E-Book, Deutsch, 354 Seiten
Osborn / Zufferey Die Söldner des Kremls
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-406-81416-7
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wagner und Russlands neue Geheimarmeen
E-Book, Deutsch, 354 Seiten
ISBN: 978-3-406-81416-7
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Nach dem Tod ihres aufrührerischen Anführers Jewgeni Prigoschin wurde die berüchtigte Wagner-Gruppe den russischen Geheimdiensten unterstellt und umgebaut. Doch die Söldner des Kremls operieren weiterhin verdeckt auf den Schlachtfeldern dieser Welt und begehen Menschenrechtsverbrechen in großem Stil: in der Ukraine, in Afrika und im Mittleren Osten. In einem atemberaubenden Buch verfolgen Lou Osborn und Dimitri Zufferey ihre Spuren und kommen zu dem Schluss: Russlands Schattenkrieger sind aktiver denn je.
Seit vielen Jahren operieren russische Paramilitärs weltweit im Auftrag des Kremls. Sie sind moderne Söldner, denen in Wladimir Putins Strategie der Destabilisierung des Westens eine zentrale Rolle zukommt. Die Mitglieder des internationalen Recherchekollektivs „All Eyes On Wagner“ haben sich seit dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine im Februar 2022 auf die Jagd nach Prigoschin und seinen Männern in der ganzen Welt gemacht und deren globale Missionen nach dem Aufstand und Tod des Wagner-Chefs weiter analysiert: Welche Rolle spielen heute die Geheimdienste FSB und GRU bei der Steuerung des russischen Söldnerheers? Um zu verstehen, warum Russlands Schattenkrieger für Putin und seine Getreuen weiter so wichtig sind, gehen die Autoren auch bis zu den Ursprüngen der Wagner-Gruppe zurück, um deren Ideologie, Methoden und unübersichtliche Strukturen aufzudecken. Lou Osborns und Dimitri Zuffereys investigative Recherche bietet daher einen einzigartigen Blick auf eine der größten Bedrohungen für die globale Stabilität und die Interessen des Westens.
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Vorwort
Was heißt eigentlich Wagner? Lange wurde jedes Mal, wenn von Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin die Rede war, ein Foto aus seiner Sankt Petersburger Zeit hervorgeholt, das ihm den Beinamen «Putins Koch» eingebracht hatte: Darauf serviert der künftige Kriegsherr beinahe unterwürfig seinem Ehrengast Wladimir Putin eine Mahlzeit. Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 dagegen war immer öfter ein anderer Prigoschin zu sehen, in schusssicherer Weste, mit Kalaschnikow-Magazinen vor der Brust, Helm auf dem Kopf. Und der servierte etwas ganz anderes. In etwas mehr als einem Jahrzehnt eroberten die Gruppe Wagner und ihr Anführer nach und nach die Nachrichten; anfangs wurden sie unterschätzt («der Koch»), später vielleicht überschätzt («der Putschist»). Seinen Aufstieg verdankte Prigoschin zunächst seinen der Desinformation verschriebenen «Trollfabriken»; dann traten im Nahen Osten und in Afrika seine Söldner und an ihrer Seite Bergbauunternehmer auf, und zuletzt erlebte man ihn an den Fronten des Ukraine-Kriegs, vor allem an der brutalsten davon in Bachmut. Gleichzeitig sah man, wie Wladimir Putin am Vorabend seiner fatalen Entscheidung, in der Ukraine einzumarschieren, Emmanuel Macron im Kreml empfing und vor seinem Gast und der internationalen Presse beteuerte, er habe mit Wagner nichts zu tun … Das Ende war der Flugzeugabsturz im August 2023 als Folge von Prigoschins Marsch auf Moskau im Juni. Was genau heißt eigentlich Wagner? Wie lässt sich diese Flut von Informationen zu einem Bild zusammenfassen, zumal ein guter Teil der Informationen in diesem Kontext gefälscht, entstellt, arrangiert oder unterschlagen wurde? Es geht um sehr viel: Der Angriffskrieg in der Ukraine und die Kriege um Einfluss in der Sahelzone wie in Zentralafrika zeigen, dass Wagner ein wichtiger Akteur in einem globalen Spiel ist. Aber haben wir dieses Spiel wirklich begriffen? Nach welchen Regeln funktioniert es? Und vor allem, wie setzt man sich dagegen zur Wehr? Dass es schwierig ist, über ein konturloses Gebilde wie die Wagner-Gruppe zu recherchieren, die in Russland lange nicht einmal eine offizielle Adresse hatte und deren Existenz die russischen Behörden schlicht leugneten, liegt auf der Hand. Drei russische Journalisten bezahlten 2020 in der Zentralafrikanischen Republik mit ihrem Leben dafür, dass sie allzu genau hinsehen wollten. Doch nach und nach fingen auch andere Journalisten an, aufzuhorchen, nachzuforschen, Deserteuren zuzuhören, hinter die Fassade zu blicken. Dank einer neuen Recherchetechnik konnten die Autoren dieses Buchs noch einen Schritt weiter gehen: Sie nutzten die Open Source Intelligence (OSINT), die Nachrichtengewinnung aus «offenen Quellen». Möglich (und immer beliebter) wurde diese Methode mit der technischen Entwicklung und dem Zugriff auf zuvor «geschlossene» Daten. OSINT hat Journalisten und Forschern ganz neue Betätigungsfelder eröffnet. So konnten die Journalisten der New York Times anhand von Satellitenfotos aus offenen Quellen nachweisen, dass sich in Butscha nahe Kiew bereits vor dem Abzug der russischen Truppen Leichen befanden, und widerlegten damit zweifelsfrei die Behauptungen des Kremls. Ich erinnere mich, wie wir Anfang der 1980er-Jahre, als ich bei Libération arbeitete, nach Informationen über die Manöver von Gaddafis Armee gegen das französische Militär im Tschad suchten. Herausgeber Serge July rief in der Redaktionssitzung: «Irgendwann haben wir unseren eigenen Satelliten!» … und erntete damit großes Gelächter. 2022 lacht niemand mehr, wenn die New York Times mit diesen neuen Quellen einen entscheidenden Beitrag zur Berichterstattung aus dem Ukraine-Krieg leistet. Dank OSINT konnten die Autoren dieses Buchs Informationen zusammenführen, einzelne Fäden zurückverfolgen und Aspekte offenlegen, die bis dahin unbekannt oder unsichtbar waren, und alles nutzen, was die digitalisierte Welt freiwillig oder unfreiwillig denen bietet, die wissen, wo sie suchen müssen. Bei einem undurchsichtigen Gebilde wie der Gruppe Wagner gibt es kaum ein angemesseneres Vorgehen. Und das Ergebnis entspricht den eingesetzten Mitteln. Es liefert den Ansatz einer Antwort auf die Frage vom Anfang: Was heißt eigentlich Wagner? Wenn ich vor dem Überfall auf die Ukraine im Zusammenhang mit Afrika den Namen Wagner erwähnte, verwies man mich auf den Präzedenzfall Blackwater, Eingeweihte nannten den Namen Bob Denard. In der Tat ist Bob Denard eine bezeichnende Erinnerung: Der französische Söldner weckt in Afrika verheerende Erinnerungen und ist alles andere als unbeteiligt daran, dass Jahrzehnte nach seinem Tod bei der Jugend der frankophonen Länder so starke antifranzösische Ressentiments herrschen. Bob Denard und seine Truppe stand mit dem sogenannten Service d’action des französischen Auslandsgeheimdiensts SDECE in Verbindung; sie waren der inoffizielle bewaffnete Arm von Jacques Foccart, dem gefürchteten «Monsieur Afrique» des Generals de Gaulle. Foccart ließ Denards «Kriegshunde» in Guinea gegen das Regime von Ahmed Sékou Touré auflaufen, das 1958 de Gaulle hatte abblitzen lassen; Denard war von Katanga bis Biafra an allen Coups der «Françafrique» in den 1960er-Jahren beteiligt und griff auf den Komoren sogar nach der Macht! Bob Denard und seine Auftraggeber sind nicht zu verteidigen: Die Geschichte hat sie abgeurteilt, und obwohl die Vergangenheit, die sie verkörperten, nur zäh verblasst, sind diese «Affreux», die ‹Schrecklichen›, wie man sie nannte, heute doch nur noch Legende. Sie gehören weder in die Gegenwart noch in die Zukunft des geschundenen Kontinents. 1989 endete der Kalte Krieg, aber Feindschaften und Methoden, sie auszutragen, entwickelten sich weiter. Die UNO erließ eine internationale Konvention gegen die Anwerbung, den Einsatz, die Finanzierung und die Ausbildung von Söldnern. «Die neue Gesetzgebung von 1989 stellt weltweit die erste Form der Kriminalisierung von Söldneraktivitäten im internationalen Recht dar», kommentiert der Autor eines Buchs über Bob Denard.[1] Das Söldnerwesen ist Vergangenheit, künftig ist die Rede von privaten Sicherheits- und Militärunternehmen (PMC für englisch Private Military Company), die weltweit aus dem Boden schießen, manche zum Zweck eines realen «Outsourcings» von Sicherheitsaufgaben, andere, um Söldner mit einem respektableren, akzeptableren Gesicht zu versehen. Zu dieser neuen Welle gehört Blackwater. Blackwater: der Aufstieg der mächtigsten Privatarmee der Welt, hat der amerikanische Journalist Jeremy Scahill sein 2008 erschienenes Buch betitelt.[2] Die Rede ist von 23.000 Männern, einem eigenen Geheimdienst, einer Flotte von Transportflugzeugen und von über 1 Milliarde Dollar schweren Verträgen der amerikanischen Regierung, aufgrund derer Blackwater an der Seite der US Army in Afghanistan und im Irak aufmarschierte. Blackwater-Gründer Erik Prince steht George W. Bush und Donald Rumsfeld nahe, den Amerikanern, die 2003 den Irakkrieg auslösten. Im Irak trübt sich schließlich auch der Ruf von Blackwater, zunächst bei einem blutigen Hinterhalt in Falludscha, dann beim Massaker durch seine Leute auf dem Nissur-Platz in Bagdad mit 17 Toten und 20 Verletzten. Blackwater wird von der Regierung gedeckt, gerät aber erheblich in Misskredit. Dieser historische Rückblick zeigt mögliche Ähnlichkeiten zwischen der Gruppe Wagner und einzelnen Operationen des Westens auf, gleichzeitig aber auch die Besonderheit des russischen Phänomens unter Jewgeni Prigoschin. Der Rückgriff auf Söldner oder sogenannte Privatarmeen erlaubt, was auf Englisch als plausible deniability bezeichnet wird, also die Möglichkeit, etwas glaubhaft oder auch nur geschickt abstreiten zu können – niemand lässt sich täuschen, aber der Schein bleibt gewahrt. Das gab es gestern wie heute. Als Wladimir Putin bei seiner berühmten Pressekonferenz an der Seite von Emmanuel Macron jede Verbindung zu Wagner bestreitet, lässt sich niemand täuschen, und doch besteht plausible deniability. Anders und innovativ, wenn man es so ausdrücken kann, ist Wagner zunächst in der Reichweite seiner Operationen: Es ist das Söldnerwesen 2.0, mit einer nie dagewesenen Aktionsbreite von digitaler Desinformation bis zur Ausbeutung einer Goldmine im Sudan, von einem ...