E-Book, Deutsch, Band 81, 180 Seiten, Gewicht: 10 g
Onea Gaspar Sprache und Schrift aus handlungstheoretischer Perspektive
1. Auflage 2008
ISBN: 978-3-11-020186-4
Verlag: De Gruyter
Format: PDF
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
E-Book, Deutsch, Band 81, 180 Seiten, Gewicht: 10 g
Reihe: Studia Linguistica GermanicaISSN
ISBN: 978-3-11-020186-4
Verlag: De Gruyter
Format: PDF
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Zielgruppe
Wissenschaftler, Institute, Bibliotheken / Academics, Institutes, Libraries
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
Weitere Infos & Material
1;Inhalt;9
2;1. Einleitung;11
3;2. Sprache als Handlung;55
4;3. Handlungstheoretische Grundlagen;78
5;4. Urteil und Form;100
6;5. Technische Sprache;129
7;6. Schriftliche und mündliche Sprache;155
8;7. Ausblick: Das Pittoreske der Sprache;173
2 Sprache als Handlung (S. 46-47)
Es ist in gleich zweifacher Weise evident, dass Sprache Handlung ist: a) weil die sprachlichen Äußerungen als Handlungen gedeutet werden, das heißt, eine sprachliche Äußerung zu verstehen, heißt den Sinn (Zweck) derselben als Handlung nachvollziehen zu können oder, anders formuliert, zu verstehen, was der Sprecher uns sagen will, und b) weil die sprachlichen Äußerungen selbst in der reproduktiven Rezeption zumindest ansatzweise immer mitartikuliert werden, wenn ich einem Sprecher gerade zuhöre, dann ist die Artikulation seine Aufgabe, wenn ich mir seine Worte später ins Gedächtnis rufen möchte, muss ich die Artikulationsrolle ansatzweise übernehmen. Auf diesen Aspekt, dass die Artikulation das wohl entscheidende Moment der Sprachlichkeit ist, hat schon Humboldt hingewiesen, es ist aber schwer zu entscheiden, ob dieser Aspekt, wie Humboldt annimmt, die Sinnhaftigkeit der Sprache betrifft oder akustische Wahrnehmungen überhaupt. Phänomenologisch gesehen wäre es sogar möglich, dass alle reproduktiven Bewegungswahrnehmungen die Übernahme der Bewegerrolle durch den Wahrnehmenden voraussetzen und sogar, dass diese Bewegerrolle in jedem Fall einen körperlichen Ansatz hat.
Sprache kann also prinzipiell nur als Handlung entstehen und nur als (reproduzierte) Handlung rezipiert werden. Im Fall der Schrift verhält es sich nicht anders. Die These, dass man rein visuell lesen könne, so dass man auf die Mitartikulation des Gelesenen völlig verzichtet, würde in diesem Kontext – selbst wenn wir sie als wahr ansehen würden – nichts beweisen, denn diese Form des Lesens scheint eher eine Suche nach dem Sinn in einem Text als die Aufnahme des Sinns eines Textes zu sein. Das heißt, diese Art des Lesens kann nicht als Sprachrezeption, sondern nur als eklektische Vorbereitung der Sprachrezeption angesehen werden. Beim Schreiben muss sprachliche (mitartikulatorische) Handlung mitspielen, und das Gelesene muss in irgendeiner Weise (auch nur ansatzweise) mitartikuliert werden.
Aus dem Handlungscharakter der Sprache folgt zunächst, dass die Elemente des sprachlichen Systems als type-Handlungen verstanden werden müssen und insofern keine Entitäten, sondern nur Abstraktionen sind. Deren Sinn bzw. deren Fähigkeit, einen Sinn in abstracto zu haben, ergibt sich überhaupt erst aus ihrem Handlungscharakter. Und genau dies, den Sinn zu erkunden und den Zusammenhang zwischen der konkreten oder typischen Handlung und dem konkreten bzw. typischen Sinn derselben zu beschreiben, ist das Ziel des dieser Annäherung entsprechenden teleologisch-handlungstheoretischen Apparats der Sprachbeschreibung. Diese Betrachtungsebene der Sprache als Handlung ist die der Sprache als solche schlechthin zukommende: Auf dieser Ebene wird man der Sprachlichkeit, dem sprachlichen Charakter der sprachlichen Handlung am ehesten gerecht.
Ebenfalls teleologisch ist auch die Zweiteilung von Habermas, wonach Sprache einerseits im Sinne der kommunikativen Handlung, andererseits strategisch zur Erreichung gewisser Ziele und Zwecke eingesetzt werden kann. Durch Letzteres kommt keine neue Dimension der Teleologie der Sprache auf, weil sich die gesamte Zweiteilung letztlich nur auf die perlokutive Komponente sprachlicher Bedeutung bezieht. Die perlokutive Komponente kann – natürlich – auch unverstandene Elemente haben.
So wird der strategische Einsatz der Sprache keine neue Dimension der Sprachbetrachtung erfordern, sondern unter anderen den verdeckten Teil der perlokutiven Bedeutungskomponente einfach als konstitutives Moment von Sprachlichkeit verdeutlichen. Sprache als Handlung hat den Sinn, der ihr als Handlung zukommt, namentlich den Handlungszweck, wobei die Komplexität der sie konstituierenden Zwecke keineswegs ein Störungsfaktor sein darf. So gesehen ist zum Beispiel eine Lüge für die teleologische Sprachbetrachtung kein Problem: Der falsche, nicht existierende Sachverhalt kann durchaus Sinn einer sprachlichen Äußerung sein.
Das Problem der teleologischen Bedeutungstheorie, dass in gewissen Fällen die Sprache als deren Sinn, auf deren Sinn hin hypostasiert, Gegenstand/Baustein sprachlicher Elaboration wird, ist in diesem Zusammenhang nicht nur als bedeutungstheoretisches, sondern tiefer gehend auch als handlungstheoretisches Problem zu verstehen. Das Problem ist nicht nur, dass sich der Sinn einer sprachlichen Äußerung in den gegebenen Situationen zu verflüchtigen droht bzw. überhaupt erst fundamental problematisch wird, sondern dass die Sprache in diesem Kontext einerseits – ihrer Natur gemäß – Handlung bleibt, andererseits aber gleichzeitig aufhört, Handlung zu sein. Sobald ich eine sprachliche Äußerung als deren Sinn im Rahmen gewisser Elaborationsprozesse zu verwenden beginne, verliert sie ihren Handlungscharakter und wird eher zu einer Art Gegenstand. Hinzu kommt, dass der Sinn der Äußerung allererst aus deren Handlungscharakter abgeleitet werden kann und dass der Elaborationsprozess selbst (z.B. als Satzelaboration) sprachlicher Art ist, wenngleich dies einen anderen Sprachbegriff impliziert.