E-Book, Deutsch, Band 4, 243 Seiten, Format (B × H): 158 mm x 240 mm
Schiewer / Seeber / Stock Schmerz in der Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit
1. Auflage 2010
ISBN: 978-3-86234-100-9
Verlag: V&R unipress
Format: PDF
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, Band 4, 243 Seiten, Format (B × H): 158 mm x 240 mm
ISBN: 978-3-86234-100-9
Verlag: V&R unipress
Format: PDF
Kopierschutz: 0 - No protection
Prof. Dr. Hans-Jochen Schiewer lehrt ältere deutsche Literatur und Sprache und ist Rektor der Universität Freiburg i. Br.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
Weitere Infos & Material
1;Inhalt;7
2;I Einleitung;9
2.1;Schmerz in mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Literatur: Bemerkungen zu einem schwierigen Feld;11
3;II Schmerz, Trauma, Erinnerung;23
3.1;Schmerzvolle Erinnerungen: Schmerz, Gedächtnis und Identität in der deutschen Literatur des Mittelalters;25
3.2;Kindertotenlieder der Renaissance;53
3.3;Anhang;80
4;III Schmerz und der Widerstand gegen Repräsentation;85
4.1;Funktionen des Unsagbarkeitstopos bei der Darstellung von Schmerz;87
4.2;In Schmerzen schreiben. Alain Chartiers ›Livre de l’Espérance‹;107
4.3;Empathische Embleme – Schmerzdarstellungen in der Emblematik;125
5;IV Schmerz, Passion, Frömmigkeit;143
5.1;Klagen unter dem Kreuz: Die Vermittlung von compassio in der Tradition des › Bernhardstraktats‹;145
5.2;Imitatio Ioannis oder Elsbeths Apokalypse – Die ›Offenbarungen‹ Elsbeths von Oye im Kontext der dominikanischen Johannesfrömmigkeit im 14. Jahrhundert;169
6;V Episierungen des Schmerzes;191
6.1;Vom touf unz an sin ende geschach im nie so we. Schmerz als historische Erfahrung in der germanisch-deutschen Heldenepik (› Beowulf‹ – › Eckenlied‹ – › Nibelungenlied‹);193
6.2;Der Schmerz des Anfortas: Zu Wolframs poetischer Inszenierung eines augustinischen Theorems;215
7;Verzeichnis der Beiträgerinnen und Beiträger;245
"(S. 191-192)
Dieser Beitrag versteht sich als Versuch, ein differenziertes Verständnis vom Verhältnis zwischen heroischer Gewalt und heroischer Empfindsamkeit zu gewinnen. Auf den ersten Blick mag eine Untersuchung zur Thematik der Verletzbarkeit mittelalterlicher (Super-)Helden überflüssig wirken, da das Problemfeld weder problematisch noch besonders facettenreich scheint.
An den Texten der mittelhochdeutschen Heldenepik lassen sich mühelos zwei gegensätzliche Charakterisierungen sofort aufzeigen: es gibt einige Protagonisten, wie Dietrich von Bern oder Meister Hildebrand, die im Zweikampf verletzt werden, und auch andere – wie Siegfried – die als unverwundbar gelten. Es scheint eine Selbstverständlichkeit der Heldendichtung zu sein, dass die Verletzung des heroischen Körpers als unausweichliche Folge des gewalttätigen Zweikampfs vorauszusetzen ist; wer kämpft, muss auch bluten.
Oder auch nicht: in Siegfrieds Fall kann seine körperliche Unverwundbarkeit als Potenzierung einer heldenhaften ›Machtphantasie‹ aufgefasst werden, die tief in der heroischen Kultur des Westens verwurzelt ist.1 Andererseits bestätigt der Unverwundbarkeitstopos jedoch allgemein und kulturübergreifend die Vorstellung, dass ein Heldenkampf ohne physische Versehrung nur auf der Ebene des Imaginären vorzustellen ist. In den letzten Jahren sind Studien über Gewalt als mittelalterliches System, als Code, als Zeichen und als Faszinosum vorgelegt worden,2 doch es fehlt bis jetzt an Untersuchungen, die sich auf den Körper des Gewaltopfers und dessen Empfindungen konzentrieren.
Eine solche Fokussierung lässt sich freilich nicht immer durchführen, denn in den Texten – man denke an die Erzählungen der historischen Dietrichepik – setzt die epische Narration einen ›äußerlichen Erzählerblick‹ voraus: es wird auf dem Schlachtfeld viel geschlagen, viel geblutet, der Dichter weist auf die aufgeplatzten Schädel und freigelegten Eingeweide überall um den Helden herum hin, doch bleibt die Gewalt eine entindividualisierte Gewalt.3 In der Regel ist der heroische Einsatz in der historischen Dietrichepik »in die Massenschlacht eingebunden; der einzelne Krieger ist einer unter Tausenden, sein Blut fließt in wahren Strömen von Blut. […] Die Helden sterben oder überstehen den Kampf ohne nennenswerte körperliche Zeichnung«."