Petermann Aggressionsdiagnostik
2., vollständig überarbeitete Auflage 2015
ISBN: 978-3-8409-2655-6
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
E-Book, Deutsch, 114 Seiten
Reihe: Kompendien Psychologische Diagnostik
ISBN: 978-3-8409-2655-6
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Kaum ein Verhalten in unserer Gesellschaft bewegt so die Gemüter wie die extremen Formen der Aggression und Gewalt. Die Betroffenheit über die Auswirkungen solcher Verhaltensweisen hängt sicherlich mit den massiven Erscheinungsformen zusammen, die von körperlichen Angriffen, sexueller Gewalt, Zerstörung von fremdem Eigentum bis zu verschiedenen Formen der Psychopathie reichen. Das vorliegende Buch stellt in der 2. Auflage aktuelle Erhebungsverfahren zusammen, mit denen es gelingt, über die gesamte Lebensspanne vielfältige Formen der Aggression differenziert zu erfassen.
Das Buch geht auf die verschiedenen Möglichkeiten ein, Aggression mithilfe systematischer Verfahren zu bestimmen. Vielfältige Methoden (Fragebögen, Beobachtungsverfahren, Interviews) werden beschrieben und die Einsatzmöglichkeiten vorgestellt. Dabei werden sehr unterschiedliche Formen von Aggression und Gewalt behandelt, die vom Ärgerausdruck, über den Wutanfall, Formen kindlicher Aggression und der Aggression im Straßenverkehr bis hin zur Psychopathie reicht. An zwei Falldarstellungen wird das diagnostische Vorgehen in der Praxis illustriert. Das Buch bietet damit eine fundierte, praxisnahe Einführung in die Diagnostik aggressiven Verhaltens.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
Weitere Infos & Material
1;Aggressionsdiagnostik;1
1.1;Vorwort der Herausgeber;7
1.2;Inhaltsverzeichnis;9
1.3;Vorwort zur zweiten Auflage;11
2;1Aggression und verwandte Konzepte;13
2.1;1.1Proaktive und reaktive Aggression;14
2.2;1.2Direkte und indirekte Aggression;17
2.3;1.3Aggressive Dysregulation der Stimmung;18
2.4;1.4Impulsivität und Sensation Seeking;21
2.5;1.5Psychopathy;23
2.6;1.6Mobbing und Cyber-Mobbing;26
2.7;1.7Aggression und Ärger im Straßenverkehr;28
3;2Diagnostik aggressiven Verhaltens;32
3.1;2.1Welche Aussagekraft besitzen unterschiedliche Informationsquellen?;32
3.2;2.2Ein Praxisbeispiel: Leitlinien zur Diagnostik aggressiven Verhaltens im Kindesalter;33
3.3;2.3Klassifikation aggressiven Verhaltens;37
4;3Verfahren zur Erfassung aggressiven Verhaltens;42
4.1;3.1Indirekte Verfahren;43
4.2;3.2Direkte Verfahren;51
5;4Erhebungsverfahren für Kinder und Jugendliche;58
5.1;4.1Bullying- und Viktimisierungsfragebogen (BVF);58
5.2;4.2Differentieller Aggressionsfragebogen (DAF);60
5.3;4.3Erfassungsbogen für aggressives Verhalten in konkreten Situationen (EAS);61
5.4;4.4Fragebogen zum aggressiven Verhalten von Kindern (FAVK);64
5.5;4.5Fragebogen zur Erfassung von Empathie, Prosozialität, Aggressionsbereitschaft und aggressivem Verhalten (FEPAA);66
5.6;4.6Inventar zur Erfassung von Impulsivität, .Risikoverhalten und Empathie bei 9- bis 14-jährigen Kindern (IVE);68
5.7;4.7Hare Psychopathy Checklist: Youth Version – Deutsche Version (PCL:YV);69
6;5Erhebungsverfahren für Erwachsene;72
6.1;5.1Aggression Questionnaire (AQ);72
6.2;5.2Kurzfragebogen zur Erfassung von Aggressivitätsfaktoren (K-FAF);73
6.3;5.3Positive and Negative Affect Schedule (PANAS);75
6.4;5.4State-Trait-Ärgerausdrucks-Inventar – 2 (STAXI-2);77
6.5;5.5Aggressives Verhalten im Straßenverkehr (AViS);79
6.6;5.6Inventar verkehrsrelevanter Persönlichkeitseigenschaften (IVPE);80
6.7;5.7Skala zur Erfassung der Impulsivität und emotionalen Dysregulation der Borderline-Persönlichkeitsstörung (IES-.27);82
6.8;5.8Need Inventory of Sensation Seeking (NISS);83
6.9;5.9Psychopathic Personality Inventory-Revised – Deutsche Version (PPI-R);84
7;6Fallbeispiele;88
7.1;6.1Fallbeispiel 1: Kinder und Jugendliche;88
7.2;6.2Fallbeispiel 2: Erwachsene;95
8;Literatur;100
9;Anhang;113
|30|2 Diagnostik aggressiven Verhaltens
2.1 Welche Aussagekraft besitzen unterschiedliche Informationsquellen?
Möchte man aggressives Verhalten erfassen, müssen gezielte Informationen über die Form und Ausprägung der Problematik erhoben werden. Im Rahmen der Aggressionsdiagnostik kann man die Betroffenen und/oder Bezugspersonen befragen oder die aggressive Person in dem Kontext beobachten, in dem Problemverhalten gehäuft auftritt. Entscheidet man sich für den ökonomischen Weg der Befragung, ist zu klären, welche Informationsquelle zu aussagekräftigen Einschätzungen beitragen kann. Bei der Befragung eines Kindes kann man auch Informationen von den Eltern erheben oder Bezugspersonen im Kindergarten oder in der Schule um Auskunft bitten. Alle diese Informationsquellen können typische Verzerrungen aufweisen. So erkennen Eltern aggressives Problemverhalten bei ihren Kindern leicht und neigen häufig zu einer Dramatisierung (Andrews, Garrison, Jackson, Addy & McKeown, 1993; Döpfner & Petermann, 2012; Drotar, Stein & Perrin, 1995). Eltern neigen aber auch dazu, lediglich die Symptome zu berichten, die sie als am störendsten bzw. auffälligsten empfinden (Weiss, Jackson & Süsser, 1997). Lehrer stellen generell während der Grundschulzeit wichtige Informanten über die Entwicklung des Sozialverhaltens dar. Mögliche Diskrepanzen zwischen den Bewertungen von Kindern und den Einschätzungen ihrer Bezugspersonen führen Cantwell, Lewinsohn, Rohde und Seeley (1997) u.?a. darauf zurück, dass Kinder unter Umständen noch nicht die kognitive Reife besitzen, vollständige und zuverlässige Angaben zu ihrem psychischen Funktionsniveau zu machen; so erweist sich zum Beispiel die Erinnerungsfähigkeit bei retrospektiven Befragungen von Kindern unter acht Jahren als schlecht; Kinder und Jugendliche dazu neigen, problematisches Verhalten nicht zu erwähnen oder bewusst Verhaltensweisen zu leugnen; |31|Eltern (aber auch Lehrkräfte) häufig nicht die gesamte Bandbreite an Situationen kennen, in denen sich das Problemverhalten der Kinder äußert (z.?B. oppositionelles Verhalten, das sich nur im Freizeitverhalten unter Gleichaltrigen zeigt); zwischen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen unterschiedliche Vorstellungen über die klinische Bedeutsamkeit bestimmter Verhaltensweisen vorliegen könnten; Kinder sich hinsichtlich ihrer Verhaltensmuster in verschiedenen Situationen und Altersgruppen entwicklungsbedingt unterscheiden. Die großen Unterschiede in den Aussagen verschiedener Informationsquellen unterstreichen die Notwendigkeit, nicht nur die Eltern oder die Kinder alleine zu befragen, sondern vielmehr verschiedene Informanten einzubeziehen, vor allem, wenn es um indirekte Formen der Aggression geht (Hinshaw & Zupan, 1997; Marées & Petermann, 2010). Im frühen Kindesalter stellen sicherlich die Eltern die beste Informationsquelle dar. Während der Kindheit können beispielsweise zusätzlich die pädagogischen Fachkräfte (Marées & Petermann, 2010) und während der ersten Schuljahre die Lehrkräfte befragt werden. Insbesondere für die Bewertung offen-aggressiven Verhaltens erweist sich die Befragung von Eltern und Lehrern, für die Bewertung verdeckter, dissozialer Verhaltensweisen die Befragung eines Kindes selbst und für die Ermittlung indirekt-aggressiven Verhaltens insbesondere die Befragung Gleichaltriger (z.?B. im schulischen Kontext) als sinnvoll (vgl. Kazdin, 1995). Probleme ergeben sich, wenn verschiedene Informationen mithilfe unterschiedlicher Methoden (z.?B. Befragung, Beobachtung) und aus unterschiedlichen Quellen (z.?B. Eltern, Kind, Lehrer) integriert werden sollen. Hierzu liegen bisher noch keine einheitlichen Vorgehensweisen oder Handlungsanweisungen vor. Achenbach (1995) schlägt als eine Möglichkeit vor, bei der Befragung unterschiedlicher Informanten Verfahren einzusetzen, die dieselben Merkmale erfassen, sich jedoch entweder an die Eltern, das Kind selbst oder eine Lehrkraft richten. 2.2 Ein Praxisbeispiel: Leitlinien zur Diagnostik aggressiven Verhaltens im Kindesalter
Ob ein aggressives Verhalten als klinisch-relevant einzustufen ist, hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, die die Entwicklungsprognose bestimmen. Wichtig ist hierbei die Stabilität und Intensität des Verhaltens (= Verhaltens|32|ausprägung) sowie ob es lediglich zeitlich begrenzt oder bereits häufiger besteht und generalisiert ist. Petermann und Petermann (2012) empfehlen, auf der Einstellungsebene, Verhaltensebene und Umweltebene Informationen zu erheben. Diese Diagnosestrategie umfasst Befragungen und Beobachtungen des aggressiven Kindes und seiner Bezugspersonen (vgl. Kasten 3). 1. Entwicklung des aggressiven Verhaltens aus der Sicht des Kindes der Eltern der Schule des sozialen Umfeldes (z.?B. Freunde) … 2. Abklärung von komorbiden Auffälligkeiten hyperkinetische Störungen kognitive Defizite geringe soziale Fertigkeiten Konflikte mit Gleichaltrigen (Geschwistern, Freunden, Schulkameraden) delinquentes und dissoziales Verhalten Schuleschwänzen Leistungsprobleme in der Schule Sucht-/Alkohol- und Drogenprobleme niedriges Selbstwertgefühl bzw. geringe Selbstachtung … 3. Identifikation von Risikofaktoren A. Kindebene biologische Risiken (frühkindliche Auffälligkeiten) niedrige Intelligenz/kognitive Fertigkeiten schlechte Schulleistungen soziale Ablehnung durch Gleichaltrige Einfluss dissozialer Freunde … B. Elternebene frühe und anhaltende Eltern-Kind-Konflikte inkonsequentes Erziehungsverhalten |33|massive körperliche Bestrafungen emotionale Vernachlässigung und Zurückweisung Konflikte zwischen den Eltern und Trennung der Eltern mangelnde soziale Fertigkeiten der Eltern psychische Störungen und Krankheiten der Eltern … 4. Identifikation von Ressourcen A. Kindebene langfristig angelegte Hobbies Fähigkeit zur sozialen Abgrenzung Bereitschaft, soziale Unterstützung anzunehmen Lob/Bekräftigung annehmen können positives Einfühlungsvermögen in andere ...