Sachse | Persönlichkeitsstörungen therapieren | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 160 Seiten

Sachse Persönlichkeitsstörungen therapieren

Theorie und Praxis
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7495-0395-7
Verlag: Junfermannsche Verlagsbuchhandlung
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Theorie und Praxis

E-Book, Deutsch, 160 Seiten

ISBN: 978-3-7495-0395-7
Verlag: Junfermannsche Verlagsbuchhandlung
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Jede Persönlichkeit umfasst auch Ressourcen Eine Psychotherapie mit Klient*innen durchzuführen, die eine sogenannte Persönlichkeitsstörung aufweisen, ist eine echte Herausforderung: Es bedarf einer besonderen Art von therapeutischer Beziehung und spezieller fachlicher Strategien. Therapeut*innen müssen auf schwierige Interaktionssituationen vorbereitet sein. Das Buch stellt einen therapeutischen Ansatz vor, der auf dem Modell der Doppelten Handlungsregulation basiert, einer psychologischen Rahmentheorie über das „psychische Funktionieren“ von Persönlichkeitsstörungen. Es ist ein theoretisch wie praktisch elaborierter Ansatz, der in seiner Effektivität gut belegt ist. Darüber hinaus bietet dieses Buch: - eine kritische Auseinandersetzung mit dem Konzept der Persönlichkeitsstörungen, bei der Entpathologisierung und Ressourcenorientierung entscheidend sind, - eine Ableitung therapeutischer Prinzipien und Strategien zur Bearbeitung der einzelnen Aspekte einer Persönlichkeitsstörung, - konkrete Beispiele für solche Strategien und eine differenzierte Darstellung möglicher Vorgehensweisen in der Praxis.

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2. Beziehungsmotive
In den folgenden Kapiteln soll eine psychologische Theorie von Persönlichkeitsstörungen entwickelt werden, eine Theorie darüber, wie PD „funktionieren“. Ein solches Hintergrundwissen ist unumgänglich, wenn ein Therapeut einen Klienten verstehen will. Die Theorie bildet zudem die Grundlage für die Ableitung therapeutischer Ziele und Strategien. Beginnen wollen wir hier mit den Beziehungsmotiven. Beziehungsmotive spielen bei Personen mit PD eine zentrale Rolle: Sie sind ein Kernaspekt der Störung und somit wesentlich für das fachliche Verständnis. Zudem helfen sie dabei, zwischen verschiedenen PD zu differenzieren. 2.1 Was sind Motive?
Menschliche Motive spielen im Zusammenhang mit Persönlichkeitsstilen und -störungen eine große Rolle. Motive sind psychische Strukturen, die bestimmen, was ein Mensch möchte oder nicht möchte, was er anstreben oder vermeiden will, was ihm persönlich guttut und was nicht, was ihn zufrieden macht und was nicht. Aus Motiven leiten sich konkrete Ziele ab, die eine Person verfolgt und zu erreichen sucht (sogenannte Annäherungsziele), bzw. es leiten sich Zustände ab, die eine Person vermeiden möchte (sogenannte Vermeidungsziele; vgl. Deci, 1975, 1980; Deci & Ryan 1980a, 1980b, 1982, 2000; Ebner & Freund, 2009). Motive sind wahrscheinlich zu einem Teil genetisch prädisponiert, entstehen aber im Wesentlichen durch frühe Erfahrungen in unserer Biografie, insbesondere durch affektive Erfahrungen mit wichtigen Interaktionspartnern (McClelland, 1958, 1987). Motive legen sich dann mit der Zeit fest, sie können im Jugendalter zwar noch modifiziert werden, bleiben aber im Wesentlichen konstant. Motive bilden eine sogenannte Motiv-Hierarchie: Jede Person weist immer mehrere Motive auf. Diese sind zu einem bestimmten Zeitpunkt aber nie gleich wichtig: Es gibt ein besonders wichtiges Motiv und danach einige weniger wichtige. Die Motive sind damit in einer Hierarchie der persönlichen Wichtigkeit angeordnet. Das wichtigste Motiv (das „Leitmotiv“) ist das, das zurzeit den größten Einfluss auf die Psyche der Person ausübt. Die Person versucht vor allem, dieses Motiv zu befriedigen. Und dieses Motiv beeinflusst das Denken, Fühlen und Handeln der Person am stärksten. Die weniger wichtigen Motive müssen auch befriedigt werden und es gilt, sich auch um diese zu kümmern: Das hat jedoch meist keine Priorität. Motive werden durch bestimmte Situationen aktiviert. Wenn sie aktiviert sind, rufen sie bestimmte Bedürfnisse, Wünsche, Sehnsüchte u. Ä. hervor. Diese Bedürfnisse kann eine Person wahrnehmen und sie kann sich entscheiden, ob sie ihr Handeln auf eine Befriedigung dieser Bedürfnisse ausrichten soll: Tut sie das, hat sie eine Chance, das Bedürfnis zu befriedigen. Sie kann ein Bedürfnis jedoch auch ignorieren: Dann kann sie es in der Regel nicht befriedigen. Motive, deren Bedürfnisse oft befriedigt werden, werden „gesättigt“ und dadurch für die Person weniger relevant. Sie steigen in der Motiv-Hierarchie ab und beeinflussen damit die psychischen Prozesse weniger. Man kann annehmen, dass der psychologische Sinn dieses Prozesses darin liegt, dass andere Motive der Person „auch zum Zuge“ kommen. Durch Nicht-Befriedigung wird ein Motiv immer relevanter. Es steigt in der Hierarchie auf und beeinflusst das psychische Geschehen in immer stärkerem Maße: Es wird dominant. Motive, die nur sehr selten oder über lange Zeit gar nicht befriedigt werden, werden dagegen immer „dringender“ (so wie Hunger immer größer wird, je länger man nichts isst). Man kann eine Reihe unterschiedlicher Motive unterteilen. Klassischerweise werden in der Psychologie drei Motive definiert: Leistung, Anschluss und Macht. Man kann jedoch noch mehr relevante Motive feststellen, die sogenannten Beziehungsmotive: Sie lösen in einer Person Bedürfnisse danach aus, von Interaktionspartnern in bestimmter Weise behandelt zu werden bzw. eine bestimmte Art von Beziehungsfeedback zu erhalten. Im vorliegenden Kontext sind diese Beziehungsmotive von besonderer Bedeutung. 2.2 Beziehungsmotive und -bedürfnisse
In der Biografie einer Person bilden sich Beziehungsmotive heraus, Strukturen, die ein Bedürfnis erzeugen, von anderen Menschen bestimmte Beziehungssignale zu erhalten: Man möchte in bestimmter Art und Weise vom Interaktionspartner behandelt werden (bzw. nicht behandelt werden) und / oder man möchte eine bestimmte Art von Feedback erhalten (bzw. nicht erhalten). Wir unterscheiden sechs solcher Beziehungsmotive: Anerkennung Wichtigkeit Verlässlichkeit Solidarität Autonomie Grenzen / Territorialität Das Motiv nach Anerkennung erzeugt das Bedürfnis, von Interaktionspartnern rückgemeldet zu bekommen, dass man als Person okay, schätzenswert, liebenswert u. a. ist. Je nach Person möchte man zudem noch andere Arten von Feedback erhalten, zum Beispiel Feedback darüber, wie intelligent, (leistungs)fähig, ausdauernd, erfolgreich oder wie attraktiv man ist, welche anziehenden Eigenschaften man hat, wie gut man aussieht u. a. Menschen mit einem stark ausgeprägten Anerkennungsmotiv wünschen sich von ihren Interaktionspartnern ein positives Urteil über die eigene Person. Wichtigkeit ist das Motiv, das ein Bedürfnis danach erzeugt, im Leben des Interaktionspartners eine zentrale Rolle zu spielen, wichtig für ihn (oder sie) zu sein und eine Bedeutung für das Gegenüber zu haben. Menschen mit einem starken Wichtigkeitsmotiv möchten Botschaften hören wie: Du bist eine Bereicherung für mein Leben. Ich brauche dich. Ich möchte mit dir zusammen sein. Dieses Bedürfnis gliedert sich in verschiedene Unterziele: So will man z. B. ernst genommen, gehört und wahrgenommen werden, zugehörig sein, vom Interaktionspartner „umkümmert“ werden und vor allem: Aufmerksamkeit! Gemäß der Logik dieses Motivs erhält man all das von einem Interaktionspartner, wenn man ihm wirklich wichtig ist. Ist man das nicht, hat der Interaktionspartner keine Veranlassung, derartige Signale zu senden. Und daraus folgt auch der Schluss: Erhält man von einem Interaktionspartner solche Signale nicht, ist man für ihn unwichtig. Das Motiv nach Verlässlichkeit führt zu dem Bedürfnis, von einem Interaktionspartner versichert zu bekommen, dass die Beziehung stabil und belastbar ist und weiterhin andauern wird. Man will Feedback der Art: Ich werde bei dir bleiben. Ich werde dich nicht verlassen. Konflikte stellen unsere Beziehung nicht infrage. Das Motiv nach Solidarität beinhaltet das Bedürfnis, vom Interaktionspartner Botschaften zu bekommen, die besagen, dass er im Ernstfall für einen da ist, dass man Hilfe, Unterstützung, Schutz u. a. erhält, wenn man das braucht. Menschen mit einem starken Solidaritätsmotiv schätzen also Botschaften wie: Wenn du mich rufst, dann komme ich. Wenn du Hilfe brauchst, bekommst du sie. Wenn du Schutz brauchst, dann erhältst du sie. U. Ä. Psychologisch betrachtet, kann man annehmen, dass Solidarität in der Biografie eines Menschen ein besonders wichtiges Motiv war. Als Kind ist man schutzlos und extrem auf die erwachsenen Bezugspersonen angewiesen. Deren Unterstützung ist nicht nur für das eigene Wohlbefinden wichtig: Es ist existentiell wichtig, lebensnotwendig! Daher ist es nicht einfach nur unangenehm, wenn dieses Motiv nicht befriedigt wird, es wirkt vielmehr oft existentiell bedrohlich. Das ist der Grund, warum die Annahme, man erhalte keine Solidarität, oft starke Bedrohungsgefühle auslöst und man subjektiv die Tatsache, dass sich ein Interaktionspartner mit „Angreifern“ verbündet, als Verrat betrachtet, als eine besonders starke Verletzung. Und dies ist auch der Grund dafür, warum eine Erinnerung an mangelnde Solidarität in der Kindheit oft eine besonders starke Trauer auslöst. Das Motiv nach Autonomie erzeugt das Bedürfnis, selbst über bestimmte Bereiche seines Lebens zu bestimmen und bestimmen zu dürfen: eigene Entscheidungen zu treffen, nicht bevormundet oder kontrolliert zu werden u. a. Von Interaktionspartnern will man Botschaften wie: Ich respektiere deine Autonomie (in bestimmten Bereichen). Ich lasse dich (dort) selber entscheiden. Ich kann zwar meine Meinung dazu sagen, versuche aber nicht, dich zu bevormunden oder zu kontrollieren. Autonomie ist aufgrund des sogenannten Reaktanz-Phänomens ein besonderes Motiv: Nach der Theorie von Brehm (1968, 1972; Gniech & Grabitz, 1984) erzeugt der Eindruck, man werde in seiner Freiheit eingeschränkt, eine Reaktanz, also eine Gegentendenz, sich jetzt extra nicht zu beugen, extra nicht zu kooperieren. Reaktanz ist in gewisser Weise eine „erwachsene Form von Trotz“: Die Person macht dicht, will ihren Willen durchsetzen und sich gar nichts mehr sagen lassen. Psychologisch betrachtet, ist Autonomie von großer Bedeutung: Weist eine Person ein hohes Autonomiemotiv auf, dann wird sie auf alle Einschränkungen, Bevormundungen, Kontrollversuche u. Ä. besonders allergisch reagieren. Man kann also sagen: Personen mit hohem Autonomiemotiv sind stark reaktanzempfindlich. Dies ist sowohl für Therapeuten als auch für...


Sachse, Rainer
Rainer Sachse ist Psychologischer Psychotherapeut und Direktor des Instituts für Psychologische Psychotherapie in Bochum.

Rainer Sachse ist Psychologischer Psychotherapeut und Direktor des Instituts für Psychologische Psychotherapie in Bochum.



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