E-Book, Deutsch, Band 2/2016, 128 Seiten
Sachtexte
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-7065-5865-5
Verlag: Studien Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Prozesse und Produkte
E-Book, Deutsch, Band 2/2016, 128 Seiten
Reihe: ide - informationen zur deutschdidaktik
ISBN: 978-3-7065-5865-5
Verlag: Studien Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Sachtexte stellen als Thema des Deutschunterrichts in mehrfacher Hinsicht didaktische Herausforderungen dar. Sie sind Lerngegenstand und Medium des Lernens. Das geplante Heft fokussiert auf die Sekundarstufen I und II und verbindet zwei Perspektiven: die Prozess- und die Produktdimension. Zusätzlich und quer zu den genannten Prozess- und Produktaspekten sind fächerübergreifende und intermediale Aspekte zu berücksichtigen, unter denen Sachtexte didaktisch genutzt werden können. Sachtexte spielen naturgemäß in den Sachfächern, aber zunehmend auch im Deutschunterricht eine wichtige Rolle und erfordern die Berücksichtigung der vielfältigen Facetten und Dimensionen des Themas, die in den einzelnen Beiträgen umrissen werden sollen.
Dieses ide-Heft schlägt einen Bogen von theoretischen und fachdidaktischen Konzepten zu Möglichkeiten der Umsetzung in der Unterrichtspraxis mit dem Ziel einer Vertiefung und Erweiterung des Verständnisses von Sachtexten als komplexe und vielfältige Lerngelegenheiten.
AUS DEM INHALT
Prozesse
Klaus Maiwald: Von Menschen und Meisen. Umgang mit Sachtexten am Beispiel eines Zeitungsartikels
Karla Müller: Aus WAS IST WAS-Büchern vorlesen. Eine Herausforderung für Leseverstehen, Sprechgestaltung und Hörverstehen von Sachtexten
Annemarie Saxalber: Sprache und Kommunikation in den Sachfächern. Ein interdisziplinäres Thema in der LehrerInnenausbildung
Christian Aspalter: Sachtexte im Internet. Eine vielschichtige Chance/Herausforderung für den (Deutsch-)Unterricht
Gerda Kysela-Schiemer: Sachcomics. Bildung, Wissen und Information durch Bilder
Madeleine Strauss: Der Sachtext im fächerübergreifenden Unterricht. Eine verkannte Textsorte
Produkte
Josef Haslinger: Der Essay als Medium von Lernprozessen
Ulrike Krieg-Holz: Zur Beschreibung von Sachtexten. Eine Annäherung aus textlinguistischer Sicht
Melanie Hendler: Sachtexte zusammenfassen. Theoretische Überlegungen zu einem schulischen Förderprogramm
Elfriede Witschel: Lesen und Schreiben: vom Sachtext zum offenen Brief. Die Arbeit mit einem Aufgabenarrangement in der Sekundarstufe II
Bibliographie
Elisabeth Leiss: Sachtexte im Deutschunterricht. Bibliographische Hinweise
Magazin
Das Themenprogramm 'Schreiben, Lesen, Literatur'. Ein Nachruf
Friedrich-Preis für Deutschdidaktik
Andreas Hudelist: J. Aistleiner, L. Lorenz, T. Wallenberger (2015): Grenzüberschreitungen.
Neu im Regal
Weitere Informationen zur ide finden Sie unter: http://wwwg.uni-klu.ac.at/ide/
Fachgebiete
Weitere Infos & Material
Josef Haslinger
Der Essay als Medium von Lernprozessen
Das akademische Schrifttum ist oft gekennzeichnet durch literarische Sterilität und persönliche Unverbindlichkeit. Die Sterilität gilt als Seriosität und die persönliche Unverbindlichkeit als nötige wissenschaftliche Distanz. Beide zusammen bilden die Innenausstattung der akademischen Würde. Als ich in den späten siebziger Jahren eine Dissertation mit dem Titel »Die Ästhetik des Novalis« verfasste, gab es kein Seminar, ja nicht einmal ein Gespräch darüber, wie eine solche Dissertation auszusehen habe. Ich verfasste sie, indem ich die Form der Schriften, die ich zitierte, nachahmte. Die in der Fachliteratur vorgefundene Praxis der Fußnotengebung verstand ich so, dass der Anstrich von Wissenschaftlichkeit noch intensiviert werden kann, wenn man möglichst viele Fußnoten setzt und in den Fußnoten nicht nur die zitierten Stellen ausweist, sondern noch kleine Abhandlungen und Kommentare zur Sekundärliteratur unterbringt sowie weitere, den Zusammenhang differenzierende Kommentare anderer Autoren. Vor der Drucklegung meiner Dissertation wurde ich vom Verlag gebeten, wenn möglich die Zahl, aber vor allem die Länge der Fußnoten zu reduzieren. Ich habe das damals als einen von kommerziellen Interessen geleiteten Anschlagsversuch gegen die Wissenschaftlichkeit meiner Arbeit verstanden und bin dieser Bitte nur widerwillig und nachlässig gefolgt. Letztlich war die 241 Seiten starke Druckfassung meiner Dissertation mit 527 Fußnoten versehen, die sich in Kleinstschrift auf 37 Seiten zusammendrängten und damit immer noch 16 Prozent des Gesamtumfangs ausmachten. Bei Karl-Theodor zu Guttenberg waren es über 1.200 Fußnoten gewesen, was seinen Doktorvater Peter Häberle so beeindruckt haben muss, dass er glatt übersah, dass in diesen Fußnoten 234 Zeilen von ihm selbst stammten. Als ich an die Anmerkungen eine Bibliographie von 179 Buchtiteln anschloss, wusste ich noch nicht, dass es gängige Praxis ist, die Literaturliste, wie wir in Österreich sagen, aufzufetten, indem man auch nicht zitierte, womöglich nicht einmal mit eigenen Augen gesehene Werke darunter mischt. Jedenfalls wird jeder, der meine Dissertation lesen will, sich mit mehreren Lesezeichen und für die Fußnoten empfehlenswerterweise auch mit einer Lupe ausrüsten müssen, um das ständige Hin- und HerSpringen zwischen Haupttext und Anmerkungsteil optimal bewältigen zu können. Über selbst verschuldete Leseerschwernisse spricht man im akademischen Diskurs nicht. Obwohl bekannt ist, dass jeder ernst zu nehmende akademische Leser mit einem besonders großen Lektüre-Rückstau zu kämpfen hat – manche Professoren, ich rechne mich dazu, drapieren ihre Zimmer mit Stößen ungelesener Bücher, was diesen den Anschein verleiht, sie seien schon in irgendeine Form von Rezeptionsprozess verstrickt – nehmen die akademischen Schriften auf solche lebensweltlichen Privatprobleme keine Rücksicht. Akademische Schriften blenden den Leser aus. Dass wir heute oft nicht mehr zwischen Haupt- und Anmerkungsteil hin-und herblättern müssen, haben wir nicht der Einsicht der akademischen Schriftsteller, sondern der Verwendung amerikanischer Textverarbeitungssoftware zu verdanken. Die akademischen Schriftsteller wollen nach wie vor nicht wirklichen Menschen ins Ohr sprechen, sondern sie appellieren an ein entpersonalisiertes Netzwerk von Gedanken, an Gedächtnis- und Erinnerungsleistungen sowie an wechselseitige bibliographische Verweise, die gleichsam körperlos sind. Wer den Text wann lesen soll, ist nicht von Belang, Hauptsache er geht seriös mit den Quellen um und kann prätendieren, an den Stellschrauben des akademischen Diskurses zu drehen. Akademische Schriften blenden nicht nur den Leser aus, sie blenden auch den Autor aus. Bei der Lektüre der Sekundärliteratur zu meiner Dissertation fiel mir auf, dass »ich« zu sagen höchstens im Vorwort oder in einer Schlussbemerkung üblich ist. Daraus schloss ich, dass es in dieser gehobenen Form des geisteswissenschaftlichen Schreibens gar nicht erlaubt sei, »ich« zu sagen. Und so findet sich nur im Vorwort meiner Dissertation das Personalpronomen der ersten Person Singular, danach die ganze Arbeit hindurch nicht mehr. Bei der Schlussbemerkung stand ich offenbar noch so im Banne der im Hauptteil durchexerzierten wissenschaftlichen Korrektheit, dass ich mich, auch hier einer gängigen Praxis folgend, selbst im Pluralis Majestatis ansprach. »Unsere Ausführungen lassen sich kurz so zusammenfassen«, steht da. Wer ist unsere? Ist das die sichtbar gewordene Gutenberg-Galaxis, also die in den 527 Fußnoten versammelte akademische Gemeinschaft, die an meiner Arbeit mitgeschrieben hat? Der Riese, auf dessen Schultern ich kleiner Zwerg stand? Der häufig gespreizte Stil akademischer Schriften entsteht durch die sprachlichen Umständlichkeiten, die nötig sind, damit der Zwerg sich verstecken kann. Im Vorwort sagt der Zwerg meiner Dissertation noch mit einem verstohlenen Blinzeln, »es liegt mir daran, die rationale und systematische Seite dieser Ästhetik herauszuarbeiten« (Haslinger 1981, S. 2), um hernach in der Textatur des Riesen zu verschwinden und so zu tun, als wäre der Fortgang sine ira et studio verfasst, als wäre er gleichsam der Selbstläufer eines logisch und systematisch voranschreitenden Geistes, der die Lebenserfahrung des Verfassers, seine persönlichen Interessen und politischen Einstellungen auszublenden vermag. In Wahrheit war ich, als ich mich in der Sekundärliteratur zu Novalis umsah, erstaunt über die völlig unterschiedlichen Weisen der Novalis-Rezeption. Es gab eine alte Novalis-Verehrung und es gab eine neue Novalis-Verehrung. Letztere spielte in intellektuelle Achtundsechziger-Kreise hinein, die mir aus anderen, von Novalis unabhängigen Gründen sympathisch waren. Einer von ihnen, Richard Faber, hatte ein Novalis-Buch mit dem Titel Die Phantasie an die Macht geschrieben. Eine andere, Gisela Dischner, verstand es gar, Novalis mit der »Spaßguerilla« des Achtundsechziger-Kommunarden Fritz Teufel in Verbindung zu bringen. Hier ließ ich mich gerne nieder. Von hier aus gesehen, ließ sich auf die traditionelle Novalis-Verehrung mit einem gewissen Hohn herabblicken. (Haslinger 2002, S. 14 f.) Nimmt man noch die intensive Lektüre von Walter Benjamin und Ernst Bloch hinzu, dann kann ich im Nachhinein für mich selbst ganz gut rekonstruieren, wie meine Dissertation in der Zeit der aufbrechenden Alternativbewegungen der siebziger Jahre einerseits von privaten und politischen Interessen gesteuert war, andererseits aber auch zu einem Medium von Erkenntnisprozessen wurde, die im Fortgang nicht nur mein Novalis-Bild, sondern auch mein Menschenbild und meine Auffassung von Geschichte, Gesellschaft und Natur veränderten. Aber dieser Lernprozess, das, was mir die Arbeit persönlich gebracht hat, bildet sich in der Dissertation nicht ab. Es wird gleichsam nur ein Ergebnis vorgeführt. Es wird so getan, als hätte ich, nach Lektüre all dieser Bücher, auf einer erhöhten akademischen Warte Platz genommen, dem Doktorandenstuhl – das ist der unterste Absatz in der Stufenhierarchie, die zum Lehrstuhl hinaufführt -, und dabei hätte sich meine Person als gesellschaftliches Wesen in ihre geistigen Bestandteile aufgelöst, gleichsam in einer Umkehrung der Operation, die Viktor Frankenstein im Labor der Universität Ingolstadt vorgenommen hat. Der dreijährige Erfahrungs- und Lernprozess eines Menschen mit Fleisch, Blut und Demonstrationserfahrung wurde auf intelligible Resultate eingedampft. Man kann eine solche Arbeit immer noch einen Essay nennen, aber es ist ein Essay, der in seinem strengen Anspruch auf wissenschaftliche Formalität und Korrektheit jede Subjektivität auszublenden versucht und damit die eigentlichen Qualitäten des essayistischen Schreibens verfehlt. Dagegen gibt es ein anderes, nicht so formelles, zwangloseres, entspannter wirkendes Schreiben, das im Reflexionsniveau und in der Wissensvermittlung durchaus mit akademischen Schriften vergleichbar sein kann, das sich in anderen Punkten dann aber doch wesentlich von ihnen unterscheidet. Diese Art zu schreiben wendet sich nicht an Theorien und Reflexionszusammenhänge, sondern an Menschen mit fünf Sinnen und persönlich erfahrenen Lebensgeschichten. Und die Person, die da schreibt, versteckt sich nicht hinter den Schulterspangen des Riesen, sondern zeigt sich als jemand, der dabei ist, sich auf der Grundlage eigener Erfahrungen und Interessen sowie der Lektüre von Büchern, Zeitschriften und Websites eine Meinung zu bilden. Die Sprache einer solchen Schrift mag durchaus intellektuell und diskursiv sein, aber sie ist nicht hochgestochen, sondern schlägt einen Ton an, der Zuhörer oder Leser zu erreichen versucht. Diese Form des intellektuellen Schreibens sucht in der Sprache das Gegenüber. Das kann ein dialogisches Gegenüber mit direkter Leseransprache sein oder auch das Gegenüber einer Vielzahl von Lesern, die gemeinsame Erfahrungen teilen. Platon griff mögliche Einwendungen seiner Leser auf, indem er sie den Gesprächspartnern seines Alter Ego Sokrates in den Mund legte und Seneca stellte in seinen Schriften die eigenen Zweifel gerne so dar, dass sie als mögliche Einwendungen des Lesers seiner fingierten Briefe zum Ausdruck kamen. Diese Form gab ihren diskursiven...