E-Book, Deutsch, 384 Seiten
Müller Das Wunder der Unsterblichkeit
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-451-83829-3
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 384 Seiten
ISBN: 978-3-451-83829-3
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Christliches Leben ist vom Beginn an mit der Hoffnung verbunden, das ewige Leben zu erreichen. Eine Botschaft, die für den Gläubigen Trost, aber auch Verantwortung sich selbst gegenüber bedeutet. Denn in der Beziehung Gott – Mensch sind die Koordinaten einer christlichen Existenz eingeschrieben. Als Antwortender hat der Mensch die Möglichkeit, in Gottes Heilsangebot über den Tod hinaus zu leben. Ein Blick in die Kontroversen der Theologie und Philosophie über die Verheißung des ewigen Lebens, lässt erahnen, welche Schwierigkeiten sich mit diesem Passus aus dem Glaubensbekenntnis ergeben. Der Autor nimmt den Leser mit durch Kritik und Zustimmung, durch den Zweifel und die Hoffnung, die im Glauben zur Gewissheit wird, und jeden einzelnen unmittelbar in seiner Existenz herausfordert. Die Eschatologie wird so aus einem isolierten dogmatischen Traktat zu einer Aussage über das Schicksal des individuellen Menschen, der in der Schöpfung zugleich die Vollendung erkennen kann.
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Hinführung
Doch ihre Ho?nung ist voll Unsterblichkeit
Wen ergreift nicht das Schaudern vor der Macht und Majestät des Todes, wenn er in die gebrochenen Augen eines lieben Menschen auf dem Sterbebett blickt und seine kalten Hände umfasst? Wie Jesus – in Trauer um seinen Freund Lazarus – stehen wir »im Innersten erregt und erschüttert« (Joh 11,35) vor dem überwältigenden Eindruck, den »die Spur des Anderen«1 hinterlassen hat. Es gibt kein Ausweichen und Vertrösten. »Der Tod ist der Ernst des Lebens. Das Leben ist kein Scherz und leichtsinniges Spiel mehr … Des Todes Ernst ist seine Frage an das Leben, an mein Leben, an mich selbst, an das von dieser Frage geweckte und aus ihr anhebende Denken.«2 Auch der sensibelste Biograph vermag dem Geheimnis einer Persönlichkeit nur nahezukommen, es aber nie zu enträtseln. Schon Sophokles (497–405 v.?Chr.), der bedeutendste der griechischen Tragödiendichter, ließ in der »Antigone« den Chor singen: »Vieles Gewaltige ist, doch nichts
Ist gewaltiger als der Mensch.«3 Jeder einzelne Mensch ist ein Abgrund, der ihn entweder verschlingt oder nach seiner Ent-Sprechung ruft in einer »Liebe, die stärker ist als der Tod« (Hld 8,6).4 Die Liebe ist der einzige Schlüssel zum Herzen des Seins, wenn ich in Gottes ewigem Licht »durch und durch erkenne, so wie auch ich durch und durch erkannt worden bin«. (1Kor 13,12). Und das Wort gilt allen Jüngern Jesu: »Ihr werdet bleiben im Vater und im Sohn. Und das ist Seine Verheißung: das Ewige Leben.« (1 Joh 2,25). Grande profundum est ipse homo –
Ein abgrundtiefes Geheimnis ist sich der Mensch selbst.5
Die gesamte Kulturgeschichte stellt ein einziges Reflexionskontinuum dar über Herkunft und Zukunft des Menschen nicht nur als Spezies, sondern noch mehr als Individuum. Der konkret existierende Mensch kann nicht durch allgemeine Wesensbestimmungen definiert oder seinen Funktionen entsprechend evaluiert werden, weil er ein singuläres Bei-sich-Sein ist als das Über-sich- hinaus-Sein des Geistes auf den personalen Gott hin. »Denn Person bedeutet das Höchste und Vollkommenste in der ganzen Wirklichkeit. Sie ist die subsistente, die für sich selbst bestehende Existenz eines vernunftbegabten Wesens.«6 In jedem möglichen Universum ist Person die realste Verdichtung des Seins in einem konkreten denk- und entscheidungsfähigen Seienden von absoluter Singularität, die der Kern-Spaltung ihres Trägers widersteht und sich kategorisch jeder Verschmelzung mit einem anderen Subjekt entzieht. Gegenüber jeder Funktionalisierung und Instrumentalisierung der menschlichen Person stellt Immanuel Kant lapidar fest: »In der ganzen Schöpfung kann alles, was man will, und worüber man etwas vermag, auch bloß als Mittel gebraucht werden; nur der Mensch, und mit ihm jedes vernünftige Geschöpf, ist Zweck an sich selbst. Er ist nämlich das Subjekt des moralischen Gesetzes, welches heilig ist, vermöge der Autonomie seiner Freiheit.«7 Dass zwischen tierischem Leben und menschlichem Person- Sein nicht nur viele Welten liegen, sondern sämtliche Galaxien und alle Weltformeln hineinpassen, erweist schon des Sokrates Maxime in Platons Dialog Gorgias, in welcher »der Überwinder der Sophistik«8 die Sonderstellung des Menschen in unüberbietbarer Hellsicht ausspricht. Vor die Wahl gestellt zieht es der Weise vor, »lieber Unrecht zu leiden als Unrecht zu tun«9. Ecce homo!
Der Schöpfer des Himmels und der Erde, der »im Anfang« sprach: »Es werde Licht!« (Gen 1,3; Joh 1,4), o?enbarte auf uns hin gesprochen seinen wichtigsten Entschluss: »Lasst uns den Menschen machen als unser Bild, uns ähnlich.« (Gen 1,26). Der Mensch als Person ist göttlichen Ursprungs, unteilbar, unwiederholbar, unbegreiflich, unerschöpflich, weil seine Existenz heraufsteigt aus den »unendlichen Tiefen des Ozeans von Gottes Sein und Güte«10. Individuum est ine?abile.11
Anfang des 19. Jahrhunderts konnte Johann Wolfgang Goethe (1749–1832), der Dichterfürst der deutschen Klassik, noch sagen: »Das eigentliche, einzige und tiefste Thema der Welt- und Menschengeschichte, dem alle übrigen untergeordnet sind, bleibt der Konflikt des Unglaubens und des Glaubens.«12 Zu Beginn des 21. Jahrhunderts hat sich die Auseinandersetzung verschärft und zugespitzt auf die letzte Alternative zwischen der nihilistischen Ent-Personalisierung des Menschen und der Behauptung seiner absoluten Person-Würde.13 Der mit Publikationsverbot zensurierte Kulturphilosoph Joseph Bernhart (1881–1969) hielt in den Jahren der triumphierenden Nazi-Ideologie des »Menschen in der Gottlosigkeit« die Einsicht entgegen: »Wenige machen sich klar, dass es der Ausfall der jenseitigen Ewigkeit ist, der unser Leben zwar in einen fiebernden Dynamismus versetzt, aber die Fiebernden unausweichlich auch mit dem Gespenst der Sinn-Not konfrontiert, die unsere wahre Krankheit ist.«14 Und in den Wüsten des materialistischen Positivismus wächst das »Gefühl der Welt als begrenztes Ganzes«, das Ludwig Wittgenstein »das Mystische«15 nennt. Der Skeptizismus ist nicht unwiderleglich, wenn er das Unfragbare bezweifeln will. An-deutend fährt Wittgenstein fort: »Wir fühlen, dass selbst, wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind. Freilich bleibt dann eben keine Frage mehr; und eben dies ist die Antwort.«16 Dem deutsch-amerikanischen Geschichtsphilosophen Eric Voegelin (1901–1985) erscheint »das unglaubliche Spektakel der Moderne« zu enden »mit dem Ergebnis, dass die gesamte Menschheit heute in einem globalen Irrenhaus sitzt«. Und er fragt sich: »Wo in diesem Irrenhaus ist Raum für eine rationale Diskussion über die Unsterblichkeit, die genau diesen Kontakt mit der verlorengegangenen Realität voraussetzt – falls es überhaupt Platz dafür gibt?«17 Und es war der Personalismus des größten abendländischen Kirchenvaters Augustinus (354–430) wie ebenso des englischen Gelehrten und wahren Gentleman John Henry Newman (1801– 1890), der »wegen der fürchterlichsten Verbrechen an der Würde des Menschen«18 Sophie Scholl (1921–1943) und ihrem Bruder Hans (1918–1943) die Augen ö?nete über die Unmenschlichkeit, die aus einer neuen Weltordnung ohne den Gott der Liebe zwangsläufig folgen musste. Für die Flugblätteraktion der Widerstandsgruppe »Weiße Rose«, mit der das deutsche Volk über die Verbrechen Hitlers aufgeklärt werden sollte, wurde sie mit ihrem Bruder und Freunden am 22. Februar 1943 zum Tode verurteilt.19 In einem Brief an die Mutter der beiden Hingerichteten schrieb Carl Zuckmayer (1896–1977), einer der großen Dramatiker deutscher Sprache, aus seiner katholischen Glaubenserkenntnis heraus: »Sie kämpften für das einfachste und größte Anliegen der Menschheit, den Triumph des Guten und Echten über das Böse und Falsche, der Wahrheit über die Lüge, des Göttlichen in der Menschenbrust über das Teuflische … Sie kämpften für die Souveränität des freien Geistes im Glauben an die tiefe Verpflichtung, die uns das Gottes-Geschenk einer unsterblichen Seele auferlegt.«20 Gegenüber der gnadenlosen Unterordnung des Individuums unter den evolutiven Prozess, die Zwecke der biologischen Rasse, die Interessen der ökologischen Naturreligion, die historische Dialektik des Klassenkampfs oder die monotonen Umläufe eines Universums, das über das Schicksal des Einzelmenschen ohne jede Empathie hinwegschreitet, hält der katholische Glaube an der natürlichen und geo?enbarten Wahrheit fest, »dass der Mensch … auf Erden die einzige von Gott um ihrer selbst willen gewollte Kreatur ist«21. Aufgrund einer »Ähnlichkeit zwischen der Einheit der göttlichen Personen und der Einheit der Kinder Gottes in der Wahrheit und Liebe« (vgl. Joh 17,?20) »kann er sich selbst nur durch die aufrichtige Hingabe seiner selbst vollkommen finden«22 – nämlich in der Liebe des dreifaltigen Gottes. Im Guten wie im Bösen gilt von allen Menschen das Wort des Psalmisten (Ps 64,?7): Das Innere eines Menschen und sein Herz – sie sind ein Abgrund. Und darum kann niemand über uns oder andere das letzte Urteil sprechen als Gott allein. ER richtet nicht nach dem äußeren Anschein: Gott kennt die geheimsten Regungen unseres Gewissens (vgl. Ps 139,?1?f.; Jes 11,?3; Joh 7,?24). Fürchten müssen wir uns nur vor denen, die hinter den Überwachungskameras sitzen und die Aufnahmegeräte kontrollieren. Auf die barmherzige Liebe Gottes jedoch, die die Tiefen des Herzens erleuchtet, darf auch der größte Sünder ho?en. »Wer kann die Auserwählten Gottes anklagen? Gott ist es, der gerecht macht. Wer kann sie verurteilen? Christus Jesus, der gestorben ist, mehr noch: der auferweckt worden ist, ER sitzt zur Rechten Gottes und tritt für uns ein.« (Röm 8,?33?f.). Der Mensch in seiner nicht multiplizierbaren und kopie- resistenten Singularität transzendiert die...