E-Book, Deutsch, 256 Seiten
Molfenter Operation Doppeltes Spiel
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-451-83128-7
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wie zwei Agenten den Sieg über Nazi-Deutschland retteten
E-Book, Deutsch, 256 Seiten
ISBN: 978-3-451-83128-7
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die unglaublichsten Geschichten schreibt immer das Leben. Johann-Nielsen Jebsen und Duško Popov – nachweislich reale Vorbilder für Ian Flemings James Bond – lernen sich in Nazi-Deutschland kennen und werden enge Freunde. Beide genießen ihr luxuriöses Leben, beide geraten als Doppelagenten für das Dritte Reich und Großbritannien zwischen die Fronten des Zweiten Weltkriegs. Und beide spielen als die erfolgreichsten Doppelagenten des D-Days eine entscheidende Rolle bei der Landung der Alliierten in der Normandie am 6. Juni 1944. Ohne sie hätte der Zweite Weltkrieg vielleicht eine andere Wendung genommen. Der Journalist Arne Molfenter zeichnet zum ersten Mal im deutschen Sprachraum ihre Geschichte nach. Action pur – spannender als Casino Royale.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Weltgeschichte & Geschichte einzelner Länder und Gebietsräume Europäische Geschichte
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Geschichtliche Themen Besondere Kriege und Kampagnen
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Geschichtliche Themen Militärgeschichte
Weitere Infos & Material
Kapitel 1
Der Klub der Ausländer
Freiburg, Sommer 1936
Im Schwarzwald trafen sie zum ersten Mal aufeinander, an der Universität Freiburg. Eine ungewöhnliche Beziehung war sie von Anfang an, die Freundschaft zwischen Johann Nielsen Jebsen, genannt »Johnny« und Dušan »Duško« Popov, zweier Söhne privilegierter Elternhäuser. Jebsen, der Student aus Hamburg, gehörte nicht zu den oberen Zehntausend, er war einer der oberen Tausend. Auch Popov kannte das Leben in Luxus seit seiner Geburt. Er war am 10. Juli 1912 in Titel, in Serbien, auf die Welt gekommen. Im Besitz der Familie waren Fabriken, Minen und Handelsunternehmen. Mit seinen beiden Brüdern vertrieb er sich die Zeit beim Segeln, Wasserball, Reiten und Tennis. In Frankreich und England hatte er wie seine Brüder Internate besucht, in Belgrad Jura studiert, nun wollte er in Freiburg promoviert werden. Die Wahl war auch deswegen auf die Stadt im Schwarzwald gefallen, weil sein Vater seit 1935 enge Geschäftsbeziehungen mit dem Dritten Reich entwickelt hatte. So lieferten einige seiner Firmen Stoffe an das Bekleidungsunternehmen von Hugo Ferdinand Boss, der für SA, SS, Hitlerjugend und die Wehrmacht seit den 1930er Jahren in der Nähe von Stuttgart Uniformen schneiderte.1 Es war ein riesiges und profitables Geschäft, und Popovs Vater versprach sich vom Studienaufenthalt seines Sohnes in Freiburg einige Vorteile. So konnte er nicht nur seine Deutschkenntnisse verbessern, sondern auch nützliche Kontakte knüpfen. Popov zeigte viele Qualitäten, nur keinen akademischen Ehrgeiz. Immer wieder korrespondierte er mit dem Prüfungsamt der Universität, forderte Aufschub für seine Arbeit, wollte gewisse Themen gar nicht lernen und wurde stets aufgefordert, nachzubessern. Seine Doktorarbeit wird unter der Rubrik »nicht abgeschlossene Promotionen« in Freiburg aufbewahrt.2 In seiner Heimat stellte er sie später doch noch fertig. Popov besaß neben einem riesigen Selbstbewusstsein und viel Gelassenheit noch weitere besondere Eigenschaften. Als er auf Jebsen traf, half dieser ihm nach und nach, sie zu entwickeln. Bevor Popov in Freiburg ankam, war Jebsen, der dort Volkswirtschaft und Jura studierte, um später das Familienunternehmen zu übernehmen, bereits stadtbekannt. Jebsen war ein Mann des schwarzen Humors, besaß großen Intellekt und später auch viele Schwächen. Seine Eltern waren von Dänemark erst nach Flensburg und später nach Hamburg gezogen. Dort war Jebsen am 22. Juni 1917 geboren worden, betonte aber stets, dass er sich trotzdem als Däne fühle und sein deutscher Pass lediglich eine »Fahne der Bequemlichkeit« für seine künftigen, selbstverständlich gewaltigen Geschäftsvorhaben sei: »Ein Teil meiner Liebe zu meinem Land hat damit zu tun, dass so viel davon eigentlich mir gehört«, behauptete er.3 Seine Eltern verlor Johnny in den Dreißigerjahren und wurde Erbe der Hamburger Reederei Jebsen und Sohn, die später unterging. Er galt als hochintelligent, übersprang die vorletzte Schulklasse und bestand am Realgymnasium Flensburg das Abitur mit Auszeichnung.4 Jebsen, ein anglophiler junger Mann, sprach häufig lieber Englisch als Deutsch, verbrachte zwei Jahre in Großbritannien und hob stets seine »englischen Manieren« hervor. In der kleinen Stadt im Schwarzwald, die durch hohe Berge mit mächtigen Tannen eingerahmt ist, spielte Jebsen die Rolle des vermeintlichen Aristokraten und Dandys. Ohne Regenschirm und Monokel im linken Auge verließ er nie seine Wohnung, ließ sich für die damals gewaltige Summe von 500 Reichsmark einen Anzug aus englischem Tuch maßschneidern und wollte mit dem immer deutlicher zutage tretenden kleinbürgerlichen Gehabe brauner Ideologie nichts zu tun haben. In Freiburg war er als Provokateur gegen die Nazis bekannt und bereits als Schüler gegen sie aktiv gewesen. Mit Sorge hatte seine Mutter zu dieser Zeit bemerkt, dass er drei Tage lang gebraucht hatte, um verdächtige Dokumente im Ofen in seinem Zimmer zu verbrennen.5 Johann Jebsen im Alter von 20 Jahren Als er mit seinem Mercedes 540k zum Studienbeginn in Freiburg eintraf, war das Erste, was er erledigte, eine Fahrt zum Polizeipräsidenten. Dem legte Jebsen einen Umschlag mit Geld auf den Tisch und sagte: »Es spart Zeit, wenn ich meine künftigen Verkehrssünden schon vorab bezahle.«6 Das Studium absolvierte er nebenbei. Denn Jebsen führte bereits als Student seine eigene Im- & Exportfirma in Berlin. Als die Universität Freiburg ausstehende Prüfungsgebühren von ihm eintreiben wollte, ließ der Student Jebsen über das Sekretariat seiner Firma mitteilen, dass er geschäftlich im Ausland unterwegs sei. Seine Geschäfte führten ihn unter anderem auf den Balkan und den Vorderen Orient.7 Die Wege von Jebsen und Popov kreuzten sich erstmals im Sommer 1936, im Klubhaus der Deutsch-Ausländischen Gesellschaft in der Schwimmbadstraße. Dort war die Gesellschaft in einem Prachtbau aus der Kaiserzeit untergebracht. Die Gesellschaft war ein Verein, der ausländischen Studenten die deutsche Sprache und Kultur näherbringen sollte. All das interessierte Popov und Jebsen aber nur am Rande. Am Bildungsprogramm nahmen sie meist geistig abwesend und ohne wahren Eifer teil. Ihre volle Konzentration galt den geselligen Teilen. Regelmäßig stiegen Partys »mit den schönsten Mädchen«, wie sich Popov an diese Zeit erinnerte.8 Am Wochenende fuhren die Mitglieder die wilden Serpentinen der kleinen Landstraße zum Gipfel des Schauinsland hinauf, der Freiburg überragt. Dort fuhren sie Ski, manchmal zog es sie auch in die Alpen nach Garmisch-Partenkirchen, wo im Februar 1936 die Olympischen Winterspiele abgehalten worden waren und sich das Nazi-Regime der Welt in einem falschen Schauspiel bewusst weltoffen und tolerant gegeben hatte. Eine Täuschung, die beim Propagandaspektakel im Sommer 1936 im Berliner Olympiastadion in noch größerem Maß inszeniert worden war. Jeden Freitagabend hielt die Gesellschaft, die bei den Studenten nur »Ausländerklub« hieß, ein Rededuell ab. Popov war fassungslos, wie unkritisch die deutschen Debattierenden für den Nationalsozialismus schwärmten. Schnell fand er heraus, dass alle deutschen Redner eigens ausgewählte Parteimitglieder der NSDAP waren, die jedes Thema vorab erfahren hatten und sich, akribisch vorbereitet, stets flammend für Hitler und seine Pläne aussprachen. Die Debatten zwischen deutschen und ausländischen Studenten nahmen immer hitzigere Fahrt auf, was Jebsen und Popov mit allen Kräften befeuerten. Denn Jebsen war es ebenfalls gelungen, die geplanten Debattenthemen zu erfahren, und er gab diese an britische und US-amerikanische Kommilitonen weiter. Zur diebischen Freude Jebsens und Popovs wurden die Konfrontationen zwischen deutschen und ausländischen Studenten über Hitlers Pläne somit immer schärfer. Beide ergriffen auch häufig selbst das Wort, argumentierten stets für den Erhalt der Demokratie, steigerten sich in ihren Reden immer klarer in strikte Opposition zum NS-Regime und verhöhnten die studentischen Nazis.9 Jebsen verachtete ganz offen die Aggressivität der führenden Nationalsozialisten, während Popov keine Gelegenheit ausließ, die akademischen Unterstützer Hitlers in ihren braunen Hemden zu verhöhnen. Schon bald sorgte das außerhalb des »Ausländerklubs« für Zorn. In den deutschen Universitätsstädten wie Freiburg hatte sich schon zu Beginn der Machtergreifung Hitlers der NS-Einfluss stärker bemerkbar gemacht als anderswo. Die meisten Professoren, die nicht mit dem Regime sympathisierten, waren bereits aus dem Dienst entfernt worden. Diejenigen, die noch ihre Lehrstühle besaßen, mussten stets vorsichtig sein und streng nach der vorgegebenen offiziellen Ideologie lehren. Allen jüdischen Professoren war die Lehrerlaubnis entzogen worden, doch gab es damals noch einige Vorlesungen für jüdische Studenten – auch, um international das Gesicht zu wahren. Aber für die jüdischen Studenten gab es keine gleichen Bedingungen mehr, an der Universität wurden sie noch geduldet, um sie dann im Examen meistens durchfallen zu lassen. Der neuen »Weltanschauung« in Deutschland brachten Jebsen und Popov nur Spott entgegen. Das einte sie. In anderer Hinsicht konnten Jebsen und Popov kaum unterschiedlicher sein. Während Duško agil und charismatisch war, litt Johnny unter Kurzsichtigkeit und auffälliger Blässe. Während der eine athletisch war, hatte der andere mit Krampfadern zu kämpfen und humpelte leicht. Von Anfang an idealisierte Johnny seinen ungleichen Freund Duško, der fünf Jahre älter war als er und ein wahrer Überflieger zu sein schien – egal, was er anpackte. Besonders, wenn es darum ging, Frauen zu erobern. Duško bewunderte im Gegenzug Johnnys Unabhängigkeit und sein weltmännisches Auftreten. Der eine besaß, was dem anderen fehlte. Sie wurden unzertrennlich, und später...