E-Book, Deutsch, Band 65, 102 Seiten
Rohlwing Homosexualität im deutschen Profifußball
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-8288-6305-7
Verlag: Tectum
Format: PDF
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Schwulenfreie Zone Fußballplatz?
E-Book, Deutsch, Band 65, 102 Seiten
Reihe: Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum-Verlag
ISBN: 978-3-8288-6305-7
Verlag: Tectum
Format: PDF
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Auch nach dem Coming-out von Thomas Hitzlsperger wirkt der deutsche Profifußball wie eine „schwulenfreie Zone". Dabei müsste es - rein statistisch betrachtet - so einige homosexuelle Profifußballer geben. Christoph Rohlwing untersucht, warum sich bisher noch kein aktiver Spieler zu seiner Homosexualität bekannt hat. Er interviewt Corny Littmann, den ehemaligen Präsidenten des FC St. Pauli und bekennenden Homosexuellen, und liefert damit eine Insiderperspektive auf ein immer noch tabuisiertes Thema. Rohlwing setzt sich aus soziologischer Sicht mit den Begriffen Männlichkeit, Homosexualität und Heteronormativität auseinander und analysiert die Hintergründe einer Problematik, die sich in vielen anderen gesellschaftlichen Kontexten relativiert hat. Nur eben (noch) nicht im Fußball.
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4DIE KONSTRUKTION DES BEGRIFFS HOMOSEXUALITÄT Bei der Thematisierung von Männlichkeit und seiner Konstruktion beschränkt sich die Forschung im deutschsprachigen Raum meistens auf den Bereich der heterosexuellen Männer.60 „Homosexuelle Männlichkeit wird nur in Ausnahmefällen und meist nur im Singular thematisiert“.61 Um diese etwas eingeschränkte Sichtweise zu verlassen, soll der Begriff Homosexualität mithilfe der Beantwortung folgender Fragen näher beleuchtet werden: Welche Eigenschaften verbindet die Gesellschaft mit Homosexualität? Wie wird Männlichkeit von homosexuellen Männern konstruiert? Wie sieht das Verhältnis von hegemonialer und homosexueller Männlichkeit aus? Welche Bedeutung hat ein Coming-out für einen homosexuellen Mann, und warum halten schwule Profifußballer in Deutschland ihre wahre Identität geheim? Was bedeutet Homophobie, und was ist der Ursprung homophoben Verhaltens? Connell ist der Auffassung, dass es innerhalb der westlichen Welt keine Beziehung unter Männern gibt, die eine höhere symbolische Last trägt als die zwischen Schwulen und Heterosexuellen. In diesem Zusammenhang handle es sich nicht um eine persönliche, sondern um eine kollektive Beziehung, die sich auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene bezüglich des sozialen Geschlechts auswirke. Connell begründet diesen Zustand damit, dass die patriarchale Kultur eine ganz einfache Erklärung für schwule Männer habe, indem behauptet wird, dass es ihnen an Männlichkeit fehle.62 Das Patriarchat meint wörtlich übersetzt die Vaterherrschaft und beschreibt demnach ein System von sozialen Beziehungen, das von Vätern oder auch von Männern im Allgemeinen geprägt ist.63 „Die Vorstellung von der fehlenden Männlichkeit hat ihre Grundlage offensichtlich in der in unserer Kultur vorherrschenden Meinung über das Mysterium der Sexualität: Gegensätze ziehen sich an. Wenn jemand von Männlichkeit angezogen wird, dann muss diese Person weiblich sein – und wenn es ihr Körper nicht ist, dann irgendwie ihre Psyche. Diese Argumentation ist nicht sehr stimmig, aber omnipräsent.“64 Daran anknüpfend merktKrell an, dass Homosexuelle, unabhängig von Mann oder Frau, Sexualitäts- und Geschlechternormen herausfordern. Sie beschreibt die Ambivalenz beim Entwurf eines Männlichkeitskonzeptes, dem die homosexuellen Männer ausgesetzt sind. Ihrer Meinung nach können sich homosexuelle Männer beim Entwurf eines Männlichkeitskonzeptes überwiegend nicht auf heterosexuelle Konzepte stützen. Gleichzeitig sind schwule Männer dem Druck ausgesetzt, ihre Männlichkeit in der Auseinandersetzung mit gesamtgesellschaftlichen Bildern zu entwerfen. Allerdings herrscht in der Gesellschaftdas Vorurteil, Homosexuelle seien nicht männlich, ein Mannsein wird ihnen eindeutig abgesprochen.65 Betrachtet man nach Connell das Verhältnis zwischen hegemonialer und homosexueller Männlichkeit, ist es historisch betrachtet sowohl von der Kriminalisierung sexueller Beziehungen zwischen Männern als auch durch Einschüchterung und Gewalt gegenüber homosexuellen Männern gekennzeichnet.66 Innerhalb der männlichen Geschlechterhierarchie ist die homosexuelle Männlichkeit ganz unten angesiedelt, und ihr Ausschluss wird durch die symbolische Nähe zum Weiblichen vollzogen. Aufgrund der gleichgeschlechtlichen Partnerwahl wird auf der Grundlage der gespaltenen Struktur der zweigeschlechtlichen Ordnung daraus die Konsequenz gezogen, dass homosexuellen Männern ihre Männlichkeit aberkannt wird und deshalb Schwule verweiblicht werden.67 Es stellt sich an dieser Stelle die Frage, warum Homosexualität als „abnormal“ betrachtet wird. Wenn sich ein Mann für einen anderen Mann als Sexualobjekt entscheidet, entscheidet er sich ja nicht nur für einen Körper mit Penis, sondern es ist gleichzeitig eine Entscheidung für verkörperte Männlichkeit. Es sind die gesellschaftlichen Merkmale von Männlichkeit enthalten, und deshalb sind die schwulen Männer aus dieser Sichtweise betrachtet doch ganz „normal“. Allerdings besitzt die hegemoniale Männlichkeit öffentliche Autorität und diese kann nicht einfach herausgefordert werden.68 „Aber aus der Sicht hegemonialer Männlichkeit wird diese ‚Normalität‘ der Schwulen durch die falsche Objektwahl in der Sexualität völlig entwertet. Von daher ist das übliche heterosexuelle Schwulenstereotyp immer noch die Tunte mit der Fallhand. Diese Verkehrung ist ein strukturelles Merkmal von Homosexualität in einer patriarchalen Gesellschaft, und zwar völlig unabhängig von Persönlichkeit oder Identität von Schwulen.“69 Die hier dargelegten Aspekte erwecken immer mehr den Anschein, dass es gesellschaftliche Normen gibt, die eine Art Richtwert sind. Diese gesellschaftlichen Normen definieren Normalität. Gleichzeitig ist Normalität ein Abgrenzungsmechanismus von allem, was nicht den gesellschaftlichen Normen entspricht. Es gibt zwar Bereiche in der Gesellschaft (z. B. die politische Klasse), in denen Homosexualität akzeptiert wird, Homosexualität ist hier also ein Teil der Gesellschaft. Andere gesellschaftliche Bereiche wie der Profifußball in Deutschland werten Homosexualität möglicherweise als nicht normal. Das Nichtnormalsein, den Vorstellungen und Erwartungen nicht zu entsprechen, führt zur Ausgrenzung. Der dargelegte Prozess lässt sich mit dem Begriff Heteronormativität verdeutlichen. Heteronormativität setzt sich aus Heterosexualität und Normativität zusammen. Heterosexualität bedeutet, sich auf das jeweils andere Geschlecht bezüglich des sexuellen Empfindens und Verhaltens zu richten. Normativität ist mit Verbindlichkeit beziehungsweise als normgebend zu übersetzen.70 Daraus lässt sich schlussfolgern, dass Heteronormativität eine Sichtweise darstellt, die Heterosexualität als eine soziale Norm ansieht. Zum einen bringt die Heteronormativität die sozial hergestellte Heterosexualität zum Ausdruck, und zum anderen besitzt sie die Macht, auf diesen Prozess zu verweisen. Dadurch wird die Heterosexualität als Norm für die Geschlechterverhältnisse benannt.71 Heteronormativität verfolgt ein strukturierendes Prinzip. Dadurch, dass es die Menschen in zwei Formen von Geschlechtern drängt, die körperlich und sozial eindeutig voneinander abgegrenzt sind, wirkt sich dieses strukturierende Prinzip auf zwei Ebenen aus. Die erste Ebene stellt eine klar definierte Ordnung bezüglich der Geschlechtsidentitäten und sexuellen Orientierungen her. Damit werden automatisch alle nicht-heterosexuellen Formen des Lebens ausgeschlossen. Auf der zweiten Ebene strukturiert die Heteronormativität das Zusammenleben der Menschen auch außerhalb ihrer Sexualität und ihrem Begehren, weil sich die Heterosexualität als ein umfassendes gesellschaftliches Ordnungssystem etabliert hat.72 Davon ausgehend gibt Hertling folgende Zusammenfassung für den Begriff Heteronormativität: „Die Abwertung von Homosexualität ist nicht nur ein bedeutsamer Bestandteil der heterosexuellen Männlichkeitskonstruktion, sondern ein Eckpfeiler einer jeden heterosexistischen Gesellschaft. Die Norm der Heterosexualität, die sogenannte Heteronormativität, ist bei näherer Betrachtung in nahezu allen Bereichen des Lebens gegenwärtig. Sie bezeichnet die gedankliche Grundhaltung, welche sowohl die unreflektierte Annahme der Zwei-Geschlechter-Ordnung mit den sozial konstruierten, dichotom verstandenen Geschlechtern Mann und Frau beinhaltet, als auch die hiermit verbundene soziale Norm der Heterosexualität, aus der sich die abwertende Haltung gegenüber Homosexualität erklärt.“73 Heteronormativität lässt sich nach der Auffassung von Hertling vor allem in der Politik, der elterlichen Erziehung sowie der institutionellen Bildung und Erziehung wiederfinden. Allerdings möchte ich anmerken, dass die Politik augenscheinlich eine gewisse Sensibilisierung zum Thema Homosexualität erfahren hat. Vor diesem Hintergrund nennt Ulrich die Beispiele Guido Westerwelle und Klaus Wowereit. So hatte Westerwelle Jahrzehnte damit gewartet, sich zu seiner Homosexualität zu bekennen. Wowereit gab seine Homosexualität mit einem stolzen „Und das ist auch gut so“ der Öffentlichkeit preis.74 Am Ende ihrer jeweiligen Coming-outs waren beide Politiker auch weiterhin Bestandteil der Politik. Dennoch zeigt Hertling auf, dass nun gerade sozialisatorische Instanzen Bereiche sind, in denen Heteronormativität und Homophobie75 zum Ausdruck kommen.76 Heteronormativität scheint ein allgegenwärtiger und in der Gesellschaft tief verwurzelter Prozess zu sein. Meiner Auffassung nach sind Heteronormativität und Männlichkeit eng miteinander verbunden, es liegt zwischen ihnen eine Art Wechselbeziehung vor. Neben den biologisch und vor allem sozial konstruierten Begriffen Heteronormativität und Männlichkeit stellt sich für mich die Frage, inwiefern beide Aspekte ihre gemeinsamen Wurzeln in der Evolution haben. Liegt die Nicht-Akzeptanz von Homosexualität vielleicht daran, weil Homosexualität als Form des Sexuallebens die Fortpflanzung verhindert? Homosexualität könnte als Bedrohung angesehen werden, weil nur Heterosexualität das Überleben der eigenen Gattung durch Fortpflanzung sichert. Die eigene Homosexualität absichtlich und bewusst öffentlich zu machen, wird als Coming-out bezeichnet77 und ist ein weiteres wichtiges Kriterium für die Untersuchung des Begriffs Homosexualität. Nach Krell ist das Coming-out ein komplexer Prozess, bei dem die Bewusstwerdung und die Erkenntnis der eigenen Homosexualität als inneres Coming-out bezeichnet werden. Unter dem äußeren Coming-out ist die Thematisierung der Homosexualität gegenüber der sozialen Umwelt zu verstehen.78 Im folgenden Abschnitt soll...