Scherer / Lampert | Angehörige in der Psychiatrie | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 35, 152 Seiten

Reihe: Basiswissen

Scherer / Lampert Angehörige in der Psychiatrie


1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-88414-924-9
Verlag: Psychiatrie-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, Band 35, 152 Seiten

Reihe: Basiswissen

ISBN: 978-3-88414-924-9
Verlag: Psychiatrie-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Angehörige sind längst im psychiatrischen Alltag angekommen, aber die konkrete Arbeit mit ihnen fordert professionell Tätigen einiges ab: eine klare Haltung, einen konstanten Perspektivwechsel und Sicherheit im kommunikativen Umgang.
Vorurteile und Vorbehalte gegenüber Angehörigen als Mitverursacher von Störungen sind immer noch groß und verstärken die Unsicherheit im Umgang mit Familienmitgliedern, Partnern oder engen Vertrauten. Gefühlte Defizite und wenige qualitative Standards in diesem Arbeitsbereich sorgen für Unsicherheiten bei der Kommunikation von Bedürfnissen und Absprachen, gerade im Mehrpersonensetting.
Das Buch bietet grundlegende Hilfe: Es formuliert praxisbewährte Leitlinien für den Arbeitsalltag, arbeitet systemische Grundlagen ab und widmet sich in einem Extrakapitel dem Thema 'Kinder als Angehörige'.

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Zielgruppe


Empfehlenswert für alle psychiatrisch Tätigen sowie Personen in Beratungseinrichtungen.

Weitere Infos & Material


7 Einleitung
7 Angehörigen begegnen
9 Beziehung als Ressource
12 Angehörige und der gesellschaftliche Kontext
12 Angehörige in der Geschichte der Psychiatrie und heute
17 Gegen die Stigmatisierung
18 Autonomie als wertvolles Gut
24 Belastungen von Angehörigen
24 Eltern, Partner, Geschwister, Kinder – unterschiedliche Rollen
28 Objektive und subjektive Belastungen
29 Hilflosigkeit und Ohnmacht
32 Angst
33 Schuldgefühle
35 Selbstwirksamkeitserwartung
36 Auswirkungen auf die Familie
38 Die Bedrohung des Familienzusammenhalts
40 Der Verlust der Selbstverständlichkeit
41 Die Ungewissheit
42 Die Veränderung der eigenen Biografie
43 Eltern: Und wie wird es später weitergehen?
44 Bewältigungsstrategien der Angehörigen
45 Schock – Verharmlosung – Verleugnung
47 Wahrnehmung und Akzeptanz
47 Suche nach den Ursachen
49 Infragestellen des Helfersystems
51 Bewusstwerdung und Trauerprozess – neue Balance finden
53 Die Zusammenarbeit mit Angehörigen
55 Aktiver Einbezug der Angehörigen
57 'Schwierige' Angehörige
62 Umgang mit der Schweigepflicht
65 Verschiedene Formen des Einbezugs von Angehörigen
72 Systemisches Intervenieren
75 Unterschiedliche Wahrnehmungen
79 Die Interpunktion von Ereignisfolgen
80 Motivation: die Suche eines kleinsten gemeinsamen Nenners
87 Die allparteiliche Haltung
92 Leitlinien für die Durchführung eines Mehrpersonengesprächs
100 Sprachliche Einschränkungen, Kooperationsunwilligkeit, Suizidalität – spezifische Herausforderungen
108 Die Ausgrenzung von Angehörigen aus der Behandlung
111 Empowerment und Recovery für Angehörige
116 Kinder als Angehörige
129 Angehörigenarbeit außerhalb der Behandlung
129 Psychoedukation für Angehörige
135 Separierte Angehörigenberatung
138 Konzeptuelle Vernetzung unter Fachleuten
141 Vernetzung unter Angehörigen
141 Vernetzung zwischen Angehörigen und Fachleuten
143 Eine psychiatrische Arbeit für alle – Schlussbemerkung
145 Internetadressen
147 Ausgewählte Literatur


Belastungen von Angehörigen
Eltern, Partner, Geschwister, Kinder – unterschiedliche Rollen
Angehörige sind Menschen, die in einer engen, auf Vertrauen basierenden Beziehung zur erkrankten Person stehen. Sie haben innerhalb dieser Beziehungen ganz unterschiedliche Rollen. Eltern In der Familie gibt es zunächst einmal die Mütter und Väter. Für sie stehen emotionale Belastungen im Sinne von Schuld- und Versagensgefühlen im Vordergrund. Insbesondere Mütter leiden in großem Maße an dem Gefühl, in der Erziehung versagt zu haben. Selbst Eltern mit mehreren Kindern finden in der Sozialisation des einen erkrankten Kindes Situationen und Begebenheiten im Kindes- und Jugendalter, die sie für die Erkrankung verantwortlich machen. Dies geschieht jeweils im Sinne einer eigenen Schuldzuweisung, denn man hätte zu einem bestimmten Zeitpunkt etwas anders machen müssen. Dies hat allerdings selten mit einer objektiven Bewertung der Situation zu tun. Mütter beschreiben dabei oft ein Gefühl von Ohnmacht. Sie wissen zwar, dass die Erkrankung nichts mit einzelnen Entscheidungen in der Erziehung ihres Kindes zu tun hat, können dieses Wissen aber gefühlsmäßig nicht entsprechend einbetten. Eine Mutter beschrieb es als sehr schmerzvollen und langwierigen Prozess, den immer wiederkehrenden Schuldgefühlen nicht mehr ausgeliefert zu sein. Schuld beispielsweise in Bedauern umwandeln kann in diesem Prozess ein hilfreicher Schritt sein. Eltern beschreiben häufig, dass die Erkrankung eines Kindes zur Folge hat, dass sie kein eigenes Leben mehr führen könnten. Die Zeit, die unter gesunden Umständen für die Partnerschaft zur Verfügung steht, wird für das erkrankte Kind benötigt. Das geht oft so weit, dass Eltern erzählen, sie seien schon seit Jahren nicht mehr in den Ferien gewesen. Die Partnerschaft wird durch die Erkrankung eines Kindes auf die Probe gestellt. Unterschiedliche Umgangsweisen mit der Erkrankung führen dabei nicht selten zu Unstimmigkeiten in der Elternbeziehung und enden mit gegenseitigen Schuldzuweisungen. Die Herausforderungen, die das mit sich bringt, liegen auf der Hand. Die Erfahrung zeigt, dass es für Eltern hilfreich ist, ihnen diese Herausforderung erst einmal aufzuzeigen. Unterschiedlicher Umgang und unterschiedliche Bewältigungsstrategien haben nichts zu tun damit, dass das eine richtig und das andere falsch ist. Vielmehr betonen die Unterschiede persönliche Vorstellungen und Strategien, mit den Herausforderungen der Erkrankung umzugehen. Eltern brauchen für ihre Beziehungspflege gemeinsame, »krankheitsfreie« Zeit, ein eigenes soziales Gefüge sowie Möglichkeiten, sich mit anderen auszutauschen. Eltern sollen auch dahin gehend gestärkt werden, nicht alles für ihr Kind selbst machen zu wollen. Dazu gehört auch der Einbezug von Fachpersonen in sozialen Belangen wie die Verwaltung der Finanzen. Partner In ehelichen und sonst partnerschaftlichen Beziehungskonstellationen steht häufig die Frage »Bleiben oder gehen?« im Vordergrund. Eine Paarbeziehung zu einem Menschen mit einer psychischen Erkrankung unterscheidet sich oft erheblich von einer »normalen« Paarbeziehung. Ausgelöst durch eine hohe Verletzlichkeit beim Erkrankten, bekommen Herausforderungen in Beziehungen eine ganz neue Dimension. Partnerinnen und Partner als Angehörige beschreiben große Veränderungen der persönlichen Situation in ganz unterschiedlichen Bereichen. Die Beeinträchtigung des Alltagserlebens und der gemeinsamen Freizeitgestaltung ist oft ein Grund dafür, dass Angehörige von einem Gefühl der Entfremdung sprechen. Die Angst vor erneuten Krisen lässt ein unbeschwertes Zusammensein nicht mehr zu. Jede Veränderung, jede noch so kleine Unstimmigkeit bekommt eine ganz neue Bedeutung und wird immer mit der Krankheit in Verbindung gebracht. Was in gesunden Beziehungen Alltag und Normalität bedeutet, verliert sich. BEISPIEL? Die Ehefrau eines depressiven Patienten beschrieb ihren Alltag folgendermaßen: »Ich habe vergessen, wie eine normale Beziehung funktioniert. Selbst wenn mein Partner am Morgen gerne einmal etwas länger im Bett bleiben möchte, sehe ich schon wieder die Depression in ihrer schwersten Zeit vor mir. Manchmal kommt es mir vor, als würde ich nichts anderes mehr tun, als meinen Mann auf Schritt und Tritt zu beobachten. Dieses Kontrollieren meinerseits hat unserer Beziehung sehr geschadet, was ich eigentlich verstehe. Und doch kann ich einfach nicht anders. Die Angst vor einer erneuten Verschlechterung sitzt mir tief in den Knochen. Der Verlust von Alltag und Normalität ist im Moment das kleinere Übel.« Eine wichtige Unterstützung für Partnerinnen und Partner sind verschiedene Formen von »Partnerstammtischen«. Viele beschreiben den Austausch mit anderen Angehörigen in der gleichen Rolle als sehr wertvoll. Die Herausforderungen für Paarbeziehungen, die eine psychische Erkrankung mit sich bringt, sind in der Thematik einzigartig. Sehr hilfreich beschreiben Angehörige den sporadischen Einbezug in die Therapie des erkrankten Partners. Hier erleben sie einen geschützten Rahmen, um auch über intime Probleme reden zu können. Geschwister Auch Geschwister beschreiben in der Rolle als Angehörige Scham- und Schuldgefühle. Dabei stellen sie sich oft die Frage: Warum er bzw. sie und nicht ich? Wieso habe ich alles: Beziehungen, ein soziales Netz, eine gute Ausbildung und eine eigene Familie, während meinem erkrankten Geschwister dies alles verwehrt blieb? Allerdings kann sich auch ein Gefühl von Wut und Ärger entwickeln, das oft durchaus unterschiedliche Ursachen hat. Es gibt Familienkonstellationen mit einem erkrankten Kind, bei denen sich alles um die Erkrankung dreht. Deren Geschwister beschreiben ein Gefühl von Wut auf die Erkrankung, weil in dieser Familie kein Platz für sie selbst war. Ein junger Mann beschrieb es so: »Eigentlich ging es nie um mich. Alles drehte sich um die Schizophrenie meiner Schwester. Das ganze Familienleben wurde dieser Krankheit untergeordnet. Und selbst bei meinem Hochschulabschluss konnten meine Eltern nicht kommen, da es meiner Schwester gerade wieder schlecht ging. Da bleibt nichts als Wut und Ärger.« Andere Geschwister beschreiben eine regelrechte Ohnmacht der Krankheit gegenüber. Sie können kein eigenes Leben führen, werden immer wieder mit einbezogen in schwere Krankheitskrisen und es fällt ihnen unglaublich schwer, sich abzugrenzen. Oft sind sie die einzigen Bezugspersonen gleichen Alters, die dem Betroffenen noch bleiben. Diese Tatsache ist sehr schwer zu ertragen, und es ist schwierig, hier eine gesunde Balance zu finden. Fachpersonen können die Rolle der Geschwister unterstützen, indem sie Gefühle wie Schuld, Ohnmacht und Wut ernst nehmen und auch aktiv danach fragen. Oft sind die beschriebenen Gefühle schambehaftet und brauchen ein gezieltes Nachfragen, um überhaupt verbalisiert werden zu können. Hilfreich für die Geschwister ist es, wenn Fachpersonen diese Gefühle erkennen und sie als »normale« Reaktion bewerten. Die Geschwister sollen darin bestärkt werden, ihren eigenen Lebensweg zu gehen. Die eigenen Ziele zu verfolgen ist nicht gleichzusetzen mit Desinteresse oder gar Verleugnung eines erkrankten Geschwisters. Klare Grenzen zu setzen ist oft ein langwieriger und emotional schwieriger Prozess. Geschwister brauchen die Ermutigung, diesen Weg zu gehen. ?Kinder, Seiten 116 ff., 146  Die nachfolgende Abbildung 1 erfasst die Kontakte von Angehörigen in Angehörigenberatungen (2015; n = 1430, Mehrfachnennungen möglich): Mehrheitlich wird die individuelle Beratung von Frauen in der Rolle als Mutter, Partnerin oder Tochter wahrgenommen. ABBILDUNG 1   Welche Personen nehmen Kontakt zu Beratungsstellen auf? (Quelle: Netzwerk Angehörigenarbeit Schweiz 2015) Objektive und subjektive Belastungen
Die Belastungen der Angehörigen wurden anhand verschiedener Studien unterschiedlich eingeordnet. Die Differenzierung von Julius HOENIG und Marian W. HAMILTON (1966) in objektive und subjektive Belastungsfaktoren war damals außerordentlich einflussreich für alle weiteren Erforschungen der Belastungen von Angehörigen und ist bis heute in Gebrauch. Mit den objektiven sind diejenigen Belastungen gemeint, die sich aufgrund krankheitsbedingter Einschränkungen und Symptome ergeben. Dazu gehören unter anderem Inaktivität genauso wie übersteigerte Aktivität, Tag-Nacht-Rhythmus-Störungen oder bizarre und ungewöhnliche Verhaltensweisen. Die subjektiven Belastungen beschreiben dagegen das Ausmaß der emotionalen Reaktionen, die sich aus den objektiven Anforderungen heraus ergeben. Aus heutiger Sicht stellt sich die Frage, ob diese Unterscheidung noch wichtig ist. Belastungen haben immer eine subjektive Qualität und werden von Angehörigen sehr individuell wahrgenommen. Während für die eine Paarbeziehung beispielsweise die Inaktivität des depressiven Ehemanns als enorme Belastungen wahrgenommen wird, ist die gleiche Inaktivität in anderen Beziehungen erträglich und wird mit anderen Möglichkeiten kompensiert. Die Unterscheidung von objektiven und subjektiven Belastungen kann aber in der individuellen Beratung von Angehörigen durchaus hilfreich sein. In den krankheitsbedingten Einschränkungen, also in den objektiven Belastungen, erkennen Angehörige oft einen Handlungsspielraum. Es ist...


Scherer, Edith
Edith Scherer ist Pflegefachfrau Psychiatrie HF und Leiterin der Angehörigenberatungsstelle der St. Gallischen Kantonalen Psychiatrischen Dienste Nord sowie Vorstandsmitglied des Netzwerkes Angehörigenarbeit Psychiatrie.

Lampert, Thomas
Thomas Lampert ist Pflegefachmann Psychiatrie HF und Vizepräsident des Netzwerkes Angehörigenarbeit Psychiatrie. Er ist Koordinator bei den St. Gallischen Psychiatrie-Diensten Süd und in der ambulanten psychiatrischen Krankenpflege einer Praxisgemeinschaft freiberuflich tätig.

Edith Scherer ist Pflegefachfrau Psychiatrie HF und Leiterin der Angehörigenberatungsstelle der St. Gallischen Kantonalen Psychiatrischen Dienste Nord sowie Vorstandsmitglied des Netzwerkes Angehörigenarbeit Psychiatrie.
Thomas Lampert ist Pflegefachmann Psychiatrie HF und Vizepräsident des Netzwerkes Angehörigenarbeit Psychiatrie. Er ist Koordinator bei den St. Gallischen Psychiatrie-Diensten Süd und in der ambulanten psychiatrischen Krankenpflege einer Praxisgemeinschaft freiberuflich tätig.



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