E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Schiraldi Belastende Kindheitserlebnisse hinter sich lassen
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7495-0321-6
Verlag: Junfermannsche Verlagsbuchhandlung
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ein Arbeitsbuch
E-Book, Deutsch, 272 Seiten
ISBN: 978-3-7495-0321-6
Verlag: Junfermannsche Verlagsbuchhandlung
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Für ein Leben in Freiheit und ohne „Altlasten“ Studien belegen, dass besonders belastende Erlebnisse in der Kindheit (Adverse Childhood Experiences, kurz: ACE) erhebliche Folgen für die Gesundheit und die Lebensumstände im Erwachsenenalter haben. Menschen, die negative Kindheitserfahrungen erleiden mussten, tragen die Kosten dafür mitunter ihr ganzes Leben. Aber das muss nicht sein! Mit dem ACE-Arbeitsbuch zur Überwindung belastender Kindheitserlebnisse gibt Glenn R. Schiraldi Betroffenen Werkzeuge an die Hand, um: • ein besseres Verständnis für die krankmachenden Faktoren zu bekommen, deren Wurzeln in der Vergangenheit liegen, • stressregulierende Techniken zu erlernen und sich somit selbst beruhigen zu können, • sich von negativen Gefühlen wie Scham und Angst zu befreien, • innere Sicherheit zu erleben, • Möglichkeiten zu ergreifen, durch positive Erfahrungen neues Selbstbewusstsein aufzubauen. Durch Fragebögen und Impulse zum direkten Transfer nimmt das Buch die Leser*innen an die Hand und führt sie Schritt für Schritt heraus aus den emotionalen Verstrickungen und alten Mustern.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Psychologie Allgemeine Psychologie Kognitionspsychologie Emotion, Motivation, Handlung
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychologie / Allgemeines & Theorie Psychologie: Allgemeines
- Medizin | Veterinärmedizin Medizin | Public Health | Pharmazie | Zahnmedizin Medizinische Fachgebiete AINS Traumatologie
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- Sozialwissenschaften Psychologie Psychologie / Allgemeines & Theorie Psychologie: Sachbuch, Ratgeber
Weitere Infos & Material
1. Toxischer Stress und belastende Kindheitserfahrungen
Jeder Mensch erlebt normalerweise drei Arten von Stress: positiven, erträglichen und toxischen (McEwen 2017). Jeder Stress kann bewirken, dass wir über uns hinauswachsen, aber toxischer Stress stellt uns vor besondere Herausforderungen, vor allem in der Kindheit. Die drei Arten von Stress lassen sich nicht klar voneinander abgrenzen, das heißt, die Unterschiede zwischen ihnen sind eher graduell, aber im Allgemeinen werden sie folgendermaßen definiert: Positiver Stress fordert uns heraus, ohne uns zu überwältigen. Wir haben uns emotional unter Kontrolle und treffen gute Entscheidungen. Denken Sie an eine Studentin, die sich auf eine wichtige Prüfung vorbereitet hat, oder an einen trainierten Sportler, der in einem großen Wettkampf eine gute Leistung erbringt. Die Stressreaktion – Kampf oder Flucht – ist kurz und der Stresshormonspiegel nur vorübergehend erhöht. Bei erträglichem Stress kann die Kampf-oder-Flucht-Reaktion mit intensiven körperlichen Veränderungen und einem stärker erhöhten Stresshormonspiegel einhergehen. Doch der Körper kehrt schließlich in den Normalzustand zurück, besonders wenn erwachsene Vertrauenspersonen dem Kind helfen, den Stress abzupuffern. Er wird abgebaut, bevor ein dauerhafter körperlicher oder psychischer Schaden entsteht. Denken Sie zum Beispiel an den (natürlichen) Tod eines geliebten Menschen oder an eine Gemeinschaft, die nach einem Hurrikan zusammenkommt. Toxischer Stress ist überwältigend. Er ist so stark und anhaltend, dass er die betroffene Person „aus dem Gleichgewicht bringt“ und dauerhaft belastet. Die nachteiligen Auswirkungen dieser Art von Stress auf das Gehirn und die Körperbiologie beeinträchtigen im Erwachsenenalter die Gesundheit, die Arbeitsleistung, Beziehungen, das Urteilsvermögen, die Impulskontrolle, die Spiritualität und das Selbstwertgefühl – besonders wenn keine erwachsene Vertrauensperson da ist, die diesen Stress abpuffert. Die schädlichen Auswirkungen von toxischem Stress können sogar von einer Generation an die nächste weitergegeben werden, wenn nichts gegen sie unternommen wird. Das bringt uns zu einer faszinierenden Forschungsarbeit über toxischen frühkindlichen Stress. 1.1 Die Studie über belastende Kindheitserfahrungen
Die 1998 veröffentlichte Studie über belastende Kindheitserfahrungen oder kurz ACE-Studie stammt von zwei Medizinern: Vincent Felitti, dem damaligen Leiter der Abteilung für Präventivmedizin der Kaiser-Permanente-Klinik in San Diego, Kalifornien, und Robert Anda, der für die Zentren für Krankheitskontrolle und -prävention (eine Behörde des amerikanischen Gesundheitsministeriums) forschte. Sie analysierten die medizinischen Daten von mehr als 17000 Klinikpatient*innen und fanden heraus, dass zehn oft genannte belastende Kindheitserfahrungen ein sehr breites Spektrum von psychologischen, medizinischen und funktionellen Problemen vorhersagen. Diese zehn belastenden Kindheitserfahrungen sind: Drei Arten von Missbrauch sexueller körperlicher (Misshandlungen) emotionaler Zwei Arten von Vernachlässigung emotionale körperliche Fünf Arten von häuslichen Problemen geschiedene oder getrennte Eltern Gewalt gegen die Mutter oder Stiefmutter im Beisein des Kindes Alkohol- oder Drogensucht eines Haushaltsmitglieds ein selbstmordgefährdetes oder psychisch krankes Haushaltsmitglied ein Haushaltsmitglied im Gefängnis Felitti und Anda (2014) stellten fest, dass etwa zwei Drittel der Erwachsenen in ihrer Kindheit mindestens eine dieser belastenden Erfahrungen gemacht hatten. Und in der Regel war es nicht die einzige: Bei den meisten, die eine belastende Kindheitserfahrung gemacht hatten, kam noch mindestens eine weitere hinzu. Zum Beispiel kann ein alkoholkranker Vater auch gewalttätig sein. Störungen – Abweichungen vom Normalzustand – haben oft vielfältige Ursachen: z. B. eine Infektion, eine giftbelastete Umwelt, ein Mangel an sozialer Unterstützung, ein ungesunder Lebensstil, eine genetische Veranlagung. Doch die ursprüngliche Studie von Felitti und Anda und viele Nachfolgestudien haben gezeigt, dass belastende Kindheitserfahrungen unabhängig voneinander viele Störungen bedingen, wobei ihre Anzahl eine wichtige Rolle spielt. Je mehr belastende Kindheitserfahrungen gemacht werden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, eine Störung zu entwickeln. Nachfolgend sind diverse negative Auswirkungen aufgelistet, die belastende Kindheitserfahrungen oft haben: Körperliche Probleme / Erkrankungen Fettleibigkeit (Essen könnte eine Selbsttherapie gegen Schmerz sein: „Vielleicht lassen die Leute mich in Ruhe, wenn ich unattraktiv bin oder den starken Mann markieren kann.“) Diabetes Typ 2 Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Herzleiden, Schlaganfall) Krebs Schmerzen Autoimmunerkrankungen (rheumatische Arthritis, Diabetes Typ 1, Multiple Sklerose, Lupus, Schuppenflechte, Zöliakie, entzündliche Darmerkrankungen, Basedow-Krankheit, Weißfleckenkrankheit, idiopathische Lungenfibrose, primär biliäre Zirrhose) Fibromyalgie chronische Erschöpfung Hepatitis fast alle Schlafstörungen (Schlafapnoe, Albträume, Schlaflosigkeit, Narkolepsie, Schlafwandeln, Essen im Schlaf) Fortpflanzungsprobleme (Geschlechtskrankheiten, Frühgeburten) Geschwüre Brüche kürzere Lebenserwartung (bei sechs oder mehr ACEs verkürzt sie sich um fast zwanzig Jahre) schlechtere Einschätzung der eigenen Gesundheit Psychische Probleme / Erkrankungen geringes Selbstwertgefühl Depressionen (einschließlich bipolarer Störung) Angstzustände (einschließlich Panikstörung) Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und komplexe PTBS Borderline-Persönlichkeitsstörung Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) Risikoreiche Verhaltensweisen Drogenmissbrauch (Rauchen, Substanzgebrauchsstörung, Injizieren von Drogen, Missbrauch von rezeptpflichtigen Medikamenten – diese werden in zu hohen Dosen oder zu oft eingenommen – dazu werden Rezepte gesammelt – oder ohne ärztliche Verschreibung konsumiert) Selbstmordversuche frühe sexuelle Aktivität (größere Wahrscheinlichkeit von Geschlechtsverkehr vor dem 16. Lebensjahr, wechselnden Intimpartnern, einer Mutterschaft oder Vaterschaft im Teenageralter, einer ungewollten Schwangerschaft) Gewalt durch Intimpartner (größere Wahrscheinlichkeit der Viktimisierung oder Gewaltanwendung, einschließlich späterer Vergewaltigung) Bewegungsmangel Kriminalität Beeinträchtigte Leistungsfähigkeit berufliche und finanzielle Schwierigkeiten (ernste Probleme, einer geregelten Arbeit nachzugehen oder sich zu konzentrieren, häufige Fehlzeiten, ernste finanzielle Probleme, geringeres Lebenseinkommen) Gedächtnisstörungen mehr Ehen niedrigerer Bildungsabschluss „Das Initialtrauma eines kleinen Kindes kann in den Untergrund abtauchen, aber es wird zurückkommen und uns verfolgen.“
– James Garbarino Wie hoch ist das Risiko, dass belastende Kindheitserfahrungen solche negativen Auswirkungen haben? Verglichen mit Personen ohne belastende Kindheitserfahrungen ist dieses Risiko für Personen mit vier oder mehr belastenden Kindheitserfahrungen typischerweise zwei- bis fünfmal so hoch. Besonders hoch sind ihre Risiken für Alkoholismus (siebenmal so hoch), Selbstmordversuche (zwölfmal so hoch) sowie für Lernschwierigkeiten und Verhaltensprobleme (bis zu dreiunddreißigmal so hoch für Störungen wie die ADHS, die oft als bipolare Störung fehldiagnostiziert wird). Die verschiedenen belastenden Kindheitserfahrungen können ungefähr gleich viel Schaden anrichten. Die Forschung zu belastenden Kindheitserfahrungen hat zu den folgenden Schlussfolgerungen geführt: Belastende Kindheitserfahrungen vergrößern das Risiko für sieben von zehn der häufigsten Todesursachen, und zwar unabhängig von Einkommen, Ethnie, Bildungsstand und Zugang zur Gesundheitsversorgung. Oft heilt die Zeit nicht die Wunden, die von belastenden Kindheitserfahrungen herrühren, sondern überdeckt nur den Schmerz. Je früher eine belastende Kindheitserfahrung gemacht wird, desto schwieriger ist es, sie zu verstehen, besonders wenn die Unterstützung einer erwachsenen Vertrauensperson fehlt. Oft bekämpfen wir den Rauch und nicht das Feuer, indem wir die Symptome von Störungen behandeln, statt ihre Ursachen anzugehen: belastende Kindheitserfahrungen. Anfangs beschränkte sich die Forschung größtenteils auf Personen aus der oberen Mittelschicht – Weiße mit College-Abschluss, guten Jobs und einer Krankenversicherung. Bei Risikogruppen wie Armen, großstädtischen Randgruppen, Minderheiten, Militärangehörigen und Häftlingen sind die Bedingungen oft schlechter und die Auswirkungen gravierender. Diese Statistiken sind alarmierend, doch wir wissen inzwischen, dass wir vieles tun können, um den negativen...