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E-Book, Deutsch, Band 54, 420 Seiten

Reihe: Studien zur Internationalen Geschichte

Otto Fachkräfte für die Entwicklung

Fortbildungskooperationen zwischen Ghana und den beiden deutschen Staaten, 1956-1976

E-Book, Deutsch, Band 54, 420 Seiten

Reihe: Studien zur Internationalen Geschichte

ISBN: 978-3-11-097982-4
Verlag: De Gruyter
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



Mit der Dekolonisation nahm die Bildungsmigration aus Afrika in den Globalen Norden schlagartig zu. Internationale Stipendienprogramme gewannen im Kontext des Kalten Krieges an Bedeutung. Aber auch für die Entwicklungspläne postkolonialer Staaten stellten sie ein wichtiges Instrument dar. Am Beispiel der berufspraktischen Bildungskooperation zwischen Ghana und den beiden deutschen Staaten zeigt Jana Otto auf der Grundlage ghanaischer und deutscher Quellen, welche Ziele alle drei Staaten dabei verfolgten und wie sich Konzepte, Herangehensweisen und Machtverhältnisse im Laufe der Zeit wandelten. Sie zeichnet nach, welche Interessen die ghanaischen Fachkräfte mit ihrer Teilnahme an den Fortbildungsprogrammen verbanden und welche Handlungsspielräume sie besaßen. Die transnationale Verflechtungsgeschichte erschließt nicht nur das bislang vernachlässigte Feld der berufspraktischen Bildungskooperation, sondern bereichert auch die ghanaische Zeitgeschichtsschreibung um neue Einsichten.
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1 Entstehung: Einführung der Praktikumsprogramme, 1956?–?1961
In den späten 1950er Jahren begannen beide deutsche Staaten damit, eigene entwicklungspolitische Fortbildungsprogramme zu organisieren. Ghana hatte bereits zu Kolonialzeiten nicht nur Student:innen, sondern auch vocational trainees in das Ausland gesandt, vor allem nach Großbritannien und in die USA. Nachdem das Land im März 1957 die Unabhängigkeit erlangt hatte, fand die neue Regierung zum einen immer mehr Kooperationsstaaten, zum anderen baute sie eine eigene Stipendienverwaltung auf, die akademische und berufspraktische Programme parallel verwaltete. Während Ghana in den späten 1950er Jahren eine eigene Stipendienpolitik entwickelte, entwarfen die BRD und die DDR ab 1956/57 ihre jeweiligen Praktikumsprogramme – parallel zu und als Teil der ebenfalls in den Kinderschuhen steckenden staatlichen Entwicklungspolitik. Für alle drei Staaten bildeten die Jahre bis 1961 die Entstehungsphase der Praktikumsprogramme. In dieser Zeit machten Accra, Bonn und Ost-Berlin erste praktische Erfahrungen und gestalteten ihre jeweiligen Programme mal mehr, mal weniger aktiv. Auch die ersten Fortbildungskooperationen zwischen der ghanaischen und den beiden deutschen Regierungen fielen in diese Phase. In Westdeutschland trafen die ersten ghanaischen Fachkräfte Anfang 1959 ein, in Ostdeutschland im Spätsommer 1960.1 Die Entstehung der Praktikumsprogramme in den Untersuchungsländern war Teil eines internationalen Trends. Nach dem Zweiten Weltkrieg und insbesondere nach der Konferenz von Bandung boomten unterschiedlichste Formen der Cultural Diplomacy. Stipendienprogramme jeglicher Art waren ein Teil dieses Booms.2 Die Supermächte und die europäischen Staaten nutzten Fortbildungskooperationen mit dem globalen Süden, um vor dem Hintergrund des Systemkonflikts ihre politische, kulturelle und ideologische Position in den Partnerländern zu stärken.3 Der Kalte Krieg beförderte also den globalen Aufschwung der Programme. Gleichzeitig versuchten die ehemaligen Kolonialmächte sich über Bildungskooperationen einen gewissen Einflussbereich in den postkolonialen Staaten zu sichern.4 Zunehmend waren Stipendienprogramme aber auch mit entwicklungspolitischen Zielsetzungen verknüpft.5 Die jungen afrikanischen Regierungen setzten in Anbetracht fehlender Bildungsinstitutionen im eigenen Land auf Auslandsschulungen, um ihre jeweiligen nationalen Entwicklungspläne zu realisieren. Bildung galt dabei als ein Schlüsselelement für den Aufbau des Nationalstaats.6 Die Annahme, dass ein höheres Bildungsniveau und die Verbreitung von Fachwissen, insbesondere technischer Expertise, zwangsläufig zu wirtschaftlicher Entwicklung und gesellschaftlicher Modernisierung führen würden, einte dabei die verschiedenen Akteur:innen in Ost, West und Süd. Sie fand sich in kapitalistischen Modernisierungstheorien ebenso wieder wie in marxistisch-leninistischen Entwicklungskonzepten oder in Ansätzen des „Afrikanischen Sozialismus“.7 Aufgrund dieses globalen Konsenses erschienen internationale Fortbildungsprogramme geradezu als ideales Instrument, um politische Ziele ebenso wie entwicklungspolitische Ziele zu erreichen. Auch die Regierung in Accra bemühte sich spätestens seit der Unabhängigkeit im Jahr 1957 darum, das eigene Bildungssystem auszubauen, um so Fachkräfte schulen zu können, welche die wirtschaftliche Entwicklung des Landes voranbringen würden. Nachdem die britische Kolonialregierung den Ausbau des Bildungssektors jahrzehntelang vernachlässigt hatte, fehlten auch in Ghana die Bildungsinstitutionen, selbst wenn das Land im Vergleich zu anderen afrikanischen Staaten wie Tansania relativ gut aufgestellt war.8 Dennoch sah Nkrumah die Entsendung von Fachkräften nach Übersee vorerst als einzigen Weg, um die Entwicklungsziele des Landes zu erreichen. Die beiden deutschen Staaten versuchten wiederum, durch die Schulungsprogramme ihre Position im deutsch-deutschen Wettstreit zu verbessern. Gleichzeitig hofften sie, durch die Fortbildungskooperation auch ihren Export in den globalen Süden zu steigern. Die Entstehungsphase endet im Falle der drei Untersuchungsländer in den Jahren 1960/61. In allen drei Staaten brachten diese Jahre eine Veränderung der Programmkonzeptionen mit sich. In Ghana kam es darüber hinaus zu einer politischen Zäsur, die sich direkt auf die Fortbildungskooperation auswirkten sollte. Machtverschiebungen innerhalb der Regierungspartei CPP, eine Verfassungsänderung, die größere Entscheidungskompetenzen für Präsident Kwame Nkrumah mit sich brachte und die Effekte der Kongo-Krise führten gemeinsam dazu, dass Accra sich 1961 den sozialistischen Staaten annäherte und auch seine Stipendienpolitik dementsprechend ausrichtete.9 Die beiden deutschen Regierungen entschieden zu Beginn der 1960er Jahre, die Kompetenzen für die Praktikumsprogramme stärker zu zentralisieren. In der DDR wies die Parteispitze Anfang 1960 dem Ministerium für Volksbildung (MfV) die Federführung zu.10 Die Bundesregierung gründete 1961 das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, in dessen Verantwortungsbereich die Schulungen 1962 vollends übergingen.11 1.1 Entwicklungspolitischer Aufbruch und die Rolle der Fortbildungsprogramme
Die ghanaische Stipendienpolitik hat ihren Ursprung bereits in den letzten zwei Jahrzehnten der Kolonialherrschaft. Schon vor der Kooperation mit den beiden deutschen Staaten gingen Stipendiat:innen aus der Goldküste, wie das Land vor der Unabhängigkeit 1957 hieß, zu Schulungs- und Ausbildungszwecken nach Übersee. Die Mehrzahl der Geförderten waren Student:innen, für Fachkräfte existierten nur wenige Programme. Die Zielländer der stipendienbasierten Bildungsmigration waren in erster Linie die koloniale Metropole Großbritannien sowie die USA. In beiden Ländern gab es schon im späten 19. oder frühen 20. Jahrhundert vereinzelt Student:innen aus der Goldküste. In den 1940er Jahren führten London und Washington größer angelegte Stipendienprogramme ein.12 Ab 1951 konnten erstmals lokale Politiker der Goldküste die Bildungskooperationen der Kolonie mitgestalten. Nachdem die Dekolonisierungsbewegung des Landes in den 1940er Jahren erstarkt war und diverse Proteste organisiert hatte, sah sich die britische Kolonialregierung gezwungen, einen Teil der Regierungsmacht abzugeben. Um die Kolonialherrschaft überhaupt aufrechtzuerhalten und eine geordnete, schrittweise Dekolonisierung vorzubereiten, teilte sich das britische Colonial Office die Führung des Landes fortan mit einer gewählten lokalen Regierung.13 Den afrikanischen Teil der Regierung bildete die CPP unter Kwame Nkrumah, die sich stark in den Unabhängigkeitskampf eingebracht und die Parlamentswahlen 1951 haushoch gewonnen hatte.14 Mit der Unabhängigkeit im März 1957 ging schließlich die gesamte Regierungsverantwortung an die CPP über. Die Bundesregierung förderte schon in den frühen 1950er Jahren einzelne ausländische Betriebspraktikanten im Rahmen ihrer „Technischen Hilfe“. Seit 1953 organisierte das Bundesarbeitsministerium (BMA) Praktika für ausländische Fachkräfte in westdeutschen Betrieben.15 Die Anregung dazu, entwicklungspolitische Fortbildungen zu realisieren, kam ursprünglich von den internationalen Organisationen, die auch die ersten Teilnehmer nach Westdeutschland vermittelten.16 Neben den internationalen Organisationen traten auch einzelne Staaten mit Fortbildungsanfragen an die Bundesregierung heran. Im Gegensatz zu den akademischen Programmen, die seit 1950 vom Deutschen Akademischen Auslandsdienst (DAAD) koordiniert wurden, blieben die Fördermaßnahmen für Fachkräfte aber zunächst vereinzelt, eigenständige Programme der Bundesregierung existierten noch nicht.17 Erst als nach der Konferenz von Bandung diverse andere Staaten begannen, entwicklungspolitische Fortbildungsprogramme zu nutzen, um ihren internationalen Einfluss zu sichern, entwickelte auch die Bundesregierung ab 1956 eigene berufspraktische Schulungen für den globalen Süden.18 Auch wenn ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Boom internationaler Fortbildungsprogramme und der Entscheidung zu einem westdeutschen Programm in den eingesehenen Quellen nicht explizit belegt ist, erscheint es naheliegend, dass Bonn dem Vorbild seiner westlichen Verbündeten folgte, insbesondere da die Westmächte ihre Entwicklungspolitik miteinander abstimmten. Wie die BRD bildete auch die DDR schon vor der offiziellen Einrichtung von Praktikumsprogrammen Fachkräfte aus den postkolonialen Staaten aus. Im April 1957 zählte das Ministerium für Arbeit und Berufsausbildung (MAB) bereits 470 „ausländische Jugendliche“19 und 27 Erwachsene in den staatlichen Volkseigenen Betrieben (VEB). Im Gegensatz zur Bundesrepublik waren diese Teilnehmer aber nicht durch die internationalen Organisationen vermittelt worden. Stattdessen hatte Ost-Berlin die entsprechenden Verträge direkt mit den jeweiligen Partnerstaaten abgeschlossen, und zwar üblicherweise im Rahmen der „wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit“, dem ostdeutschen Pendant zur „Technischen Hilfe“.20 Vorerst handelte...


Jana Otto, Leibniz Universität Hannover.

Jana Otto
, University of Hanover, Germany.


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