Rack | Menschliches Versagen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 280 Seiten

Rack Menschliches Versagen

Ein Flieger- und Liebesroman
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-86913-839-8
Verlag: ars vivendi
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Ein Flieger- und Liebesroman

E-Book, Deutsch, 280 Seiten

ISBN: 978-3-86913-839-8
Verlag: ars vivendi
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Während Marie Bilanzen erstellt, träumt sie davon, so gut auszusehen wie Brigitte Bardot und einen Mann zu finden, der so zärtlich küsst wie Elvis. Als sie 1960 Peter kennenlernt, scheint sich ihre Sehnsucht zu erfüllen. Wie alle Piloten der Bundeswehr hat Peter den Wunsch, einmal den Starfighter zu fliegen: 'Liebe deine Maschine mehr als dein Mädchen, denn von deinem Flugzeug hängt dein Leben ab, von einer Frau nur das Glück.' Die Mahnung seines Fluglehrers kommt ihm in den Sinn, als ein guter Kamerad bei einem Flug tödlich verunglückt. Vielleicht ist es kein Zufall, dass Peter Marie bald darauf einen Heiratsantrag macht? Jochen Rack zeichnet in seinem brisanten Fliegerroman, der zugleich eine fesselnde Liebes- und Familiengeschichte erzählt, ein plastisches Gemälde der 50er und frühen 60er Jahre mit ihrem autoritären Adenauer-Komplex, den Sehnsuchtsträumen von schnellen Autos, Rock 'n' Roll, weißen Hochzeiten und Italienreisen.

Rack Menschliches Versagen jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


  5 130 … 135 … 140 …, langsam schiebt sich der Zeiger des Tachometers auf die magische Grenze zu, Peter tritt das Gaspedal bis zum Boden, und die Isabella saust über die Landstraße. Links und rechts fliegen Alleebäume vorbei – Schatten, Sonne, Schatten: Mensch, Sie fahren aber schnell! Er muss lächeln, wenn er an die Autofahrt mit Marie denkt. Sie klammerte sich an den Türgriff, und der Fahrtwind hob ihren Rock in die Höhe. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie seine Einladung annehmen würde. Frechheit siegt. Sie hatte ein hellblaues Rüschenkleid an, als sie aus dem Hotel kam. Im Café Bra-
meshuber haben sie einen heiteren Abend verbracht, sich gut unterhalten, Sekt getrunken, miteinander gelacht. Was ist schon gegen einen harmlosen Flirt einzuwenden? Gerda muss es ja nicht erfahren. Er hat noch jetzt Maries Parfum in der Nase und ein Gefühl im Magen wie beim Fliegen eines Loopings oder einer Lazy Eight. Der Fahrtwind pfeift im Schiebedach, 140 … 145 …, mehr kann man aus der Kiste nicht rausholen. Mit 150 Stunden-
kilometern hebt eine Piaggio bereits ab. Er fährt so schnell wie möglich an die nächste Kurve heran, bremst kurz davor ab und steigt wieder voll aufs Gas, als der Wagen den Scheitelpunkt erreicht. Am Lenkrad spürt er die Kräfte, die an dem Wagen zerren, aber die Isabella liegt auf der Straße wie ein Brett.   Auf der B13 geht es von Eichstätt nach Weißenburg, dann weiter auf der B2 Richtung Roth, wo er seine Grundausbildung gemacht hat: exerzieren, durch den Dreck robben, Hindernislauf, Feldlager auf irgendwelchen Kuhweiden, links, rechts, im Gleichschritt Marsch! Geländeübung in einer Winternacht. Ein Russenloch hilft gegen die Kälte. Gefechtsausbildung am Gewehr. Handgranatenwerfen. Der Stahlhelm reichte ihm bis knapp über die Augen, die Stiefel knarzten. Kopf hoch, Brust raus, Mund zu, Augen ruhig, Blicke geradeaus, Gesäß zusammengekniffen! Die Finger des Mannes in der Grundstellung liegen nicht mehr an der Hosennaht, sondern sind locker gekrümmt. – Die Handstellung gilt als Ausweis der demokratischen Gesinnung. Trinkgeldpfötchen, spottete ihr Spieß. Kompanie singen! Drei, vier, schlafe wohl, mein Schätzelein! Der Spieß kontrollierte beim Stubendurchgang, ob sie ihre Stiefel geputzt, die Spinde aufgeräumt und Betten sauber gemacht hatten, ließ sich Zahnbürste und Schuhe zeigen. Kopfkissen ist nicht ordentlich straff gezogen! Schauen Sie zu, dass Sie ’ne ordentliche Kante hinbekommen! Peter bremst, kuppelt, schaltet runter und gibt wieder Gas. Beschleunigung von null auf hundert in vierzehn Sekunden. Zuweilen erinnert ein Wegkreuz am Straßenrand an tödliche Unfälle. Aus Sicherheitsgründen werden jetzt die Alleebäume überall umgehackt. Das ist schade, aber unvermeidlich.   Von Langwasser führt die Straße an einer Reihe neu gebauter Mietskasernen vorbei. Nürnberg ist in den letzten Jahren rasant gewachsen. Kein Vergleich zu 49, als sie herzogen und die Altstadt noch in Trümmern lag. Überall klafften Lücken in den Häuserzeilen. Die Sebalduskirche, die Kaiserburg, das Rathaus wurden gerade erst wieder aufgebaut. Die ganze Stadt war voller Kräne und Gerüste. Oft ist er mit Willi irgendwo hochgeklettert, stundenlang saßen sie in luftiger Höhe, schauten den Flugzeugen hinterher, die ihre Kondensstreifen über die Stadt zogen. Zum vierzehnten Geburtstag schenkte ihm sein Vater ein Buch über die Anfänge der Fliegerei. Lilienthal, der sich ein Segelflugzeug baute, das aussah wie ein Vogel. Oder die Geschichte der Gebrüder Wright, die in Amerika das erste Motorflugzeug zusammenschraubten. Bleriots Überquerung des Ärmelkanals, Lindberghs Flug über den Atlantik. Phantastische Rekorde und todesmutige Abenteuer. Damals packte ihn die Begeisterung fürs Fliegen. Er fährt über den Altstadtring nach Norden, biegt am Laufer Tor rechts in die Sulzbacher Straße ein. Am Melanchthon-Gymnasium überfällt ihn wieder das ungute Gefühl wie in den Jahren, als er hier zur Schule ging. Schon morgens in der Straßenbahn war ihm oft schlecht. Die bärtigen Steingesichter an der Fassade des burgartigen Gebäudes flößten ihm Angst ein, die Lehrer gaben ihm schlechte Zeugnisse und ließen ihn durchfallen. Peter Jung, Sohn des Ing. Herrn Heinrich Jung, in Nürnberg, geboren am 30. Juni 1938 zu Dresden, ev. Bekenntnisses, hat im Schuljahre 1950/51 die 1. Klasse wiederholt. Betragen und Fleiß des Schülers mußten öfter beanstandet werden, außerdem zeigte er kaum eine Mitarbeit am Unterricht und war leicht ablenkbar. Um seinen Fleiß und die Konzentration zu fördern, versohlte ihm sein Vater den Hosenboden.   Er parkt in der Nähe einer lauten Kreuzung und überquert die Straße. Als Kinder haben sie hier gespielt, Autos gab es nur wenige, jetzt muss man aufpassen, dass man nicht überfahren wird. Im Treppenhaus hängt der vertraute Geruch nach Moder und Kohlen. Sein Vater, in Knickerbockern und kariertem Hemd, begrüßt ihn mit einem Handschlag: »Warum kommst du so spät? Wir haben dich früher erwartet.« Peter schaut auf die Uhr: »Ist doch erst zwölf.« Um zehn ist er in Fürstenfeldbruck losgefahren. Zwei Stunden Fahrt, das ist für die Strecke keine schlechte Zeit. Warum muss er sich rechtfertigen, kaum dass er zur Tür herein ist? Aus der Wohnung springen ihm seine Geschwister entgegen, hängen sich an ihn: »Peter, Peter! Hast du uns was mitgebracht?« Er schüttelt Susanne und Stefan von sich ab, zieht ein Fix-und-Foxi-Heft aus der Tasche, das sie ihm gierig aus der Hand reißen. Sein Vater schüttelt den Kopf: »Schon wieder dieser Schund?« Hiltrud kommt aus der Küche, gibt Peter einen schlaffen Händedruck, hat diese leidende Miene, die er schon als Kind nicht an seiner Stiefmutter ausstehen konnte. Wahrscheinlich hat sie wieder mal mit seinem Vater gestritten. Den ganzen Tag, sagt sie, habe sich Heinrich schon auf den Wanderausflug gefreut. Bei so einem Traumwetter. »Am liebsten wäre er in aller Herrgottsfrühe los.« Entsprechend ungeduldig ist er jetzt, treibt seine Familie an: »Nun kommt Kinder, macht mal hinne!« Kurz darauf sitzen sie alle in Peters Wagen. Sein Vater streicht über die Armaturen, öffnet das kleine Seitenfenster, begutachtet das Handschuhfach. »Wie bist du denn mit dem Auto zufrieden?« Als Ingenieur interessiert ihn weniger das tolle Aussehen als die beeindruckende Technik des Fahrzeugs: Selbsttragende Karosserie, Pendelachse, hydraulische Teleskopstoßdämpfer – das ist solide deutsche Wertarbeit, die sein Herz höher schlagen lässt. Made in Germany. »Das einzige, was fehlt, ist eine Scheibenwaschanlage.« »Na ja, die werden sie beim Folgemodell sicher nachrüsten. Vorausgesetzt, dass Borgward seine Krise in den Griff kriegt.« Mit dem neuen Lloyd Arabella habe der Hersteller nämlich eine Menge Probleme. »Da waren wohl die Ingenieure ein bisschen schlampig.« Und das kränkt ihn in seiner persönlichen Berufsehre als Maschinenbauer. Hiltrud meldet sich vom Rücksitz: »Mensch, Heinrich, könnt ihr nicht mal über was anderes reden?« »Kümmere du dich lieber um die Kinder«, raunzt er nach hinten. »Macht nicht so ein Geschrei!« In Beerbach parken sie vor einer kleinen gotischen ­Kirche, ein hübscher Sandsteinbau mit spitzem Turm, davor ein Friedhof, auf dem ein Arbeitskollege von Peters Vater begraben ist, der bei einem Autounfall ums Leben kam. Bevor sie loswandern, werfen sie einen Blick in das Gotteshaus, in dem es ein wenig modrig riecht, und Hiltrud trägt einen Wunsch in ein Fürbittenbuch ein. »Wenn du meinst, dass es hilft …« Peters Vater kann sich den Spott nicht verkneifen. Zwar ließ er seine Kinder aus zweiter Ehe in dem Kirchlein taufen, hat aber sonst für den Glauben nicht viel übrig, hält Religion für Weiberkram. Der Weg führt sanft hügelaufwärts nach Tauchersreuth, ringsum Wäldchen, Obstgärten und Wiesen, die jetzt im August blau sind vom Storchschnabel. »Na, wie läuft denn dein Lehrgang?«, will sein Vater wissen, als sie an einem von Libellen umschwirrten Karpfenteich vorbeikommen. »Hattest du schon Prüfungen?« Peter zieht es den Magen zusammen. So ähnlich fing er früher immer an, bevor er den Gürtel rauszog. »Die Academics habe ich auf Anhieb bestanden und vor einem Monat auf der T-33 meinen ersten Soloflug absolviert.« »Na prima!« Sein Vater haut den Wanderstecken in den Boden. »Früher warst du ja immer faul. Eigentlich nicht zu dumm, aber du hattest deinen Kopf nicht bei der Sache. Stefan lernt auch nicht gern, spielt lieber mit seiner Modelleisenbahn, als sich auf den Hosenboden zu setzen. So sind eben meine Jungs.« Peter schweigt verärgert. Wie oft hat er solche Vorwürfe schon gehört? Wenn er widersprach, hielt ihm sein Vater immer nur seine eigene Erfolgsgeschichte vor. Dass er sich mit einem Hauptschulabschluss als technischer Zeichner in einem Wagenbaubetrieb hochgearbeitet und auf der Abendschule sein Abitur nachgemacht hat. Die Basis seiner Ingenieursausbildung und ein glänzendes Beispiel dafür, wohin Ehrgeiz und Fleiß den Menschen führen können. Sie laufen eine Weile wortlos nebeneinander her. Ein Bussard zieht seine Kreise am Himmel. Das Getreide ist fast...


Jochen Rack, geboren 1963, studierte Philosophie und Germanistik. Er lebt als freier Autor und Mitarbeiter des Bayerischen Rundfunks in München.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.