E-Book, Deutsch, 282 Seiten, eBook
Porschen Austausch impliziten Erfahrungswissens
1. Auflage 2008
ISBN: 978-3-531-90883-0
Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Neue Perspektiven für das Wissensmanagement
E-Book, Deutsch, 282 Seiten, eBook
ISBN: 978-3-531-90883-0
Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften
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Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
In der aktuellen Debatte um Wissensmanagement in Unternehmen wird das handlungsorientierte Erfahrungswissen der Beschäftigten nach wie vor unterschätzt. Anhand empirischer Untersuchungen in Großunternehmen der Automobil- und der Chemischen Industrie zeigt Stephanie Porschen, welche Bedeutung gerade diesem nicht-explizierbaren und nicht-objektivierbaren Wissen zukommt. Sie zeigt darüber hinaus praktisch erprobte Wege auf, wie dieses Wissen durch kooperativen Erfahrungstransfer ausgetauscht und weitergegeben werden kann.
Dr. Stephanie Porschen ist als Arbeits- und Organisationssoziologin am ISF München - Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung tätig.
Zielgruppe
Research
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1;Inhalt;6
2;Vorwort und Dank;10
3;Einleitung. Wissensgesellschaft, Verwissenschaftlichung und die Wiederentdeckung praktischen Wissens;13
3.1;1 Einleitung;14
3.2;2 Inhalt und Thesen;22
4;Teil A. Praktisches Wissen – unerschöpfliche Ressource, Konstruktion, Artenvielfalt, Erfahrung;26
4.1;I Konventionelle Interpretation von Wissen im Wissensmanagement;31
4.1.1;1 Wissen als Ressource;31
4.1.2;2 Daten – Information – Wissen (auf, in und aus Medien);37
4.2;II Konstruktivistische Sicht auf Wissen;41
4.2.1;1 Wissenssoziologische Denktradition;42
4.2.2;2 Radikaler Konstruktivismus;44
4.2.3;3 Fünf Wissensarten aus der konstruktivistischen Organisationsperspektive;47
4.2.4;4 Dominanz der diskursiven Kommunikation und Ausblendung des erfahrungsgeleiteten Vorgehens;51
4.3;III Implizites Wissen als vertikale Betrachtung von Wissen;58
4.3.1;1 Die Grundlagen – Polanyis Konzept des impliziten Wissens;59
4.3.2;2 Die Wissensspirale als Organisationsperspektive impliziten Wissens;61
4.3.3;3 Wissensumwandlung in der Wissensspirale – wirklich ein Fortschritt?;65
4.3.4;4 Implizites Wissen als herausragendes Thema in der Diskussion um Wissensmanagement;68
4.4;IV Erfahrungswissen als individuelles und kollektives organisationsrelevantes Wissen;73
4.4.1;1 Hintergründe zum Erfahrungswissen;73
4.4.2;2 Konservativer „Erfahrungsschatz“ oder progressives „ Erfahrung- Machen“?;75
4.4.3;3 Erfahrungswissen im Modus objektivierenden und subjektivierenden Arbeitshandelns;75
4.4.4;4 Erfahrungswissen und subjektivierendes Arbeitshandeln: Erscheinungsformen;80
4.4.5;5 Die Bedeutung des subjektivierenden Arbeitshandelns im Wissensmanagement;85
5;Teil B. Wissensmanagement – das Planbare und das Unplanbare managen;89
5.1;I Die Diskussion um Wissensmanagement;93
5.1.1;1 Tragweite von Wissensmanagement;93
5.1.2;2 Historie und Aktualität;94
5.1.3;3 Wissensmanagement – Wissen als zu managende Ressource?;97
5.1.4;4 Intention und verschiedene Auffassungen von Wissensmanagement;97
5.2;II Der Übergang von der ersten zur (mindestens) zweiten Phase des Wissensmanagements;102
5.2.1;1 Erste Phase des Wissensmanagements – Schwerpunkt: Kodifizierungsstrategien;102
5.2.2;2 Zweite Phase des Wissensmanagements – Einzug der Personalisierungsstrategien;105
5.2.3;3 Dritte Phase des Wissensmanagements oder die Bestätigung des Umbruchs;112
5.3;III Systematik praxisbezogener und wissenschaftlicher Ansätze des Wissensmanagements;114
5.3.1;1 Klassifizierung von Wissensmanagementmodellen;114
5.3.2;2 Wissensmanagement und organisationales Lernen;115
5.3.3;3 Heuristisches Schema zum Vergleich von Wissensmanagementansätzen;119
5.3.4;4 Exkurs: Grenzen ganzheitlicher Wissensmanagementansätze;130
5.3.5;5 Die Wissensmanagementansätze und ihr fehlender Bezug zu Arbeit;133
6;Teil C. Kooperation und Kommunikation – Grundlagen von Arbeit und Wissensmanagement;138
6.1;I Funktionswandel von Arbeit und neue Arbeitsformen;142
6.1.1;1 Funktionswandel von Arbeit und der neue Stellenwert interaktiver Arbeit;142
6.1.2;2 Reorganisationsdynamik und interaktive Arbeit;144
6.1.3;3 Kommunikation und Kooperation als Arbeitsanforderung;145
6.1.4;4 Interaktive Arbeit und die Vernachlässigung kommunikativen und kooperativen Arbeitshandelns;147
6.2;II Wissensorientierte Kooperation;152
6.2.1;1 Das Modell der Wissenskooperation;152
6.2.2;2 Das Instrument des Erfahrungs- und Wissenszirkels;157
6.3;III Narratives Wissensmanagement für die organisationale Wissenskommunikation;161
6.3.1;1 Geschichten und Eigenheiten des Erzählens;161
6.3.2;2 Story Telling – Einsatzgebiete und Beispiele der Anwendung;162
6.3.3;3 Kommunizierendes Lernen für den Wissensfluss;167
6.4;IV Communities of Practice – Auf dem Weg zur informellen Kooperation in der Arbeit;170
6.4.1;1 Hintergründe zu den Praktiker-Gemeinschaften;170
6.4.2;2 Beispiele für Praktiker-Gemeinschaften;173
6.5;V Resümee: Wissenskooperation und -kommunikation in der Arbeit – aber nicht beim Arbeiten;178
6.5.1;1 Wissenskooperation in Zirkeln abseits des Arbeitsgeschehens;178
6.5.2;2 Wissenskommunikation im narrativen Wissensmanagement als organisationales Begleitprogramm jenseits des Arbeitshandelns;179
6.5.3;3 Praktiker-Gemeinschaften und die Leerstelle des konkreten Austauschs im Arbeitsprozess;180
7;Teil D. Kooperativer Erfahrungstransfer: Konzept, empirische Befunde, Förderung;184
7.1;I Die Bedeutung informeller Kooperation und Kommunikation für Arbeit und Wissensmanagement;188
7.1.1;1 Traditionelles Verständnis des Informellen;188
7.1.2;2 Ein neuer Blick auf das Informelle;191
7.1.3;3 Der Stellenwert der informellen Kooperation und Kommunikation für das Wissensmanagement;193
7.2;II Das Konzept der informellen erfahrungsgeleiteten Kooperation und der Austausch von Erfahrungswissen;197
7.2.1;1 Das Konzept der informellen erfahrungsgeleiteten Kooperation;197
7.2.2;2 Das Konzept des kooperativen Erfahrungstransfers;203
7.3;III Fallstudien: Kooperativer Erfahrungstransfer in Industrieunternehmen;210
7.3.1;1 Zum methodischen Vorgehen;210
7.3.2;2 Fallstudie A: Untersuchung in einem Automobilwerk;213
7.3.3;3 Fallstudie B: Ein Unternehmen der Chemischen Industrie;225
7.4;IV Die Förderung des kooperativen Erfahrungstransfers;242
7.4.1;1 Arbeitsbezogene personale Netze und Vertrauensbeziehungen ernst nehmen;242
7.4.2;2 Das Netzmodell – ein personalpolitisches Modell zur Unterstützung des kooperativen Erfahrungstransfers;247
7.4.3;3 Förderung des kooperativen Erfahrungstransfers im Arbeitsalltag;256
7.4.4;4 Abschließendes und Weiterführendes zur Förderung des kooperativen Erfahrungstransfers;258
8;Schluss;263
9;Literatur;270
Einleitung:Wissensgesellschaft, Verwissenschaftlichung und die Wiederentdeckung praktischen Wissens.- Praktisches wissen — unerschöpfliche Ressource, Konstruktion, Artenvielfalt, Erfahrung.- Konventionelle interpretation von Wissen im Wissensmanagement.- Konstruktivistische Sicht auf Wissen.- Implizites Wissen als vertikale Betrachtung von Wissen.- Erfahrungswissen als individuelles und kollektives organisationsrelevantes Wissen.- Wissensmanagement — das Planbare und das Unplanbare managen.- Die Diskussion um Wissensmanagement.- Der Übergang von der ersten zur (mindestens) zweiten Phase des Wissensmanagements.- Systematik praxisbezogener und wissenschaftlicher Ansätze des Wissensmanagements.- Kooperation und Kommunikation — Grundlagen von Arbeit und Wissensmanagement.- Funktionswandel von Arbeit und neue Arbeitsformen.- Wissensorientierte Kooperation.- Narratives Wissensmanagement fÜr die organisationale Wissenskommunikation.- Communities of Practice - Auf dem Weg zur informellen Kooperation in der Arbeit.- ResÜmee: Wissenskooperation und -kommunikation in der Arbeit — aber nicht beim Arbeiten.- Kooperativer erfahrungstransfer: Konzept, empirische befunde, förderung.- Die bedeutung informeller kooperation und kommunikation fÜr arbeit und wissensmanagement.- Das konzept der informellen erfahrungsgeleiteten Kooperation und der Austausch von Erfahrungswissen.- Fallstudien: Kooperativer Erfahrungstransfer in Industrieunternehmen.- Die Förderung des kooperativen Erfahrungstransfers.
I Funktionswandel von Arbeit und neue Arbeitsformen (S. 141-142)
Der Funktionswandel von Arbeit ist ein komplexer Prozess, der durch Individualisierung, Globalisierung, Dezentralisierung, unternehmensübergreifende und unternehmensinterne Netzwerkbildung, Informatisierung und Tertiarisierung beeinflusst wird.96 Näher beschreiben lässt sich der Funktionswandel der Arbeit mithilfe der durch ihn forcierten Arbeitsformen als „Entgrenzte Arbeit" (Kratzer u.a. 2004, Sauer 2005), „Interkulturelle Arbeit" (von Behr, Knoblach 2002), „Verteilte Arbeit" (Meil, Heidling 2005), „Informatisierte Arbeit" (Boes, Pfeiffer 2005) und „Interaktive Arbeit" (Dunkel, Rieder 2004, Porschen, Bolte 2005). Dabei gewinnt insbesondere die interaktive Arbeit für den Großteil der Beschäftigten in Unternehmen immer mehr an Bedeutung (Böhle, Rose 1992, Knoblauch 1996, Rammert 1999). Sie steht für den gesteigerten Bedarf an zu mobilisierendem Wissen in Unternehmen (vgl. Wilkesmann 2005, S. 57 ff.).
1 Funktionswandel von Arbeit und der neue Stellenwert interaktiver Arbeit Mit dem Abbau tayloristischer Bürokratien und den seit einigen Jahren permanent stattfindenden Reorganisationsprozessen, die als Antwort auf den gestiegenen Druck seitens des Marktes erfolgen (Fürstenberg 2005, S. 61 ff.), verändert sich auch das Anforderungsprofil an die Mitarbeiter. Interaktive Arbeit und damit kooperative und kommunikative Fähigkeiten werden gegenüber operativen und instrumentellen Aspekten der Arbeit in den verschiedensten Beschäftigtenbereichen immer wesentlicher. Der Grad der Subjektivität und die Einzigartigkeit der Tätigkeiten steigen (Derboven u.a. 2002, S. 7).
Dahinter steht eine veränderte Auffassung der Planbarkeit von Prozessen und der Rollen der betrieblichen Akteure. Heute geht man auch in der Produktion nicht mehr von der ausführenden, von der Planung getrennten Tätigkeit aus, die an die Metapher der Maschine geknüpft war (ist sie einmal konstruiert und gebaut, sind nur noch identische Arbeitsschritte viele Male auszuführen). Vielmehr wird angenommen, dass alle Tätigkeiten ein gewisses Maß an schöpferischer Kraft benötigen und damit keine rein mechanischen Vorgänge darstellen. Denn durch die sich zunehmend am Markt orientierenden Organisationsstrukturen ergibt sich eine Dynamik, die sich für die Mitarbeiter als „Bewältigung des Unplanbaren" (Böhle u.a. 2004, Böhle, Sevsay-Tegethoff 2005) bemerkbar macht. Mitarbeiter müssen ihr Wissen in neuen oder erweiterten Aufgabengebieten anwenden und können dabei nicht immer auf vorhandenes Wissen zurückgreifen. Die Mitarbeiter sind deshalb immer mehr darauf angewiesen, situativ neues Wissen zu entwickeln.
Diese „Wissensarbeit" ist als interaktive Tätigkeit näher zu fassen. In der interaktiven Arbeit wird über Kooperation und Kommunikation ein praktisches, aktuelles und situationsbezogenes Wissen entwickelt bzw. von den Mitarbeitern gemeinsam konstruiert (vgl. Teile A, C).98 Damit gehen aber auch neue Anforderungen an Kooperation und Kommunikation einher (Endres, Wehner 1993, Porschen, Bolte 2004). Aufgrund neuer Organisationsprinzipien, die eine flexible bereichsübergreifende Wissensmobilisierung bedingen, werden vor allem verstärkte Anforderungen an die bereichsübergreifende Kooperation und Kommunikation gestellt.
Die Verbesserung der – auch bereichsübergreifenden – Kooperation und Kommunikation wird in wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Publikationen, Ratgebern und in der Presse dementsprechend als eine wesentliche Voraussetzung für den Unternehmenserfolg propagiert (Böhle, Bolte 2002, S. 11 ff.). Das kann exemplarisch anhand der Diskussion um neue Anforderungen an Kooperation und Kommunikation etwa bei industriellen Fachkräften, die insbesondere für Ingenieure untersucht wurden (Porschen 2002), verdeutlicht werden. Ingenieure eignen sich deshalb besonders gut zur Darstellung des Wandels, weil hier lange Zeit nur traditionelle, vor allem technisch-funktionale Fähigkeiten gefordert (und ausgebildet) wurden. Zunächst werden Hinweise auf veränderte Organisationsprinzipien als Ursache für die neuen Anforderungen an interaktive Arbeit aufgezeigt.