Posch | Vernehmungs- und Aussagepsychologie für Polizeistudium und -praxis | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 412 Seiten

Posch Vernehmungs- und Aussagepsychologie für Polizeistudium und -praxis


1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-415-07270-1
Verlag: Richard Boorberg Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 412 Seiten

ISBN: 978-3-415-07270-1
Verlag: Richard Boorberg Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Forschung für die Praxis
Das Werk stellt die für Vernehmungen von Opfern, Zeuginnen und Zeugen sowie Beschuldigten relevanten psychologischen Forschungsbefunde dar.

Vernehmungsbeamtinnen und -beamte treffen in ihrer Vernehmungspraxis auf unterschiedlichste Aussagepersonen, z.B. Opferzeuginnen und -zeugen, Kinder, Jugendliche und Personen mit intellektuellen oder psychischen Beeinträchtigungen. Jeder Mensch hat sehr verschiedene personale, motivationale und soziale Voraussetzungen, auf die in jedem Fall individuell reagiert werden muss.

Mit Vernehmungstechniken und Fallbeispielen
Die Autorin zeigt die nach aktuellem Forschungsstand geeigneten und weniger geeigneten Vernehmungstechniken auf und grenzt sie voneinander ab. Fall- und Transkriptbeispiele veranschaulichen die Praxis. Zudem werden am Ende der Kapitel die daraus folgenden Implikationen für die Vernehmung behandelt.

Mit Erläuterungen der allgemeinen Grundsätze
Erläutert werden Grundsätze, die generell zur Anwendung kommen sollten – wie ein ergebnisoffenes Vorgehen, eine unvoreingenommene Haltung und ein respektvoller, nicht vorverurteilender Umgang mit allen Aussagepersonen. Aufgrund der besonderen Vulnerabilität bestimmter Personengruppen sind darüber hinaus möglicherweise Besonderheiten zu beachten und in der Vernehmung besonders zu berücksichtigen. Auch darauf wird in prägnanter und verständlicher Form eingegangen.

Aus dem Inhalt:

Sozial- und kommunikationspsychologische Aspekte der Vernehmung
Aufbau der Vernehmung und Fragetechniken
Vernehmung von Opferzeuginnen und Opferzeugen
Vernehmung von Kindern
Psychologische Aspekte der Beschuldigtenvernehmung
Gibt es nonverbale Lügenmerkmale?
Vernehmungs- und aussagepsychologisch relevante Aspekte bei Personen mit psychischen Störungen und kognitiven Beeinträchtigungen
Das Buch ist ein wichtiger Baustein für die Professionalisierung polizeilicher Vernehmungen.

Innovatives Nachschlagewerk für.
. Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte in Studium und Ausbildung sowie für die Polizeipraxis.

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2.Wahrnehmungs- und gedächtnispsychologische Grundlagen
2.1Von der Wahrnehmung zur Erinnerung: Informationsverarbeitung und Gedächtnis
Wenn Zeug:innen etwas beobachten oder erleben, laufen zwischen der Wahrnehmung des Ereignisses und dem Abruf in der Vernehmung verschiedene Prozesse ab, die jeweils fehleranfällig sind und deshalb nachfolgend erläutert werden sollen. Ziel ist, ein Verständnis der menschlichen Informationsverarbeitung und Gedächtnisprozesse zu vermitteln, um dadurch Fehler und Verzerrungen besser einschätzen und in der Vernehmung vermeiden zu können. Um ein Ereignis zu erinnern und in der Vernehmungssituation abrufen zu können, müssen die eintreffenden Informationen im Gehirn ankommen, d.?h. im Kurzzeit- oder Arbeitsgedächtnis encodiert (kurzfristig gespeichert und verarbeitet), ins Langzeitgedächtnis befördert (konsolidiert) und dort dauerhaft abgelegt (gespeichert) und zu einem späteren Zeitpunkt, z.?B. in der Vernehmung, wieder aufgefunden (d.?h. abgerufen) werden (vgl. Myers, 2014). Nach dem einflussreichen und viel zitierten Mehrspeichermodell nach Atkinson und Shiffrin (1968)[1] verläuft das Entstehen unserer Erinnerungen dreistufig: Zunächst werden (z.?B. visuell oder akustisch) eintreffende Reizinformationen aus der Umwelt kurzfristig und flüchtig im sensorischen Gedächtnis (Ultrakurzzeitgedächtnis) aufgezeichnet. Dabei gibt es einen eigenen sensorischen Speicher für jede Sinnesmodalität (z.?B. der ikonische Speicher für visuelle Informationen, der echoische für akustische Reize etc.). Dieser verfügt über eine begrenzte Kapazität und die Speicherzeit ist sehr kurz (250 Millisekunden bis 4 Sekunden) (Solso, 2005). Ein Teil der Informationsverarbeitung läuft automatisch ab, d.?h. beiläufige Informationen, wie Raum, Zeit, Häufigkeit von Ereignissen sowie uns bekannte oder erlernte Aspekte, werden ohne gerichtete Aufmerksamkeit im Langzeitgedächtnis gespeichert. Ein anderer Teil der Verarbeitung (z.?B. von Bildern) erfolgt bewusst, d.?h. es ist nach Eintreffen der Reizinformationen im sensorischen Gedächtnis ein Mindestmaß an Aufmerksamkeit notwendig, ansonsten zerfällt die Information unwiederbringlich. Letztlich gelangen also vor allem für uns persönlich relevante Informationen, nämlich die, auf die wir unsere Aufmerksamkeit richten, zur Weiterverarbeitung ins Kurzzeitgedächtnis (vgl. Myers, 2014). Das heißt also, Zeug:innen nehmen nie die Ereignissituation in ihrer Gänze wahr, da wir uns bei allen eintreffenden Reizinformationen nicht auf alle gleichermaßen konzentrieren (d.?h. Aufmerksamkeit auf sie richten) können. Vielmehr hängt unser Aufmerksamkeitsfokus z.?B. von der Neuheit oder Salienz des Reizes (z.?B. lauter Ton oder schnelle Bewegung), Interesse, aktuellen Zielen oder auch der Assoziation mit Bedrohung/Gefahr ab (vgl. Summerfield & Egner, 2009). Nur jene Aspekte eines Ereignisses, auf die Aufmerksamkeit gerichtet war, werden wir später möglicherweise erinnern können. Bei der Encodierung spielt auch eine Rolle, inwiefern ein Bedeutungszusammenhang hergestellt werden kann, d.?h. Informationen, die an Bekanntes anknüpfen, werden besonders gut erinnert (vgl. Myers, 2014). Auch Reize, auf die nicht bewusst geachtet (auf die keine Aufmerksamkeit gerichtet) wurde, können jedoch eine subtile (unbewusste) Wirkung entfalten und die Wahrnehmung beeinflussen (vgl. Myers, 2014), z.?B. beim Priming Effekt (Priming = Voraktivierung, d.?h. ein erster Reiz beeinflusst die Wahrnehmung eines darauffolgenden, vgl. Solso, 2005). Das bedeutet auch, dass wir oftmals unbewusst geprimed werden und sich dies auf die Interpretation nachfolgender Informationen oder Ereignisse auswirken kann. In Bezug auf Augenzeug:innen kann dies beispielsweise bedeuten, dass eine passagere Beobachtung oder Information einen Einfluss auf ihre Wahrnehmung des späteren Ereignisses gehabt haben kann, ohne dass die Zeug:innen dies selbst benennen können. Das Kurzzeitgedächtnis (das aktivierte Gedächtnis oder Arbeitsgedächtnis) hält einige der Informationen, auf die Aufmerksamkeit gerichtet wurde, für kurze Zeit fest (10 bis 60 Sekunden; Solso, 2005). Diese werden dann entweder abgespeichert oder vergessen. Doch auch seine Kapazität ist begrenzt, dort können etwa sieben (+/– zwei) Informationseinheiten (z.?B. Ziffern, Buchstaben, kurze Wörter) gespeichert und fehlerfrei erinnert werden (Myers, 2014). Damit Informationen aus dem Kurzzeitgedächtnis in das Langzeitgedächtnis gelangen, ist nach Atkinson und Shiffrin (1968) ein „Memorieren“ (rehearsal) notwendig, das heißt, eine begrenzte Menge an Informationen wird so lange im Kurzzeitgedächtnis aufrechterhalten, bis sie ins Langzeitgedächtnis übertragen (d.?h. konsolidiert) wurden. Abbildung 1: Erweitertes Drei-Stufen-Modell der Informationsaufnahme und -verarbeitung des Gedächtnisses nach Atkinson & Shiffrin (1968; geringfügig mod. nach Myers, 2014, S. 330) Der Speicher des Langzeitgedächtnisses ist unbegrenzt, d.?h. dort können prinzipiell unendlich viele Informationen aufgenommen und bis zu einer lebenslangen Dauer gespeichert bleiben. Dennoch unterliegen wir normalen Erinnerungsverlusten, die sich z. B. dadurch bemerkbar machen, dass wir lang zurückliegende Ereignisse nicht mehr in allen Details und Lebendigkeit erinnern oder auch, dass wir Dinge „vergessen“ haben. Dies kann ein Abrufproblem sein (d.?h. es fehlt der entsprechende Schlüsselreiz) oder aber neue Erfahrungen blockieren den Abruf alter Gedächtnisspuren (sog. Interferenz) oder die physischen Gedächtnisspuren zerfallen über die Zeit in ihrer Stärke („Spurenzerfallhypothese“), z.?B. wenn sie nicht genutzt werden (Anderson, 2013; Myers, 2014; Solso, 2005). Nach der „Vergessenskurve“ (originär nach Ebbinghaus, 1885) verläuft dieser Prozess jedoch unterschiedlich schnell, je nachdem, ob der Inhalt eine (persönliche) Bedeutung hat. Während der Informationsverlust bei erlernten sinnlosen Silben (d.?h. keine Bedeutung) am schnellsten verläuft und diese später am wenigsten erinnert werden können, werden spanische Vokabeln (die einen inhaltlichen Sinn haben) deutlich weniger schnell vergessen und besser erinnert. Am flachsten verläuft die Kurve bei selbst erlebten, autobiografischen Erinnerungen – über diese werden (Opfer-)Zeug:innen auch Jahre später noch berichten können, wenn auch nicht mehr in allen Details. In Bezug auf Augenzeug:innen, die unerwartet und beiläufig etwas wahrnehmen, das für sie zum Ereigniszeitpunkt keinerlei Bedeutung hat und wozu sie später Angaben machen sollen, gehen Greuel et al. (1998) davon aus, dass die Vergessenskurve zwischen der von sinnlosen Silben und der von spanischen Vokabeln (die immerhin intentional gelernt wurden, d.?h. auf die – im Gegensatz zu einer beiläufigen Wahrnehmung – Aufmerksamkeit gerichtet wurde) liegt. Das heißt also, dass in Abhängigkeit des zeitlichen Abstands zum Ereignis mit einem relativ großen Informationsverlust zu rechnen ist, weshalb in solchen Fällen von den Augenzeug:innen wenig erinnert werden wird. Abbildung 2: Vergessenskurven unterschiedlichen Sinngehalts (aus Greuel et al., 1998, S. 30) 2.2Aufbau des Langzeitgedächtnisses
Das Gedächtnis umfasst die „Fähigkeit, Informationen und Erfahrungen über mehr oder minder lange Zeiträume zu speichern, sie zu ordnen und zu einem späteren Zeitpunkt wieder abzurufen“ (Zimbardo & Gerrig, 2004, S. 293). Um zu verstehen, wie Erinnerungen abgespeichert werden und warum z.?B. Teile des Gedächtnisses verloren gehen können, während andere erhalten bleiben (z.?B. bei einer Amnesie) muss man sich den Aufbau des Gedächtnisses vergegenwärtigen, das in verschiedene Subsysteme untergliedert ist. Die Struktur des Langzeitgedächtnisses wird auf erster Ebene in das deklarative und non-deklarative Gedächtnis unterteilt. Im deklarativen (expliziten) Gedächtnis, dessen Inhalte durch bewusstes Abrufen erinnert werden, befindet sich das semantische Gedächtnis (Faktenwissen, Gelerntes, Allgemeinwissen) und das episodische Gedächtnis (autobiografisches Gedächtnis), wo selbst erlebte Ereignisse abgespeichert werden (Myers, 2014). Das autobiografische Gedächtnis ist bei der Vernehmung von Zeug:innen von hoher Relevanz, da es um Ereignisse mit einem Bezug zum eigenen Lebenskontext geht (vgl. Greuel et al., 1998). Das non-deklarative (implizite) Gedächtnis wiederum speichert Informationen unbewusst, sodass auch der Abruf unbewusst bzw. unabhängig von bewusster Erinnerung erfolgt (vgl. Myers, 2014). Die dort gespeicherten Informationen spiegeln sich im Verhalten einer Person wider (z.?B. motorische Fähigkeiten, prozedurales Wissen, wie man etwas tut). Auch für Priming und Konditionierungsprozesse spielt es eine wichtige Rolle. Diese Unterteilung äußert sich z.?B. darin, dass explizite Erinnerungen verloren gegangen sein (z.?B. im Rahmen einer Amnesie), implizite Erinnerungen und Fähigkeiten aber erhalten geblieben sein können (vgl. Anderson, 2013; Myers, 2014). Abbildung 3: Struktur des Langzeitgedächtnisses (mod. nach Diekelmann, 2018; Myers, 2005; 2014) 2.3Der Abruf von Erinnerungen
Bei der Vernehmung handelt es sich um eine Abrufsituation – Zeug:innen oder Beschuldigte sollen ihre gespeicherten Informationen zum Sachverhalt möglichst umfangreich, detailliert und genau erinnern. Da dies insbesondere dann gelingt, wenn die Vernehmenden sie dabei bestmöglich unterstützen (ihnen also beim Abruf ihrer Erinnerungen helfen), ist es wichtig, die dabei ablaufenden Prozesse zu kennen. Psychologische Vernehmungs-/Befragungstechniken wie das Kognitive Interview (vgl. Kap. 4.5) zielen explizit...



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