Schmale / Tinnefeld | Privatheit im digitalen Zeitalter | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 207 Seiten

Schmale / Tinnefeld Privatheit im digitalen Zeitalter


1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-205-79261-1
Verlag: Böhlau
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 207 Seiten

ISBN: 978-3-205-79261-1
Verlag: Böhlau
Format: EPUB
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Privatheit ist Kernelement eines humanen Lebens und als unveräußerliches Menschenrecht Voraussetzung kommunikativer Freiheitsrechte. Dies drückten schon antike und biblische Autoren in ihren Texten aus. Die gegenwärtige Bedrohung durch Big Data scheint Privatheit als humanes und Rechtsgut weitgehend auszuhöhlen, informationelle Selbstbestimmung wird ausgehebelt. Das Buch geht der historischen Entwicklung von Privatheit, ihrer Thematisierung in alten Texten, ihrer Konkretisierung in Gestalt des geschützten Hauses und Gartens sowie ihren wachsenden Bedrohungen seit dem 18. Jahrhundert und heute im digitalen Zeitalter kritisch nach. Es wird aufgezeigt, welche Optionen Zivilgesellschaft und Gesetzgeber haben, um Privatheit in ihrer Kernfunktion zu schützen. Das Buch leuchtet das Thema umfassend kultur- und rechtsgeschichtlich sowie juristisch aus und stellt ein Referenzwerk dar.

Marie-Theres Tinnefeld ist Professorin für Datenschutz und Wirtschaftsrecht an der Hochschule München und Publizistin.
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Weitere Infos & Material


Vorwort
I Ein Entwurf am Anfang der Menschheitsgeschichte: der Garten als Ort der Privatheit
Sinnenfällige Gartenbilder und rechtskulturelle
Perspektiven
Code der Paradiesgeschichte
Das menschliche Maß der Privatheit
II Privatheit als Geschichte der informationellen
Selbstbestimmung
Informationsordnung und informationelle
Selbstbestimmung
Informationelle Selbstbestimmung zwischen dem Selbst und der Allgemeinheit
Privatheit und Informationsordnungen in der Geschichte
Informationelle Fremdbestimmung durch den Staat
III Privatheit im digitalen Imperium: Der Datenschutz als Lotse in der Informationsflut und als Forum für eine Kultur des Dialogs
Information als Rechtsgut
Erbe alter Rechtskulturen
Datenschutz als rechtskulturelle Leistung
Informationsflut und offene Gesellschaft
Datenschutzrechtliche Lotsendienste
Ruf der Aufklärung
IV Privatheit und Trojanische Pferde
Die unsichtbare Jagd nach privaten Informationen
Ziel und Rechtsgrundlage der Staatstrojaner
Die Botschaft Kafkas
Geschichte der Staatstrojaner
Menschenrechtliche Beherrschbarkeit neuer Technologien
V Öffentlichkeit, Geheimhaltung und Privatheit
Notorisch neugierige Europäer
Kurze „Geschichte der Information“
Funktion demokratischer Öffentlichkeit
Grenzenlose Öffentlichkeit: das Beispiel WikiLeaks
Qualitätsjournalismus im Vergleich zur
Öffentlichkeitsarbeit einer Regierung
Wissen und Macht
VI Privatheit im Bild einer Identität durch Grundrechte
Ein gewagter Versuch
Weg der Einheit Europas
Europas Identität – eine Vorgeschichte
Europäische Identität durch Grundrechte
Einfluss des Schutzes der Privatheit auf die Identität
Friedenswirksame Antwort
VII Moderner Kassandraruf: Das Recht auf Privatheit – ein universelles Menschenrecht
Universelles Menschenrecht auf Privatheit
Internationaler und unionsweiter Schutz
Auslegung und Rechtsprechung
Vom zukünftigen Verhältnis zwischen der Union und EMRK
Big Data
Interesse an Risikobeherrschung
Ruf der Kassandra und Rückfragen der Bürger
Abkürzungsverzeichnis
Anmerkungen
Anmerkungen Kapitel I
Anmerkungen Kapitel II
Anmerkungen Kapitel III
Anmerkungen Kapitel IV
Anmerkungen Kapitel V
Anmerkungen Kapitel VI
Anmerkungen Kapitel VII
Orts-, Personen- und Sachregister


II     Privatheit als Geschichte der informationellen Selbstbestimmung


Wir sind als Selbst, Ich, Individuum, Einzelner

die Summe aller über uns existierenden Informationen.45

Informationsordnung und informationelle Selbstbestimmung


Kommunizieren gehört zum Menschen wie Essen, Trinken und Schlafen.46 Kommunikation verläuft nach gewissen Regeln, die je nach Zeit, Raum und Kultur unterschiedlich sind. Das, was kommuniziert wird, lässt sich nach Kategorien unterscheiden. Eine dieser Kategorien lautet „Information“. Begriffs- und bedeutungsgeschichtlich meint Information „Nachricht, Auskunft, Belehrung.“47 Inhaltlich geht es um die Kommunikation von Fakten, Sinn- und Bedeutungseinheiten, die im Gegensatz zu komplexen Phänomenen für die Zwecke der Übermittlung mittels geeigneter Medien in Gestalt informationeller Einheiten (= „Daten“) einfach und überschaubar gehalten werden. Der 1978 von Georg Werckmeister und Willi Egloff48 formulierte und seitdem geradezu routinemäßig immer wieder zitierte Zusammenhang zwischen Information und „allgemeiner Natur der Wirklichkeit“ hebt auf eine Objektivität ab, die der erkenntnistheoretischen Dekonstruktion der Wirklichkeitswahrnehmung des Menschen widerspricht.49 Deshalb ist die Eingliederung von „Sinn- und Bedeutungseinheit“ in die Definition von Information wichtig. Nützlich auch für kulturgeschichtliche Untersuchungen bleibt die folgende Charakterisierung G. Werckmeisters von „Information“:

Information ist somit ein Begriff, dh ein expliziertes (manifestiertes) Verhältnis zwischen dem einzelnen Gegenstand, seinen besonderen Verhaltensweisen und Eigenschaften (Bestimmungen) sowie seiner Zugehörigkeit zu einer allgemeinen Gattung.50

Wichtig ist der Aspekt der Vermittlung des Konkreten, Einzelnen, Besonderen mit dem Allgemeinen, das kulturgeschichtlich als Kontext zu verstehen ist. Werckmeisters Begriff „Gegenstand“ ist bewusst [<< 30] unbestimmt und kann ebenso Personen wie Gegenstände im engeren Wortsinn bedeuten.

Informationen können unendlich kombiniert werden, das heißt sie können den Grundstock für komplexe Informationsgebilde abgeben. Medien können ganz verschiedene sein, von der mündlichen Übermittlung, über jede Form der Schrift- und Bildlichkeit bis hin zu den modernen digitalen Medien.

Im Rahmen der Kategorie Information lassen sich viele Gruppen bilden, innerhalb derer sich personenbezogene Informationen, also Informationen, die Fakten sowie Sinn- und Bedeutungszusammenhänge einer konkreten Person beinhalten, als eigene Gruppe festlegen lassen. Solche personenbezogenen Informationen kennen wir aus jeder Phase der Geschichte, aus jeder Kultur, aus jeder Gesellschaft. Sie machen auch eine der wichtigsten, wenn nicht die wichtigste Quelle für die Geschichtswissenschaft aus.

Kulturhistorisch betrachtet ist die Frage, wie es überhaupt zur Entstehung von Informationen über den Einzelnen kommt, wichtig, da diese nicht einfach da sind. In unterschiedlichen Epochen entstehen verschieden geartete Informationen über den Einzelnen, die Produktionsprozesse unterscheiden sich, vor allem verändert sich auch die Menge der Informationen. Interessant sind also die Entstehungsprozesse dessen, was wir Informationen über den Einzelnen oder, fachterminologisch, „personenbezogene Daten“ nennen, und was dann, wenn es ‚da ist‘, einer rechtlichen Würdigung und Behandlung bedarf. Die historischen, auch gegenwartsgeschichtlichen, Bedingungen der Produktion von Informationen oder personenbezogenen Daten gehen der eigentlichen „Informations-“ oder „Datenerhebung“ voraus.

Wir haben es zu unterschiedlichen Zeiten in der Geschichte mit unterschiedlichen „Informationsordnungen“ zu tun. „Informationsordnungen“ sind „grundlegende Regelungsideen, die für den Informationsverkehr maßgeblich sind“.51 Diese Definition lässt sich sehr gut nicht nur juristisch, sondern auch kulturhistorisch ausfüllen. Informationsordnung ist nicht gerade ein eingeführter kulturgeschichtlicher Begriff. Er wird vorwiegend juristisch verwendet und verstanden. Gleichwohl gab es [<< 31] schon immer Regeln für die Kommunikation personenbezogener Informationen, die früher zwar kaum gesetzlich oder gewohnheitsrechtlich festgelegt wurden, sondern von der Gesellschaft bzw. diesen oder jenen Sozialgruppen bestimmt wurden. Die Grenzen zwischen zulässiger und nicht zulässiger Kommunikation personenbezogener Informationen waren unscharf und veränderten sich im Laufe der Zeiten. Solche Grenzen hingen entscheidend von den jeweils geltenden Auffassungen von Öffentlichkeit und Privatheit ab. Manches, was heute an personenbezogenen Informationen öffentlich kommuniziert wird, wurde auch in der Antike öffentlich kommuniziert, während es in dieser oder jener Epoche dazwischen privat blieb oder bleiben sollte. Außerdem hängt Zulässigkeit (oder nicht) immer von den sozialen Verbünden und Milieus ab, zu denen jemand gehört(e). Innerhalb der Altersgruppe der Jugend galten schon immer andere Regeln für die Kommunikation personenbezogener Informationen als außerhalb. Dasselbe lässt sich analog für zusammengehörige Sozialverbünde sagen: Machteliten, ökonomische Eliten, Berufsstände usw. Vom Grundsatz her gilt das meiste davon auch heute, aber die niederschwellige Verfügbarkeit digitaler Medien kann genutzt werden, um alle informellen, sozialen Konventionen folgende Regeln für die Kommunikation von personenbezogenen Informationen zu unterlaufen. Dasselbe gilt für die ‚Aufhebbarkeit‘ rechtlicher Regeln durch praktisches digitales Tun durch Privatpersonen oder Funktionsträger des Staates, das dann zwar widerrechtlich und strafbar, aber, wie die Erfahrung lehrt, schwer zu verhindern ist.

Hier ist der Punkt erreicht, wo auch kulturgeschichtlich eine weitere Unterscheidung zu beachten ist, nämlich die zwischen informationeller Selbstbestimmung einerseits, und informationeller Fremdbestimmung andererseits. Obwohl dies moderne Fachbegriffe sind, betreffen sie Sachverhalte, die ebenso für vergangene Epochen festgestellt werden können. Selbst- und Fremdbestimmung, und sei es in Bezug auf personenbezogene Informationen, gab es schon immer.

„Informationelle Selbstbestimmung“ hat zwei Bedeutungen: Zum einen geht es juristisch um das grundsätzliche individuelle Recht auf und über alle solche Informationen zu bestimmen, die Auskunft über [<< 32] einen selbst geben und geben können, zugleich geht es um die Grenzen dieses Grundrechts. Zum anderen heißt kulturgeschichtlich betrachtet „informationelle Selbstbestimmung“, dass ich (selber) über mich Informationen produziere und selber deren Privatheit und bzw. oder Öffentlichkeit bestimme.

Informationelle Fremdbestimmung hat analog diese beiden Bedeutungen: Produktion von Informationen über mich durch Dritte, Verwendung selber oder fremdproduzierter Informationen über mich durch Dritte. Viele personenbezogene Informationen, die für uns heutzutage selbstverständlich sind, z. B. solche die ‚klassischerweise‘ im Reisepass verzeichnet sind (Geburtsdatum, Geschlecht, Größe, Augenfarbe, sonstige auffällige identitätsbeweisende körperliche Merkmale), sind erst im Lauf der Geschichte von Obrigkeitswegen zu solchen der Fremdbestimmung unterliegenden, Informationen in einer rechtlich festgelegten Kombination gemacht worden. Während es sich hierbei um sehr allgemeine Informationen handelt, die auch ohne obrigkeitliches Handeln vorliegen würden, wurden andere ‚erfunden‘ wie der digitale Fingerabdruck oder andere biometrische Informationen, die nicht einfach, gewissermaßen naturgegeben, vorliegen, sondern die erst fremdproduziert werden müssen mittels digitaler Techniken.

Juristisch betrachtet geht es um den rechtlich geregelten Umgang mit produzierten Informationen. Nicht immer in der Geschichte52 war dieser rechtlich geregelt: Zwar reicht die Institution des Berufsgeheimnisses weit zurück, durch das wie im antiken Eid des Hippokrates personenbezogene Informationen über Gesundheit und Krankheit geschützt werden, aber bis zum 18. Jahrhundert war Informationsfreiheit so gut wie kein rechtlicher Regelungsgegenstand.53 Es existierten Arkanbereiche wie im Umfeld des Herrschers und der Staatsgeschäfte, die Ohrenbeichte war ein Geheimnisbereich, die Anfänge des Briefgeheimnisses liegen ebenfalls weiter zurück.54

Die Frage nach modern gesprochen personenbezogenen Informationen wurde in der Aufklärung im Kontext von Wahrheit und Lüge diskutiert, der Wahrheit wurde bei einigen Autoren der absolute Vorrang eingeräumt. Johann August Schlettwein schrieb 1784 in § 115 in [<< 33] seinem Buch „Die Rechte der Menschheit oder der einzige wahre Grund aller Gesetze, Ordnungen und Verfassungen“ über die Frage, „Ob ein Mensch das Recht habe, von seinem Mitmenschen das Böse zu sagen, wenns Wahrheit ist?“ (so der Titel des § 115):

Die Wahrheit aber darf jeder meiner Mitmenschen nicht nur von mir denken,...


Wolfgang Schmale ist Professor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Wien.

Marie-Theres Tinnefeld ist Professorin für Datenschutz und Wirtschaftsrecht an der Hochschule München und Publizistin.



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