Pietrowsky / Barthels | Orthorektisches Ernährungsverhalten | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 185 Seiten

Pietrowsky / Barthels Orthorektisches Ernährungsverhalten

Forschung und Praxis
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-8444-3182-7
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Forschung und Praxis

E-Book, Deutsch, 185 Seiten

ISBN: 978-3-8444-3182-7
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Wenn der Wunsch nach gesunder Ernährung so groß ist, dass die tägliche Beschäftigung mit dem eigenen Essverhalten zum Lebensinhalt wird, spricht man von orthorektischem Ernährungsverhalten oder auch Orthorexia nervosa. Ob es sich dabei um eine weitere Variante der bisher bekannten Essstörungen handelt, wird in den letzten Jahren vermehrt diskutiert. Der vorliegende Band bietet einen umfangreichen und wissenschaftlich fundierten Einblick zum Thema Orthorexie.

Zunächst wird gesundes Essverhalten aus ernährungsphysiologischer und psychologischer Sicht von orthorektischem Ernährungsverhalten abgegrenzt. Die ausführliche Darstellung von Symptomen und Konsequenzen, auch anhand zahlreicher Fallbeispiele, vermittelt einen guten Eindruck von den unterschiedlichen Erscheinungsformen der Orthorexie. Um Fachkräften die Einordnung der Symptome zu erleichtern, werden darüber hinaus sowohl Diagnoseinstrumente als auch mögliche Diagnosekriterien besprochen. Auch der aktuelle Forschungsstand zur Prävalenz in unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen und zu denkbaren Einflussfaktoren (z.B. restriktives Essverhalten und Diäten, Diagnose einer anderen Essstörung, sportliche Aktivität) wird ausführlich vorgestellt. Die mögliche Einordnung in die gängigen Klassifikationssysteme psychischer Störungen wird ebenso diskutiert wie die Frage, inwiefern die Orthorexie ein eigenständiges Störungsbild darstellt. Ein vorläufiges Ätiologiemodell erläutert potenzielle Entstehungsmechanismen orthorektischen Ernährungsverhaltens. Behandlungsindikationen und Vorschläge für eine multimodale therapeutische Behandlung runden den Band ab.

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Zielgruppe


Fachkräfte im Bereich Psychologie, Psychotherapie, Medizin, Ernährungswissenschaften und Ernährungsberatung

Weitere Infos & Material


|24|2  Definition und Begriffsbestimmung
Friederike Barthels und Reinhard Pietrowsky1 Orthorektisches Ernährungsverhalten ist definiert als eine Fixierung auf eine nach subjektiven Kriterien gesunde Ernährungsweise. Was unter Umständen recht harmlos mit einer leichten Anpassung des Essverhaltens in Richtung einer gesünderen Ernährungsweise beginnt, kann mit der Zeit zu stärkeren Einschränkungen führen. Dies kann insbesondere dann problematisch werden, wenn sich die individuelle Definition gesunder Ernährung immer weiter von dem entfernt, was allgemeinhin als eine gesunde, ausgewogene Ernährungsweise empfohlen wird, wie beispielsweise von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE, 2017; vgl. Kap. 1.1). So können mit der Zeit körperliche Probleme, wie Mangel- oder Fehlernährung, aber auch psychische Beeinträchtigungen, wie beispielsweise soziale Isolation und Konzentrationsschwierigkeiten, auftreten. Eine erste Definition orthorektischen Ernährungsverhaltens wurde 2019 von der Arbeitsgemeinschaft Orthorexia Nervosa Task Force vorgeschlagen (Cena et al., 2019). Diese hat sich im Jahr 2016 zusammengefunden, um die Forschung zur Orthorexie voranzutreiben und gemeinsam an der Begriffsbestimmung, der exakten Beschreibung des potenziellen Störungsbildes sowie an diagnostischen Kriterien zu arbeiten. Für den Übersichtsartikel von Cena et al. (2019) wurden alle bis Mitte 2018 erschienenen wissenschaftlichen Publikationen hinsichtlich der genutzten Definition orthorektischen Ernährungsverhaltens analysiert, um daraus den kleinsten gemeinsamen Nenner abzuleiten. Die Orthorexia nervosa wird in der wissenschaftlichen Literatur demnach hauptsächlich mit drei bzw. vier englischen Begriffen näher beschrieben: (1) obsession, was mit zwanghafter gedanklicher Fixierung übersetzt werden kann, (2) fixation, was stereotypes Verhalten aufgrund der zwanghaften gedanklichen Beschäftigung meint, und (3/4) concern/preoccupation, was als intensive Besorgnis verstanden werden kann. |25|Daraus lässt sich folgende Definition ableiten: Orthorektisches Ernährungsverhalten ist die sorgenvolle Beschäftigung mit gesunder Ernährung (concern), die dazu führt, dass die Gedanken der betroffenen Person von diesem Thema stark eingenommen sind (preoccupation), woraus eine persistierende gedankliche Beschäftigung mit dem eigenen Essverhalten (obsession) sowie stereotypes Verhalten (fixation) entstehen (Cena et al., 2019). Zudem wurden in den analysierten Publikationen die oben verwendeten Begriffe hinsichtlich der Quantität (u.?a. übertrieben, extrem, zeitaufwändig) sowie der Qualität (u.?a. ungesund, pathologisch zwanghaft) genauer definiert. Das angestrebte Essverhalten wurde mit Begriffen wie „gesund“, „rein“, „richtig“ und „sicher“ näher definiert. Teilweise beziehen sich diese Beschreibungen auf qualitative Aspekte der Lebensmittel, beispielsweise dass die Betroffenen nur Lebensmittel verzehren, die biologisch angebaut wurden und demnach „rein“ (im Sinne von „frei von Pestiziden und Herbiziden“) sind. Teilweise werden aber auch eher (pseudo)moralische Aspekte genannt, wie beispielsweise die „energetische Reinheit“ der Lebensmittel. Das resultierende Essverhalten wird als restriktiv, kontrolliert oder ritualisiert beschrieben. Es beinhaltet eine ausgeprägte Vermeidung von Lebensmitteln und kann unter Umständen zu Mangel- oder Fehlernährung führen. Der von der Orthorexia Nervosa Task Force erstellte Vorschlag sollte dazu dienen, die in Studien verwendete Definition orthorektischen Ernährungsverhaltens zu vereinheitlichen und somit auch die Ergebnisse zukünftiger Studien vergleichbarer zu machen. In ihrer jüngsten Publikation (Donini et al., 2022) haben die Mitglieder der Orthorexia Nervosa Task Force neben einem Vorschlag für Diagnosekriterien (vgl. Kap. 4.2.6) auch eine neue Definition orthorektischen Ernährungsverhaltens erarbeitet, welche aus einer systematischen, über mehrere Runden laufende Befragung von Orthorexie-Expertinnen und -Experten aus Wissenschaft und Praxis hervorging. Demnach wird die Orthorexie wie folgt definiert: Definition Orthorexia nervosa „Die Orthorexia nervosa ist gekennzeichnet durch eine intensive Beschäftigung mit dem eigenen Essverhalten und durch selbst auferlegte, starre und unflexible Ernährungsregeln, welche streng kontrolliert werden, und beinhaltet einen übermäßigen Zeitaufwand für Planung, Beschaffung, Zubereitung und/oder Verzehr von Lebensmitteln.“ (Donini et al., 2022, Absatz „Results“; Übersetzung durch die Verfasserin) Nach dieser grundlegenden Definition soll im Folgenden ausführlich auf die Symptome orthorektischen Ernährungsverhaltens eingegangen werden. |26|2.1  Charakteristische Merkmale und Symptome
Die Symptome orthorektischen Ernährungsverhaltens können anhand ihrer psychopathologischen Merkmale in drei Bereiche eingeteilt werden. Einige Verhaltensweisen zeigen deutliche Ähnlichkeiten mit essgestörter Symptomatik, einige weisen Parallelen zur Zwangsstörungssymptomatik auf und manche Verhaltensweisen erinnern an krankheitsängstliche Symptome, die teilweise auch mit körperlichen Beschwerden einhergehen (Barthels, Meyer & Pietrowsky, 2015b). Essstörungstypische Symptome. Am offensichtlichsten sind essstörungstypische Symptome. Beispielsweise kreisen die Gedanken betroffener Personen den ganzen Tag um die Themen Ernährung und Essen sowie um die Planung und Zubereitung (Barthels & Pietrowsky, 2012; Bratman & Knight, 2000; McGovern, Gaffney & Trimble, 2021). Auch die Recherche weiterer Informationen zur gesunden Ernährung sowie die gedankliche Beschäftigung damit, wie die eigene Ernährungsweise noch gesünder gestaltet werden kann, sind ständig präsent. Diese kognitive Fixierung auf das eigene Essverhalten und das Thema der gesunden Ernährung ist durchaus vergleichbar mit der Symptomatik, die bei anorektischen Patientinnen und Patienten beobachtet werden kann. Während bei diesen die Gedanken vor allem um das Nicht-Essen kreisen, stehen bei orthorektischen Personen Sorgen und Gedanken über eine gesunde Ernährungsweise im Vordergrund. Beispielsweise wird sich intensiv damit beschäftigt, wie die eigene Ernährungsweise weiter optimiert werden kann, wie die nächste Mahlzeit aussehen soll oder welche Einkäufe noch zu tätigen sind. Es können auch sorgenvolle Gedanken auftreten, die direkt das Ernährungsverhalten betreffen, wie beispielsweise „War meine letzte Mahlzeit gesund genug?“, „Hoffentlich habe ich mir mit diesem Snack nicht geschadet.“ oder „Das letzte Essen war nicht ganz optimal, ich muss zusehen, dass die nächste Mahlzeit wieder gesünder wird.“. Aufgrund dieser rationalen Herangehensweise an das Thema Ernährung spielen das eigene Hunger- und Sättigungsgefühl sowie der Geschmack der Lebensmittel, wenn überhaupt eine untergeordnete Rolle (Barthels et al., 2015b; Bratman & Knight, 2000; vgl. Kap. 1.2). Als ein weiteres essstörungstypisches Symptom ist in vielen Fällen die ausgeprägte Selektion der Nahrung zu nennen. Es wird nicht aus dem breiten Lebensmittelangebot geschöpft, sondern die Auswahl ist auf eine mehr oder weniger geringe Menge „erlaubter“ Lebensmittel beschränkt. Ähnlich wie bei der Anorexia nervosa kann eine fortwährende Reduktion der erlaubten Lebensmittel beobachtet werden, sodass mehr und mehr Lebensmittel als „ungesund“ eingeordnet und folglich vermieden werden (Bratman & Knight, 2000; McGovern et al., 2021). An dieser Stelle ist es wichtig, das Selektionsverhalten bzw. den Ausschluss vermeintlich ungesunder Lebensmittel von anderen Motiven und auch von der medizinischen Notwendigkeit des Verzichts auf bestimmte Lebensmittel zu differenzieren. Eine Person, die aus ethischen Gründen auf Fleisch verzichtet oder aus gesundheitlichen Gründen aufgrund einer Zöliakie Gluten meiden muss,...



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