E-Book, Deutsch, 226 Seiten
Peters Der ganz normale Wahnsinn im Spital
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-99038-489-3
Verlag: novum pro Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)
E-Book, Deutsch, 226 Seiten
ISBN: 978-3-99038-489-3
Verlag: novum pro Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)
John Peters schildert den ganz normalen Wahnsinn im Spital. Zahlreiche Spitalaufenthalte sind von so kuriosen Begebenheiten begleitet, dass es fast unglaublich erscheint, dass dies alles einer Kleinfamilie von drei Personen zugestoßen ist. Da ist zum Beispiel eine Beinverlängerung für den Sohn nach einem Unfall. Oder ein geplatzter Blinddarm, der erst in allerletzter Minute entdeckt wird, weil er quer über den Bauch gewachsen ist. Laut dem Chirurgen eine absolute Seltenheit. Unglaublich ist auch ein baumnussgroßer Tumor in der linken Herzkammer von Frau Peters, der nur an einem Gewebefaden hängt. Schonungslos und offen gibt der Autor seine Gefühle und Emotionen, Empfindungen und Gedanken über die Institution Spital preis.
John Peters wurde 1943 in St. Gallen geboren. Er begann seine berufliche Laufbahn als Verkäufer, mit 35 Jahren war er bereits Supermarktleiter. Zehn Jahre später wechselte er in die Finanzwelt. Als seine Frau erkrankte, entschloss er sich Tagebuch zu schreiben, was die Grundlage für sein Buch 'Der ganz normale Wahnsinn im Spital' bildete.
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Beinverlängerung Der Erste in unserer Familie, der ins Spital musste, war unser Sohn. Als er achteinhalb Jahre alt und im Dritten Schuljahr war, haben er und zwei weitere Klassenkameraden auf einer Großbaustelle, an der sie täglich auf dem Schulweg vorbei kamen, einen ungesicherten Tunnel entdeckt. Eines Tages konnten sie der Versuchung nicht mehr widerstehen, diesen Tunnel oder, wie sie glaubten, diese Höhle, zu erforschen. Sie krochen hinein und Pat, unser Sohn, und ein weiterer Schulkamerad fielen in der Dunkelheit nach ein paar Metern in einen Schacht, der mehr als zwei Meter tief war. Sie schrien vor Schmerz und riefen um Hilfe. Der dritte Klassenkamerad kroch sofort aus dem Tunnel zurück, rannte nach Hause und erzählte der Mutter ganz aufgeregt, dass zwei Schulkameraden in einem Tunnel in ein Loch gefallen sind, sich weh gemacht haben und nicht mehr heraus können. Die Mutter fragte ihn. „Wo ist das geschehen?“ „Auf der großen Baustelle auf dem Schulweg“, sage er. Das kann nur der Neubau des Stadttheaters sein, dachte die Frau und fragte: „Wer ist in das Loch hineingefallen?“ „Pat und Kurt.“ Die Mutter rief uns an und erzählte, was ihr Sohn ihr ganz aufgeregt berichtet hatte. Meine Frau und ich waren bereits aufgeregt, weil Pat wieder einmal nicht rechtzeitig zum Mittagessen nach Hause gekommen war. Es kam ab und zu vor, dass er auf dem Schulweg durch den Stadtpark beim Spielen oder beim Besuch der Vogelvoliere mit dem sprechenden Beo die Zeit vergaß und deshalb zu spät zum Mittagessen kam. Aufgeschreckt durch diese Nachricht ließen meine Frau und ich das Mittagessen stehen und fuhren unverzüglich zu der genannten Baustelle, wo uns die Bauarbeiter sagten: „Die beiden Kinder sind vor fünf Minuten mit der Ambulanz ins Kantonsspital gebracht worden.“ Also fuhren wir auf dem schnellsten Weg ins Kantonsspital und fanden die beiden in der Notaufnahme. Unser Sohn lag zitternd, weinend und mit Schmerzen auf einem Bett. Sein Klassenkamerad hatte mehr Glück gehabt und war nur leicht verletzt. Die erste Diagnose, die uns ein Arzt machen konnte, war, dass unser Sohn wahrscheinlich an beiden Beinen das Knie gebrochen habe. Genaueres könne man aber erst nach dem Röntgen und weiteren Untersuchungen feststellen. Es folgte endloses Warten. Erst am späteren Nachmittag wurden meine Frau und ich in ein Besprechungszimmer gebeten, wo uns ein Oberarzt der chirurgischen Abteilung zu einem ersten Informationsgespräch empfing. Er teilte uns mit, dass unser Sohn am linken Bein, direkt über dem Knie, die Wachstumszone des Oberschenkelknochens gebrochen habe und am rechten Bein, ebenfalls am Oberschenkelknochen, auf der Innenseite die Wachstumszone angerissen, aber nicht gebrochen sei. Dies komme sehr selten vor und sei bei einem Kind besonders schlimm, weil bei einem Bruch der Wachstumszone der Oberschenkelknochen nicht mehr wachsen könne. Auf die Frage, was das genau bedeute, sagte der Arzt: „Wenn Ihr Sohn ausgewachsen ist, ist das linke Bein circa drei Zentimeter kürzer als das rechte und das rechte Bein von vorne gesehen nicht mehr gerade, sondern nach außen gebogen.“ Das war zunächst einmal ein Schock für meine Frau und mich. Drei Tage später wurden wir vom leitenden Chirurgen der Orthopädie zu einem klärenden Informationsgespräch eingeladen. Pünktlich um 14 Uhr meldeten wir uns bei seiner Sekretärin, die uns mit der Bitte, Platz zu nehmen, in sein Büro begleitete – der Herr Doktor komme sofort. Kurz darauf kam ein Mann, Mitte vierzig und in grünem Spitalanzug, zur Tür herein. Sein Aussehen war nicht gerade vertrauenserweckend: Er trug einen neckischen Geißbart, Brille und … er schielte. So hatten wir uns einen erfolgreichen Chirurgen nicht vorstellt! Er streckte uns die Hand entgegen, begrüßte uns und stellte sich als Doktor Su, leitender Arzt der Orthopädie vor. Bald merkten wir aber, dass er sein Metier verstand. Er zeigte uns die Röntgenbilder, erklärte uns nochmals die Verletzungen beider Beine und die Bedeutung der Wachstumszone. Er erwähnte, dass ein Bruch der Wachstumszone bei einem Kind, das sich noch im Wachstum befindet, äußert selten und in den letzten Jahren im Kantonsspital nicht mehr vorgekommen sei. Dann sagte er: „Ich habe das Problem zwischenzeitlich studiert und mit anderen Kollegen besprochen. Dabei sind wir zu folgender Lösung gekommen.“ „Zuerst muss der Bruch am linken Bein und die Verletzung am rechten Bein geheilt werden. Dann werden wir außen am Bein eine Schiene anbringen, an welcher seitlich in einem Abstand von etwa zehn Zentimetern zwei Stifte so angebracht sind, dass sie durch den Muskel in den Knochen eingeführt werden. Damit wird der Oberschenkelknochen fixiert.“ „Danach möchten wir, ihr Einverständnis vorausgesetzt, den Oberschenkelknochen vom linken Bein, an dem die Wachstumszone gebrochen ist, in der Mitte zwischen den zwei Stiften durchsägen. In der Schiene befindet sich ein Gewinde und oben am Gewinde ein Rädchen. Durch drehen an diesem wird dann das Bein an der Bruchstelle täglich ein ganz kleines Stück auseinandergezogen. So können wir das Bein verlängern.“ Das Ganze zeichnete er zur besseren Verständigung auf einem Blatt Papier auf. Das war auch nötig, denn nur so konnten wir einigermaßen verstehen, was da eigentlich gemacht werden sollte. Was der Doktor uns danach sagte, klang wie eine Utopie. Er erklärte uns, dass zuerst errechnet werden müsse, wie groß unser Sohn sein wird, wenn er ausgewachsen ist. Als Grundlage dazu müsse er die Hand von uns, also von den Eltern röntgen. Anhand der Röntgenaufnahmen sowie der momentanen Größe und dem Körperbau von Pat könne dann berechnet werden, wie groß unser Sohn werde und um wieviel demzufolge der Oberschenkelknochen verlängert werden müsse. Das kam uns vor wie Hokuspokus oder Zauberei. Ungläubig und mit offenem Mund saßen meine Frau und ich da, gespannt, was da noch Verrücktes kommen würde. Wahrscheinlich merkte Dr. Su, dass wir zuerst mal eine kleine Pause brauchten, um das Gehörte zu verdauen. Er fragte uns, ob wir was zu trinken haben wollten und bestellte bei der Sekretärin Mineralwasser und Gläser. Dann sprach er weiter. „Ihr Sohn muss dann selbst jeden Tag an dem Rädchen drehen, bis er merkt, dass Schmerzen einsetzen.“ „Täglich wird das Bein so ungefähr um einen halben Millimeter verlängert, pro Monat etwas mehr als einen Zentimeter. Das geht nicht schneller, weil der Muskel und die Sehnen sich nur langsam dehnen lassen, ohne dass es zu einem Muskel- oder Sehnenriss kommt.“ „Während dieser Zeit muss ihr Sohn im Spital bleiben.“ Das war aber noch nicht alles. Die Schauergeschichte ging weiter. Dr. Su erklärte uns: „Damit der Knochen in der gewünschten Länge wieder zusammenwachsen kann, muss danach ein entsprechend langer Knochenstift aus dem Beckenknochen geschnitten und in die Lücke zwischen den beiden Oberschenkelhälften eingesetzt werden. Der Oberschenkelknochen wächst dann ganz natürlich zusammen und das Bein ist dann in der gewünschten Länge.“ Dann meinte er noch. „Das linke Bein ist dann zuerst länger als das Rechte, was aber mit orthopädischen Schuhen, einer Spezialanfertigung, genauer gesagt mit einer dickeren Schuhsohle am rechten Bein ausgeglichen wird. Die Dicke der Schuhsohle muss dann mit zunehmendem Wachstum ausgeglichen werden. Das ist notwendig, um die Hüftengelenke zu schonen.“ Das andere, rechte Bein zu begradigen, ist dann eine vergleichsweise kleine operative Korrektur.“ „Zu einem späteren Zeitpunkt müssen dann noch die Bänder am Knie nachgezogen werden. Danach kann ihr Sohn, wenn er ausgewachsen ist, beschwerdefrei und ohne sichtbare Folgen laufen und in einem gesunden Rahmen sogar Sport treiben. Allerdings keine Extremsportarten, die das Knie zu stark belasten, wie zum Beispiel Fußball, Handball und dergleichen.“ Pause, Stille – meine Frau und ich schauten uns nur ungläubig und verunsichert an! Dr. Su unterbrach die Stille und sagte: „Sie können sich das in aller Ruhe überlegen und miteinander besprechen. Wenn Sie noch Fragen haben, können Sie sich direkt an mich wenden. Wenn Sie unsicher sind, können Sie ohne weiteres eine zweite oder dritte fachliche Meinung einholen, oder Sie lassen sich durch eine neutrale Fachperson beraten. Sie haben genügend Zeit, da zuerst der Bruch am linken Knie geheilt werden muss.“ Unsere Gedanken spielten jetzt Achterbahn. Ist das nun Wahrheit oder Traum, Wahnsinn oder Realität? Wir verabschiedeten uns von Dr. Su und besuchten unseren Sohn im Krankenzimmer. Er lag im Bett, das linke Bein in Gips und das rechte mit...