Schäfer | Die Schlange war klug | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 464 Seiten

Reihe: Edition der Carl Friedrich von Siemens Stiftung

Schäfer Die Schlange war klug

Antike Schöpfungsmythen und die Grundlagen des westlichen Denkens
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-406-79043-0
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Antike Schöpfungsmythen und die Grundlagen des westlichen Denkens

E-Book, Deutsch, 464 Seiten

Reihe: Edition der Carl Friedrich von Siemens Stiftung

ISBN: 978-3-406-79043-0
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



In antiken Erzählungen vom Ursprung verdichten sich Welt- und Menschenbilder, die das westliche Denken bis heute prägen. Der renommierte Judaist Peter Schäfer vergleicht biblische und altorientalische, platonische und epikureische, jüdische und christliche Vorstellungen von der Entstehung der Welt und des Menschen. Dabei zeigt sich, dass Sündenfall und Erbsünde christliche Erfindungen sind, während die jüdische Tradition im Sinne der Bibel zu der Erkenntnis kommt: Die Schlange war klug, der Mensch ist frei. - Eine fulminante Zusammenschau der wichtigsten antiken Schöpfungstheorien und ihrer Weltwirkung.

Ein Kernanliegen antiker Gelehrsamkeit war die Spekulation über den Ursprung der Welt und die Stellung des Menschen in ihr. Peter Schäfer setzt auf faszinierende Weise unterschiedliche Entwürfe in Beziehung zueinander: biblische Erzählungen und altorientalische Mythen, Platons Weltentstehungsmythos und Philons platonische Bibeldeutung, Aristoteles' Lehre vom Unbewegten Beweger und Lukrez' materialistische Weltsicht, die erst in der Renaissance wiederentdeckt wurde. Christentum und Judentum haben diese Lehren aufgegriffen und umgeformt, doch dabei entstand, wie die meisterhafte Darstellung zeigt, keine «jüdisch-christliche» Tradition. Denn während für die Bibel und das rabbinische Judentum der Mensch durch die Klugheit der Schlange im Paradies überhaupt erst zum Menschen geworden ist, ist er nach christlicher Vorstellung durch die Verführung der teuflischen Schlange vom eigentlichen Menschsein abgefallen und muss mit der Erbsünde leben. Ein Ausblick zeigt, wie diese unterschiedlichen Menschenbilder in der Moderne weiterwirken, in der Aufklärung einerseits, in der antidemokratischen politischen Theologie Carl Schmitts andererseits.

Schäfer Die Schlange war klug jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


1. DIE HEBRÄISCHE BIBEL:
ZWEI URGESCHICHTEN
Das Buch Genesis und seine beiden Schöpfungserzählungen
Die Hebräische Bibel[1] ist der Sammelbegriff für drei große Teile von Schriften, die zu unterschiedlichen Zeiten kanonischen Rang erhielten. Der älteste und in seiner Bedeutung wichtigste Teil ist die «Torah» im engeren Sinne, in christlicher Terminologie die «fünf Bücher Moses»[2] (auch «Pentateuch»), gefolgt von dem zweiten umfangreichen Teil der «Propheten» (hebräisch Nevi’im). Der dritte jüngste Teil, von dem die letzten Bücher erst am Anfang des zweiten Jahrhunderts n. Chr. kanonisiert wurden, sind die «Schriften» (Ketuvim). Im weiteren Sinne kann aber auch die gesamte Bibel als «Torah» bezeichnet werden. Die Torah im engeren Sinne wird in fortlaufender Lesung (lectio continua) im Sabbatgottesdienst in der Synagoge vorgetragen. Der Lesezyklus dauert heute genau ein Jahr, so wie das in der Antike im babylonischen Judentum üblich war. Im Judentum Palästinas dauerte er rund dreieinhalb Jahre. An den Feiertagen wird aus der Torah und aus den Propheten vorgelesen, aber nicht in einer lectio continua, sondern mit zum Fest passenden Texten. Das erste Buch der Hebräischen Bibel bzw. des christlichen Alten Testaments heißt im hebräischen Kanon nach seinem Anfangswort bereschit, «am Anfang». Die Septuaginta, die griechische Übersetzung der Hebräischen Bibel, die in der Antike zur Standardübersetzung des Griechisch sprechenden Judentums wurde, nennt es «Genesis» («Schöpfung, Ursprung, Entstehung, Geburt»), ebenso die Vulgata genannte lateinische Übersetzung, die zur Standardübersetzung des westlichen Christentums wurde. Seit der deutschen Bibelübersetzung Martin Luthers setzte sich im deutschsprachigen Raum die protestantische Bezeichnung «1. Buch Mose» neben Genesis durch, so auch in der englischen King-James-Version. Damit signalisieren die alten Ausgaben und Übersetzungen der Hebräischen Bibel, dass die in ihr niedergelegte und sich entfaltende Offenbarung mit dem Anfang und der Entstehung unserer Welt beginnt. Unabhängig von der Wirkung der Bibel in ihrer Ganzheit und unabhängig von der Akzeptanz oder Ablehnung von «Religion», wurde ihr erstes Buch zur ikonischen Grundlage eines jüdischen und christlichen Weltverständnisses, das unsere Sicht von der Entstehung der Welt bis heute bestimmt. Einige wenige nicht hinterfragte Grundannahmen der Bibel sind etwa: Unsere Welt ist nicht ewig, sondern hat einen Anfang und ein Ende. Sie entstand nicht aus sich selbst, sondern wurde in einem souveränen Akt und ohne Beteiligung anderer Mächte von einem allmächtigen Gott erschaffen, der auch ihr Ende herbeiführen wird. Dieser Schöpfergott ist der Gott der gesamten Hebräischen Bibel in allen ihren Teilen. Der Schöpfungsbericht des Buches Genesis[3] gehört zu den wenigen literarischen Erzeugnissen, die Gemeingut des kulturellen Gedächtnisses aller der Menschen geworden sind, die in der Tradition des Judentums und/oder des Christentums und zu einem gewissen Grade auch des Islams stehen. Für den religiösen Juden und Christen ist dieser Schöpfungsbericht der Anfangspunkt einer Offenbarungsschrift. Für den säkularen Juden und Christen ist er Teil einer narrativen Tradition, die ihren Ursprung in den großen Epen des Alten Orients hat und in der Bibel ihre ganz eigene Ausprägung gefunden hat. Die Hebräische Bibel ist nicht aus einem Guss entstanden, sondern hat in einem langen redaktionellen Prozess ihre heutige Gestalt erhalten. Wie wichtig dem Endredaktor/den Endredaktoren gerade der Anfang der Bibel war, zeigt sich unter anderem daran, dass er sich nicht mit einem Schöpfungsbericht begnügt, sondern zwei Berichte unkommentiert aufeinander folgen lässt (Gen. 1,1–2,3 und 2,4–3,24). Beide Erzählungen unterscheiden sich inhaltlich und sprachlich deutlich voneinander und können nicht von demselben Verfasser stammen. Die moderne Bibelwissenschaft erkennt in dem ersten Bericht einen priesterlichen Traditionszusammenhang und schreibt ihn einer «Priesterschrift» (P) genannten Schicht der Hebräischen Bibel zu, die ein besonderes Interesse am Kult und an der durch den Kult strukturierten Zeit hat. Diese Schicht wird heute in die Zeit des sogenannten Babylonischen Exils (587/86–539/38 v. Chr.) datiert, wobei die genaueren Datierungen zwischen «Exil», «spätem Exil» oder sogar erst «früher nachexilischer Epoche» schwanken.[4] Im fünften Jahrhundert v. Chr. wurde die Priesterschrift mit anderen Quellenschriften der fünf Bücher Moses (Pentateuch) kombiniert. Der zweite Schöpfungsbericht in Genesis 2,4–3,24 entstammt einer ganz anderen Schicht des Pentateuch, die nach dem in ihr verwendeten Gottesnamen Jahweh «Jahwist» (J) genannt wird. Der Jahwist galt lange als die älteste Quellenschrift des Pentateuch und wird traditionell auf den Anfang des ersten Jahrtausends v. Chr. datiert. Neuere Forschungen stellen allerdings in Frage, dass sich eine solche Quellenschrift rekonstruieren lässt, und wenn sie es tun, datieren sie diese deutlich später, doch auf jeden Fall früher als die Priesterschrift.[5] Statt einem anonymen Jahwisten ist es nun in der alttestamentlichen Forschung verbreitet, diese Quellenschrift und damit auch den zweiten Schöpfungsbericht einem «weisheitlichen Erzähler» zuzuschreiben. Strittig bleibt dabei, ob wir es hier mit einer älteren Weisheitsschule zu tun haben oder mit der auch aus der Hebräischen Bibel bekannten späteren Weisheit. Letzteres macht überhaupt keinen Sinn, aber auch ersteres scheint mir wenig plausibel und führt wieder zu einer lange überwunden geglaubten Atomisierung des Bibeltextes. Für unseren Zusammenhang sind diese Abgrenzungs- und Datierungsfragen der Alttestamentler nur von untergeordneter Bedeutung, denn es bleibt die Tatsache, dass die beiden Schöpfungserzählungen zwei sehr verschiedenen Quellen entstammen und entsprechend gewürdigt werden müssen. Zur leichteren Orientierung stelle ich zunächst den Text beider Schöpfungsberichte in deutscher Übersetzung der Analyse voran.[6] Genesis 1,1–2,3
1,1: Im Anfang erschuf (bara’) Gott den Himmel und die Erde. 2: Die Erde aber war wüst und leer (tohu wa-vohu)[7] und Finsternis (choschekh) lag über der Urflut (tehom) und der Hauch/Geist (ruach) Gottes schwebte über dem Wasser. 3: Da sprach Gott: Es werde Licht (’or)! Und es wurde Licht. 4: Und Gott sah das Licht, dass es gut war. Und Gott schied zwischen dem Licht und der Finsternis. 5: Und Gott nannte das Licht Tag, und die Finsternis nannte er Nacht. Und es wurde Abend, und es wurde Morgen: ein Tag. 6: Dann sprach Gott: Es werde eine Feste/ein Gewölbe (raqia‘) inmitten des Wassers und scheide zwischen Wasser und Wasser. 7: Und Gott machte (waj-ja‘as) die Feste/das Gewölbe und schied zwischen dem Wasser unterhalb der Feste/des Gewölbes und dem Wasser oberhalb der Feste/des Gewölbes. Und es geschah so. 8: Und Gott nannte die Feste/das Gewölbe Himmel. Und es wurde Abend, und es wurde Morgen: zweiter Tag. 9: Dann sprach Gott: Es sammle sich das Wasser unterhalb des Himmels an einem Ort, und das Trockene werde sichtbar. Und es geschah so. 10: Und Gott nannte das Trockene Erde/Land, und die Ansammlung des Wassers nannte er Meer. Und Gott sah, dass es gut war. 11: Dann sprach Gott: Die Erde lasse junges Grün grünen, Kraut, das Samen bildet, Fruchtbäume, die Früchte tragen nach ihrer Art, in denen ihr Same ist auf der Erde. Und es geschah so. 12: Und die Erde brachte junges Grün hervor, Kraut, das Samen bildet nach seinen Arten, und Bäume, die Früchte tragen, in denen ihr Same ist nach ihren Arten. Und Gott sah, dass es gut war. 13: Und es wurde Abend, und es wurde Morgen: dritter Tag. 14: Dann sprach Gott: Lichter (me’orot) sollen an der Feste/dem Gewölbe des Himmels sein, um zwischen dem Tag und der Nacht zu unterscheiden. Und sie sollen als Zeichen dienen für Festzeiten, für Tage und Jahre. 15: Und sie sollen als Lichter dienen an der Feste/am Gewölbe des Himmels, um auf der Erde zu leuchten. Und es geschah so. 16: Und Gott...


Peter Schäfer Professor em. für Judaistik, hat an der Freien Universität Berlin und der Princeton University gelehrt und war bis 2019 Direktor des Jüdischen Museums Berlin. Bei C.H.Beck erschienen von ihm "Zwei Götter im Himmel" (2017) sowie "Kurze Geschichte des Antisemitismus" (2020).



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.