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E-Book, Deutsch

Penguin Weihnachten zum Lesen und Fühlen

Rezepte und Kurzgeschichten zu Weihnachten

E-Book, Deutsch

ISBN: 978-3-641-27984-4
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Weihnachtsstimmung im E-Book-FormatSie sind noch nicht in Weihnachtsstimmung? Kein Problem - hier kommt Ihre Dosis Weihnachten im praktischen Format direkt auf Ihren E-Reader. Wir haben allesgesammelt, das Sie benötigen, um sich auf Weihnachten einzustimmen: Es gibt Kurzgeschichten, Koch- und Backrezepte, Bastelanleitungen, Fakten und Hintergründe rund um das Weihnachtsfest, Einschlafgeschichten für Kinder und vieles mehr. Hier kommen Sie gar nicht umhin, sich auf den Heiligen Abend zu freuen. Nachdem Sie sich einen Glühwein à la Charles Dickens gemacht haben und die warmen Plätzchen auf dem Tisch neben der neuen Dekoration stehen, machen Sie es sich mit einer weihnachtlichen Kurzgeschichte oder einem Märchen bequem und genießen Sie diese ganz besondere Zeit des Jahres. Mit Leseproben von: Petra Durst-Benning, Wladimir Kaminer, Manuela Inusa, Sabine Thiesler, Angelika Schwarzhuber, Kathryn Nicolai, Kate Young, Valentin Kirschgruber, Jodi Taylor, Peter Gaymann, Ute Krause & Luisa Zerbo, Kerstin Kipker, Jeanette Winterson, Melissa Forti, Sara Gran, Cynthia Barcomi, Heike Abidi & Lucinde Hutzenlaub, Anna Meriano
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SABINE THIESLER Die Fliegenfängerin
Als sie erwachte, war die Sonne bereits aufgegangen. Vito schlief noch und schnarchte zum Gotterbarmen. Leise stand sie auf, verließ das Schlafzimmer und öffnete im Wohnzimmer das Fenster weit. Es würde wieder ein heißer, sonniger Tag werden. Heute war Siebenschläfer, der 27. Juni, und das verhieß einen schönen Sommer. Emilia ging ins Bad, und als sie in den Spiegel sah, überfiel sie eine heftige Traurigkeit. Heute vor dreißig Jahren hatten sie geheiratet, aber Vito würde nicht eine Sekunde daran denken. Sie hatten schon nach zwei Jahren Ehe aufgehört, ihren Hochzeitstag zu feiern, und Blumen hatte er ihr noch nie mitgebracht. Auch Weihnachts- und Geburtstagsgeschenke hatte er eingestellt, bei ihnen gab es nichts zu feiern. Besuch konnte er nicht ausstehen, und schon vor Jahren waren Einladungen ausgeblieben, da von ihnen nie eine Gegeneinladung erfolgte. Mit der Zeit hatten sie all ihre Freunde verloren, und so war ihr Leben einsam und trostlos. Vito war in den vergangenen dreißig Jahren fett und träge geworden, vom Kopf bis zu den Füßen sah er aus wie aufgepumpt. Er lag meist bewegungslos im Sessel vor dem Fernseher oder hörte in ohrenbetäubender Lautstärke Verdi-Opern. Emilia hätte schreien können, so unerträglich fand sie es. Und nur wenn es überhaupt nicht mehr zu umgehen war, sprach er ein paar Worte. Meist waren es Befehle. Beim Namen genannt hatte er sie das letzte Mal auf ihrer Hochzeit. »Ich nehme dich, Emilia, zu meiner Ehefrau …« Dann hatte er aufgehört, sie Emilia zu nennen. Wahrscheinlich hatte er ihren Namen längst vergessen. Für ihn war sie nur noch »du«: »Komm mal her, du!« Auch an Emilia war die Zeit nicht spurlos vorübergegangen. Seit Jahren schon färbte sie ihre grauen Haare schwarz, doch gegen die tiefen, scharfen Falten in ihrem Gesicht konnte sie nichts tun. Sie fühlte sich zwar meist jung und frisch, aber wenn sie in den Spiegel schaute und ganz ehrlich zu sich war, dann sah sie aus wie eine alte Frau. Als sie sich geduscht und angezogen hatte, ging sie in die Küche, öffnete die Terrassentür und rief die Katze, die Paulina hieß. Sie kam augenblicklich angesprungen und bekam ihre Milch. Als Emilia sie auf den Arm nahm und ihr den Bauch kraulte, schnurrte Paulina. Vielleicht liebt sie mich, dachte Emilia. Dann mag mich wenigstens ein Lebewesen in diesem Haus. Emilia kochte sich einen großen Milchkaffee, setzte sich an den Küchentisch und sah hinaus auf die Terrasse. Die Geranien standen in voller Blüte, und der Duft des Jasmins wehte herein. Sie erinnerte sich an ihre Großmutter, die jeden Tag im Frühsommer unter ihrem geliebten Jasminbusch gesessen und die duftenden Blüten zwischen ihren Fingern zerdrückt hatte, während sie leise vor sich hin summte. Und manchmal weinte sie auch ein bisschen und erzählte, wie ihr Vater, der sie fast jeden Tag mit dem Stock geschlagen hatte, im See unterhalb des Pinienwäldchens ertrunken war. Plötzlich wusste Emilia, was sie tun würde. Heute war ihr Hochzeitstag, heute würde sie mit den Vorbereitungen beginnen. Und Weihnachten würde es endlich so weit sein. Allein der Gedanke daran machte sie ganz glücklich. Vito war achtzehn Jahre älter als Emilia. Sie hatte ihn geheiratet, weil er vermögend war, viel vermögender als alle jungen Männer, die sie kannte. Und sie wollte sich keine Sorgen machen, was mittags auf den Tisch kam. Das hatte sie bei ihren Eltern tagtäglich erlebt, so sollte es nie mehr sein. Emilia hatte mit ihren Eltern und zwei jüngeren Brüdern in einem kleinen Bergdorf gewohnt, das nur über einen steinigen Weg zu erreichen war. Dort gab es zwölf Häuser, von denen lediglich neun bewohnt waren, und einen Brunnen, der im Sommer meist austrocknete. Jeden Freitag fuhr sie mit ihrer Mutter hinunter ins Tal nach Ambrolino auf den Wochenmarkt. Emilia liebte die Markttage. War es doch für sie eine der wenigen Möglichkeiten, unter Menschen zu kommen und zu sehen, dass das Leben nicht nur darin bestand, Wasser aus dem Brunnen ins Haus zu schleppen, die Schafe zu hüten und hin und wieder Fasane zu rupfen, die ihr Vater im Morgengrauen heimlich schoss. Ambrolino war für sie der Nabel der Welt, und wenn sie mit ihrer Mutter noch ein halbes Stündchen unter der großen Kastanie auf der Piazza sitzen und einfach nur zusehen konnte, was um sie herum geschah, war sie froh und zufrieden. Unter der Kastanie hatte sich eines Freitags Vito neben sie gesetzt und sich mit ihr und ihrer Mutter unterhalten. Er hatte von den fünftausend Olivenbäumen und den drei Weinbergen erzählt, die sein Vater besaß, und ihre Mutter war ganz kurzatmig geworden vor lauter Ehrfurcht und Bewunderung. Er musste der Sohn eines steinreichen Mannes sein, und sie konnte es kaum glauben, dass sich dieser stattliche Mann für ihre Tochter interessierte. Vito kam von nun an jeden Freitag unter die Kastanie, und bald war Emilia überzeugt, dass er ein überaus charmanter und gebildeter Mann war. Nach einem Monat begann er sie zweimal in der Woche zum Abendessen abzuholen, und im April küsste er sie zum ersten Mal. Ende Juni heirateten sie. Sie zogen in ein Haus, das dreimal so groß war wie das, in dem sie mit ihren Eltern und ihren Brüdern gelebt hatte. Es lag etwas oberhalb von Ambrolino, sodass sie über den Ort sehen konnte, wenn sie auf der Terrasse stand. Emilia vermochte ihr Glück kaum zu fassen und fühlte sich wie eine Königin. Vito arbeitete nicht, Vito ließ arbeiten. Er hatte seine Leute, die die Oliven beschnitten, das Gras in den Olivenhainen mähten, die Bäume düngten und dann im November die Oliven ernteten. Vito kontrollierte nur, schrie die Arbeiter an, wenn sie zu langsam waren, und warf die hinaus, die nicht spurten oder deren Nasen ihm nicht passten. In den Weinbergen war es genau dasselbe. Vito war ein geachteter, bei seinen Angestellten jedoch verhasster Mann. Zwei Jahre nach der Hochzeit bekam Emilia eine kleine Tochter, die aber ein paar Monate nach der Geburt an einem Herzfehler starb. Nachdem sie noch drei Fehlgeburten gehabt hatte, sagte Vito, sie sei eine frigide Kuh, und fasste sie nicht mehr an. Er saß in seinem Sessel mit dem Telefon am Ohr, kommandierte Emilia herum und tat nichts mehr. Sie hatten Geld im Überfluss, aber das war auch alles. So hatte sich Emilia ihr Leben nicht vorgestellt. Sie hatte sich fest vorgenommen, Vito zu lieben, doch es ging einfach nicht. Und wer Emilia kannte, der wusste, dass die Signora reich, aber kreuzunglücklich war. An diesem Junimorgen – Vito war noch nicht aufgestanden – fuhr sie ins Dorf. Sie war so voller Vorfreude, dass ihr heute das Gras grüner, der Himmel blauer und die Sonne heller erschienen. Ich lebe in einem wunderschönen Land, dachte sie, und mein Problem werde ich auch in den Griff bekommen. Ich ganz allein. Alles wird gut. Im Alimentari-Laden kaufte sie grünen Salat, Tomaten, Stangensellerie, ein paar Gurken, drei Croissants, mit Spinat und Käse gefüllte Ravioli, ein Huhn, ein Kilo Kalbfleisch im Stück, eine Tageszeitung für Vito und zehn Fliegenfänger. Das waren lange, mit Honig und Klebstoff bestrichene Bänder, die Fliegen anzogen, wenn man sie an der Decke oder in der Nähe einer Lampe aufhängte. Keine Fliege, die sich daraufsetzte, kam jemals wieder davon los. Im Sommer waren diese Fliegenfänger eine praktische Sache, sie musste nur aufpassen, dass Paulina auf keinen Fall rankam. Hochzufrieden und beinah beschwingt fuhr sie wieder nach Hause. Mittlerweile war Vito auf, hatte sich vom Bett in seinen Sessel geschleppt und lag dort, Arme und Beine von sich gestreckt, wie ein Käfer auf dem Rücken. Er röchelte, und ab und zu spuckte er in ein Taschentuch. Emilia warf ihm die Zeitung auf den Bauch. »Ich mach dir ’n Kaffee«, sagte sie und ging schnell in die Küche, weil sie seinen Anblick einfach nicht mehr ertragen konnte. Während die Kaffeemaschine blubberte, legte sie die Lebensmittel in den Kühlschrank und stieg auf einen Stuhl, um den ersten Fliegenfänger an der Deckenlampe zu befestigen. Da war Paulina vor ihm sicher. Den zweiten Fliegenfänger hängte sie in die Speisekammer. Diese war so niedrig, dass die Katze alle Regale und sogar die Decke erreichen konnte, aber in diesem Fall ließ es sich nicht ändern. Sie musste eben höllisch aufpassen, dass Paulina nicht unbeobachtet durch den Türspalt witschte. Vor Vito war die Speisekammer sicher, er betrat die Küche sowieso nicht. Er ging überhaupt nicht mehr aus dem Haus, nicht einmal auf die Terrasse. Die Weinberge und Olivenhaine hatte er längst verkauft, und schon seit fünf Jahren lebten sie nur noch von dem Erlös und seinem Ersparten. Auf das oberste Regal zwischen Nudeln, Reis und Gemüsekonserven für den Notfall legte sie das Kalbfleisch. Und ganz in die Nähe hängte sie mehrere Fliegenfänger. Bei dieser Hitze würden sich die Fliegen, angelockt vom rohen Fleisch, das bald anfangen würde zu stinken, zahlreich in der Speisekammer versammeln und auf der klebrigen Falle verenden. Emilia brachte Vito Kaffee und Croissants. »Buon appetito«, murmelte sie, ohne es zu meinen. Es war eigentlich eine Frechheit, so einem Fettklopps auch noch einen guten Appetit zu wünschen. Aber was sollte es. Vito hörte schon lange nicht mehr hin, wenn sie irgendetwas sagte. Er stemmte sich mühsam im Sessel in eine halbwegs aufrechte Sitzposition und begann den Kaffee zu schlürfen und mit den Croissants herumzukrümeln. Emilia sah nicht hin, um sich nicht zu ärgern. Stattdessen...


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