E-Book, Deutsch, 160 Seiten
Schlicht Auch die Faulen kommen ins Paradies
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-451-82949-9
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Höllisches und Himmlisches zum Nachdenken und Ausprobieren
E-Book, Deutsch, 160 Seiten
ISBN: 978-3-451-82949-9
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Was heißt 'Todsünde'? Das Wort ist noch heute in jedermanns Mund: Ob in der Politik, beim Sport, in der Wirtschaft und … in der Kirche. Doch woher kommt die Vorstellung von der Todsünde? Wer hat sie er- bzw. gefunden? Warum die Auswahl dieser sieben Taten? Seit wann wird vor ihnen gewarnt und warum? Das alles wird augenzwinkernd erzählt, mit Leichtigkeit, also eine Einführung zum Schmunzeln. Vor allem aber: Auch die Tugenden kommen vor, weil sie uns helfen, gut durch das Leben zu kommen. Ein wunderbar vergnüglicher Lesestreifzug durch die Welt von 'Gut&Böse', von 'Laster&Tugend' – immer mit Blick auf den Alltag und was es dem Menschen bringt.
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Hochmut und Demut
Von Pharisäern und
hochmütigen Fahrschülern
Die folgende biblische Geschichte ist eindrücklich, weil man sie sich wie in einem Spielfilm vorstellen kann. Der Ort der Handlung ist der Tempel von Jerusalem. Groß, prächtig, eindrucksvoll, der heiligste Ort im alten Israel. Hier ist die Verbindung zu Gott direkt gegeben. Gott selbst hat diesen Tempel als Begegnungsort mit ihm geplant. Zur Zeit des alten Israel hatte König Salomo den Tempelbau angeordnet und auch zu Ende geführt. Die besten Baumeister seiner Zeit hatte er angestellt; die meisten von ihnen waren „Fremdarbeiter“, Fachkräfte aus dem Ausland. In Phönizien und anderswo war man erprobt, eindrucksvolle Tempel für die jeweiligen Landesgottheiten zu bauen. Auch für den Gott Israels sollte nur das Beste vom Besten erschaffen werden. Und das ist durchaus gelungen. Zur Zeit Jesu hatte der Tempel von Jerusalem nichts von seiner Berühmtheit und Bedeutung verloren. Die Menschen kommen hierher zum Opfern. Sie bringen ihren Dank und ihre Bitten vor, singen oder vertiefen sich im persönlichen Gebet. Das Buch der Psalmen spiegelt bis heute die Bandbreite der Gefühle wider, die die Menschen in ihren Liedern zum Ausdruck brachten. Aber auch freie Gebete waren möglich. So beschreibt es Jesus in einem Gleichnis (vgl. Lk 18 9–14). Zwei Männer kommen in den Tempel, um zu Gott zu sprechen. Beide sind zur gleichen Zeit im Tempel und treten vor Gott, doch zwischen ihnen liegen Welten. Unüberwindbare Grenzen. Ein undenkbares Zusammensein. Der eine von ihnen wird im Text als Pharisäer bezeichnet. Er gehört zu einer frommen Glaubensrichtung in Israel. Auch wenn das Wort „Pharisäer“ in der deutschen Sprache einen zwielichtigen und nicht ganz ehrlichen Charakter bezeichnet (man denke nur an den nordfriesischen Kaffee mit verstecktem Rumanteil), sind die Pharisäer zur Zeit Jesu wirklich fromme Leute. Sie sind historisch nicht die Erzfeinde Jesu gewesen, wie so oft behauptet wird. Wie Jesus glauben sie an die Auferstehung der Toten und viele Gespräche zwischen Jesus und einzelnen Pharisäern sind überliefert (z. B. mit Nikodemus). Selbst Joseph von Arimathäa, der sein Grab für den Leichnam Jesu zur Verfügung stellte, war einer von ihnen. Nun gibt es auch unter den Frommen die Abteilung der Super-Frommen. Die gibt es bis heute. Sie wissen ganz genau, was richtig ist und was Gott verlangt. Manchmal wissen sie es, so kann man meinen, besser als der Herrgott selbst. Sie haben die Haltung des geistlichen Angebers, und ihnen gefällt diese Rolle. Von so einem Pharisäer berichtet Jesus. Im Tempel angekommen, baut er sich vor Gott auf und betet, was das Zeug hält, oder besser gesagt, was er von sich selbst hält. Und das ist: nur das Beste. Alles, was ich mache und tue, ist gut und Gott wohlgefällig. Er sagt: „Gott, ich danke dir, dass ich nicht bin wie die übrigen Menschen: Räuber, Ungerechte, Ehebrecher, auch nicht wie dieser Zöllner da.“ (Auf Letzteren, zu dem sich der zweite Mann im Tempel zählt, komme ich gleich zu sprechen.) „Ich faste zweimal in der Woche und ich gebe den Zehnten von allen meinen Einkünften.“ Donnerwetter, da wackeln ja die Tempelwände! An Selbstbewusstsein ist das wohl kaum zu überbieten. Er dankt Gott dafür, dass er nicht sei wie die anderen. Die Doofen, die Sünder, die Unfrommen, diejenigen, die nicht so sind wie er selbst. Mehr Hochmut, mehr Arroganz geht nicht. Dass sich der Pharisäer traut, solche Worte vor Gott auszusprechen, ist für mich persönlich unfassbar. Aber es ist möglich. Es gibt tatsächlich Menschen, die sich für derart besonders und einzigartig fromm empfinden. Da kann ich mich nur wundern. Jesus kommentiert dieses Verhalten. Er lässt in seinem Gleichnis den zweiten Menschen im Tempel auftreten, den Zöllner. Der Name ist sein Beruf. Vereinfacht gesagt: Die Römer, die das Land Israel besetzt hatten und mit harter Hand regierten, setzten Menschen aus dem Volk ein, die für sie Steuern und andere Pflichtabgaben eintrieben. Da es keine offiziellen Tarife für diese Gebühren gab, konnten die Zöllner sie von Person zu Person selbst nach eigenem Ermessen festlegen. Daher nahmen sie nach eigenem Gutdünken oft mehr Geld als gefordert, um ihre eigenen Einkünfte zu sichern. Das machte sie nicht gerade beliebt. Sie galten als Kollaborateure, als Menschen, die für und mit den verhassten Römern Geschäfte machen. Sie waren verschrien als finanzielle Halsabschneider und sie wurden innerhalb Israels auch gesellschaftlich herabgestuft. So durften sie beispielsweise nicht vor Gericht als Zeugen aussagen, denn sie galten als grundsätzlich unehrlich. Auch Jesus wusste um den schlechten, ja schändlichen Ruf der Zöllner. Das hat ihn jedoch nicht davon abgehalten, mit ihnen in Kontakt zu sein. Und selbst das wurde in Israel nicht gerne gesehen. Zum Unmut der Umstehenden lädt sich Jesus sogar in das Haus des Zöllners Zachäus zum Essen ein. Die Menge schimpft: „Bei einem Sünder ist er eingekehrt!“ (Lk 19,1–10) Dazu mehr im letzten Kapitel dieses Buches. Anders als der Pharisäer steht der Zöllner im Gleichnis nicht vorne im Tempel, wo ihn jeder sehen und sein Gebet hören kann. Er steht „von ferne“, also ganz hinten, gleich neben dem Eingang an die Wand gedrückt. Er traut sich nicht nach vorne, denn – so meinte man – je weiter man sich dem Altar und dem Allerheiligsten, dem verborgenen Hauptraum des Tempels nähert, umso näher ist man am Heiligen Gott. Messbare Nähe (in Meter und Zentimeter) war damals auch geistliche Nähe (in der inneren Beziehung zu Gott). Je dichter (messbar) du vor Gott stehst, um so dichter ist er auch an deinem Herzen. Umso deutlicher sieht und fühlt Gott dich. Der Zöllner weiß darum, und – so Jesus – traut sich nicht einmal den Kopf zu heben und seine Augen gen Himmel zum Gebet zu richten. Er schlägt sich an seine Brust, was im damaligen Israel ein Brauch war, um sein Kleinsein, aber auch seine Trauer oder seine Schuld anzuzeigen. Sein Gebet murmelt er mit einem einzigen Satz: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“ Hier kommen Einsicht in seine Schuld, die Gewissheit des Glaubens und das Vertrauen in den barmherzigen Gott zusammen. In einem einzigen Satz wird all das ausgedrückt. So habe ich mir persönlich diesen Satz zu eigen gemacht. Wenn ich Mist gebaut habe und nicht weiß, was ich beten soll, spreche ich schlicht: „Gott, sei mir Sünder gnädig.“ Jesus kommt in seinem Gleichnis zu folgendem Schluss und bringt damit wohl seine Zuhörer ins Grübeln: „Dieser [der Zöllner] ging gerechtfertigt nach Hause.“ Er ist derjenige, dem Gott wohlgefällig zugehört hat. Vom Pharisäer sagt Jesus nichts. Der hat ja selbst schon alles gesagt. Und den Hinweis von Jesus hätte er wahrscheinlich nicht ernst genommen und wohl auch zurückgewiesen. Gegen Kritik ist jeder Hochmütige bestens gewappnet. Sein Ego ist der beste Trumpf. So meint er jedenfalls. Jesus, mit dem Blick Gottes, sieht das allerdings anders. „Hochmut kommt vor dem Fall“, so sagt es der Volksmund. Und so habe ich es schon mehrfach erlebt. Zum ersten Mal und sehr eindrücklich bei Klaus. Klaus kenne ich seit Kindertagen. Er lebte mit seinen Eltern auf einem Bauernhof am Ende unserer Straße. Der Bauernhof war riesig. Für mich und alle anderen Kinder ringsum war das ein wunderbarer Spielort. Mit Kühen, Schweinen, Hofhund Henry, Heuboden, Traktoren und vielen Dingen, bei denen es oft hieß: Seid bloß vorsichtig! Hinter dem Hof war eine riesige Wiese. Als wir in der Grundschule waren, erzählte Klaus stolz, wie toll das Gefühl sei, dort im alten, ausgemusterten VW Käfer 1300, „herumzugurken“. Sein Vater hatte ihm das erlaubt, aber er durfte solche Ausfahrten nicht machen, wenn wir zum Spielen dort waren. Kurzum: Klaus konnte bereits Auto fahren, als wir zur 5. Klasse auf das Gymnasium wechselten. Unser junges Leben ging weiter und andere Themen, die wir in der BRAVO lasen, bestimmten mehr und mehr unser Denken. Die schöne Viola wurde wichtiger als ein schnöder VW. Mit 18 Jahren rückte das Abitur näher, zugleich aber auch die Fahrschule. Zunächst die Theorie. Jede Woche ein Mal – Präsenzunterricht! Langweilig, aber natürlich wichtig. Klaus empfand die ganze Fahrschule als lästig. Schließlich konnte er ja seit der Grundschulzeit Auto fahren. Mittlerweile schraubte er sogar am Motor rum. Die theoretische Prüfung bestand er mit Ach und Krach. „Geschafft“, sagte er, als er die Bescheinigung in Händen hielt. „Der Rest ist eigentlich überflüssig. Das kann ich besser als der Fahrlehrer.“ Ein gesundes Selbstbewusstsein in Hinsicht auf PKW-Führung bahnt sich seinen Fahrweg bzw. seine Spur. Der praktische Prüfungstag war heiß, in jeder Hinsicht. Es war Sommer und unsere Prüfungsgruppe traf sich zum entscheidenden Termin in Harburg. Die Gruppe, das waren zwei Mädchen, Klaus und ich. Die Mädchen waren (nicht nur) mir beim Theorieunterricht aufgefallen. Sie gingen nicht mit uns zur Schule. Die beiden waren auffallend hübsch. Gekleidet im Look der 70er-Jahre mit Batik-Blumen-Shirt, Jutetasche und dem Duft von „My Melodie“ und Apfelschampoo – erstaunlich, woran sich ein Mensch selbst Jahrzehnte später noch erinnern kann! Der Prüfer erschien mit brauner Aktenmappe unterm Arm. Der Fahrlehrer fragte, wer als Erster die Prüfung ablegen wolle. Klaus meldete sich – natürlich. „Wir brauchen nicht lange“, sagte er mit feixendem Gesichtsausdruck. „Und später lade ich Euch in die Eisdiele...