Scherzberg / Wendorff Nanotechnologie
1. Auflage 2009
ISBN: 978-3-89949-619-2
Verlag: De Gruyter
Format: PDF
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Grundlagen, Anwendungen, Risiken, Regulierung
E-Book, Deutsch, 354 Seiten, Gewicht: 10 g
ISBN: 978-3-89949-619-2
Verlag: De Gruyter
Format: PDF
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Nanoskalige Materialien haben spezifische, vom gleichen Stoff in anderen Größenordnungen abweichende Eigenschaften. Angesichts der Vielzahl der sich daraus ergebenden Anwendungsmöglichkeiten - die Umsatzerwartungen für das Jahr 2015 reichen von 500 - 3000 Milliarden US $ - ist allgemein von einem neuen technologischen Paradigma die Rede. Nanotechnologie steigert aber nicht nur die gesellschaftliche Wohlfahrt, sie birgt auch Ungewissheiten vor allem mittel- und langfristiger Handlungsfolgen. Die Auswirkungen einer Exposition von Mensch und Umwelt sind angesichts der Vielzahl möglicher Wirkungsketten heute noch kaum abschätzbar. Der vorliegende Band widmet sich der Frage, wie unter diesen Umständen ein rationaler Umgang mit den Chancen und Risiken der Nanotechnologie gelingt. Zunächst werden die Grundlagen der Nanotechnologie und ihre wichtigsten Anwendungsfelder dargestellt. Sodann erläutern Vertreter von
Risiko- und Technikfolgenforschung den Stand des Wissens und der Diskussion um die Bewertung möglicher Gefahrenpotentiale. Schließlich geht es um eine rechtliche Würdigung des Regulierungsbedarfs und um die Entwicklung von Maßstäben für eine innovationsfreundliche Risikominimierung.
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1. Abschnitt: Grundlagen Joachim H. Wendorff: Nanochemie. 2. Abschnitt: Anwendungen Martin Hoffmann: Nanotechnologie in der Mikroelektronik und Informationstechnik - mehr als "nur" Nanopartikel; Jan Beringer: Nanotechnologie in der Textilindustrie - Stand der Technik und zukünftige
Entwicklungen; Volker Warzelhan / Thomas Breiner: Nanotechnology at BASF - New possibilities for plastics and surfaces; Birgit Huber: Nanotechnologie in der Kosmetik - Nutzen und Risiko; Sieglinde Stähle: Sachstands- und Positionspapier "Nanotechnologie im Lebensmittelbereich"; Jörg Vienken: Klein aber fein: Nanotechnologie für Medizinprodukte. 3. Abschnitt: Risikoforschung und Risikobewertung Harald F. Krug u.a.: Sicherheit von Nanomaterialien - Umwelt und Gesundheit; Tilman Butz: Aufnahme und Speicherung von Nanopartikeln durch die Haut; Uwe Lahl: Der NanoDialog - Verantwortungsvoller Umgang mit Nanomaterialien; René Zimmer: Nanotechnologie und öffentliche Meinung - Die Wahrnehmung einer innovativen Technologie. 4. Abschnitt: Rechtliche Regulierung Michael Decker: Nanopartikel und Risiko - ein Fall für das Vorsorgeprinzip? Betrachtungen aus der Perspektive der Technikfolgenabschätzung; Martin Führ: Regulierung von Nano-Materialien im Umweltrecht - Analyse und Gestaltungsoptionen; Wolfgang Köck: Nanopartikel und REACH. Zur Leistungsfähigkeit von REACH für die Bewältigung von Nano-Risiken; Ekkehard Hofmann: Nano-Partikel und Dieselruß - Umwelt- und Wirtschaftsverwaltungsrecht vor neuen Herausforderungen durch die Nanotechnologie; Arno Scherzberg: Alte Instrumente für neue Wirkungen? Probleme der rechtlichen Regulierung der Nanotechnologie am Beispiel des Arbeitsschutzes; Kurt-Dietrich Rathke: Reformbedarf im Lebensmittelrecht; Wolfgang Burr / Hariolf Grupp / Melanie Vrohlings: Regulierung und Produkthaftung in einem jungen Technologiefeld, am Beispiel der Nanotechnologie; Gerhard Klein: Zertifizierung in der Nanotechnologie; Wolfgang Drechsler: NanoGov - Nanotechnologie, Innovation, Governance und Verwaltung aus der Perspektive der Techno-Ökonomischen Paradigmen.
II. Schutzgrundsatz und Vorsorgegebot (S. 204-205)
Dass die beiden genannten Chemikalien im Zentrum des damaligen Interesses standen, hat die Gestaltung von BImSchG und TA Luft nachhaltig beeinflusst. Zum einen lagen schon damals epidemiologisch abgesicherte Daten über die Wirkungen von Schwefeldioxid und Stickoxiden auf die menschliche Gesundheit vor, so dass der Gesetz- und Vorschriftengeber ein recht klares Bild davon hatte, welche Schäden bei welcher Schadstoffkonzentration in Kauf genommen würden. Zum anderen setzt bei beiden Substanzen eine schädliche Wirkung, abhängig von Alter und Gesundheitszustand der Betroffenen, erst bei Überschreiten eines bestimmten Konzentrationswerts ein (Wirkungsschwelle oder no-effect-level). Diese Wirkungsschwellen boten sich an, um zwischen „gefährlichen“ und „nicht gefährlichen“ Schadstoffkonzentrationen im Sinne von § 3 Abs. 1 BImSchG zu unterscheiden.
Das BImSchG und insbesondere die TA Luft greifen sie auf, indem sie die Genehmigungsfähigkeit von genehmigungsbedürftigen Anlagen hinsichtlich des Schutzgrundsatzes (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG) an die Einhaltung von Immissionskonzentrationswerten bestimmter Leitsubstanzen – allen voran SO2 und NOx – knüpfen. Die erlaubten Immissionskonzentrationen markieren die Gefahrenschwelle und sollen für durchschnittlich gesunde Erwachsene keine Gesundheitsschäden erwarten lassen. Anderes gilt für ältere Personen und Kinder, und auch Pflanzen weisen teilweise eine größere Empfindlichkeit gegenüber diesen toxischen Stoffen auf (Problematik des „Waldsterbens“).
Für die ganze Bandbreite an sonstigen Schadstoffen, für die keine Grenzwerte ausgewiesen werden, die aber gleichwohl regelmäßig im Abgas von industriellen Anlagen enthalten sind, gilt wegen der Fokussierung auf einige wenige Leitsubstanzen, dass sich die Regelungen nur dann als überzeugend darstellen, wenn und soweit die Einhaltung der Grenzwerte für die Leitsubstanzen die Einhaltung unbedenklicher Immissionskonzentrationen auch der übrigen Chemikalien erwarten lässt. Das ist dann der Fall, wenn es sich um typische Nebenprodukte von industriellen Verbrennungsprozessen handelt, für welche die TA Luft im Wesentlichen entwickelt worden ist.
Die TALuft erfasst darüber hinaus weitere Substanzen durch die Festsetzung einer Reihe von Emissionsgrenzwerten, insbesondere für krebserregende und andere hochtoxische Stoffe.11 Emissionsgrenzwerte sollen Ausdruck des Vorsorgegebots, nicht des Schutzgrundsatzes sein. Das ist besonders deshalb von Bedeutung, weil an die Unterscheidung von Schutz und Vorsorge eine Konsequenz von großer Tragweite für die Effektivität der Regelung geknüpft wird: Während der Schutzgrundsatz auch von betroffenen Dritten einklagbar ist, wenn sie zu einem indivi dualisierbaren und von der Norm geschützten Personenkreis zählen („Drittschutz“ nach der Schutznormtheorie), lehnt das Bundesverwaltungsgericht eine drittschützende Wirkung für das Vorsorgegebot mit der Begründung ab, die Vorsorge diene der Allgemeinheit, nicht einem abgrenzbaren Personenkreis.
Auf einen kurzen Nenner gebracht, interpretiert die TA Luft den auf die Gefahrenabwehr bezogenen Schutzgrundsatz im Sinne eines rezeptororientierten Immissionsschutzes unter Einbeziehung bekannter Wirkungsschwellen, das Vorsorgegebot hingegen als Gebot zur Minimierung von Emissionen nach dem Maßstab der Verhältnismäßigkeit. Für Schadstoffe, für die sich kein no-effect-level angeben lässt – darunter viele kanzerogene Substanzen –, leuchtet diese Zuordnung nicht ohne weiteres ein.
Krebserkrankungen sind in der Regel so erhebliche Schädigungen der menschlichen Gesundheit, dass schon kleine Wahrscheinlichkeitsgrade genügen können, um einen Gefahrentatbestand zu begründen. Lässt sich aber keine Wirkungsschwelle bestimmen, entfällt die mit dem herkömmlichen Konzept heranzuziehende Grenze zwischen Gefahrenabwehr nach Schutzgrundsatz einerseits und dem Vorsorgegebot andererseits. Zunächst hatte die TA Luft darauf nur die Antwort der Festsetzung von Emissionsgrenzwerten, was vom Ansatz her jedoch nicht sicherstellte, dass die Immissionssituation insgesamt im Rahmen akzeptabler Risken blieb.