misserfolge, es kann nicht selbst die Bedingungen seiner Effizienz bestimmen – und man kann aus Erfahrung getrost hinzufügen: die empirischen Sozialwissenschaften wissen es selten besser. Würde man die Legitimation einer politischen Ordnung systematisch von ihren Ergebnissen abhängig machen, wäre man mit unlösbaren methodischen Problemen konfrontiert. Zudem ist einer empirisch arbeitenden politischen Wissenschaft die Legitimationsgrundlage der untersuchten Ordnung auch als Beschreibungsfolie entgegenzuhalten. Die Relevanz von empirischer Untersuchung kann sich überhaupt nur vor dem Hintergrund einer begründeten Erwartung dessen verstehen, was die Ordnung soll und was sie rechtfertigt. »Leistungserwartungen sind von Geltungsvorstellungen geprägt.« Außerdem enthält die Analyse rechtlicher Institutionen einen ganz eigenen Realitätsgehalt, der sich mit demjenigen empirischer Studien durchaus messen kann. Verfassungsnormen und Gerichtsentscheidungen sind Teil der politischen Praxis, wenn auch ein solcher, der ohne Kenntnis der Strukturen des positiven Rechts oft schwer zu entschlüsseln ist.

Zum Dritten schließlich scheint es auch in der Diskussion mit anderen Ansätzen ergiebiger, eine Konzeption zu Ende zu führen, damit ihre Leistungen beurteilt werden kann, anstatt sie vorschnell mit anderen im Prinzip normativ angemessenen Konzeptionen zu vermengen. Konsequent zu sein, erscheint auch hier als »größte Obliegenheit des Philosophen«.
Die Argumentation des Buches verläuft somit auf zwei normativen Ebenen: Sie entwickelt ein legitimationstheoretisches Argument, operiert also auf der Ebene theoretischer Normativität, und wendet dieses Argument auf rechtlich konstituierte Institutionen an, operiert also auf der Ebene der Normativität des positiven Rechts. Beide Ebenen sind voneinander zu unterscheiden, ohne dass sie stets getrennt werden könnten. Wenn der Verfassungstext Demokratie oder Freiheit positiviert, rekurriert damit das positive Recht auf die politische Philosophie. Damit liegt der Untersuchung eine Konzeption der Beziehung zwischen politischer Philosophie und positivem Recht zugrunde, die den Anspruch der politischen Philosophie relativiert. Das weiterhin wirkmächtige Erbe des Platonischen Philosophenkönigtums, in dem die Philosophie große normative Linien vorgibt, die durch Recht nur noch technisch auszuführen sind, ist einem demokratischen Rechtsverständnis nicht angemessen. Es überschätzt auch die argumentative Reichweite philosophischer Argumente. Genauso wenig überzeugend ist es aber, zwischen positivem Recht und politischer Theorie die methodische Mauer zu ziehen, die mit der Bezeichnung Positivismus verbunden wird. Für die Relativierung der Unterscheidung von politischer Theorie und positivem Recht gibt es zwei Gründe: Zum Ersten muss sich politische Theorie für die Institutionalisierungsbedingungen der von ihr entwickelten Standards interessieren, damit ist sie jedoch auf Recht und seine Funktionsbedingungen verwiesen. Zum Zweiten ist klar, dass sich die methodische Trennung zwischen Theorie und Recht nicht mehr durchhalten lässt, wenn das positive Recht Konzepte der politischen Philosophie rezipiert und damit theoretische Probleme zu solchen des positiven Rechts macht. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der zu beobachtenden De-Nationalisierung der Rechtsordnungen. Wenn nationale Rechtsordnungen damit beginnen, sich intensiver miteinander zu vergleichen und über gemeinsame Grundlagen zu verständigen und wenn sie zugleich von anderen überstaatlichen Rechtsschichten auf vielfache Weise überwölbt werden, dann verschiebt sich das Verhältnis zwischen politischer Theorie und positivem Recht. Denn es ist heute nicht mehr völlig plausibel, das positive Recht auf eine einzelne staatliche Geltungsquelle zurückzuführen. Es wird notwendig, eine gemeinsame Rechtssprache zu finden, die stärker theoriegeleitet ist als die klassische Auslegung des nationalen Rechts. Eine klare Unterscheidung zwischen normativen Erfordernissen der ersten philosophischen und solchen der zweiten juristischen Ebene bleibt so methodisch wünschenswert, aber nicht unter allen institutionellen Bedingungen gleich plausibel. »Alles wäre viel einfacher, wenn der Unterschied zwischen Recht und Gerechtigkeit ein wahrer Unterschied wäre...«

Ein legitimationstheoretischer Ansatz gestattet es schließlich, das methodische Grundproblem jeder politischen Theorie der Globalisierung zu beheben, nämlich die Frage, wie mit staatlichen Kategorien umzugehen ist. Einerseits erscheinen diese durch neue Phänomene wie die europäische Integration arg strapaziert. Andererseits kann man sich nicht einfach aus der Begriffswelt herauslösen, die uns im Prinzip seit dem Beginn moderner Politik begleiten. Mit der Unterscheidung zwischen individueller und demokratischer Selbstbestimmung und ihrer Abbildung auf ein Konzept der Gewaltengliederung können die Errungenschaften demokratischer Verfassungsstaaten auf überstaatliche Ebenen transponiert werden. Die Idee der Selbstbestimmung löst das Problem des »methodischen Nationalismus«.
Unter der Fahne der Selbstbestimmung können sich Neo-Liberale und globalisierungskritische Sozialstaatler, Kämpfer für Minderheiten und Rousseauisten gemeinsam versammeln. Die Frage ist nur, wer das Subjekt dieser Selbstbestimmung ist und in welchen Formen diese Selbstbestimmung organisiert werden soll. Wie zu zeigen sein wird, spricht viel dafür, dass der Konflikt zwischen individueller und kollektiver Selbstbestimmung oder, anders formuliert, der Konflikt zwischen Liberalismus und Demokratie nicht einfach in der Konstruktion des liberalen Verfassungsstaats aufgeht, sondern vielmehr als politische Auseinandersetzung perpetuiert werden muss. Dies geschieht in der politischen Auseinandersetzung beispielsweise zwischen sozialstaatlichem und wirtschaftliberalem Freiheitsverständnis, aber es geschieht auch in einer institutionellen Form. Die Gewaltengliederung, so die These dieses rechtswissenschaftlichen Buches, hebt den Widerspruch zwischen individueller und demokratischer Selbstbestimmung in Formen des Rechts auf.

Zum Gang der Darstellung: Bevor die Untersuchung in Kapitel 2 ein legitimationstheoretisches Konzept der Gewaltengliederung entwickelt und dieses in Kapitel 3 vergleichend auf nationale Rechtsordnung und in Kapitel 4 auf Fragen des internationalen Rechts anwendet, muss zunächst in Kapitel 1 in die Vielfalt der durchaus widersprüchlichen institutionellen Überlieferung eingeführt werden, die unter Begriffen wie Gewaltenteilung und Checks and Balances seit langer Zeit debattiert werden.


Christoph Möllers, geb. 1969, ist seit 2005 Professor für Öffentliches Recht, Rechtsvergleichung und Verfassungstheorie an der Georg-August-Universität Göttingen. Er war 2006/2007 Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin. Wichtige Veröffentlichungen: Staat als Argument, 2000; Gewaltengliederung, 2005; Internationales Verwaltungsrecht (hrsg. mit Christian Walter und Andreas Voßkuhle). Er forscht zu Problemen des nationalen und internationalen Verfassungsrechts, zur Bedeutung der Demokratietheorie für das öffentliche Recht, der Internationalisierung von Verwaltungsstrukturen und zur Theorie der Normativität des Rechts.



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