E-Book, Deutsch, Band 6467, 380 Seiten
Reihe: Beck Paperback
Pluckrose / Lindsay Zynische Theorien
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-406-77481-2
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wie aktivistische Wissenschaft Race, Gender und Identität über alles stellt - und warum das niemandem nützt
E-Book, Deutsch, Band 6467, 380 Seiten
Reihe: Beck Paperback
ISBN: 978-3-406-77481-2
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Nur weiße Menschen können Rassisten sein, nur Männer sind zu toxischem Verhalten fähig, es gibt kein biologisches Geschlecht, unsere Sprache ist sexistisch – ein neuer moralischer Kanon erobert westliche Universitäten und erschüttert die liberale Gesellschaft. Aber macht er die Welt auch wirklich besser? Helen Pluckrose und James Lindsay begeben sich in ihrem Bestseller auf die Spuren eines wissenschaftlichen Aktivismus, der überall nur noch Feinde sieht.
Postmoderne Denker wie Michel Foucault oder Jacques Derrida haben die Strukturen westlicher Gesellschaften so tiefgreifend dekonstruiert wie niemand vor ihnen. Ihr radikaler Skeptizismus hatte jedoch einen Preis. Helen Pluckrose und James Lindsay zeichnen in ihrem kontroversen Buch nach, wie die Grundannahmen der postmodernen Theorie seit den 1980er Jahren im Postkolonialismus, in der Critical-Race-Theorie, im intersektionalen Feminismus, in den Gender Studies und in der Queer-Theorie für den politischen Aktivismus scharf gemacht wurden. Ihr zentraler Befund lautet, dass ein freier Austausch wissenschaftlicher Argumente durch den aus diesen Reihen immer aggressiver vorgetragenen Anspruch auf Deutungshoheit zunehmend unmöglich wird. Damit erweisen der neue wissenschaftliche Aktivismus und seine Wächter den Minderheiten, für die sie sich angeblich einsetzen, jedoch einen Bärendienst: Drängende soziale Probleme werden von einer völlig überzogenen Sprachkritik und Cancel Culture überlagert – und potenziell wohlmeinende Unterstützer ziehen sich entnervt zurück, weil sie im erhitzten Diskursklima vorschnell dem reaktionären Lager zugeschlagen werden.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Soziologie | Soziale Arbeit Soziale Gruppen/Soziale Themen Ethische Themen & Debatten: Zensur
- Interdisziplinäres Wissenschaften Wissenschaften Interdisziplinär Universitäten, Wissenschaftliche Akademien, Gelehrtengesellschaften
- Interdisziplinäres Wissenschaften Wissenschaften: Forschung und Information Forschungsmethodik, Wissenschaftliche Ausstattung
- Sozialwissenschaften Pädagogik Pädagogik Bildungssystem Bildungspolitik, Bildungsreform
- Sozialwissenschaften Politikwissenschaft Regierungspolitik Kultur-, Wissenschafts- & Technologiepolitik
- Sozialwissenschaften Politikwissenschaft Politikwissenschaft Allgemein Current Affairs
- Interdisziplinäres Wissenschaften Wissenschaften: Allgemeines Wissenschaftspolitik, Wissenschaftsförderung
- Sozialwissenschaften Pädagogik Schulen, Schulleitung Universitäten, Hochschulen
- Sozialwissenschaften Soziologie | Soziale Arbeit Soziale Gruppen/Soziale Themen Ethische Themen & Debatten: Wissenschaft, Technologie, Medizin
Weitere Infos & Material
Einführung
In der Moderne und insbesondere in den vergangenen beiden Jahrhunderten hat sich in den meisten westlichen Ländern ein breiter Konsens zugunsten einer politischen Philosophie, dem sogenannten Liberalismus, entwickelt. Dessen wichtigste Grundsätze bestehen in politischer Demokratie, in der Einhegung und Begrenzung der Regierungsmacht, der Entwicklung universeller Menschenrechte, rechtlicher Gleichheit erwachsener Bürger, Meinungsfreiheit, dem Respekt für die gesellschaftliche Bedeutung von Meinungsvielfalt, offenen Debatten, Evidenz und Vernunft, der Trennung von Kirche und Staat und der Religionsfreiheit. Diese liberalen Werte wurden zu Idealen, und es bedurfte jahrhundertelanger Kämpfe gegen Theokratie, Sklaverei, Patriarchat, Kolonialismus, Faschismus und viele andere Formen der Diskriminierung, um sie in dem Maß wertzuschätzen, wie das heute, wenn auch mit Einschränkungen, der Fall ist. Doch der Kampf um soziale Gerechtigkeit wurde immer dann am wirkungsvollsten geführt, wenn er die universelle Geltung liberaler Werte einklagte; sie sollten auf alle Menschen gleichermaßen angewandt werden, nicht nur auf reiche weiße Männer. Halten wir hier fest, dass philosophische Positionen, die wir als «Liberalismus» bezeichnen, mit einer breit gefächerten Reihe von Positionen in Bezug auf politische, ökonomische und soziale Fragen einhergehen, darunter auch solche, die in Amerika als «liberal» (und in Europa als «sozial-demokratisch») gelten, sowie gemäßigte Formen dessen, was Menschen auf der ganzen Welt unter «konservativ» verstehen. Dieser philosophische Liberalismus ist ein Gegenpol zu autoritären Bewegungen jeglicher Couleur, mögen diese nun links- oder eher rechtsgerichtet sein, eher säkular oder theokratisch. Den Liberalismus stellt man sich daher am besten als gemeinsamen Nenner vor, der uns einen Rahmen für Konfliktlösungen vorgibt und es Menschen mit den unterschiedlichsten Ansichten im Hinblick auf politische, ökonomische und soziale Fragen erlaubt, rationale Debatten über die öffentliche Ordnung zu führen. Allerdings haben wir mittlerweile einen Punkt in der Geschichte erreicht, an dem Liberalismus und Moderne, als Herzstück der westlichen Zivilisation, in ihren fundamentalen Ideen ernsthaft bedroht sind. Die genaue Natur dieser Bedrohung ist nicht einfach zu durchschauen. Sie entsteht aus mindestens zwei mächtigen Richtungen: einer revolutionären und einer reaktionären, deren Verfechter[1] miteinander ringen, um ihr jeweiliges illiberales Gesellschaftsbild durchzusetzen. Rechtsextreme populistische Bewegungen nehmen für sich in Anspruch, eine letzte Lanze für Liberalismus und Demokratie zu brechen und sich gegen die nahende Flut des Fortschritts und Globalismus zu stemmen, die überall auf der Welt auf dem Vormarsch sei. Zunehmend setzt dieser Abwehrkampf auch auf die Führung von Diktatoren und starken Männern, um «westliche» Souveränität und Werte zu schützen und zu sichern. Unterdessen stellen sich die Kreuzritter aus dem linksgerichteten progressiven Lager als die einzig aufrechten Verfechter des sozialen und moralischen Fortschritts dar, ohne dessen Errungenschaften die Demokratie bedeutungslos bleibe und ausgehöhlt werde. Sie treiben ihre Sache nicht nur durch revolutionäre Zielsetzungen voran, die im offenen Widerspruch zum Liberalismus stehen und diesen als Instrument der Unterdrückung brandmarken, sondern bedienen sich in ihrem Kampf auch zunehmend autoritärer Mittel, indem sie versuchen, eine durch und durch dogmatische, fundamentalistische Ideologie im Hinblick auf die Ordnungsprinzipien unserer Gesellschaft durchzusetzen. In dieser Schlacht sehen sich beide Lager jeweils als den Feind schlechthin und stacheln sich zu immer größeren Exzessen an. Der Kulturkrieg, der hier tobt, bestimmt mehr und mehr die Politik und zunehmend auch die Gesellschaft am Anfang des 21. Jahrhunderts. Obwohl die politische Rechte durchaus ein ernstes Problem ist und gewiss einer sorgfältigen Analyse bedarf, haben wir uns eine gewisse Expertise angeeignet, was das Problem der politischen Linken betrifft. Während sich beide Seiten immer stärker radikalisieren, liegt das spezifische Problem der politischen Linken aus unserer Sicht darin, dass diese sich von ihrem historischen Ursprung, dem Liberalismus, abwendet, der einst ihre Vernunft und Stärke begründete. Genau dieser Liberalismus ist jedoch entscheidend, um den Fortbestand unserer säkularen und liberalen Demokratie künftig zu gewährleisten. Wie wir bereits an anderer Stelle beschrieben haben, liegt die Ursache des Problems darin, dass die progressive Linke sich nicht der Moderne, sondern der Postmoderne zurechnet, welche die objektive Wahrheit als einen fantastischen Traum der naiven und/oder arroganten, bigotten Denker der Aufklärung verwirft, die wiederum die unheilvollen Folgen des Fortschritts innerhalb der Moderne unterschätzten.[2] Genau damit möchten wir uns in diesem Buch eingehend auseinandersetzen und hoffentlich zu einer Klärung des Problems des Postmodernismus beitragen. Wir wollen das postmoderne Denken nicht nur im Hinblick auf seine in den Sechzigerjahren aufkommende Ursprungsvariante ins Visier nehmen, sondern auch seine Weiterentwicklung in den vergangenen fünfzig Jahren kritisch betrachten. Je nach Blickwinkel hat sich der Postmodernismus entweder zu einer der intolerantesten und autoritärsten Ideologien seit dem großflächigen Niedergang des Kommunismus und dem Zusammenbruch der weißen Vorherrschaft und des Kolonialismus entwickelt oder sie hat einer solchen Ideologie Vorschub geleistet. Der Postmodernismus, ursprünglich eine intellektuelle und kulturelle Reaktion auf diese gesellschaftlichen Veränderungen, entwickelte sich zunächst in den eher abgelegenen Winkeln des akademischen Betriebs. Seit den Sechzigerjahren hat sich diese Denkströmung jedoch auch in anderen wissenschaftlichen Disziplinen ausgebreitet, im politischen Aktivismus, in der Bürokratie, und ist mittlerweile im Schulsystem und allen daran anschließenden Bildungseinrichtungen angekommen. Von dort aus ist sie in breite Gesellschaftsschichten eingesickert, bis zu einem Punkt, an dem der Postmodernismus und ebenso vernünftige wie reaktionäre Gegenpositionen die gesamte soziale und politische Landschaft dominieren, während wir uns mühsam ins dritte Jahrzehnt des neuen Jahrtausends vorarbeiten. Die sogenannte Social-Justice-Bewegung (in Deutschland eher bekannt unter dem Stichwort der identitätspolitischen Linken; Anm. der Übersetzer) verfolgt nominell ein weit gefasstes Ziel namens «soziale Gerechtigkeit», von dem sich auch ihr Name ableitet. Der Begriff ist beinahe zweihundert Jahre alt. Verschiedene Denker haben ihm zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Bedeutungen verliehen, die jedoch alle in der einen oder anderen Hinsicht über die Gewährleistung rechtlicher Gleichheit hinausreichende Fragen sozialer Ungleichheit aufwerfen und zu lösen versuchen, insbesondere was Klasse, Race[3], Gender, Geschlecht und Sexualität betrifft. Als einer der berühmtesten Vertreter wäre hier vielleicht John Rawls zu nennen, ein liberaler, progressiver Philosoph, der sich hauptsächlich mit den Bedingungen beschäftigt, unter denen eine sozial gerechte Gesellschaft organisiert werden könnte. Dabei spielte er ein universalistisches Gedankenexperiment durch, in dem eine sozial gerechte Gesellschaft eine Gesellschaft wäre, der jedes Individuum, unter Absehung von seiner sozialen Herkunft vor die Wahl gestellt, zustimmen könnte.[4] Ein anderer, explizit anti-liberaler und anti-universalistischer Ansatz, der ebenfalls das Ziel verfolgt, soziale Gerechtigkeit zu erreichen, wurde insbesondere seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts gleichermaßen populär. Dieser Ansatz geht auf die kritische Theorie[5] zurück. Kritische Theorie bzw. Ideologiekritik setzt sich hauptsächlich damit auseinander, versteckte Vorurteile und nicht überprüfte Annahmen im herrschenden Denken offenzulegen, meist, indem sie auf das sogenannte «Problematische», ja das Falsche hinweist, das mit einer Gesellschaft und dem System, nach dem sie organisiert ist, einhergeht. In gewisser Hinsicht ist der Postmodernismus ein Ableger der kritischen Theorie und ging zunächst eigene Wege, bis er in den Achtziger- und Neunzigerjahren von Aktivisten für soziale Gerechtigkeit (die sich übrigens kaum je auf John Rawls beziehen) aufgegriffen wurde. Die so entstandene Bewegung bezeichnet ihre Ideologie dreist als «Social Justice», als ob sie allein nach einer gerechteren Gesellschaft strebe, während alle anderen für gänzlich andere Ziele einträten. Die Bewegung ist in den Vereinigten Staaten daher unter dem Begriff «Social Justice Movement» bekannt geworden, firmiert im Netz...